-->Viktor Suworow schreibt in"Der Eisbrecher":
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Die Aufdeckung der militärischen
Vorgänge in Rußland von 1939 bis
1941 war bisher durch ein doppeltes
Tabu erschwert. Auf sowjetischer
Seite besagte die offizielle »Geschichte
des Großen Vaterländischen
Krieges«, Stalin habe 1939 den
Nichtangriffspakt mit Deutschland
aus friedenspolitischen Absichten
geschlossen und das friedliebende
Rußland sei dann von Hitler ruchlos
überfallen worden, habe sich aber
heldenmütig und erfolgreich verteidigt.
- Auf westlicher Seite geriet
jede Vermutung, es hätten sich vor
1941 auf sowjetischer Seite enorme
militärische Vorbereitungen abgespielt,
die nicht nur defensiv geplant
waren, in den Verdacht, Hitlers Pro-pagandalüge
vom Präventivkrieg
Wiederaufleben zu lassen.
Jetzt hat ein russischer Autor
- selbst ehemals hochrangiger Offizier
des sowjetischen militärischen
Geheimdienstes GRU - das Geschehen
rekonstruiert. Im Zentrum stehen
Stalins Geheimpläne, Europa zu
erobern. Hitler war in dieser Strategie
- bereits in den 30er Jahren erdacht - ein
nützlicher »Eisbrecher der Revolution«:
Der Nichtangriffspakt sollte ihn nach
Westen lenken; und wenn die
westeuropäischen Staaten und Deutschland
sich in Kriegen gegenseitig geschwächt
hätten, käme die Stunde der sowjetischen
Offensive auf Kontinentaleuropa.
Sie war auf den Sommer 1941 geplant.
Hitlers überraschend früher Überfall
und seine Auffassung, in einem
Blitzkrieg und vor dem Wintereinbruch
Rußland niederringen zu
können: diese Entwicklungen waren
in Stalins Kalkül, weil zu realitätsfern,
nicht vorgesehen. Sie gaben
dem Geschehen eine Wende und
Verzögerung.
Am Ende aber hatte Stalin immerhin die
Hälfte Europas erobert, und Hitler war
Opfer seiner blinden Aggressivität
geworden. Hitler und Stalin hatten -
unabhängig voneinander und parallel
zueinander - Eroberungsabsichten, der
eine in Richtung Osten, der andere in
Richtung Westen. Bei ganz verschiedener
ideologischer Begründung
waren ihre Strategien und deren
kriminelle Implikationen verblüffend
gleich.
Der Autor
Viktor Suworow wurde kurz nach
dem Zweiten Weltkrieg in der
Sowjetunion geboren. Er absolvierte zwei
militärische Lehranstalten und die
Diplomatische Militärakademie in
Moskau. 1968 nahm er mit seiner
Truppeneinheit an der »Befreiung«
der Tschechoslowakei teil. Nach
Abschluß der Diplomatischen
Militärakademie arbeitete er im
Generalstab der Streitkräfte der UdSSR.
Als Offizier des sowjetischen militärischen
Geheimdienstes GRU war er als
sowjetischer Diplomat in Westeuropa
tätig. 1978 erbat er politisches Asyl in
England. Er widmet sich intensiv
zeitgeschichtlicher und militär-historischer
Forschungarbeit und hat
bisher fünf Bücher und viele
Aufsätze veröffentlicht. Das vorliegende
Buch ist für ihn die wichtigste
Publikation seines Lebens und der
entscheidende Grund für das Verlassen
der UdSSR. Aus persönlichen
Gründen bedient sich der Autor eines
Pseudonyms.
Viktor Suworow
DER EISBRECHER
Hitler in Stalins Kalkül
Aus dem Russischen
von Hans Jaeger
Mit 3 Karten
und 30 Abbildungen
Klett-Cotta
Der Verlag dankt Professor Dr.Lothar Zeidler,DEM BRUDER
einem Teilnehmer am Rußlandfeldzug,
für die Durchsicht des deutschen Manuskriptes.
Die Karten zeichnete Ulf Balke.
Gescannt von cOyOte.
Titel des russischen Originals:
Viktor Suvorov:LEDOKOL.Istorija tak nazyvaemoj
>velikoj otecestvennoj vojny<.
Kratkij kurs
[DER EISBRECHER.Die Geschichte des sogenannten
>großen vaterländischen Krieges<.Kurzer Lehrgang ]
© by 1989 Editions Olivier Orban,Paris
Für die deutsche Ausgabe:
© J.G.Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger GmbH,gegr.1659,
Stuttgart 1989
Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlages
Printed in Germany
Schutzumschlag:Klett-Cotta-Design
Gesetzt aus der 10 Punkt Centennial von Fotosatz Janß,Pfungstadt
Auf säurefreiem und holzfreiem Werkdruckpapier gedruckt
und gebunden von Clausen &Bosse,Leck
ISBN 3-608-91511-7
Elfte Auflage,2001
Die Deutsche Bibliothek -CIP-Einheitsaufnahme
Ein Titeldatensatz für diese Publikation
ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich.
INHALT
An meine Leser 11
Der Weg zum Glück 15
Der Hauptfeind 24
Wozu brauchen Kommunisten Waffen?31
Weshalb hat Stalin Polen geteilt?43
Der Pakt und seine Folgen 50
Wann ist die Sowjetunion in den Zweiten Weltkrieg
eingetreten?56
Die Ausweitung der Kriegsbasis 68
Wozu brauchen Tschekisten Haubitzen?80
Weshalb wurde der Sicherungsstreifen am Vorabend
des Krieges beseitigt?90
Weshalb hat Stalin die Stalin-Linie abgebaut?109
Partisanen oder Diversanten?121
Wozu hatte Stalin zehn Luftlandekorps nötig?129
Der flugfähige Panzer 13 8
Bis nach Berlin!145
Marineinfanterie in den Wäldern Belorußlands 15 7
Was ist eine Sicherungsarmee?161
Gebirgsjägerdivisionen in den Steppen der Ukraine 182
Wozu war die Erste Strategische Staffel bestimmt?19 7
Stalin im Mai 1941 201
Wort und Tat 221
Zähnefletschende Friedensliebe 228
Noch einmal zurück zum TASS-Kommunique 236
Die verwaisten Militärbezirke 280
Weshalb hat Stalin Churchill nicht getraut?289
Weshalb hat Stalin Richard Sorge nicht getraut?304
Weshalb wurde die Zweite Strategische Staffel
gebildet?320
Die schwarzen Divisionen 341
Zwei parallele Systeme militärischer Dienstgrade 350
Der nichterklärte Krieg 357
Warum Stalin Fronten bildete 369
Wie Hitler Stalins Krieg vereitelte 406
Hat Stalin einen Kriegsplan gehabt?419
Der Krieg,zu dem es nicht kam 429
Abkürzungen 433
Literatur 455
Die militärischen Offiziersdienstgrade in der Sowjetunion
und in der Bundesrepublik Deutschland 446
Personenregister 449
Geographisches Register 458
Karten und Abbildungen Buchmitte
Der Westen mit seinen imperialisti-schen
Kannibalen hat sich in eine
Brutstätte der Finsternis und
Sklaverei verwandelt.Unsere
Aufgabe ist es,diese Brutstätte zum
Glück und zur Freude der
Werktätigen aller Länder zu
zerschlagen.
