-->Interessanter Artikel dieses eher"emotionslosen" Schweizer Blattes.
mfg sterntaler
Pessimistische Börsenstimmung signalisiert Trendwende
Parallelen zu früheren Kursentwicklungen - Leidensdruck noch etwas zu gering - Langfristanleger können Aktienpositionen aufbauen
Von Giorgio V. Müller
Könnte es sein, dass die Marketingabteilung der «Finanz und Wirtschaft» im vergangenen Sommer unbeabsichtigt das Ende der Baisse an den Aktienbörsen verkündet hat? Recherchen früherer Baissephasen zeigen, dass das Ende der Kursverluste oft dann erreicht war, wenn der Pessimismus am grössten gewesen ist und sich unsere Zeitung mit wohlgemeinten Durchhalteparolen an ihre Leser wandte.
Einige Wochen bevor der Dow Jones Industrial Average (Dow) unter 7500 und der Swiss Market Index (SMI) unter 4500 fielen, appellierte die «Finanz und Wirtschaft» an ihre Leserschaft (FuW Nr. 56 vom 17. Juli 2002) und entschuldigte sich, ihr keine erfreulicheren Börsennachrichten zu bringen. Gerade in harten Zeiten, wenn viele gebrannte Anleger von den Börsen am liebsten nichts mehr sehen wollten und es zu Verleiderverkäufen (und Aboeinstellungen) komme, sei die Information über die wirtschaftlichen und unternehmerischen Entwicklungen besonders wichtig, lautete die Botschaft.
Das Bemerkenswerte an dieser Episode ist, dass unsere Zeitung schon in früheren Tiefständen an den Börsen solche Inserate schaltete. Zweifellos reichen gut gemeinte Appelle unseres Verlags nicht aus, die Stimmung an den Aktienmärkten zu verbessern. Hingegen waren sie stets ein gutes Indiz für die ohnmächtige Stimmung in Zeiten, in denen der Markt seinen Tiefpunkt erreicht hat. Der Vergleich mit früheren Baissephasen zeigt, dass wir uns derzeit an einem ähnlichen Punkt im Zyklus befinden könnten, an dem die Börsenampel in der Vergangenheit (meist unbemerkt) wieder auf Grün schaltete.
Weltwirtschaftskrise
Nach den drei schlimmen Baissejahren 2000 bis 2002, in denen sich die wichtigsten Aktienindizes halbierten, darf ein Vergleich mit dem Börsenkrach 1929 und anschliessender Baisse sowie der Erdölkrise der Jahre 1973/74 gemacht werden. «Ich will von Aktien nichts mehr wissen, ich habe jetzt genug Geld verloren», wurde in der Ausgabe vom 28. Juni 1932 ein Eigeninserat überschrieben. Dem frustrierten Leser wird geraten, gerade jetzt mit der Lektüre der FuW den Ereignissen die volle Aufmerksamkeit zu schenken. Im gleichen Monat wurde der Tiefpunkt erreicht.
Zu der damaligen Zeit markierten die Aktienmärkte rund um den Globus ständig neue Tiefstände. Zwischen September 1929 und Juni 1932 halbierten sich die im FTSE-All-shares-Index vertretenen britischen Werte, und der S&P-500-Index büsste sogar 85% seiner Kapitalisierung ein. Im Juni überschlugen sich die schlechten Nachrichten. Mehr als die Hälfte der US-Unternehmen operierte in den roten Zahlen. 1929 mussten erst 3% der Unternehmen Verluste ausweisen. In den Wirtschaftszeitungen war die Rede von «der schärfsten Rentabilitätskrise», die die USA je erlebt hatten. Der US-Staatshaushalt war «völlig aus dem Gleichgewicht» geraten, war in der FuW zu lesen, die damals noch täglich erschien. Kurserholungen wurden als technische Baisserallys abgetan, denn die Börse sei «weiterhin auf Baisse gestimmt». Der Börse fehle jeglicher Rückhalt, weil die Anleger zu grosse Vermögen verloren hätten, wurde die Zurückhaltung begründet. In Tat und Wahrheit waren die Avancen der Beginn der nächsten Hausse.
Besonders düster war die Stimmung im Frühling und Sommer 1932, als eine Weltwirtschaftsdepression die Märkte lähmte. Um den Baissiers das Geschäft zu verderben, führten die Amerikaner eine neue Börsenumsatzsteuer ein; umsonst, denn die Kurse bröckelten weiter. Einer der einzigen Optimisten war der Automobilmagnat Ford, der im April 1932 trotz sinkenden Absatzzahlen die Massenproduktion von Autos wiederaufnahm. Er setze bewusst sein Vermögen für seine Überzeugung aufs Spiel, denn das Schlimmste der Krise sei vorbei, erklärte er. In der Folge wurde Ford für seine Risikofreude belohnt.
