-->CHINA
Das letzte Gefecht
Rückkehr der Rinderteufel
Sind gegen die Volksrepublik wieder »die Rinderteufel und
Schlangengeister« losgelassen, vor denen Mao Zedong warnte
und die das Reich der Mitte periodisch heimsuchen? Peking
fühlt sich bedroht durch den amerikanischen Anspruch auf
Weltherrschaft, durch den Taumel der Allmacht, der - so sieht
man es in Ostasien die Bush-Administration überkommen hat.
Ganz aus der Luft gegriffen sind diese Befürchtungen ja nicht.
In Washington besteht eine merkwürdige Diskrepanz zwischen
den dröhnenden Kriegsdrohungen, die gegen alle präsumptiven
Komplizen des internationalen Terrorismus, alle Produzenten
von Massenvernichtungswaffen ausgestoßen werden - wobei
mit detaillierten Schilderungen der projizierten Feldzüge nicht
gespart wird -, und der Nachrichten-Abschottung, der
systematischen Desinformation, die gegenüber den atlantischen
Alliierten, mit Ausnahme der Briten, praktiziert wird.
So hat tatsächlich ein ranghoher und einflußreicher Berater
des Präsidenten vor amerikanischen Journalisten angekündigt,
daß die Bereinigung der Konfliktsituation im Nahen und
Mittleren Osten nur das Vorspiel, die Vorbedingung sei für die
schicksalhafte Konfrontation, die über kurz oder lang mit China
um die Kontrolle des Westpazifik ausgetragen werden müsse.
Im Regierungsviertel von Zhongnanhai, am Rande der
Verbotenen Stadt, sind solche Sprüche nicht ungehört verhallt.
Als am 11. September 2001 New York durch einen Hauch
von Apokalypse gestreift wurde, hat sich die Volksrepublik
China aus voller Überzeugung in die Front der
Terroristenbekämpfung eingereiht. Eine barbarische Gewalttat
wie die Vernichtung des World Trade Center erschüttert
unweigerlich die Ordnung zwisehen Himmel und Erde, auf die
die roten Konfuzianer von Peking im Unterbewußtsein immer
noch eingeschworen sind. Andererseits erkannte Staatspräsident
Jiang Zemin sofort den Nutzen, den er aus der weltweiten
Entrüstung für sich selbst ziehen konnte. Peking hatte ja auch
seine Probleme mit der muslimischen Minderheit der Uiguren in
der äußersten Westprovinz Xinjiang. Nunmehr wäre es ein
leichtes, die schwelende Aufruhrstimmung dieser isolierten
Turkstämme gegen die Fremdherrschaft des Staatsvolkes der
Han mit den Umtrieben von El Qaida in Zusammenhang zu
bringen, zumal eine begrenzte Zahl uigurischer Freischärler
tatsächlich in Afghanistan zu »Gotteskriegern« ausgebildet
worden war.
Um die Aufsässigkeit der Tibeter war es still geworden, und
jetzt bot sich sogar die Gelegenheit, die taoistisch inspirierte
Sektenbewegung von »Falun Gong«, die den neuen Mandarinen
von Peking - gemessen an ein paar versprengten islamistischen
Attentätern - weit mehr Sorgen bereitete, als gefährlich
konspiratives Element mit Nachdruck zu bekämpfen, ohne daß
in den amerikanischen Medien Schreie der Empörung laut
würden.
Auf der anderen Seite sah man im amerikanischen
Engagement, im Ausbau von US-Stützpunkten in Zentralasien
den groß angelegten strategischen Entwurf, die Volksrepublik
China von allen Seiten einzukreisen und mit Hilfe elektronischer
Abhöranlagen ihre geheimsten Aktivitäten auszuspionieren. Die
regierende Kommunistische Partei und vor allem die
Volksbefreiungsarmee fühlten sich durch einen fast lückenlosen
Ring amerikanischer Basen umschlossen. Zu Südkorea, Japan,
Okinawa, Taiwan, den Philippinen im Osten gesellten sich die
Insel Diego Garcia und die neuen US-Anlagen in Pakistan im
Süden. Dieses System ließe sich jederzeit durch die indische
Kooperationswilligkeit ergänzen. Im Westen boten Kandahar
und Bagram in Afghanistan, Karshi in Usbekistan, Bischkek in
Kirgistan dem Pentagon ungehemmte Entfaltungsmöglichkeiten.
