-->Der Keim des Zusammenbruchs
Die wirtschaftliche Erholung in den dreißiger Jahren war kein Verdienst des NS-Regimes / Von Christoph Buchheim
Vor siebzig Jahren nahm das Unheil seinen Lauf. Nicht etwa im Zuge einer"nationalen Erhebung", wie es damals hieß, sondern schlicht nach einem langen und verwickelten Intrigenspiel ernannte Reichspräsident Paul Hindenburg am 30. Januar 1933 Adolf Hitler, den gescheiterten Künstler aus Braunau am Inn, zum deutschen Reichskanzler. Viel ist darüber spekuliert worden, welchen Ereignissen und Gegebenheiten die Führungsrolle dabei zukam, Hitler den Weg zu bereiten - war es mehr das nationale Trauma des verlorenen Weltkrieges, verbunden mit der Schmach des Versailler Vertrags? Oder das wirtschaftliche Elend während der Weltwirtschaftskrise zu Zeiten der Weimarer Republik? Wie immer werden mehrere Verhängnisse zusammengekommen sein. Falsch ist jedoch mit Sicherheit der Mythos, der daran anschließt und der auch heute noch in vielen Köpfen fest verankert ist: daß es Hitler mit einer geradezu keynesianisch inspirierten Politik gelungen sei, die darniederliegende deutsche Wirtschaft binnen kürzester Frist zu sanieren und die darbenden Menschen von der Straße wieder in Lohn und Brot zu bringen. Als Beweis für diese angebliche Großtat wird regelmäßig der Autobahnbau genannt - ein gigantisches staatliches Infrastrukturprojekt, das tatsächlich viele Arbeitslose von der Straße in den Straßenbau holte. Doch das ist längst nicht die ganze Wahrheit. Der Mannheimer Wirtschaftshistoriker Christoph Buchheim weist nach, daß der Aufschwung zwar erst nach der sogenannten Machtergreifung deutlich zu erkennen, die Wende jedoch schon vorher erreicht war, daß die Nationalsozialisten mit ihren dirigistischen Eingriffen in die Wirtschaft vielmehr die Marktkräfte erstickten, das Wachstum von Konsum und Export drosselten - und alles andere taten, als die Multiplikatorkräfte der Konjunkturbelebung wirken zu lassen, wie es einer keynesianischen Politik entsprochen hätte. (orn.) Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler die Reichskanzlerschaft im Deutschen Reich übertragen. Dieses oft nicht ganz korrekt als"Machtergreifung" bezeichnete Ereignis, das sich vor wenigen Tagen zum siebzigsten Mal gejährt hat, markiert für weite Teile der Ã-ffentlichkeit noch heute den Wendepunkt in der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. Erst unter der NS-Regierung habe ein neuer Aufschwung eingesetzt, erst durch Hitler sei die Arbeitslosigkeit abgebaut worden. Deshalb konnte sich Jörg Haider in Ã-sterreich auch breiten Einverständnisses sicher sein, als er 1991 mit populistischem Instinkt auf die angeblich sehr ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich hinwies. Genauso sah dies bereits Hitler selbst, der im Oktober 1933 einem Korrespondenten der"Daily Mail" erklärte, seine Regierung habe innerhalb eines Dreivierteljahres die Zahl der Arbeitslosen von 6 Millionen auf nur noch 3,7 Millionen zurückgeführt.
Jedoch ist die Meinung falsch, die Weltwirtschaftskrise sei erst durch die NS-Wirtschaftspolitik überwunden worden. Vielmehr wurde der Krisentiefpunkt bereits im Herbst 1932 durchschritten. Die konjunkturstützenden Maßnahmen, die vom Regime selbst initiiert worden sind, kamen dagegen nicht vor 1934 voll zur Wirkung, als sich bereits ein selbsttragender Aufschwung entwickelt hatte. Mehr noch: Anfangs hat die NS-Herrschaft die wirtschaftlichen Auftriebskräfte wohl eher behindert als unterstützt. Und spätestens 1935 wurden spontane Wachstumstendenzen zugunsten der Rüstungskonjunktur abgewürgt.