10000 Banken machen dicht
Richtig prekär wurde die Lage im Mai 1932: Wallstreet notierte 80% unter seinem Höchst von 1929, und die Handelsumsätze waren um zwei Drittel geringer als in den Haussejahren. Ausserordentlich hart getroffen wurden die Banken. In drei Jahren machten allein in den USA 4800 Institute dicht. Damit hatte sich die Anzahl US-Banken in rund einer Dekade um fast 10000 verringert. Das Emissionsgeschäft kam fast zum Stillstand. Trotz Überliquidität waren kaum Käufer für Wertschriften zu finden; zu schmerzhaft waren die Verluste der vergangenen Jahre.
Die düstere Lage riss auch Politiker und Diplomaten in eine Vertrauenskrise. Es herrschte Protektionismus pur. Zwischen den Ländern wurde sogar der Tauschhandel wieder aufgenommen, so gering war das Vertrauen in die Währungen. In einem solchen Umfeld interessierte sich natürlich kaum jemand für Aktien. «Wenn die Kursrückschläge im heutigen Tempo anhalten, dann sind wir bald auf einem Kursniveau angelangt, wo sich eine Berichterstattung über den Verlauf der Börse von selbst erübrigt», klagte am 25. Mai 1932 unser Berichterstatter. Selbst hohe Dividendenrenditen, die im Durchschnitt aller US-Titel 12,9% erreichten, lockten keine Käufer an den amerikanischen Markt zurück.
Interessante Parallelen zur heutigen Zeit gab es auch in Sachen Wirtschaftsskandale. Sind es heute Enron, Jomed oder Worldcom, waren es damals die Bilanzfälschungen von Kreuger & Toll, die das Vertrauen in die Unternehmensführer untergruben. Die Machenschaften von Ivar Kreuger, dem Führer des Schwedentrusts, zwangen den schwedischen Staat sogar, den kreditgebenden Banken unter die Arme zu greifen, um einen Kollaps des Bankensystems zu verhindern.
Die Kreuger-Affäre, in der sich der Hauptschuldige durch Selbstmord aus der Verantwortung stahl, lag den ganzen Sommer als lähmende Wolke über den Finanzmärkten. Das Leben nahm sich in dem Sommer auch der ehemalige Präsident der Börse Montreals, und unser Börsenberichterstatter erkannte «keine Hoffnung auf eine allgemeine Fundierung der politischen und wirtschaftlichen Lage».
Hingegen hätte es schon vor der Trendwende im Juni 1932 genügend Hinweise gegeben, dass sich strukturelle Dinge zum Besseren gewendet hatten. Eine Lösung der Zollprobleme in den USA, die sich zuvor als schlimmer Protektionist gebärdet hatten, zeichnete sich deutlich ab. Ein Schlüsselereignis war der Rentenstützungspool American Securities Investing Corp, den Morgan und weitere 17 New Yorker Banken im Juni 1932 ins Leben riefen. Die Stützungsaktion für US-Obligationen zeigte Wirkung. Trotz anhaltend schlechten Wirtschafts- und Unternehmenszahlen setzten Aktien- und Bondmarkt zu einer Erholung an, die bis kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Bestand hatte.
Doppeltes Übel der Stagflation
So schlimm wie in den Dreissigerjahren war die wirtschaftliche Lage Anfang der Siebzigerjahre nicht. Zwar folgte die Baisse auch dieses Mal auf eine Phase euphorischer Übertreibungen, die einen schmerzhaften Prozess auslöste. Doch 1973 und 1974 war es vor allem die Geissel einer ausser Rand und Band geratenen Inflation, die das Ende der Hochkonjunktur und die heftigen Kursverluste an den Aktienmärkten einleitete. Von Anfang 1973 bis September 1974 verlor der S&P-500-Index 42%. Noch schlimmer erging es den britischen Titeln, die schon seit April 1972 nach unten tendiert hatten und bis zum Ende der Baisse im November 1974 happige 71% verloren.