Stalin,15.12.1918 (Werke IV,S.182)
AN MEINE LESER
Wer hat den Zweiten Weltkrieg begonnen?
Auf diese Frage hört man verschiedene Antworten.Eine ein-heitliche
Meinung gibt es nicht.Die Sowjetregierung beispiels-weise
hat ihre offizielle Meinung zu dieser Frage wiederholt
geändert.
Am 18.September 1939 erklärte die Sowjetregierung in
einer offiziellen Note,daß die Schuld an dem Krieg die Regierung
Polens treffe.
Am 30.November 1939 bezichtigte Stalin in der »Prawda «
andere als Schuldige:»England und Frankreich haben Deutsch-land
angegriffen und damit die Verantwortung für den gegen-wärtigen
Krieg auf sich genommen.«
Am 5.Mai 1941 benennt Stalin in seiner Geheimrede vor
den Absolventen der Militärakademien noch einen Urheber:
Deutschland.
Nach Beendigung des Krieges hat sich der Kreis der »Schul-digen
« ausgeweitet.Stalin erklärt,den Zweiten Weltkrieg hät-ten
alle kapitalistischen Staaten der Welt begonnen.Bis zum
Zweiten Weltkrieg galten nach Stalinscher Definition sämtliche
souveränen Staaten der Welt mit Ausnahme der Sowjetunion als
kapitalistische Staaten.Folgt man dieser Auffassung von Stalin,
dann haben den blutigsten Krieg in der Geschichte der Mensch-heit
die Regierungen sämtlicher Länder einschließlich Schwe-dens
und der Schweiz mit Ausnahme der Sowjetunion begonnen.
Stalins Standpunkt,daß alle mit Ausnahme der UdSSR
schuldig seien,hat sich offenbar auf lange Sicht in der kommu-nistischen
Mythologie stabilisiert.Unter Chrutschtschow und
Breschnew ebenso wie unter Andropow und Tschernenko sind
diese Anschuldigungen gegen die ganze Welt mehr als einmal
wiederholt worden.Unter Gorbatschow hat sich vieles in der
Sowjetunion geändert,nicht aber die Gültigkeit von Stalins
Standpunkt hinsichtlich der Urheberschaft des Krieges.So hat
zum Beispiel in der Ära Gorbatschows der Chefhistoriker der
Sowjetischen Armee Generalleutnant P.A.Schilin wiederholt:
»Schuld am Krieg waren nicht nur die Imperialisten Deutsch-lands,
sondern auch die der ganzen Welt.« (»Roter Stern «,
24.September 1985)
Ich wage zu behaupten,daß die sowjetischen Kommunisten
nur deshalb alle Staaten der Welt der Urheberschaft für den
Zweiten Weltkrieg bezichtigen,weil sie so ihre eigene schmäh-liche
Rolle als Kriegshetzer vertuschen wollen.
Erinnern wir uns,daß nach dem Ersten Weltkrieg im Versail-ler
Vertrag Deutschland das Recht entzogen wurde,eine starke
Armee und Angriffswaffen einschließlich Panzer,Kampfflug-zeuge,
schwere Artillerie,U-Boote zu unterhalten.Auf deut-schem
Boden hatten deutsche Kommandeure keine Möglich-keit,
die Führung von Angriffskriegen vorzubereiten,und so
verlegten sie ihre Vorbereitungen...in die Sowjetunion.Auf
Stalins Befehl wurden für die deutschen Kommandeure alle Vor-aussetzungen
zur Gefechtsausbildung geschaffen.Man stellte
ihnen Unterrichtsräume zur Verfügung,Truppenübungsplätze,
Schießplätze und alles das,was sie nicht besitzen durften:Pan-zer,
schwere Artillerie,Kampfflugzeuge.Auf Stalins Befehl er-hielten
deutsche Kommandeure Zutritt zu den sowjetischen
größten Panzerproduktionsstätten in der Welt:Seht es euch an,
merkt es euch,übernehmt,was ihr wollt!Seit den zwanziger
Jahren scheute Stalin keine Mittel,Mühen und Zeit,um die
Schlagkraft des deutschen Militarismus wiedererstehen zu las-sen.
Gegen wen sollte sie sich richten?Natürlich nicht gegen ihn
selbst.Wer war es dann?Es gibt nur eine Antwort:das ganze
restliche Europa.
Stalin hatte begriffen,daß eine starke Offensivarmee von
sich aus noch keinen Krieg beginnt,sie bedarf dazu auch eines
fanatischen,wahnwitzigen Führers.Und Stalin hat sehr viel
dazu beigetragen,daß an der Spitze Deutschlands ein solcher
Führer stehen sollte.Als die Faschisten an die Macht gelangt
waren,hat Stalin sie beharrlich und nachdrücklich in den Krieg
gehetzt.Den Gipfel dieser Bemühungen stellt der Molotow-Rib-bentrop-
Pakt 1939 dar.Mit diesem Pakt garantierte Stalin Hit-ler
Handlungsfreiheit in Europa und öffnete im Grunde genom-12
men die Schleusen für den Zweiten Weltkrieg.Doch wenn wir
uns schon voll Abscheu des tollwütigen Hundes erinnern,der
sich in halb Europa festgebissen hatte,dann sollten wir auch
Stalin nicht vergessen,der diesen Hund herangezogen und
dann von der Kette gelassen hat.
Noch bevor die Nationalsozialisten in Deutschland an die
Macht gelangt waren,hatten die sowjetischen Führer für Hitler
bereits die inoffizielle Bezeichnung eines »Eisbrechers der
Revolution « geprägt.Es ist eine treffende und vielsagende Be-zeichnung.
Die Kommunisten hatten begriffen,daß Europa nur
im Falle eines Krieges aufzubrechen war,und der Eisbrecher
der Revolution konnte dies bewirken.Adolf Hitler hatte,ohne
sich dessen bewußt zu werden,durch seine Aktionen dem Welt-kommunismus
den Weg bereitet.Mit seinen Blitzkriegen hatte
er die westlichen Demokratien zerschlagen und gleichzeitig
seine eigenen Streitkräfte von Norwegen bis Nordafrika zer-splittert
und verausgabt.Für Stalin konnte das nur von Vorteil
sein.Der Eisbrecher der Revolution hatte ungeheuerliche Ver-brechen
begangen und durch seine Taten Stalin das moralische
Recht gegeben,jederzeit als Befreier Europas auftreten zu kön-nen
und damit die braunen durch die roten Konzentrations-lager
zu ersetzen.
