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Hier fand eine Globalisierung durch das Volk statt
von Judy Rebick
ZNet 17.02.2003
Es war der größte Protest in der gesamten Menschheitsgeschichte.
Es war nicht nur ein Protest gegen George W. Bush u. seinen Kumpel Tony Blair, vielmehr ein Schrei aus dem Herzen der
Menschheit: nein, wir nehmen den Kampf der Zivilisationen, angezettelt durch unsere Führer, nicht hin. Die Millionen Menschen
auf allen Kontinenten, in unzähligen Städten u. Großstädten, sie hatten eine Botschaft parat für die US-Regierung sowie die
Völker des Nahen/Mittleren Ostens: hier geht es nicht um West gegen Ost, um Christen und Juden gegen Muslime, hier geht es
einzig um die Regierung George W. Bush - und den Rest seiner Verbündeten - die versuchen, aus ökonomischen u. politischen
Gründen, die Welt zu dominieren. Aber wir haben ‘nein’ gesagt - auf allen Kontinenten u. in allen Sprachen. Wir haben mit e i n
e r globalen Stimme gesprochen und dies machtvoll. Die Mainstream-Medien berichten nicht nur von Großdemonstrationen in
Europa u. New York City, auch überall in Lateinamerika u. Asien wurde heftig protestiert u. auch in vielen Städten der USA.
In Tel Aviv gab es sogar eine Demonstration von Israelis u. Palästinensern gemeinsam. Mehrere tausend Menschen beteiligten
sich daran. Und überall bot sich das gleiche Bild. Selbst die Organisatoren waren über das Ausmaß des Protests überrascht.
Diese Demonstrationen werden alles verändern. Die Entschlossenheit jener westlichen Führer wird gestärkt, die bereits jetzt
Bushs Kriegskurs ablehnen - und hoffentlich wird auch das Rückgrat derjenigen widerstandsfähiger (siehe unsere eigene
kanadische Regierung), die bisher noch schwankend sind in ihrem Kurs. Die Gewaltbereitschaft auf allen Seiten wird sinken.
Die Botschaft der Islamisten (gleich: fundamentalistische Muslime) - die da lautet: der Westen steht gegen die muslimische Welt
- klingt hohl u. leer angesichts einer solchen globalen Mobilisierung gegen den Irak-Krieg. Hoffen wir, dass diejenigen, die in
Gefahr stehen, sich in der verzweifelten Sackgasse des Terrorismus zu verlieren, diesen globalen Massenaufstand der
Menschen als neuen Weg begreifen - als Weg der Hoffnung. Zudem ist die Gefahr gesunken, der UN-Sicherheitsrat könnte -
mittels Drohungen oder Bestechung - doch noch dazu gebracht werden, sich dem amerikanischen Kriegstreiber zu unterwerfen.
Sollten die USA dennoch mit ihrem Kriegskurs des Verrats fortfahren u. den Irak bombardieren, wird die
US-Antikriegs-Bewegung binnen kurzem zu einer Größe u. Gewalt anschwellen, die selbst die Vietnam-Bewegung in den
Schatten stellt - daran habe ich wenig Zweifel. Die Medien sagen, dies wären die größten Demonstrationen seit Ende des
Vietnam-Kriegs (des Anti-Viet Nam Kriegs). Zumindest außerhalb der USA waren die Proteste jedoch weit gewaltiger als
damals. Nehmen wir Kanada: in Montreal haben 150 000 demonstriert, in Toronto 80 000. Solche Zahlen hat es während des
Vietnam-Kriegs nie gegeben. Oder hat es in London je eine Demo von 2 Millionen gegeben? Oder in Rom eine von mehr als 1
Million Menschen? Auch in Barcelona waren es mehr als 1 Million. Und Hundertausende marschierten in Frankreich u.
Deutschland. Noch ein Unterschied: gegen den Vietnam-Krieg damals marschierten hauptsächlich Studenten an. Die
Antikriegs-Koalition heute vereint jedoch Menschen ganz unterschiedlichen Alters, Menschen verschiedener Ethnien u. aus
unterschiedlichen Kulturkreisen. Die großen Gewerkschaften waren zur Zeit des Vietnams-Kriegs nicht an den Protesten
beteiligt, heute sind sie dabei. Die Tatsache beispielsweise, dass der Präsident des ‘Canadian Labour Congress’, Ken
Georgetti, auf der Demo in Toronto sprach, stellt ein wichtiges Signal dar: die Arbeiterbewegung steht vereint in ihrer
Antikriegshaltung. Auch die verschiedenen Ethnien Kanadas waren massiv auf den Demonstrationen vertreten.
Was die Demonstrationen zudem unter Beweis stellen, ist die Stärke unserer internationalen Organisierung. Die Idee eines
Aktionstags mit Datum 15. Februar war aus dem Europäischen Sozialforum (ESF) im November hervorgegangen. Über
Internet wurde die Idee dann weltweit verbreitet sowie auf dem Weltsozialforum Ende Januar in Porto Alegre/Brasilien. Auf
dem Dritten WSF trafen sich die Führer u. Aktivisten der weltweiten Antikriegs-Bewegungen u. koordinierten die geplanten
Aktionen. Das Ergebnis war am Wochenende eindrucksvoll zu besichtigen.
Was die Größe des Protests vom Wochenende zudem zeigt: George W. Bushs Versuch, die amerikanische Aggression in das
Gewand der Terrorangst und/oder der Angst vor Massenvernichtungswaffen zu hüllen, ist gründlich fehlgeschlagen. Die
politische Aussage der Demonstrationen war diesbezüglich eindeutig u. hat die Schuld für die Kriegsgefahr an die richtige
Adresse weitergeleitet, nämlich an die von Bush u. Blair. Falls die Aggression anhält, wird auch unsere Mobilisierung an Stärke
zulegen. Nächster Demo-Termin in Kanada ist der 8. März, der internationale Frauentag. Wäre wünschenswert, dass die Idee,
den Frauentag als nächsten Aktionstag zu nutzen, sich rund um den Globus verbreitet. Denn, was wäre symbolisch gesehen
wohl schöner, als dass die Frauen dieser Welt die Spitze der Antikriegs-Bewegung bilden? Der ‘Weltweite Marsch der
Frauen’ könnte unser Anliegen zudem bei Frauenbewegungen überall auf der ganzen Welt verbreiten.
Die derzeitige Hauptgefahr für die Friedensbewegung besteht darin, dass USA u. Großbritannien es doch noch schaffen, im
UN-Sicherheitsrat einen Deal auszuhandeln - mittels Drohung u. Bestechung. Sollte die UN einem Irak-Krieg zustimmen,
könnte dies die Friedensbewegung einen Teil ihres jetzigen Fundaments kosten. Daneben besteht natürlich die Gefahr, die USA
fabrizieren auf Geheimdienstebene eine neue Lügengeschichte - so eine schreckliche Sache wie damals mit den Babies, die
irakische Soldaten angeblich in ihren Brutkästen getötet hätten (letzter Golfkrieg). Aber angesichts des Levels an Informiertheit
heutzutage würden sie mit so einer Lüge wahrscheinlich nicht mehr durchkommen.
Im Moment zählt nur eins: Feiern wir dieses tolle Schauspiel, feiern wir die Völker der Erde, wie sie sich vereinen gegen den
Krieg. Auf dem französischen Front-Plakat stand: ‘Gemeinsam Können Wir Diesen Krieg Stoppen’ - heute bin ich bereit,
daran zu glauben.
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