Nach einem ersten Blick auf die Arbeitslosigkeit würde man allerdings zunächst verneinen, daß der Aufschwung bereits 1932 eingesetzt hat. Schließlich lag die Zahl der registrierten Arbeitslosen während des gesamten Jahres 1932 Monat für Monat teilweise beträchtlich höher als im jeweils gleichen Monat des Vorjahres. Und im Januar und Februar 1933 erreichte sie mit 6 Millionen noch einmal die Spitzenwerte von Anfang 1932. Erst danach verringerte sie sich rasch.
Jedoch ist die bloße Arbeitslosenzahl ungeeignet für die Datierung konjunktureller Wendepunkte. Denn erstens schwankt sie vergleichsweise stark im Rhythmus der Saison. Im allgemeinen ist sie also in den Wintermonaten eines Jahres immer am höchsten. Berücksichtigt man dies, so wird die Aussage, 1932 habe sich in der Arbeitslosigkeit noch kein Wendepunkt abgezeichnet, bereits zweifelhaft. Denn tatsächlich war die Zahl der registrierten Arbeitslosen im November des Jahres, also trotz ungünstiger Saison, mit 5,3 Millionen niedriger als im Mai, Juni und Juli. Auch findet sich in den Wochenberichten des Instituts für Konjunkturforschung - dies war die Vorläuferinstitution des heutigen Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) - der Hinweis, saisonbereinigt seien Ende Dezember 1932 ungefähr 400 000 Arbeitnehmer mehr beschäftigt gewesen als Ende August des Jahres. Mit anderen Worten, die Zahl von 6 Millionen Arbeitslosen wurde Anfang 1932 auf dem Weg nach unten durchschritten, Anfang 1933 jedoch auf dem Weg nach oben. Das Maximum der - saisonbereinigten - Arbeitslosigkeit lag dazwischen.
Zweitens zeigt die Entwicklung der Arbeitslosigkeit heute die konjunkturelle Richtung meist erst mit Verzögerung an. Damals war dies zwar wohl anders, nicht zuletzt weil der Kündigungsschutz vor allem für Arbeiter noch längst nicht so stark ausgebaut war. Daher liefen die gesamtwirtschaftliche Produktion und die Beschäftigung stärker parallel zueinander. Auch damals waren Beschäftigung und Arbeitslosigkeit jedoch keinesfalls vorauseilende Indikatoren, die besonders gut für die exakte Datierung von Wendepunkten verwendbar gewesen wären.
Die konjunkturelle Wende kam nicht erst mit der"Machtergreifung"
Speziell die registrierte Arbeitslosigkeit erscheint als Konjunkturindikator gerade in der Weltwirtschaftskrise auch deshalb nicht geeignet, weil die Zahl der"unsichtbar Arbeitslosen", die sogenannte Arbeitsmarktreserve, die auch heute wieder sehr hoch ist, im Verlauf der Krise offensichtlich noch stärker stieg als diejenige der registrierten Arbeitslosen. Dabei handelt es sich um Arbeitslose, die sich nicht bei den Arbeitsämtern als arbeitssuchend melden, da sie einerseits ohnehin keine Arbeitslosenunterstützung (mehr) erhalten und andererseits auch keine Vermittlungschancen sehen. Es ist nicht verwunderlich, daß deren Anteil an allen Arbeitslosen zunahm - nach einer zeitgenössischen Untersuchung lag dieser in den Monaten Juni bis August 1931 im Durchschnitt bei 19 Prozent und im Sommer 1932 bei 22 Prozent -, weil die Anspruchsvoraussetzungen der Arbeitslosenunterstützung verschärft, ihre Höhe und Bezugsdauer wiederholt stark gekürzt wurden.
Die Entwicklung der registrierten Arbeitslosigkeit 1932/33 kann demnach keinesfalls für die Datierung des Krisenwendepunkts herangezogen werden. Vor allem kann man damit nicht - was jedoch manches Mal geschieht - die Behauptung begründen, der konjunkturelle Aufschwung habe erst nach der Machtergreifung begonnen, zumal es andere Indikatoren gibt, die zweifelsfrei das Gegenteil belegen. So nahm die Zahl der Inlandsaufträge im Maschinenbau im vierten Quartal 1932 entgegen der saisonalen Tendenz zu und lag im Januar 1933 gar um rund 75 Prozent über dem Niveau des gleichen Vorjahresmonats. Der Inlandsversand von Koks und die Inlandsversorgung mit Walzeisen erhöhten sich ebenfalls saisonwidrig. Diese wirklich vorauseilenden Konjunkturindikatoren belegen also deutlich, daß die konjunkturelle Wende tatsächlich vor der Machtergreifung bereits stattgefunden hatte.