Stalin hatte besser als Hitler begriffen,daß den Krieg nicht
derjenige gewinnt,der als erster beginnt,sondern derjenige,
der zuletzt in diesen Krieg eintritt.Stalin hatte Hitler bereitwil-lig
den zweifelhaften Vortritt gelassen und sich auf den unaus
bleiblichen Kriegseintritt zu dem Zeitpunkt vorbereitet,»wenn
alle Kapitalisten sich untereinander in die Haare geraten sind «.
(Stalin unter Berufung auf Lenin am 3.12.1927.Werke X,
S.288)
Für mich ist Hitler ein Verbrecher,die europäische Version
eines Kannibalen.Aber auch wenn Hitler ein Kannibale war,so
folgt daraus doch keineswegs,daß Stalin Vegetarier gewesen
sein muß.Man hat große Anstrengungen unternommen,um die
Verbrechen des Nationalsozialismus zu entlarven und die Hen-ker
aufzuspüren,die ihre Untaten unter seinem Banner began-gen
haben.Entlarvt man aber die deutschen Faschisten,dann
muß man auch die sowjetischen Kommunisten entlarven,die
die Nazis zu ihren Verbrechen ermunterten,weil sie darauf
hofften,sich die Resultate dieser Verbrechen zunutze zu
machen.
Die Kommunisten haben schon lange und sorgsam ihre
Archive durchforstet,und das,was dort erhalten blieb,ist der
historischen Forschung kaum zugänglich.Ich hatte die Möglich-keit,
in den Archiven des Verteidigungsministeriums der UdSSR
zu arbeiten,doch werde ich ganz bewußt nur sehr wenig Mate-rial
aus diesen Geheimarchiven heranziehen.Meine Hauptquel-len
sind offen zugängliche sowjetische Publikationen.Auch die
veröffentlichten Daten reichen vollkommen aus,um die sowje-tischen
Kommunisten an den Pranger zu stellen und sie auf eine
gemeinsame Anklagebank mit den deutschen Faschisten zu
setzen.
Meine Hauptzeugen sind Marx,Engels,Lenin,Trotzki,Sta-lin,
alle sowjetischen Marschälle aus den Tagen des Zweiten
Weltkrieges und viele Generale in führender Position.Die Kom-munisten
geben zu,daß sie durch Hitlers Hände den Krieg in
Europa entfesselt und einen Überraschungsschlag gegen Hitler
vorbereitet haben,um das von ihm zerstörte Europa zu er-obern.
Der Wert meiner Quellen besteht gerade darin,daß die
Täter über ihre Untaten selbst zu Worte kommen.
Viktor Suworow,Dezember 1988
DER WEG ZUM GLÜCK
Wir sind die Partei einer Klasse,die
zur Eroberung angetreten ist,zur
Eroberung der Welt.
General M.W.Frunse (1885-1925;
Werke,Bd.2,S.96)
l.
Marx und Engels hatten einen Weltkrieg vorausgesagt und
lange währende internationale Konflikte von 15,20,50 Jahren.
Diese Aussicht schreckte sie nicht.Die Autoren des »Kommuni-stischen
Manifests « haben das Proletariat nicht zur Verhinde-rung
des Krieges aufgerufen,ganz im Gegenteil,für Marx und
Engels war ein künftiger Weltkrieg geradezu wünschenswert.
Der Krieg ist die Mutter der Revolution.Ein Weltkrieg ist die
Mutter einer Weltrevolution.Das Ergebnis dieses Weltkrieges
wird nach Engels'Worten »die allgemeine Erschöpfung und die
Herstellung der Bedingungen des schließlichen Sieges der Ar-beiterklasse
« bedeuten.(Einleitung zu Sigismund Borkheims
Broschüre »Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten.
1806-1807 «.In:Karl Marx,Friedrich Engels.Werke.Hrsg.In-stitut
für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED.39 Bände.
Berlin 1961-1968.Bd.21,S.351)
Marx und Engels haben den Weltkrieg nicht mehr erlebt,
aber es fand sich ein Mann,der ihr Werk weiterführte -Lenin.
Die Partei Lenins setzte sich von den ersten Tagen des Weltkrie-ges
an für eine Niederlage der Regierung ihres eigenen Landes
ein,um »den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg zu
verwandeln «.Lenin ging davon aus,daß die linken Parteien der
anderen Länder sich ebenfalls gegen ihre Regierungen wenden
und daß der weltweite imperialistische Krieg in einen weltwei-ten
Bürgerkrieg münden würde.Das trat nicht ein.Doch hatte
Lenin mit der Absage an die Hoffnung auf eine Weltrevolution
bereits im Herbst 1914 die Aufstellung eines Minimalpro-gramms
verbunden:Sollte es als Folge des Weltkrieges nicht zu
einer Weltrevolution kommen,mußte alles Erforderliche unter-nommen
werden,damit die Revolution zumindest in einem
Lande ausbrach,ganz gleich wo.Hat das Proletariat in diesem
Lande gesiegt,wird es gegen die gesamte übrige Welt antreten,
Unruhen und Aufstände in den anderen Ländern entfachen
oder direkt zum Angriff mit bewaffneten Kräften übergehen.
(Lenin in dem am 23.8.1915 in der Zeitung »Sozial-Demokrat «
Nr.44 erschienenen Artikel »Zur Losung von den Vereinigten
Staaten von Europa «.Vollständige Werkausgabe,Bd.26,S.354)
Während Lenin sein Minimalprogramm von der Eroberung
der Macht in einem Lande aufstellt,verliert er nicht die größe-ren
Perspektiven aus den Augen.Für Lenin bleibt -wie für
Marx -die Weltrevolution der Leitstern.Wenn aber nach dem
Minimalprogramm als Ergebnis des Ersten Weltkrieges die Re-volution
nur in einem Lande möglich ist,wie soll es dann mit der
Weltrevolution weitergehen?Aufgrund welcher auslösenden
Umstände?1916 gibt Lenin eine präzise Antwort auf diese
Frage:als Resultat eines zweiten Weltkrieges.
Ich mag mich irren,doch unter dem vielen,was ich von Hit-ler
gelesen habe,ist mir nichts begegnet,was darauf hinwiese,
daß dieser Adolf Hitler 1916 an einen zweiten Weltkrieg dachte.
Lenin tat es.Nicht genug damit,formulierte Lenin bereits zu
jener Zeit die theoretische Begründung für die Notwendigkeit
eines solchen Krieges zur Errichtung des Sozialismus in der
ganzen Welt.
Die Entwicklung der Ereignisse nimmt einen stürmischen
Verlauf.Im folgenden Jahre bricht die Revolution in Rußland
aus.Lenin eilt nach Rußland.Hier reißen er und seine kleine,
aber militärisch organisierte Partei im Wirbel des allgemeinen
Durcheinanders,in dem alles erlaubt ist,mit einem plötzlichen
Umsturz die Staatsgewalt an sich.Lenins Schachzüge sind ein-fach,
aber verschlagen.Im Augenblick der Bildung eines kom-munistischen
Staates erläßt Lenin das »Dekret über den Frie-den
« (Oktober 1917).Das macht sich nicht übel für Propaganda-zwecke.