Im Norden schließlich, in Sibirien und der russischen
Fernostprovinz, schien Wladimir Putin nur allzu bereit, seine
Kenntnisse über das Reich der Mitte seinen neuen Partnern aus
der Neuen Welt zu vermitteln. Selbst Vietnam, das in seine
atavistische Abwehrstellung gegen die Hegemonialansprüche
Pekings zurückgeworfen wurde und einen Territorialstreit um
die Spratley- und Paracel-Inseln im Südchinesischen Meer
austrug, stünde dem früheren Kriegsgegner USA diskret zur
Verfügung.
Aus autorisierter amerikanischer Quelle ahnte die Führung der
Volksbefreiungsarmee, was sich gegen sie zusammenbraute.
Das ballistische Abwehrsystem, zu dessen Ausbau George W.
Bush sich entschlossen hatte, war in erster Linie gegen die
Interkontinentalraketen konzipiert, über die China noch in
unzureichender Zahl verfügte. Man konnte sich jedoch darauf
verlassen, daß es der rastlosen Tätigkeit der chinesischen
Wissenschaftler gelingen würde, diese Unterlegenheit in
Rekordfrist zu verringern. Die Vereinigten Staaten von Amerika
sollten in einen permanenten Zustand der Ungewißheit, in das
Gefühl eigener Verwundbarkeit versetzt werden. In dieser
Hinsicht wirkte sich natürlich das Sicherheitsfiasko vom 11.
September, insbesondere die Teilvernichtung des Pentagon, als
psychologische Trumpfkarte aus.
Der Vater des jetzigen amerikanischen Präsidenten besaß als
ehemaliger CIA-Chef und Botschafter in Peking eine solide
Kenntnis der Volksrepublik. Ob er dieses Wissen seinem Sohn
vermitteln konnte, bleibt zweifelhaft. Der Volltreffer in der
chinesischen Botschaft von Belgrad während des Kosovo-Krieges
- angesichts der verblüffenden Präzision, mit der die
Cruise Missiles ihre übrigen Ziele in der serbischen Hauptstadt
anvisiert hatten, konnte es sich mit Sicherheit nicht um eine
Panne des Nachrichtendienstes handeln - hatte nicht zum
diplomatischen Bruch geführt. Die erzwungene Landung eines
amerikanischen Spionageflugzeugs auf der Insel Hainan konnte
ebenfalls heruntergespielt werden. Aber in Washington weiß
man offenbar, daß gewisse Grenzen respektiert werden müssen,
daß der chinesische Drache nicht über Gebühr gereizt werden
darf.
Im Korea-Krieg, der 1950 ausbrach, hatte die
Volksbefreiungsarmee - ärmlichst bewaffnet - die US-Divisionen
von der mandschurischen Grenze auf den 38.
Breitengrad zurückgeworfen. Im Februar 1962 hatten die
Soldaten Mao Zedongs, als sich die Grenzübergriffe indischer
Gebirgstruppen im Himalaya häuften, mit einer vernichtenden
Gegenoffensive reagiert und Nehru zutiefst gedemütigt. Nach
der Besetzung des mit Peking verbündeten Kambodscha durch
das wiedervereinigte, siegestrunkene Vietnam waren die
Chinesen Anfang 1979 zu einer militärischen »Strafaktion« im
nördlichen Tonking eingefallen. Die Erben Ho-Tschi-Minhs
hatten zwar ihren nördlichen Erbfeinden schwere Verluste
beigebracht und deren miserable Waffentechnologie
bloßgestellt, aber mit der teuer erkauften Einnahme der
Schlüsselstellung Langson hatten die Chinesen sich den Weg
nach Hanoi praktisch freigekämpft.
