-->Deutsche-Bank-Chef übt harsche
Kritik an Deutschland
Ackermann:"Das nächste Japan" / Aber Bekenntnis
zum Standort
hap. FRANKFURT, 16. Januar. Mit einem Paukenschlag
hat sich der Vorstandssprecher der Deutschen Bank auf
dem Neujahrsempfang der Stadt Frankfurt in die Debatte um
die Zukunft Deutschlands eingeschaltet. In seiner ersten
wirtschaftspolitischen Grundsatzrede seit seinem Amtsantritt
im Mai 2002 malte Josef Ackermann ein düsteres Bild zum
Standort:"Wir können nicht mehr ignorieren, was man im
Ausland über uns denkt. Deutschland wird leider schon lange
nicht mehr mit dem Land des Wirtschaftswunders assoziiert.
Wir werden nicht mehr als politische und wirtschaftliche
Lokomotive gesehen, sondern gleichsam als Buddenbrooks
der dritten Generation, als das nächste Japan", sagte er laut
Redetext.
Trotz der harschen Kritik entzog Ackermann mit einem
klaren Bekenntnis Gerüchten über eine Abwanderung der
größten deutschen Bank nach London den Boden:"Mich
treibt die Sorge um die Zukunft dieses Landes, das auch
Heimatmarkt der Deutschen Bank ist und bleibt." Seiner
Ansicht nach existiert in Deutschland nicht nur ein
Umsetzungsproblem. Es fehle auch immer noch die
Erkenntnis, wie ernst die Lage wirklich sei. Daneben bestehe
ein Erkenntnisproblem mit Blick auf die notwendigen
politischen Maßnahmen. Konzepte gebe es reichlich. Aber
alle Reformen würden nur innerhalb bestehender Strukturen
angestoßen, die verkrusteten Strukturen selbst würden nicht
in Frage gestellt. Der Deutsche-Bank-Chef fordert unter
anderem, die Wahltermine zu bündeln, künftige
Kommissionen mit zwei Mandaten (Änderung im System,
Entwurf einer völligen Neukonzeption) zu beauftragen und
einen Konvent zur Neuordnung der Bundesrepublik
einzuberufen.
Angesichts der hohen Zahl von Arbeitslosen und der für viele
Jugendliche fehlenden Perspektiven sei die Lage kritisch. Es
bestehe zwar kein Zweifel daran, daß Deutschland über
enorme Stärken und ein bemerkenswertes Wohlstandsniveau
verfüge. Aber der objektive Blick beweise:"Im Vergleich zu
anderen Ländern fallen wir tendenziell zurück. Deutschland
hat eine strukturelle Wachstumsschwäche. Das Land bildet
seit Jahren das Schlußlicht in der europäischen
Wachstumsliga", sagte Ackermann.
Die unterdurchschnittliche Börsenentwicklung spreche eine
deutliche Sprache. Sie sei kein Problem der Banken allein,
sondern der gesamten Volkswirtschaft:"Stark rückläufige
Börsenbewertungen berauben deutsche Unternehmen ihrer
Möglichkeit, bei der Gestaltung globaler
Wirtschaftsstrukturen eine aktive Rolle wahrzunehmen. Sie
werden auf die Rolle des Objekts, bestenfalls des
Juniorpartners reduziert. Kein ausländisches Unternehmen
könnte seinen Aktionären gegenüber vertreten, fusionierte
Unternehmen in Deutschland anzusiedeln."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.01.2003, Nr. 14 / Seite 11
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