Doch den Frieden braucht Lenin nicht um des Friedens
willen,sondern um sich an der Macht zu halten.Nach diesem
Dekret fluteten Millionen bewaffneter Soldaten von der Front
nach Hause.Mit dem »Dekret über den Frieden « verwandelte
Lenin den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg,stürzte
er das Land in ein tiefes Chaos,während er zugleich die Macht
der Kommunisten konsolidierte und sich weiteres Territorium
erkämpfte und unterwarf.Die von der Front zurückströmenden
Soldaten spielten die Rolle eines Brecheisens,das Rußland aus-einanderfallen
ließ.Das Ergebnis des Bürgerkrieges war »die
allgemeine Erschöpfung «,die es Lenin erlaubte,die gewonnene
Macht zu behaupten und weiter zu festigen.
Lenins außenpolitische Schachzüge sind nicht weniger ver-schlagen.
Auch hier handelt er nach demselben Prinzip:Dieweil
ihr euch rauft,stehe ich abseits und beobachte,aber habt ihr
einander erst hinreichend geschwächt...
Im März 1918 schließt Lenin mit Deutschland und seinen
Verbündeten den Frieden von Brest-Litowsk.Zu dieser Zeit ist
die Lage Deutschlands bereits hoffnungslos.Begreift Lenin das?
Natürlich.Eben deshalb unterzeichnet er den Frieden,der
a)Lenin den Kampf um die Festigung der kommunistischen
Diktatur im Lande ermöglicht,
b)Deutschland beachtliche Ressourcen und Reserven für die
Fortsetzung des Krieges im Westen freigibt,der sowohl
Deutschland wie auch die westlichen Verbündeten zermürbt.
Durch den Abschluß eines separaten Abkommens mit dem
Gegner verriet Lenin die Verbündeten Rußlands.Aber er verriet
auch Rußland.Anfang 1918 lag ein Sieg Frankreichs,Groß-britanniens,
Rußlands,der USA und der übrigen Länder über
Deutschland und seine Verbündeten bereits nahe und war un-ausbleiblich.
Rußland hatte im Kriege Millionen Soldaten ver-loren
und besaß ein volles Recht darauf,gemeinsam mit seinen
westlichen Bundesgenossen zu den Siegern zu zählen.Einen
solchen Sieg hatte Lenin indessen nicht nötig;er brauchte die
Weltrevolution.Lenin gibt zu,daß der »Friede « von Brest nicht
im Interesse Rußlands geschlossen wurde,sondern im Inter-esse
der Weltrevolution,im Interesse der Errichtung des Kom-munismus
in Rußland und in den übrigen Ländern.Lenin gibt in
einer Rede zur Außenpolitik am 14.5.1918 zu,daß er die welt-weite
Diktatur des Proletariats und die weltweite Revolution
über alle nationalen Opfer stellte.(Vollständige Werkausgabe,
Bd.36,S.341 f.)Die Niederlage Deutschlands war bereits greif-bar,
aber Lenin schließt einen »Frieden «,in dem Rußland sei-nen
Anspruch auf die Rolle des Siegers aufgibt und im Gegenteil
Deutschland kampflos eine Million Quadratkilometer fruchtbar-sten
Bodens und die reichsten Industrieregionen des Landes
überläßt,ja er zahlt obendrein eine Kriegskontribution in Gold.
Wofür?!
Er tat es aus folgendem Grund:Der Friede von Brest machte
Millionen russischer Soldaten überflüssig,und diese führer-losen
Menschenmassen zogen nach Hause und zerstörten auf
ihrem Wege das Grundgefüge des Staatswesens und der eben
erst geborenen Demokratie.Diese Millionen bewaffneter Solda-ten
übernahmen in Rußland die Rolle eines Brecheisens,indem
sie eine jahrhundertealte Ordnung vernichteten und ebenso die
Grundlagen,auf denen das Land ruhte.Der »Brester Friede «
wurde zum Auslöser eines ungemein grausamen Bürgerkrie-ges,
weit blutiger und grausamer als der Erste Weltkrieg.Durch
den »Brester Frieden « erreichte Lenin sein Ziel:Er verwandelte
den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg.Während
jeder gegen jeden kämpfte,festigten die Kommunisten ihren
Machtbereich,bauten ihn aus und unterwarfen anschließend
im Laufe weniger Jahre das ganze Land.
Der »Friede « von Brest widersprach nicht nur den nationa-len
Interessen Rußlands,sondern er richtete sich auch gegen
Deutschland.Gemessen an seinem Zweck und Geist ist der
»Friede « von Brest ein Urbild des Molotow-Ribbentrop-Paktes.
Lenins Absichten 1918 und Stalins Absichten 1939 sind ein und
dieselben:Mag Deutschland seinen Krieg im Westen führen,
mag es sich ruhig auszehren und zugleich auch die westlichen
Bundesgenossen bis zur Erschöpfung schwächen.Wir werden
um jeden beliebigen Preis Deutschland behilflich sein,bis zur
eigenen äußersten Auszehrung weiterzukämpfen,und dann..
Zur gleichen Zeit,als auf Lenins Geheiß in Brest der
»Friede « mit Deutschland unterzeichnet wird,arbeitet man in
Petrograd intensiv an den Vorbereitungen zum Sturz der deut-schen
Regierung.In Petrograd wird in einer Auflage von einer
halben Million Exemplaren die kommunistische deutschspra-chige
Zeitung »Die Fackel « herausgebracht,und noch vor der
Unterzeichnung des »Friedensvertrages « von Brest wird im
Januar 1918 in Petrograd die deutsche kommunistische » Spar-takus
«-Gruppe gegründet.Auch die Zeitungen »Die Weltrevolu-tion
« und »Die Rote Fahne « erleben ihre Geburtsstunde nicht in
Deutschland,sondern im kommunistischen Rußland,auf Wei-sung
Lenins,der den »Frieden « mit Deutschland unterzeichnet
hat.In den zwanziger Jahren schlägt der Kommunismus in
Deutschland tiefe Wurzeln,Vergessen wir nicht,daß Lenin
hierzu seinen Beitrag leistete,und zwar gerade in einem Au-genblick,
da Deutschland einen zermürbenden,hoffnungslosen
Kampf im Westen führte und Lenin mit der deutschen Regierung
ein »Friedensabkommen « geschlossen hatte.
2.
