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F: Sind Sie lebensmüde, Herr Scholl-Latour?
Warum?
F: Sie wollen Ende der Woche in den Irak fliegen.
Ich reise über Amman an. Ich war schon oft in brenzligen Situationen und weiß,
wie ich mich zu verhalten habe. Das heißt nicht, daß ich keine Angst habe. Ein
Mensch ohne Angst ist unvorsichtig.
F: Wann wird der Krieg beginnen?
Ende Februar oder Anfang März. Die Amerikaner sind wild entschlossen.
F: Und wenn sich die Beratungen im UN-Sicherheitsrat hinziehen?
Darauf nimmt Bush keine Rücksicht. Er kann auch nicht länger warten, denn
später wird es zu heiß in der Region.
F: Aber Bush muß zumindest auf Blair Rücksicht nehmen, oder? Beim
Gipfeltreffen letzte Woche hat der Brite mehr Zeit von Bush erbeten.
Blair hat sich schon so weit aus dem Fenster gelehnt, der kann gar nicht mehr
zurück. Der muß hoffen, daß alles gut geht.
F: Am morgigen Mittwoch will US-Außenminister Powell dem Sicherheitsrat
wieder einmal Beweise für die Gefährlichkeit des irakischen Regimes vorlegen.
Versprechen Sie sich etwas davon?
Eigentlich nicht. Wie oft haben denn die Amerikaner schon Beweise angekündigt?
Und was ist mit den Hinweisen, die die CIA den Waffeninspekteuren geben
wollte? Einige Hinweise sind durchaus erfolgt, aber als die Inspekteure ihnen
nachgegangen sind, haben sie nichts gefunden.
Natürlich hat Saddam Chemiewaffen. Aber was soll das heißen? Alle Staaten in
der Region haben sie. Und wenn sie vernichtet werden, kann er sie in Kürze
wieder herstellen. Jeder kann Chemiewaffen herstellen. Das kann man in der
Garage tun.
Ich befürchte auch, daß von den Spezialkräften der US-Army und der britischen
SAS, die sich jetzt schon in geheimer Mission im Land befinden, dem Irak noch
brisantes Material untergeschoben werden könnte - was dann die Inspekteure
ganz zufällig finden würden. Eine Inszenierung, ein inszenierter Kriegsvorwand.
Wie beim Vietnam-Krieg der Tongking-Zwischenfall, der auch von den
Amerikanern erfunden wurde, wie man heute weiß.
F: Erdogan, der neue starke Mann in der Türkei, hat darauf hingewiesen, daß
bereits US-Spezialeinheiten im Irak kämpfen. Verwunderlich nur, daß das
irakische Regime mit diesem Punkt nicht in die Offensive geht.
Das liegt wohl daran, daß Saddam die Hoffnung hat, den vollständigen Bruch mit
den Kurden noch zu vermeiden. Sie sind es ja, die das Einsickern der
Spezialkräfte der USA und Großbritanniens in ihr autonomes Gebiet im Nordirak
zumindest tolerieren.
F: »Kampf dem Terror - Kampf dem Islam?« lautet der Titel Ihres aktuellen
Buches. Das Fragezeichen weist darauf hin, daß Sie ein Gleichheitszeichen
zwischen Islamismus und Terrorismus ablehnen.
Ja natürlich. Man muß doch sehen, was sich aktuell abspielt: Washington hat
angekündigt, daß es eventuell Atomwaffen einsetzen werde. Kein Wunder, daß
sich in dieser Situation terroristische Bewegungen formieren. Die haben zwar
keine Atomwaffen, aber andere Mittel, um Schrecken zu verbreiten.
F: Hat Saddam mit diesen Leuten Kontakt? Immerhin versuchte er in den letzten
Jahren, durch demonstrative Hinwendung zum Islam seine Basis in der
Bevölkerung zu erhalten. Sucht er gar den Schulterschluß mit Osama bin Laden,
wie die US-Regierung behauptet?
Vollkommener Blödsinn. Freilich hat Saddam in den letzten Jahren einige
Anleihen beim Islam gemacht, mit »Allah uh akbar« garniert er seither seine
Reden, und beim Golfkrieg 1991 hat er gar zum Dschihad, zum Heiligen Krieg,
aufgerufen - wozu er aus religiöser Sicht nicht die mindeste Berechtigung hat.
Aber er weiß, daß der Fundamentalismus sein Todfeind ist und wird ihn auch
weiterhin, wie schon in der Vergangenheit, gnadenlos bekämpfen. Al Qaida ist im
übrigen keine weltweit agierende Untergrundarmee, wie man es bisweilen
darstellt. Es gibt kein Hauptquartier und keinen Anführer. Es gibt terroristische
Gruppen auf dem gesamten Globus, aber ihr Kontakt untereinander ist lose.
Wenn sich im Irak solche Grüppchen befinden, dann im Nordirak, also gerade in
dem Teil des Landes, den Saddam nicht kontrolliert.