Die allgemeine Stimmung war nicht so verzweifelt wie während der Depression der Dreissigerjahre. Trotzdem machten sich Frustration und Verzweiflung breit. «Muss die Menschheit wirklich zugrunde gehen?», lautete der Titel eines Vortrags des ETH-Professors Dr. Otto Jaag. Und «Praktikus» konstatierte im August 1974, dass «Pessimismus zum Modetrend geworden ist und die Wanderprediger des Pessimismus den Teufel einer Weltkrise an die Wand malen». Am 2.August dauerte die Börsensitzung in Zürich lediglich 43 Minuten (!), so gering waren die Umsätze in den Schweizer Valoren.
Genau wie in den heutigen Tagen trauten die Investoren auch während der Erdölkrise den Unternehmensausweisen nicht über den Weg. Wegen der hohen Inflation wurden die Unternehmenserträge als Scheingewinne bezeichnet. Kassenobligationen wurden mit 7%-Coupons ausgegeben. Doch die hohe Jahresteuerung in der Schweiz von 10,5% relativierte die Attraktivität der Festverzinslichen.
Nach zwanzig Monaten Baisse, in denen sich die Kurse fast halbierten, war die Stimmung auf einem Tiefpunkt angelangt. Schweizer Aktien notierten wieder auf dem Niveau von 1967; sieben Jahre waren für die Katz gewesen. Sogar solide Blue chips wurden mit einstelligen Kurs-Gewinn-Verhältnissen gehandelt. Bâloise und Sika verkehrten mit lächerlichen P/E von 3, Holderbank, BBC und Ciba von 4. US-Einzelhandelsaktien rentierten 8, General Electric 9,3, Chrysler sogar 11,7%.
Auch in den Siebzigerjahren versuchte «Finanz und Wirtschaft» ihren Lesern mit Appellen Mut zu machen. Angesichts der geringen Anzahl bezahlter Inserate gab es auch genügend Platz für Eigeninserate. Absoluter Tiefpunkt war Freitag, der 13.September 1974. An diesem Black Friday fiel der Dow auf ein 12-Jahres-Tief, nachdem die Teuerung der Grosshandelspreise (+17,8% p.a.) und Konsumentenpreise (+11,2% p.a.) erschreckende Ausmasse angenommen hatte. Als der Dow unter 600 fiel, wurden Titel wie ITT, Texaco und Woolworth noch mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen von 3 gehandelt.
Katalysator für die Trendwende war Anfang Oktober 1974 die Senkung der Prime Rate von 12 auf 11,75%, der wenige Tage darauf weitere Lockerungen der US-Leitzinsen folgten. Angeführt von den grosskapitalisierten Wachstumstiteln erholten sich Wallstreet und auch Zürich in nur vier Tagen um 12%, obwohl die makroökonomischen Bedingungen weiterhin schlecht waren. Doch die guten Nachrichten der Unternehmen wurden plötzlich wieder honoriert und nicht wie noch kurz zuvor missachtet. Die Handelsumsätze verdoppelten sich innerhalb von wenigen Tagen.
Im Herbst 1974 fehlte es nicht an Stimmen, die die Erholung als Trendwende erkannten. Mitte September beurteilte der damalige Generaldirektor der SBG (heute UBS), Nikolaus Senn, in einem Interview mit uns die «Baisse als völlige Übertreibung». Auch «Praktikus» riet wiederholt zum antizyklischen Kauf von Aktien, und die US-Analysegesellschaft Value Line machte mit der Schlagzeile «Get ready now for the next bull market» Werbung für den kommenden Börsenaufschwung.
Recht gutes Timing bewies auch das amerikanische Wirtschaftsmagazin «Forbes», das mit «DJ 2000 - please don’t laugh» auf der Frontseite eine mutige Prognose wagte. Die gute Verdreifachung des Kursniveaus in fünf Jahren basierte auf der Annahme, dass die Aktien wieder ihre historischen Bewertungen erreichen würden. (Obwohl die Prognose grundsätzlich richtig war, musste man bis 1986 und nicht nur bis 1979 warten, bis der Dow erstmals über 2000 notierte.)
Als geschickter Market timer erwies sich der legendäre Warren Buffett. Der Substanzwertliebhaber verabschiedete sich 1969 rechtzeitig von der Börse und retournierte den Investoren seiner Beteiligungsgesellschaft ihr Kapital, weil er zu den hohen Kursen keine Chancen für weitere Kursavancen sah. Als Buffett im Oktober 1974 von «Forbes» gefragt wurde, wie er die Verfassung der Börse beurteile, antwortete er: «So wie ein sexuell ausgehungerter Bursche einen Harem betrachtet! Es ist jetzt Zeit, mit Investieren zu beginnen, wenn man reich werden will.» Der Rest, man weiss es, ist wie, die Amerikaner zu sagen pflegen, Geschichte.
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