-->Weil hier letztens von Simplici die Fachkenntnis von David Yallop angezweifelt wurde (er hatte das Thema ja nur am Rande behandelt und eher die Verbindungen des Vatikan zu Mafia, Geheimloge P2, CIA etc. beleuchtet) hier noch zwei Texte von Hans Küng ("Kleine Geschichte der katholische Kirche") und Karlheinz Deschner (" Der Anti-Katechismus") zum Thema. Zuerst Küng:
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Schweigen zum Holocaust
Es hängt zweifellos mit dem päpstlichen Anspruch auf
»Unfehlbarkeit« zusammen, wenn noch Johannes Paul II. in
seinem Schuldbekenntnis des Jahres 2000 die Verfehlungen
seiner päpstlichen Vorgänger verschweigt, wiewohl diese, wie
wir sahen, für das west-östliche Schisma und die Reformation,
für die Kreuzzüge und für die Inquisition, für
Häretikerverfolgung und Hexenverbrennung die
Hauptverantwortung tragen. Unverständlich ist vor allem das
Verschweigen des Schweigens Pius' XII. zum Holocaust. Nicht
einmal an der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem bringt der
Papst im März 2000 bei aller Klage über Judenverfolgung und
Antisemitismus »durch Christen wann und wo auch immer« ein
klares Schuldbekenntnis bezüglich der kirchlichen Institution,
des Vatikans und Pius' XII. über die Lippen. Vielmehr möchte
er diesen Papst selig sprechen wie auch dessen Vorgänger Pius
IX., der rücksichtslos gegen die Juden vorging, ihre Freiheiten
einengte, 1850 (!) die Mauer des jüdischen Gettos in Rom
wieder errichten ließ und sogar billigte, dass 1858 in Bologna
das sechsjährige jüdische Kind Edgaro Mortara, von einer
katholischen Magd heimlich katholisch getauft, von der
päpstlichen Polizei seinen Eltern entrissen, nach Rom entführt
und trotz weltweiter Proteste (Intervention Napoleons III. und
Kaiser Franz Josefs) unerbittlich katholisch erzogen, ja, nach
Jahren sogar noch zum Priester geweiht wurde. Erst nach dem
Einmarsch der italienischen Befreiungsarmeen konnten endlich
die Mauern des römischen Gettos fallen, aber der
Entgettoisierung der Juden folgt die Selbstgettoisierung des
Papsttums.
Immer wieder aber hat man sich gefragt, wie derselbe
hierokratische Pius XII. (1939-58), letzter unangefochtener
Vertreter des mittelalterlichen gegenreformatorisch-antimodernistischen
Paradigmas, der noch nach dem Zweiten
Weltkrieg (1950) ganz auf der Linie Pius' IX. höchst forsch
vorgeht bei der Definition eines zweiten »unfehlbaren«
Mariendogmas (Marias leibliche Aufnahme in den Himmel),
beim gleichzeitigen Verbot der französischen Arbeiterpriester
und bei der Absetzung der bedeutendsten Theologen seiner Zeit,
wie derselbe Papst von Anfang an einer öffentlichen
Verurteilung von Nationalsozialismus und Antisemitismus
widerstrebt.
Um dies zu verstehen, muss man wissen: Dieser
ausgesprochen germanophile und vor allem juristisch-diplomatisch
und nicht theologischevangelisch denkende
Kirchendiplomat ohne Seelsorgeerfahrung agiert statt
pastoralmenschenbezogen stets kurialinstitutionsfixiert. Seit
seinem Schockerlebnis als junger Nuntius in München
(»Räterepublik«, 1918) von körperlicher Berührungsangst und
Kommunismusfurcht besessen, ist er zutiefst autoritär und
antidemokratisch eingestellt (»Führer-Katholizismus«) und so
für eine pragmatischantikommunistische Allianz mit dem
totalitären Nazismus (aber auch mit den faschistischen Regimen
in Italien, Spanien und Portugal) geradezu prädisponiert. Dem
Berufsdiplomaten Pacelli, dem man gute Intentionen nicht
absprechen sollte, geht es stets um Freiheit und Macht der
Institution Kirche (Kurie, Hierarchie, Körperschaften, Schulen,
Vereine, Hirtenbriefe, freie Religionsausübung);
»Menschenrechte« und »Demokratie« bleiben ihm sein ganzes
Leben lang zutiefst fremd.
Und was die Juden betrifft: Für ihn, den Römer, ist Rom und
immer wieder Rom das neue Zion, Zentrum von Kirche und
Welt. Nie zeigt er für Juden irgendwelche persönliche
Sympathie, vielmehr sieht er in ihnen das Gottesmörder-Volk.
Als triumphalistischer Vertreter einer Rom-Ideologie betrachtet
er Christus als einen Römer und Jerusalem als abgelöst von
Rom. Von Anfang an ist er so wie die gesamte römische Kurie
gegen die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina.