F: Sie kennen aus eigener Erfahrung die gesamte Region. Was wird sich
demnächst in der Türkei abspielen?
Die USA haben Durchmarschrechte für 80000 Soldaten verlangt. Aber die
türkische Bevölkerung ist mit großer Mehrheit dagegen, und die seit kurzem
amtierende AKP-Partei wurde bestimmt für alles mögliche gewählt - aber nicht
dafür, den USA dabei zu helfen, ein anderes islamisches Land zu überfallen. Ihr
Chef Erdogan gilt mittlerweile im Westen als weltoffen, aber man sollte sich nicht
täuschen, er ist ein sehr frommer Mann.
F: Die USA haben vier Milliarden Dollar Kredite in Aussicht gestellt - angesichts
der galoppierenden Krise im Land nicht zu verachten. Und der türkische
Generalstab hat Bush schon grünes Licht für den Durchmarsch gegeben.
Der Generalstab steht der AKP kritisch gegenüber, da er sich als Hüter der
laizistischen Traditionen von Staatsgründer Atatürk sieht und der Läuterung des
Fundamentalismus in Gestalt der AKP nicht über den Weg traut. Immerhin ist er
massiv gegen die radikaleren Vorgänger der AKP vorgegangen, hat zum Beispiel
das Verbot der Refah-Partei betrieben. Jetzt werden die Generäle mit einigem
Wohlgefallen beobachten, wie sich die AKP angesichts des amerikanischen
Ersuchens windet: Sie kann nicht nein sagen, sie kann nicht ja sagen. Das könnte
zur Entzauberung der AKP führen, die ja als unverbrauchter Hoffnungsträger die
Wahlen gewonnen hat.
F: Man spricht schon von einer Domino-Strategie der USA im Nahen Osten.
Wie in den siebziger Jahren, als nach dem Sieg der Kommunisten in Vietnam ein
Dominostein nach dem anderen aus dem westlichen Einflußbereich herausfiel -
nur dieses Mal umgekehrt. Welche Länder sind das nächste Ziel, sollten die USA
den Irak besetzen?
Vor allem wird sich der Druck auf Syrien erhöhen. Von dort operiert die
Hisbollah, die Israel am meisten Schaden zufügen kann.
F: Und Saudi-Arabien? Das dortige Regime ist ja tatsächlich der größte Finanzier
des islamischen Terrorismus.
Zweifellos. Saudi-Arabien ist tatsächlich ein fundamentalistischer Staat, eine
fundamentalistische Gesellschaft. Im Irak beispielsweise herrscht große Toleranz
gegenüber den Christen, immerhin eine Million - eine solche Toleranz wie in
Bagdad ist in Riad und Mekka unvorstellbar. Die Swissair durfte beispielsweise
die saudischen Flughäfen nicht anfliegen, weil sie auf der Heckflosse das
Schweizer Kreuz hatte - für die Saudis ähnelt es zu sehr dem christlichen Kreuz
und ist damit verboten.
Oberflächlich bemüht sich das Regime um ein Auskommen mit den USA. Aber
die fünftausend Prinzen leben in Saus und Braus und fürchten das Aufbegehren
der moslemischen Massen im Land, einen fundamentalistischen Aufstand.
Deswegen versuchen sie, sich freizukaufen, indem sie unter der Hand die
Terrorgruppen finanzieren.
F: Sie sind ein Anhänger der Idee vom starken Europa. Um sich der Hegemonie
der USA zu entziehen, müsse Europa aufrüsten.
Ich bin Gaullist, war es schon immer. De Gaulle hat eine klare Unterscheidung
gemacht: In der Auseinandersetzung mit Moskau war er immer an der Seite der
USA, in der Berlin-Krise etwa stand er für einen ganz harten Kurs. Aber dann
hat er Frankreich aus der militärischen Integration der NATO herausgeführt.
F: Die EU sollte also die transatlanischen Bindungen kappen?
Wer ist denn die EU? Mit der Unterstützung von acht Staaten für den Kriegskurs
von Bush hat sich doch gezeigt, wie es um die Einheit der EU bestellt ist.
Unterschrieben hat dabei so ein Land wie Portugal, das bisher von Frankreich
und Deutschland wirtschaftlich gepäppelt worden ist, sich aber nun gegen Berlin
und Paris stellt. Auf die EU kann man nur bedingt setzen. Was not tut, ist ein
enger Zusammenschluß von Deutschland und Frankreich, das wäre ein Block mit
140 Millionen Menschen, das sind fast so viel wie in Rußland. Und dann müssen
diese beiden aufrüsten.
F: Aufrüsten? Birgt das nicht die Gefahr, zumindest mittelfristig, daß es zu einer
militärischen Konfrontation mit den USA kommt?
Die Proliferation von Massenvernichtungswaffen ist die reale Gefahr. Dagegen
muß Europa geschützt sein, auch mit Atomwaffen.
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