In allen drei Konfrontationen zeichnete sich die Kriegführung
Pekings durch strenge Begrenzung ihrer Zielsetzung aus: An der
alten Demarkationslinie in Korea hatten die Divisionen Mao
Zedongs haltgemacht; beim Himalaya-Konflikt mit Indien
hütete sich Peking, den schmalen Territorialschlauch zur
Außenprovinz Assam abzuschneiden, was ohne weiteres
möglich gewesen wäre; bei der Strafaktion gegen Vietnam
begnügten sich die chinesischen Eindringlinge mit
bescheidenem Geländegewinn, bevor sie sich in künstlich
aufgebauschten Siegesfeiern auf ihre Ausgangsposition
zurückzogen. Ihr Ziel hatten sie ja erreicht: Wenig später
mußten die im Partisanenkampf gegen die »Roten Khmer«
ausgelaugten »Bo Doi« der Demokratischen Volksrepublik
Vietnam ihre kambodschanische Beute wieder preisgeben.
Zweimal hatte die Volksrepublik am Rande des
Nuklearkrieges gestanden. Im Jahr 1951 wollte General
MacArthur als Reaktion auf den Durchbruch der Chinesen am
Yalu die Mandschurei mit Atombomben belegen. Es gehörte der
Mut des Präsidenten Harry S. Truman dazu, dem Volkshelden
MacArthur in den Arm zu fallen, ihn von seinem Kommando
abzuberufen, um ein Inferno zu verhindern. Während der großen
Kulturrevolution, als es 1969 zu blutigen Zwischenfällen
zwischen Sowjetrussen und chinesischen Rotgardisten am
Ussuri kam, hatte der damalige Generalsekretär der KPdSU,
Leonid Breschnew, ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, einen
Nuklearschlag großen Ausmaßes gegen das Reich Mao Zedongs
auszulösen. Damals waren es die Amerikaner, die den Chinesen
Warnungen und Informationen zukommen ließen, um dem
Vernichtungseifer des Kreml - der Kalte Krieg war ja noch in
vollem Gange - Einhalt zu gebieten.
Der »Große Steuermann«, wie Mao hieß, war stets auf das
Schlimmste gefaßt gewesen. Er rechnete so sehr mit einem
atomaren Überfall von Seiten des »Polarbären«, wie man die
Sowjetunion damals nannte, daß er den Bau der U-Bahn von
Peking zu einem System atomsicherer Bunker und Stollen
riesigen Ausmaßes erweiterte. Mao Zedong war angeblich
bereit, im Extremfall den Verlust von zwei- oder dreihundert
Millionen seiner Landsleute in Kauf zu nehmen, und er verließ
sich darauf, daß Moskau vor einem militärischen Versacken in
den gelben Massen zurückschrecken würde. Menschenleben
zählten für ihn gering, hatte er doch beim wahnwitzigen
Experiment des »Großen Sprungs nach vorn« eine Hungersnot
ausgelöst, der schätzungsweise zwanzig Millionen seiner
Untertanen zum Opfer fielen. Die proletarische
Kulturrevolution, die er in den sechziger Jahren entfachte,
forderte insgesamt etwa fünf Millionen Tote.
Der Herrscher am Tien Anmen suchte sein Vorbild in dem
unerbittlichen Drachen-Sohn Qin Shi Huangdi, dem
machtvollen Gründer und Einiger des Reichs der Mitte im
dritten Jahrhundert vor Christus, der den starren
konfuzianischen Sittenkodex auszumerzen gesucht hatte wie
Mao Zedong nach ihm. Mit Hilfe seiner Legalisten hatte Qin Shi
Huangdi, der im Westen vor allem durch die Ausgrabung der
Ton-Armee von Xian berühmt wurde, eine extrem zentralisierte
Despotie errichtet, die in mancher Beziehung als imperialer
Kommunismus bezeichnet werden kann. Wer vermochte schon
Mao Zedong zu ergründen, der seine rätselhaften Gedichte in
der gelehrten Sprache der Tang-Dynastie verfaßte, der von sich
selbst sagte: »Ich bin ein alter Mönch unter einem
zerschlissenen Regenschirm«, und der sich von dem
hochgebildeten Schriftsteller und Goethe-Übersetzer Guo
Moruo als Ikonoklast und Idol zugleich feiern ließ. »Ich bete
den schöpferischen Geist an«, so äußerte sich Guo Moruo über
den Großen Steuermann; »ich bete an die Kraft, das Blut und
das Herz; ich verehre Bomben, Trauer und Zerstörung, ich
verehre die Bilderstürmer, ich bete mich selbst an, denn ein
Bilderstürmer bin ich ja auch.«
Es war das historische Verdienst Henry Kissingers, daß er die
Reise Richard Nixons nach Peking im Jahr 1973 einleitete und
eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und
Rot-China durchsetzte. Ein großes Wagnis hatte Nixon auf sich
genommen. Ich erinnere mich noch sehr präzis an die
Gespräche, die zu Beginn des amerikanischen Vietnam-Feldzugs
1965 bei den Offizieren der US-Marines am 17.