Auch international erlebten die meisten Länder 1932 eine konjunkturelle Wende zum Besseren, und zwar bei durchaus unterschiedlicher Wirtschaftspolitik. Letzteres spricht dafür, daß die Weltwirtschaftskrise, unabhängig vom konkreten Vorgehen in der Krisenbekämpfung, eine gewisse"Reinigungsfunktion" hatte, was in älteren Konjunkturtheorien für die Erklärung des Endes einer Depression eine wichtige Rolle spielte. Dabei ist die"Reinigungsfunktion" nicht nur darin zu sehen, daß die unsolidesten Betriebe in Konkurs gehen und dadurch die Angebotsstruktur auf den Märkten bereinigt wird. Vielmehr bewirkt die desolate Lage in den Unternehmen eine radikale Senkung der Kosten, vor allem des Kostenblocks, der Fixkosten genannt wird, sich in der Krise aber als gar nicht fix erweist. Dies läßt sich in der Tat an verschiedenen deutschen Unternehmen zeigen, in denen die Verwaltungs- und Vertriebskosten stark zurückgefahren wurden - mit der Folge, daß deren Anteil an den Gesamtkosten im folgenden Aufschwung wesentlich niedriger blieb als vor der Krise.
Für Deutschland kam hierzu noch eine Steigerung der"Terms of Trade". Die Rohstoff- und Halbwarenpreise waren viel stärker gefallen als die Preise von Fertigprodukten. Alles in allem erhöhte sich die potentielle Gewinnträchtigkeit, was in einem Zitat aus dem Bericht der Humboldt-Deutzmotoren AG für das Geschäftsjahr 1931/32 besonders schön zum Ausdruck kommt:"Bei dem heutigen Stand der Fabrikation und der Selbstkosten-Faktoren wird eine auch nur geringe Belebung der Wirtschaft zu erfolgreichem Arbeiten führen."
Die Belebung der Nachfrage kam, wie gezeigt, spontan. Das Ende des Preisrückgangs führte zu neuerlichem Lageraufbau. In der Industrie verringerten sich die Desinvestitionen, so daß wieder ein größerer Teil der fälligen Ersatzinvestitionen wirklich getätigt wurde. Unterstützt wurde die spontane Belebung durch die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen der letzten Weimarer Regierungen und von Reichsbahn sowie Reichspost, die allerdings im wesentlichen erst nach der Machtergreifung wirksam wurden. Immerhin gelangten aus diesen Programmen bis Ende 1933 über 1,4 Milliarden Reichsmark in den Wirtschaftskreislauf. Dagegen wurden unter dem NS-Regime eigene größere Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - zum Beispiel die bekannten, nach dem Staatssekretär im Reichsfinanzministerium Fritz Reinhardt benannten Programme - meist nicht vor dem Sommer des Jahres verabschiedet. Das führte dazu, daß sie aufgrund unvermeidlicher Wirkungsverzögerungen 1933 kaum noch einen Effekt hatten. So flossen daraus an direkten Arbeitsbeschaffungsmitteln bis Ende 1933 nur 95 Millionen Reichsmark ab. Auch der mit ungeheurem Propagandagetöse gefeierte Beginn des Baus von Reichsautobahnen war für die Belebung der Wirtschaft 1933 irrelevant, wurden doch in jenem Jahr dafür lediglich 8 Millionen Reichsmark verausgabt.
Demnach waren die positiven Impulse, die von den materiellen Maßnahmen der NS-Machthaber im Jahr 1933 auf die Wirtschaft ausgingen, allenfalls gering. Aber vielleicht haben die Machtergreifung und die ihr folgenden Monate die Atmosphäre sowie die Erwartungen in Industriellen-Kreisen stark zum Günstigen gewendet. Kann man möglicherweise sagen, wie es nicht selten geschieht, daß wenigstens die psychologische Wirkung des Regimewechsels den Aufschwung unterstützt hat?