Lenins Rechnung ging auf:Das vom Krieg erschöpfte Deutsche
Reich war der ungeheuren Anspannung des Zermürbungskrie-ges
nicht gewachsen.Der Krieg endet mit dem Kollaps des
Reiches und dem Ausbruch der Revolution.Unverzüglich annul-liert
Lenin den Vertrag.In dem vom Kriege zerstörten Europa
entstehen auf den Trümmern der Reiche kommunistische Staa-ten
von erstaunlicher Ähnlichkeit mit dem Leninschen bolsche-wistischen
Regime.In seiner Schlußrede auf dem 8.Parteikon-greß
am 23.3.1919 sieht sich Lenin jubelnd an der Schwelle zur
Weltrevolution.(Vollständige Werkausgabe,Bd.38,S.215)Zu
dieser Zeit trennt er sich von seinem Minimalprogramm.Er
spricht nicht länger von der Notwendigkeit eines zweiten Welt-krieges,
weil er jetzt glaubt,die Weltrevolution könne bereits im
Gefolge des Ersten Weltkrieges verwirklicht werden.
Lenin gründet die Komintern,die sich selbst als Kommu-nistische
Weltpartei deklariert und die Schaffung einer Sowje-tischen
Sozialistischen Weltrepublik zum Ziele setzt.
Doch die Weltrevolution blieb aus.Die kommunistischen Re-gime
in Bayern,Bremen,in der Slowakei,in Ungarn erwiesen
sich als brüchig und nicht lebensfähig,die linken Parteien der
westlichen Länder zeigten Schwäche und Unentschlossenheit
bei der Ergreifung und Bewahrung der Macht,und Lenin
konnte ihnen zu der Zeit lediglich moralische Unterstützung ge-währen:
Alle Kräfte der Bolschewiken waren an die inneren
Fronten geworfen,in den Kampf mit den Völkern Rußlands,die
den Kommunismus nicht wollten.
Erst 1920 hat Lenin seine Position in Zentralrußland hinrei-chend
gefestigt und kann starke Kräfte nach Europa entsenden,
um die Revolution voranzutreiben.
Zwar ist der günstigste Augenblick in Deutschland bereits
versäumt,und dennoch ist es im Jahre 1920 ein höchst geeignetes
Feld für den Klassenkampf.Deutschland ist entwaffnet und gede-mütigt.
Sämtliche Ideale sind beschimpft und besudelt.Im Lande
herrscht eine extreme wirtschaftliche Krise,im März 1920 wird
es von einem Generalstreik erschüttert,an dem einigen Berich-ten
zufolge über 12 Millionen Menschen beteiligt waren.Deutsch-land
ist ein Pulverfaß,und es bedarf nur noch eines einzigen Fun-kens
...Im Text des offiziellen Marschliedes der Roten Armee
(Budjonny-Marsch)heißt es:»Erst her mit Warschau,dann her
mit Berlin!« Nikolai Bucharin,der Theoretiker der sowjetischen
Kommunisten,gibt in der »Prawda « eine noch entschiedenere
Losung aus:»Direkt vor die Mauern von Paris und London!«
Doch auf dem Wege der roten Legionen liegt Polen.Sowjet-rußland
und Deutschland besitzen keine gemeinsame Grenze.
Um das Feuer der Revolution zu entfachen,gilt es,die tren-nende
Barriere niederzureißen -das freie,unabhängige Polen.
Zum Unglück der Kommunisten befand sich an der Spitze der
sowjetischen Truppen ein Befehlshaber,der nichts vom Wesen
der Strategie verstand:Tuchatschewski.Seine Armeen wurden
1920 vor Warschau geschlagen und ergriffen schmählich die
Flucht.Im kritischen Augenblick standen Tuchatschewski keine
strategischen Reserven zur Verfügung,das entschied den Aus-gang
der grandiosen Schlacht.Die Niederlage Tuchatschewskis
war kein Zufall:Ein halbes Jahr vor Beginn des sowjetischen
»Befreiungsfeldzuges « nach Warschau und Berlin hatte Tucha-tschewski
die mangelnde Notwendigkeit strategischer Reserven
im Kriege »theoretisch begründet «.
Die militärische Strategie folgt einfachen,aber unerbittlichen
Gesetzen.Ein Grundprinzip der Strategie ist die Konzentration.
Ein Grund-»Geheimnis «der Strategie besteht darin,im ent-scheidenden
Augenblick,am entscheidenden Ort seine geballte
Kraft auf den empfindlichsten Punkt des Gegners zu konzentrie-ren.
Um die eigenen Kräfte konzentrieren zu können,muß man
sie in der Reserve halten.Tuchatschewski hatte das nicht begrif-fen
und nun für dieses mangelnde Verständnis bezahlt.Die Revo-lution
in Deutschland aber mußte auf 1923 verschoben werden.
3.
Die Zerschlagung von Tuchatschewskis Truppen in Polen zog für
die Bolschewiken äußerst unangenehme Folgen nach sich.Ruß-land,
das sie in ein Blutbad getaucht und scheinbar völlig ihrer
Kontrolle unterjocht hatten,bäumte sich plötzlich in einem ver-zweifelten
Versuch auf,die kommunistische Diktatur abzuwer-fen.
Das werktätige Petrograd,die Wiege der Revolution,trat in
den Streik.Zwar erstickten die Bolschewiken die Arbeiterkund-gebungen,
doch nun stand plötzlich das Geschwader der Ostsee-flotte
an der Seite der Arbeiter.Die Matrosen von Kronstadt,die-selben,
denen Lenin und Trotzki die Macht zu verdanken hatten,
forderten jetzt die Säuberung der Räte von den Kommunisten.
Durch das Land rollte eine Woge von Bauernprotesten.In den
Wäldern um Tambow stellten die Bauern eine starke,gut orga-nisierte,
aber schlecht ausgerüstete antikommunistische Armee
auf.
Nun,Tuchatschewski,sieh zu,wie du damit fertig wirst!Und
nun wäscht Tuchatschewski mit fremdem Blut seine eigene stra-tegische
Schande ab.Tuchatschewskis Greueltaten in Kronstadt
sind legendär.Die ungeheuerliche Vernichtung der Bauern im
Gouvernement Tambow ist eine der schrecklichsten Seiten in
der Geschichte Rußlands.Der Autor dieser Seite aber heißt Tu-chatschewski.
Das zwanzigste Jahrhundert kennt einige große
Verbrecher:Jeschow,Himmler,Pol Pot u.a.Gemessen an der
Menge vergossenen Blutes hat sich Tuchatschewski durchaus
einen Platz an ihrer Seite verdient,in zeitlicher Hinsicht jedoch
war Tuchatschewski ein Vorläufer für die meisten dieser Ver-brecher.
4.
1921 führt Lenin die Neue Ã-konomische Politik (NÃ-P)ein.In-dessen
war an dieser Politik nichts neu -es war der gute alte
Kapitalismus.Die Kommunisten müssen sich an der Macht
behaupten,und dafür lassen sie sich auf jede beliebige Ab-schwächung
in ihrem Programm ein bis hin zur Einführung von
Elementen eines freien Marktes.Man sieht gewöhnlich in Kron-stadt
und Tambow die Hauptbeweggründe für Lenins Einfüh-rung
von Elementen der freien Marktwirtschaft und die Milde-rung
des ideologischen Würgegriffs am Halse der Gesellschaft.