Breitengrad üblich waren. Man sei doch nicht in Danang an
Land gegangen, um gegen das lächerliche Puppenregime von
Hanoi einen vorprogrammierten Sieg zu erringen. Die
tatsächliche strategische Absicht Washingtons richte sich gegen
die Volksrepublik China und auf die Beseitigung der dort
wütenden kommunistischen Tyrannei, so wurde damals
schwadroniert. Diese leichtfertige Form der
Selbstüberschätzung, die seinerzeit gang und gäbe war, sollte
man in Anbetracht der heutigen Situation ins Gedächtnis rufen.
Die Volksbefreiungsarmee von heute hat mit dem Massenheer
Mao Zedongs nicht mehr viel gemeinsam. Es war mir vergönnt,
zu Beginn des Jahres 1979 den entscheidenden psychologischen
Bruch mitzuerleben, der die chinesische Generalität zwang, von
ihren antiquierten Vorstellungen Abschied zu nehmen. Aus
Peking war eine Gruppe ausländischer Journalisten speziell in
die Südprovinz Yünan eingeflogen worden, um der
vietnamesischen Behauptung, die 27. Chinesische Armee habe
sich in Tonking blutige Nasen geholt, entgegenzuwirken. Man
hatte uns sogar in Richtung Grenze bis Pan Qi reisen lassen, um
vietnamesische Kriegsgefangene zu besichtigen. Diese Bo Doi
hatten den Pressebesuch in ihrem Lager, wo sie einer intensiven
maoistischen Gehirnwäsche unterzogen wurden, mit dem
trotzigen nationalen Kampflied empfangen: »Vietnam! Ho-Tschi-
Minh! Vietnam! Ho-Tschi-Minh!«, das mir ach so
vertraut war.
In der Provinzhauptstadt Kunming wurde uns später im
Konferenzsaal unseres Hotels eine kleine Gruppe chinesischer
Soldaten präsentiert, die sich besonders bewährt hatten. Ein
Transparent war über die Rückwand gespannt: »Wir begrüßen
den großen Sieg bei unserer Aktion der Selbstverteidigung.« Die
Gesichter der »Helden« der Volksbefreiungsarmee, so wurden
sie offiziell vorgestellt, waren starr und ausdruckslos unter den
grünen Ballonmützen mit dem roten Stern. Die Soldaten hatten
ihre Lektion gut gelernt. »Die revisionistische Le-Duan-Clique
von Hanoi hat behauptet«, so begann der erste, »daß ein
vietnamesischer Soldat dreißig Chinesen wert sei. Wir haben
den Provokateuren gezeigt, daß sie Papiertiger sind.« Le Duan
war damals der Generalsekretär der KP Vietnams.
Nahkampfszenen wurden beschrieben. Ein Unteroffizier hatte
mit der bloßen Hand ein feuerndes Maschinengewehr aus einer
feindlichen Höhle gerissen. Seine Finger waren dabei verbrannt.
Wie sie sich verhalten hätten, wenn sie in Gefangenschaft
geraten wären, fragten wir. Die Antwort kam prompt. »Ich hätte
mit allen Mitteln versucht auszubrechen«, trug ein Held vor;
»wenn das unmöglich gewesen wäre, hätte ich den Freitod
gesucht, aber vorher mindestens einen revisionistischen Feind
umgebracht.«
Nach einer Serie wirrer Intrigen und der Entmachtung der
»Viererbande«, die dem Tod Mao Zedongs 1976 gefolgt war,
hatte sich Deng Xiaoping, als neuer starker Mann in Peking
durchgesetzt. Von den vier Modernisierungen, die diesem
bedeutenden Staatslenker vorschwebten, war die letzte, die
gründliche Reform der Streitkräfte, am zögerlichsten angepackt
worden. Nun konnte Deng, der als Veteran des »Langen
Marsches« nicht nur als kommunistischer Spitzenkader, sondern
auch als erfolgreicher Heerführer über hohes Prestige verfügte,
die erdrückenden Vorgaben seines großen Vorgängers
abschütteln. Für diesen klugen Neuerer war die militärische
Schlappe bei Langson ein Geschenk des Himmels.