In diesem Zusammenhang ist es nützlich, sich zunächst einmal die Aktienkurse anzuschauen. Seit Anfang August 1932 und bis zur zweiten Septemberwoche kam es zu einer deutlichen Erholung am Aktienmarkt, die sich Ende November/Anfang Dezember fortsetzte. Mitte Januar 1933 lagen die Kurse etwa 30 Prozent über ihrem Stand von Anfang August 1932. Auch die Aktienkurse signalisierten also eine konjunkturelle Belebung schon geraume Zeit vor Hitler. Allerdings führte die Machtergreifung erst einmal zu einem Ende der Aufwärtsbewegung und zu einer abwartenden Reaktion an der Börse.
Erst die Reichstagswahl vom März 1933 bewirkte nochmals größere Auftriebstendenzen in den Kursen, denn nunmehr schien sich eine stabile parlamentarische Mehrheit für eine Rechtskoalition und damit endlich eine Konsolidierung der politischen Verhältnisse in Deutschland abzuzeichnen. Allerdings erfüllten sich die Erwartungen in den Augen der Börsianer offenbar nicht, denn bereits drei Wochen später kam es neuerlich zu einer Stagnation und seit der ersten Maihälfte zu fortgesetzten Kursabschlägen. Das Ungewöhnliche der Situation am Aktienmarkt war, daß Mitte 1933 die Aktienkurse plötzlich ihre konjunkturelle Signalfunktion verloren, indem sie sich mehrere Monate lang gegenläufig zum weiter zunehmenden Auftragseingang in der Industrie bewegten. Trotz des recht starken Aufschwungs waren die sich an der Börse widerspiegelnden Gewinnerwartungen im Jahr 1933 also überwiegend schlecht.
In der Tat sollte man nicht vergessen, daß es nach dem für die Ã-ffentlichkeit höchst undurchsichtigen Zustandekommen der Regierung Hitler zunächst zahlreiche Anlässe für Beunruhigung gab. Zum Beispiel wurden von diesem Zeitpunkt an terroristische Attacken beispielsweise der SA vom Staat meist gedeckt; es entstand sogar eine Hilfspolizei, die überwiegend aus SA- und SS-Leuten zusammengesetzt war. Die am 28. Februar, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, erlassene Verordnung zum Schutz von Volk und Staat suspendierte die Grundrechte. Im Wahlkampf für die Wahlen von Anfang März wurden die gegnerischen Parteien massiv behindert. Vor diesem Hintergrund kann die Stagnation der Aktienkurse von Ende Januar bis Anfang März 1933 eigentlich kaum verwundern.
Man kann auch nicht behaupten, daß die Industrie von der allgemeinen Verunsicherung zunächst verschont geblieben ist. Vielmehr artikulierte etwa der Großindustrielle Paul Reusch im Februar 1933 die Meinung, es könne vorläufig noch kein Vertrauen zur weiteren Entwicklung der Dinge geben, da noch niemand wisse, wohin die Reise gehe. Keine Begeisterung, vielmehr größte Skepsis löste die Machtergreifung ebenfalls bei Gustav Krupp von Bohlen und Halbach aus, der damals auch Präsident des Reichsverbands der Deutschen Industrie (RDI) war.
Im Unternehmerlager
breiteten sich zunehmend
Unruhe und Furcht aus
Bereits in den ersten Wochen der neuen Regierung wurde der Agrarprotektionismus verschärft - gegen den Widerstand der Industrie, die Vergeltungsmaßnahmen des Auslands gegen den deutschen Export gewerblicher Güter befürchtete. Ähnliche Besorgnisse wurden durch die ebenfalls bald einsetzenden antisemitischen Übergriffe genährt, die 1933 im Boykott jüdischer Geschäfte und Praxen am 1. April gipfelten.
Demgegenüber forderte der RDI in einer Ausarbeitung vom März, die Handelspolitik sei so zu gestalten, daß es nach Möglichkeit zu einer Wiedervergrößerung des deutschen Exports kommen werde. Außerdem protestierte man gegen Staatsinterventionismus und plädierte für eine scharfe Trennung zwischen Wirtschaft und Staat. Unruhe löste zudem die Absetzung Hans Luthers als Reichsbankpräsident am 16. März in breiten Kreisen der Industrie aus, denn dieser galt als Garant einer soliden Währungs- und Konjunkturpolitik.