Ich meine,daß man die Ursachen hierfür tiefer suchen muß:
1921 hatte Lenin begriffen,daß der Erste Weltkrieg nicht die
Weltrevolution ausgelöst hatte.Trotzkis Rat folgend,mußte man
zu einer permanenten Revolution übergehen,Schlag um Schlag
den schwachen Kettengliedern der freien Gesellschaft verset-zen
und zugleich einen zweiten Weltkrieg vorbereiten,der die
endgültige »Befreiung « bringen würde.Noch vor der Einfüh-rung
der NÃ-P im Dezember 1920 äußerte sich Lenin zum
Thema Weltkrieg:»Ein neuer derartiger Krieg ist unausbleib-lich.
« (Rede vor dem Moskauer Stadtsowjet zum Jahrestag der
III.Internationale am 6.3.1920.Vollständige Werkausgabe,
Bd.40,S.211)
Und wieder muß ich auf Hitler zurückkommen.Ich ver-teidige
ihn nicht,sondern stelle bloß fest,daß er 1920 nicht
öffentlich von der Unausbleiblichkeit und Erwünschtheit eines
zweiten Weltkrieges redete.Hier dagegen eine Erklärung Lenins
aus dieser Zeit:»Einen Teilabschnitt des Krieges haben wir
beendet,nun müssen wir uns auf einen zweiten vorbereiten.«
Eben dafür wird die NÃ-P eingeführt.Friede bedeutet ein Atem-holen
für den Krieg.Das sagt Lenin,das sagt Stalin,das sagt die
»Prawda «.Die NÃ-P ist eine kurze Atempause vor den kommen-den
Kriegen.Die Kommunisten müssen ihr Land in Ordnung
bringen,ihre Macht stärken und konsolidieren,eine gewaltige
Rüstungsindustrie aufbauen,die Bevölkerung auf die künftigen
Kriege,Schlachten,»Befreiungsfeldzüge « vorbereiten.Und
genau damit befassen sie sich.
Die Einführung von Elementen einer freien Marktwirtschaft
bedeutet keineswegs eine Absage an die Vorbereitung der Welt-revolution
und eines zweiten Weltkrieges,der diese Revolution
bewirken soll.Bereits im folgenden Jahr wurde die Union der
Sozialistischen Sowjetrepubliken,die UdSSR,geschaffen.Die
Gründungsdeklaration der UdSSR besagte,daß die UdSSR nur
der erste entschlossene Schritt zur Schaffung einer Weltweiten
Sozialistischen Sowjetrepublik,WSSR,sei.Zum Zeitpunkt ihrer
Gründung umfaßte die UdSSR vier Republiken.Diese Zahl sollte
so lange vergrößert werden,bis sie die ganze Welt einschließen
würde.
Die Gründungsdeklaration der UdSSR war eine ehrliche und
offene Kriegserklärung an die gesamte restliche Welt.Die De-klaration
besitzt Gültigkeit bis auf den heutigen Tag,niemand
hat sie zurückgenommen.Zwischen Hitlers »Mein Kampf « und
der Deklaration besteht ein Unterschied.Hitler schrieb sein
Buch später,und es stellt den Standpunkt eines Mannes dar:
»Mein Kampf «.Die Gründungsdeklaration der UdSSR ist ein
offizielles Dokument über das Hauptziel eines riesigen Staats-gebildes:
sämtliche anderen Staaten der Welt zu liquidieren,um
sie sich selbst unterzuordnen.
DER HAUPTFEIND
Wenn irgendwo die revolutionäre
Erschütterung Europas beginnt,so
wird dies von Deutschland aus
geschehen...und der Sieg der
Revolution in Deutschland ist
gleichbedeutend mit der Gewährlei-stung
des Sieges der internationa-len
Revolution.
Stalin auf der Sitzung der Polnischen
Kommission der Komintern am 3.7.
1924 (Werke VI,S.267)
l.
1923 steht Deutschland erneut am Rande einer Revolution.
Lenin nimmt an der Führung des Landes und der Komintern
bereits nicht mehr teil.
Die Zügel der Regierung hat Stalin nahezu vollständig an
sich gerissen,obwohl weder das Land noch die Welt,ja nicht
einmal seine Konkurrenten dies zu der Zeit begreifen.
Seine Rolle bei der Vorbereitung der deutschen Revolution
von 1923 beschreibt Stalin folgendermaßen:»Die deutsche
Kommission in der Komintern,bestehend aus Sinowjew,Bucha-rin,
Stalin,Trotzki,Radek und einer Reihe deutscher Genossen,
faßte eine Anzahl konkreter Beschlüsse zur direkten Unterstüt-zung
der deutschen Genossen bei der Machtergreifung.« (Rede
auf dem vereinigten Plenum des ZK und der Zentralen Kontroll-kommission
der KPdSU am 5.8.1927.Werke X,S.63)
Stalins persönlicher Sekretär Baschanow hat diese Vorberei-tung
ausführlicher geschildert.Er sagt,riesige Geldmengen
seien angewiesen worden,und das sowjetische Politbüro habe
in geheimer Beratung den Beschluß gefaßt,keine Ausgaben zu
scheuen.In der Sowjetunion wurden sämtliche Kommunisten
deutscher Abstammung mobilisiert sowie alle Kommunisten,
die des Deutschen mächtig waren.Sie wurden nach Deutschland
zur Untergrundarbeit geschickt.Aber nicht nur gewöhnliche
Kommunisten wurden nach Deutschland transferiert,sondern
auch höherrangige sowjetische Führer,darunter der sowjeti
sche Volkskommissar W.Schmidt,der Stellvertreter des Vorsit-zenden
der GPU (und künftige Chef des militärischen Geheim-dienstes)
Unschlicht,die Mitglieder des Zentralkomitees Radek
und Pjatakow Der sowjetische Bevollmächtigte (Botschafter)in
Deutschland Krestinski entfaltete eine fieberhafte Aktivität.Die
sowjetische Botschaft verwandelte sich in eine Organisations-zentrale
der Revolution.Über die Botschaft liefen die Anweisun-gen
aus Moskau,flössen aber auch die Geldströme sowie Waffen
und Munition.»Auf Unschlicht entfiel die Organisation von Ab-teilungen
des bewaffneten Aufstandes für den Umsturz,ihrer
Rekrutierung und Versorgung mit Waffen.Außerdem sollte er
eine deutsche Tscheka zur Vernichtung der Bourgeoisie und der
Revolutionsgegner nach dem Umsturz aufstellen.« (B.Bascha-now,
Ich war Stalins Sekretär.Frankfurt/Berlin/Wien 1977,
S.58)
Vom sowjetischen Politbüro wurde ein detaillierter Plan für
den Umsturz ausgearbeitet und bestätigt,als Zeitpunkt war der
9.November 1923 festgesetzt worden.