Mao Zedong, dessen Spruch »Die Macht kommt aus dem
Lauf der Gewehre« so oft zitiert wird, hatte ja auch bei der
Aufstellung der Volksbefreiungsarmee in Yenan mit den
verhaßten Vorstellungen des Konfuzianismus gebrochen. War
bei Meister Kong der Soldat ein geringgeschätzter, fast
verachteter Außenseiter innerhalb einer hochgesitteten
Gesellschaft gewesen - meist ein Barbar oder ein Bandit -, so
hatte Mao ihn zum leuchtenden Vorbild erhoben, zur
Verkörperung aller Tugenden der solidarischen Hingabe an das
Volk und seinen revolutionären Elan. Es war seine Absicht
gewesen, eine militärische Elite »proletarischer Samurais« zu
züchten. Das Prestige der Streitkräfte, deren Werdegang mit
dem der Kommunistischen Partei Chinas von Anfang an so gut
wie identisch war, stand in den späten Jahren der
Kulturrevolution in seinem Zenit. Jedesmal, wenn ich beim
Besuch einer Schule die Knaben mit dem roten Halstuch nach
ihrem Lebensziel und Idealberuf fragte, sagten die
aufgewecktesten unter ihnen: »Ich will Soldat der
Volksbefreiungsarmee werden.«
Deng Xiaoping und seine Genossen in der Zentralen
Militärkommission konnten nach der »Strafaktion« von 1979 die
Konsequenz daraus ziehen: Die Zeit des maoistischen
Volksbefreiungskrieges, der Glaube an den unwiderstehlichen
Schwung des revolutionären Massenaufgebots gehörten der
Vergangenheit an. Luftwaffe war bei den Kämpfen gegen
Vietnam so gut wie nicht eingesetzt worden. Die chinesische
Truppe litt nicht nur unter der Unzulänglichkeit ihrer
Panzerwaffe und ihrer Artillerie. Das Versagen der
Fernmeldetechnik und der operationellen Koordinierung hatte
sich stellenweise katastrophal ausgewirkt. Das Offizierskorps
war überaltert und in selbstgefälliger Dogmatik erstarrt.
Konfusion entstand auch durch die totale optische
Gleichschaltung der Ränge. Ein Bataillonskommandeur war nur
durch persönliche Kenntnis seiner Untergebenen von einem
Gemeinen zu unterscheiden.
Am Ende hatte sich der chinesische Drache als ein recht
schwerfälliges Ungeheuer erwiesen. Die Lorbeeren Mao
Zedongs schienen verwelkt zu sein. Von nun an entwickelte sich
die Armee im Reich der Mitte neben einer durch
Vetternwirtschaft und Korruption diskreditierten Partei zum
Rückgrat des Staates. Ihre aktive Beteiligung am
wirtschaftlichen und industriellen Aufschwung verschaffte ihr
zusätzliches Gewicht. Mao Zedong war »zu Marx gegangen«,
wie er selber zu spötteln pflegte. In dem Maße, wie die
kommunistische Ideologie durch einen typisch chinesischen
Pragmatismus und das Verlangen nach Lebensqualität abgelöst
wurde, versuchte die neue oberste Führung des riesigen
Imperiums im sich abzeichnenden Kräftemessen mit Amerika
den alteingefleischten Nationalismus, ja Chauvinismus der Han-Rasse
zur dominierenden Staatsdoktrin zu machen. Das sollte
nicht schwer sein, hatten doch die »Söhne des Himmels« -
selbst zur Zeit ihrer demütigenden Unterjochung durch die
langnasigen »Barbaren« aus dem Westen - das Gefühl ihrer
eigenen kulturellen Überlegenheit nie preisgegeben.
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