In höchstem Maße besorgniserregend waren aber die zahlreichen gewaltsamen Aktionen von SA und Mitgliedern der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) gegen einzelne Industriebetriebe in den ersten Wochen und Monaten der NS-Herrschaft. Trotz Zerschlagung der Gewerkschaften Anfang Mai 1933 kehrte auch an der Lohnfront nicht sofort Ruhe ein. Obwohl durch das Gesetz über Treuhänder der Arbeit von Mitte Mai die staatliche Zuständigkeit für die Tarifgestaltung festgelegt wurde, waren doch zunächst Bestrebungen der NSBO und der ebenfalls im Mai gegründeten Deutschen Arbeitsfront (DAF) zu registrieren, gewerkschaftliche Aufgabenfelder zu übernehmen. Bis in den Herbst hinein gab es Versuche, mit den Arbeitgebern Verhandlungen über die Arbeitsbedingungen zu führen, es wurde Druck ausgeübt, auf anstehende Entlassungen zu verzichten, man versuchte, starke Betriebsgruppen aufzubauen.
Alles in allem wird deutlich, daß es während eines Großteils des Jahres 1933 zahlreiche Gründe für Unzufriedenheit, Unruhe und Befürchtungen im Unternehmerlager gegeben hat. Die flaue Entwicklung an den Aktienmärkten hatte durchaus ihre realen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergründe. Insofern verbietet es sich, von einer psychologischen Wende zum Positiven zu sprechen, dank deren die Industrie nach der Machtergreifung mit mehr Optimismus in die Zukunft geblickt habe und die Investitionsneigung gestiegen sei. Vielmehr scheint das Gegenteil eingetreten zu sein. Zwar ging der Aufschwung ungebrochen weiter, und im vierten Quartal 1933 war die gewerbliche Gütererzeugung saisonbereinigt um etwa ein Viertel höher als im Krisentiefpunkt des dritten Quartals 1932. Dies war jedoch der Fall nicht wegen, sondern trotz Hitler! Die materiellen Auftriebskräfte, zu denen das Regime jedoch kaum beitrug, waren so stark, daß die schlechte Stimmung in weiten Teilen der Wirtschaft offensichtlich überkompensiert wurde.
Selbst der private Verbrauch, im konjunkturellen Aufschwung ein nachhinkender Indikator, begann sich gegen Ende 1933 zu erholen. 1934 lag der Einzelhandelsumsatz um 11 Prozent über dem Vorjahreswert. Das höhere Gewinnpotential in der Industrie und der beginnende Wiederanstieg der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage zusammen müßten folglich sehr bald zu zunehmenden Erträgen in der Industrie geführt haben. Das war auch wirklich der Fall. Während die deutschen Industrieaktiengesellschaften 1932 im Durchschnitt noch hohe Verluste machten, war die Eigenkapitalrendite 1933 im Mittel bereits wieder positiv und 1934 gar auf 4,6 Prozent gestiegen. Damit hatte sie schon damals ein Niveau erreicht wie in der gesamten zweiten Hälfte der (goldenen) zwanziger Jahre nicht.
Kaum war jedoch die Konjunktur angesprungen, wurde die Entwicklung von den Nationalsozialisten in höchst ungesunde Bahnen gelenkt. Denn schon lange vor dem Vierjahresplan von 1936 kam es zu weitgehenden Eingriffen des Regimes in die Märkte.
Mit weitgehenden
Markteingriffen erstickte
das Regime die Belebung
Davon war zunächst vor allem die Konsumgüterindustrie betroffen. So wurde der Rohstoffbezug der stark importabhängigen Textilindustrie seit dem Frühjahr 1934 reguliert und bald darauf massiv eingeschränkt. Die Nachfrage nach Textilien konnte daher schon 1935 wegen Rohstoffmangels nicht mehr voll befriedigt werden. Zeitgenössische Beobachter erkannten klar, daß die Verbrauchskonjunktur durch diese und andere Maßnahmen richtiggehend abgewürgt wurde. Der reale Konsum je Einwohner stagnierte denn auch 1935 und 1936 auf dem 1934 erreichten Niveau.