Doch die Revolution fand nicht statt.
Es gibt viele Gründe dafür.
Erstens:Die große Masse der deutschen Bevölkerung
wählte die goldene Mitte und entschied sich für die Sozialdemo-kratie.
Die Kommunistische Partei besaß nicht die notwendige
Unterstützung bei den Massen und war obendrein in zwei Frak-tionen
aufgespalten.Die Führer der Partei zeigten keine hin-reichende
Entschlossenheit,wie sie seinerzeit Trotzki und Lenin
aufgebracht hatten.
Zweitens:Die Sowjetunion und Deutschland hatten keine
gemeinsame Grenze.Wie schon vier Jahre zuvor trennte Polen
die beiden Länder.Wäre eine gemeinsame Grenze vorhanden
gewesen,hätte die Rote Armee der Deutschen Kommunisti-schen
Partei und ihren unentschlossenen Führern zu Hilfe kom-men
können.
Der dritte Grund ist vielleicht der wichtigste:Lenin liegt be-
reits im Sterben und leitet schon lange weder die Sowjetunion
noch die Weltrevolution.Er hat viele Thronfolger:Trotzki,Sino-wjew,
Kamenew,Rykow,Bucharin.Neben den offenen Konkur-renten
arbeitet der bescheidene Stalin,in dem niemand einen
Prätendenten auf die Macht sieht,der aber Lenins Worten zu-folge
bereits »eine enorme Macht in seinen Händen konzen-triert
hatte «.
Die deutsche Revolution von 1923 wurde zwar vom Kreml
aus gelenkt,doch gleichzeitig spielte sich am Ruder der Welt-revolution
ein erbitterter Kampf ab.Keiner der offenen Kron-prätendenten
wollte seinen Gegner in der Rolle eines Führers
der deutschen und folglich auch der europäischen Revolution
sehen.Die Führer stießen und drängten sich am Ruder und er-teilten
ihren Untergebenen widersprüchliche Anweisungen.
Das konnte auf keinen Fall mit einem Sieg enden.
Der weise Stalin mischte sich in dieser Situation nicht unter
die Männer am Ruder.Er beschloß,zunächst seine ganze Auf-merksamkeit
den Fragen der endgültigen Konsolidierung sei-ner
Alleinherrschaft zu widmen und sich erst hernach mit allen
übrigen Problemen zu befassen,unter anderem auch mit der
Weltrevolution.
In den nächstfolgenden Jahren schickt Stalin alle Präten-denten
auf den Platz des Führers um eine Etage tiefer,dann
aber läßt er sie immer weiter und weiter absinken,bis hinunter
in die Keller des Lubjanka-Gefängnisses.Kaum hat Stalin die
Macht ergriffen,beseitigt er alle Barrieren,die der deutschen
Revolution im Wege stehen:
Er bringt Ordnung in die Deutsche Kommunistische Partei
und erreicht von ihr die bedingungslose Erfüllung der Weisun-gen
aus Moskau;
er sorgt für eine gemeinsame Grenze mit Deutschland;
er vernichtet die deutsche Sozialdemokratie.Natürlich nicht
mit eigenen Händen.Hat Stalin jemals irgendjemanden eigen-händig
umgebracht?
2.
Marx und Lenin zufolge entsteht die Revolution als Ergebnis
eines Krieges.Der Krieg verschärft die vorhandenen Wider
sprüche,ruiniert die Wirtschaft,rückt die Revolution näher.
Stalins Position ist einfach und von prinzipieller Natur:Sozial
demokraten und Pazifisten müssen bekämpft werden,weil sie das
Proletariat von Revolution und Krieg ablenken.Am 7.Novem-ber
1927 gibt Stalin die Losung aus:»Der Kapitalismus ist nicht
zu beseitigen ohne vorherige Beseitigung der Sozialdemokratie
in der Arbeiterbewegung.« (»Prawda «,6./7.11.1927,Werke X,
S.250)Im folgenden Jahr erklärt Stalin den Kampf gegen die
Sozialdemokratie zur Hauptaufgabe der Kommunisten:»Er-stens,
Kampf gegen die Sozialdemokratie auf allen Linien...
einschließlich der zugehörigen Entlarvung des bürgerlichen
Pazifismus.« (Rede vor dem Leningrader Parteiaktiv am 13.7.
1928,Werke XI,S.202)Bezüglich derjenigen,die offen für den
Krieg eintreten,der deutschen Faschisten beispielsweise,ist
Stalins Position ebenso einfach und verständlich:Sie sind zu
unterstützen.Laßt die Faschisten ruhig Sozialdemokraten und
Pazifisten vernichten.Laßt die Faschisten einen neuen Krieg
beginnen.Laßt die Faschisten in Europa alle Staaten,alle poli-tischen
Parteien,die Parlamente,Armeen,Gewerkschaften
zerschlagen.1927 sieht Stalin die Machtergreifung durch die
Faschisten voraus,und er hält dies für ein positives Phänomen:
»Gerade diese Tatsache führt zur Verschärfung der inneren
Lage in den Ländern des Kapitalismus und zu revolutionären
Aktionen der Arbeiter.« (Rede auf dem vereinigten Plenum des
ZK und der Zentralen Kontrollkommission der KPdSU am 1.8.
1927.Werke X,S.49)
Und Stalin fördert die Faschisten.Eifrige Stalinisten,wie
zum Beispiel das Mitglied des Politbüros der Deutschen Kom
munistischen Partei Hermann Remmele,unterstützen ganz offen
die an die Macht drängenden deutschen Faschisten.Stalins
Rolle bei der Machtergreifung durch die Faschisten in Deutsch-land
ist beachtlich.Ich hoffe,darüber einmal ein ganzes Buch
schreiben zu können.Hier beschränke ich mich darauf,Trotzkis
Auffassung zu dieser Frage anzuführen,die er 1936 äußerte:
»Ohne Stalin hätte es keinen Hitler gegeben und keine Ge-stapo!