Aber nicht nur das Wachstum des Konsums, sondern auch die Zunahme der Ausfuhr wurde durch die staatliche Politik gedrosselt. Der deutsche Export verlor Anteile am Weltmarkt, was die Devisenklemme verschärfte, die nicht zuletzt zur Kürzung der Einfuhr von Rohstoffen für die Konsumgüterindustrie geführt hatte. Zwar versuchte das Regime, die Exporte zu fördern; dies geschah jedoch auf höchst bürokratische und für die Unternehmen wenig attraktive Weise. Die Lösung wäre eine Abwertung der Währung gewesen, wie es Großbritannien und die Vereinigten Staaten vorgemacht hatten. Dies geschah jedoch nicht.
Die NS-Regierung sorgte systematisch dafür, daß die Multiplikatorkräfte der konjunkturellen Belebung nicht wirksam werden konnten. Deshalb ist es auch verfehlt, von einem keynesianischen Ansatz der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik zu sprechen. Denn bei einem solchen kommt es gerade darauf an, die Multiplikatoreffekte zu fördern. Statt dessen wurden, wie von Anfang an beabsichtigt, seit 1935/36 immer größere Rüstungsausgaben produktionswirksam, die schließlich Vollbeschäftigung und Kapazitätsauslastung, zumindest in der Produktionsgüterindustrie, herbeiführten.
Jetzt zeigte sich aber eine weitere Schwäche des NS-Wirtschaftsaufschwungs. Denn trotz eines enormen Anstiegs der Eigenkapitalrendite in der Industrie auch nach 1934 - was unter normalen Umständen die Investitionstätigkeit stark angeheizt hätte - kann von einem Investitionsboom nicht die Rede sein. Die Industrie blieb skeptisch und hielt sich mit Neuinvestitionen zurück, um nach einem für nicht unwahrscheinlich gehaltenen Zusammenbruch des allein vom Staat getragenen Aufschwungs nicht wieder, wie in der eben erlebten Krise, mit gewaltigen Überkapazitäten dazustehen. Lieber lasteten die Unternehmen ihre bestehenden Kapazitäten bis zum äußersten aus und investierten einen erheblichen Teil der verdienten Mittel in Beteiligungen oder hielten sie als Liquidität vor. Und wenn sie doch neue Anlagen erstellten, dann mußte der Staat oft einen großen Teil des Risikos übernehmen, was er in der Rüstungs- und Ersatzstoffindustrie im allgemeinen auch tat.
Tatsächlich machten solche von der öffentlichen Hand vertraglich abgesicherten Investitionen nach 1936 die Mehrheit aller industriellen Investitionen aus. Als durchaus charakteristisch für die Stimmung im Unternehmerlager erscheint folgende Empfehlung von Karl Kimmich, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, die er auf einer internen Sitzung vor Industriellen im Jahr 1936 äußerte:"Nachdem wir nunmehr nach der Aufrüstung als militärischer Faktor in der Welt wieder gewertet werden müßten, dürfte es im Interesse einer gesunden Finanzwirtschaft an der Zeit sein, die Bestrebungen für eine allgemeine Abrüstung wiederaufzunehmen." Der Zustand, die schwebende Schuld des Reichs nur durch die Banken und Versicherungen zu konsolidieren, sei auf die Dauer nicht haltbar. Infolgedessen sei der Anschluß an den Weltmarkt unbedingt notwendig. Vollkommen falsch sei es, die Vergrößerung der Inlandskapazität anzustreben.
Zusammenfassend muß man demnach feststellen: Weder war das NS-Regime für die Überwindung der Weltwirtschaftskrise in Deutschland verantwortlich, noch war der NS-Boom ein normaler Aufschwung. Vielmehr handelte es sich bei letzterem im Kern um eine gigantische Staatskonjunktur, die aufgrund ihrer zunehmend inflationsträchtigen Finanzierung und der weitgehenden Unterdrückung anderer Wachstumskräfte bereits den Keim des Zusammenbruchs in sich trug, der durch den Krieg allerdings noch einmal hinausgeschoben wurde. Das schlimmste aber war, daß das deformierte Wachstum der NS-Zeit einen sich bereits abzeichnenden, viel stärker durch Marktkräfte getragenen Aufschwung verdrängte, der den Deutschen nicht nur Krieg, Hunger und Elend, sondern auch die zweite Geldvermögensvernichtung innerhalb eines halben Jahrhunderts erspart hätte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.02.2003, Nr. 33 / Seite 13
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