« (»Bulletin der Opposition « Nr.52-53,Oktober 1936)
Von Trotzkis Scharfblick und Kenntnis dieser Problematik zeugt
auch eine andere Bemerkung vom November 1938:»Stalin hat
endgültig sowohl Hitler wie auch seinen Gegnern die Hände ent-fesselt
und Europa in den Krieg getrieben.« (»Bulletin der Oppo-sition
« Nr.71,November 1938)Das wird in einem Augenblick
gesagt,da Chamberlain sich freut,daß es keinen Krieg geben
wird,da Mussolini sich für einen Friedensstifter hält und Hitler
noch nicht daran denkt,die Direktive für den Angriff auf Polen,
geschweige denn auf Frankreich zu geben.Zu einem Zeitpunkt,
da Europa erleichtert aufatmete und glaubte,daß die Gefahr
eines Krieges gebannt sei,wußte Trotzki um seinen baldigen
Ausbruch,und er wußte auch,wen die Schuld daran traf.Um
Trotzki endgültig Glauben zu schenken,lassen Sie uns noch
eine weitere,am 21.Juni 1939 geäußerte Voraussage hören.Zu
der Zeit werden intensive,gegen Deutschland gerichtete Ver-handlungen
zwischen Großbritannien,Frankreich und der
UdSSR geführt.Nichts deutet auf die Möglichkeit irgendwelcher
unerwarteter Ereignisse und Komplikationen hin.Aber Trotzki
sagt in diesem Augenblick:»Die UdSSR wird sich in geballter
Masse in Richtung auf die Grenzen Deutschlands zu einem Zeit-punkt
bewegen,wenn das Dritte Reich in einen Kampf um die
Neuordnung der Welt verwickelt ist.« (»Bulletin der Opposition «
Nr.79-80,S.14)Und genau so wird es geschehen!Deutschland
wird in Frankreich kämpfen,und Stalin wird »in geballter
Masse « die neutralen Staaten an seinen Westgrenzen liquidie-ren
und sich damit in Richtung auf die Grenzen Deutschlands
bewegen.An demselben 21.Juni 1939 stellte Trotzki eine noch
verblüffendere Vorhersage auf:»Im Herbst 1939 wird Polen
Gegenstand einer Okkupation,im Herbst 1941 beabsichtigt
Deutschland,zur Offensive auf die Sowjetunion überzugehen.«
Trotzki ist nur ein minimaler Fehler von wenigen Monaten
hinsichtlich des Termins für den Beginn des Krieges gegen die
UdSSR unterlaufen.Wir werden im weiteren sehen,daß den-selben
Fehler auch Stalin beging.
Liest man heute,fünfzig Jahre später,Trotzkis Folgerungen
und Voraussagen unter Würdigung der Treffsicherheit seiner
Urteile,müssen wir uns die Frage stellen,woher er dies alles
wissen konnte.Trotzki machte kein Geheimnis daraus.Er ist ein
ehemaliger Führer des kommunistischen Umsturzes,Begrün-der
der Roten Armee,Vertreter der Sowjets bei den Verhandlun-gen
in Brest-Litowsk,er war der erste Leiter der sowjetischen
Diplomatie und der erste Chef der Roten Armee,ein anerkann-ter
Führer der UdSSR an der Seite Lenins und ein Führer der
Weltrevolution.Wer sonst,wenn nicht er,mußte wissen,was der
Kommunismus bedeutet,was die Rote Armee und wer dieser
Stalin ist.Trotzki sagt,alle seine Vorhersagen beruhen auf offen
zugänglichen sowjetischen Publikationen,insbesondere auf
den Erklärungen des Sekretärs der Komintern Dimitrow
Trotzki hatte als erster in der Welt Stalins Spiel durchschaut,
das die westlichen Führer nicht begriffen und das zunächst
auch Hitler nicht verstand.
Stalins Spielregeln aber waren einfach.Trotzki ist selbst ein
Opfer dieses Spiels,und deshalb versteht er es.Stalin hatte
Trotzki mit Hilfe von Sinowjew und Kamenew aus der Macht
entfernt,anschließend entledigte sich Stalin Sinowjews und
Kamenews mit Hilfe Bucharins,später beseitigte Stalin auch
Bucharin.Die Generation von Dserschinskis Tschekaleuten ließ
Stalin durch die Hände Genrich Jagodas entmachten,dann
wurde Genrich Jagoda und seine Generation auf Stalins Geheiß
durch die Hände Jeschows beseitigt,schließlich ließ Stalin
Jeschow und dessen Generation durch die Hände Berijas besei-tigen
usw.Stalin setzt sein Spiel in der internationalen Arena
fort,und Trotzki verfolgt diese Vorgänge.Der deutsche Faschis-mus
bedeutet für Stalin ein Instrument.Der deutsche Faschis-mus
ist ein Feind,aber gemäß Komintern-Definition ist er auch
der Eisbrecher der Revolution.Der deutsche Faschismus kann
den Krieg auslösen,und ein Krieg führt zur Revolution.Laßt
den Eisbrecher Europa aufbrechen!Hitler ist für Stalin ein reini-gendes
Gewitter in Europa.Hitler kann das bewirken,was
Stalin selbst nicht besorgen mag.1927 hatte Stalin erklärt,daß
ein zweiter imperialistischer Krieg völlig unvermeidbar sei,so
wie auch der Eintritt der Sowjetunion in diesen Krieg.Aber der
weise Stalin will diesen Krieg nicht beginnen und nicht vom
ersten Tage an beteiligt sein:»Wir werden eingreifen,aber wir
greifen als letzte ein,wir greifen ein,um das entscheidende Ge-wicht
in die Waagschale zu werfen,das Gewicht,das den Aus-schlag
geben dürfte.« (Rede auf der Plenarsitzung des ZK am
19.1.1925,Werke VII,S.14)
Stalin braucht in Europa Krisen,Kriege,Hunger,Destruk-tion.
Das alles kann Hitler für ihn erledigen.Je mehr Verbre-chen
Hitler in Europa anhäuft,um so besser für Stalin,um so
viel mehr Gründe für Stalin,die Rote Armee eines Tages als Be-freierin
nach Europa zu entsenden.Trotzki erfaßt das alles noch
vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges,ja sogar noch ehe Hitler
an die Macht gelangt ist.1932 erläutert Trotzki Stalins Ver-halten
gegenüber den deutschen Faschisten:»Laßt sie ruhig an
die Macht kommen,mögen sie sich kompromittieren,dann
aber...«
Seit 1927 unterstützt Stalin energisch (ohne dies indessen
öffentlich zu zeigen)die Faschisten,die zur Macht drängen.
Sobald die Faschisten die Macht erlangt haben,wird Stalin sie
zielstrebig in den Krieg treiben.Haben sie erst den Krieg begon-nen,
wird Stalin die Kommunisten in den demokratischen Län-dern
anweisen,vorübergehend Pazifisten zu werden,die Ar-meen
der westlichen Länder zu zersetzen,den Faschisten den
Weg mit der Forderung nach Beendigung »des imperialisti-schen
Krieges « zu ebnen,vor ihnen zu kapitulieren und die
militärischen Anstrengungen ihrer Regierungen und Länder zu
untergraben.
Aber indem Stalin den Eisbrecher auf das demokratische
Europa ansetzte,sprach er ihm zugleich das Todesurteil.Fünf
Jahre vor der Machtergreifung durch die Faschisten in Deutsch-land
plant Stalin bereits ihre Vernichtung:»Zerschlagung des
Faschismus,Beseitigung des Kapitalismus,Errichtung der
Sowjetmacht,Befreiung der Kolonien aus der Sklaverei.«
Der Faschismus ist der Henker Europas.Stalin unterstützt
diesen Henker,aber noch ehe der Henker seine blutige Arbeit
beginnt,hat Stalin für den Henker das gleiche Schicksal wie für
seine Opfer vorgesehen.
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