Gewiss befindet sich dieser alle Welt beeindruckende
Kirchenmonarch angesichts des Nationalsozialismus und des
Judentums in einem Gewissenskonflikt. Aber nicht vergessen
werden darf, dass Pacelli schon 1931 (!) den katholischen
Reichskanzler Brüning zur Koalition mit den Nationalsozialisten
drängt (und nach dessen Weigerung mit ihm bricht) und ohne
Not schon am 20. Juli 1933 mit dem na zistischen Regime jenes
unglückselige »Reichskonkordat« abschließt: der erste
internationale Vertrag mit dem nur wenige Monate zuvor an die
Macht gekommenen »Führer«, der diesem außenpolitisch
Anerkennung und innenpolitisch Integration der Katholiken und
ihres widerstrebenden Episkopats und Klerus in das nazistische
System beschert. Pacelli ist sich (wie manche in der Kurie) der
Affinität bewusst zwischen seinem eigenen autoritären, das
heißt antiprotestantischantiliberalantisozialistischantimodernen
Kirchenverständnis und einem autoritären, das heißt
faschistischnazistischen Staatsverständnis: »Einheit«,
»Ordnung«, »Disziplin« und »Führerprinzip« wie auf der
übernatürlichkirchlichen so auch auf der natürlichstaatlichen
Ebene!
Pacelli, Diplomatie und Konkordate ohnehin maßlos
überschätzend, kennt im Grunde nur zwei politische Ziele:
Kampf gegen den Kommunismus und Kampf für die Erhaltung
der Institution Kirche; die leidige Judenfrage ist für ihn eine
quantité négligeable. Gewiss hat er sich anders als viele im
Westen in Stalin nicht getäuscht. Und gewiss hat er sich als
Papst mit diplomatischen Demarchen und karitativen Hilfen
besonders gegen Kriegsende für die Rettung einzelner Juden
oder Gruppen von Juden, vor allem in Italien und Rom,
eingesetzt. In zwei Ansprachen 1942/43 hat er kurz, allgemein
und abstrakt das Schicksal der »unglücklichen Leute« beklagt,
die um ihrer Rasse willen verfolgt würden. Aber nie nimmt
dieser Papst das Wort »Jude« öffentlich in den Mund, wie ja
auch die von ihm mitverantwortete antinazistische Enzyklika
»Mit brennender Sorge« (1937) kein einziges Mal das Wort
»Jude« oder »Rasse« erwähnt. Und wie Pacelli nicht gegen die
Nürnberger Rassengesetze (1935) und das Reichspogrom der so
genannten »Kristallnacht« (1938) protestiert, so auch nicht
gegen den italienischen Überfall auf Äthiopien (1936) und
Albanien (am Karfreitag 1939) und so schließlich auch nicht
gegen die Auslösung des Zweiten Weltkriegs durch die
nazistischen Verbrecher mit dem Überfall auf Polen am 1.
September 1939.
Wäre ein Protest nutzlos gewesen? Der spätere Bundeskanzler
Konrad Adenauer war jedenfalls völlig anderer Meinung. Schon
der öffentliche Protest eines einzigen deutschen Bischofs (Galen
von Münster, 1941) gegen Hitlers monströses
»Euthanasieprogramm« zeigt (wiewohl die Bischofskonferenz
schweigt) breite öffentliche Wirkung, und die lutherischen
Bischöfe Dänemarks sind mit ihrem öffentlichen Eintreten für
die Juden durchaus erfolgreich. Aber Pius XII. lässt die
katholischen Bischöfe der Niederlande, die sich ebenfalls für die
Juden einsetzen, im Stich. Er, der sich sonst in tausenden von
Ansprachen zu allen möglichen Themen äußert, vermeidet
jeglichen öffentlichen Protest gegen den Antisemitismus, auch
die Kündigung des von den Nazis doch von Anfang an ständig
missachteten Konkordats. Er, der nach dem Krieg auf Grund der
innenpolitischen Lage Italiens alle kommunistischen
Parteimitglieder der ganzen Welt exkommunizieren wird, denkt
nicht im Geringsten an die Exkommunikation der »Katholiken«
Hitler, Himmler, Goebbels und Bormann (Göring, Eichmann
und andere waren nominell Protestanten). Pius schweigt zu den
notorischen deutschen Kriegsverbrechen überall in Europa, ja,
schweigt schließlich, wiewohl seit 1942 über den Berner
Nuntius und italienische Militärpfarrer in Russland bestens
informiert und selbst von seiner deutschen Vertrauten Sr.
Pasqualina bestürmt, auch zum Holocaust, dem größten
Massenmord aller Zeiten.
Dieses Schweigen zum Holocaust ist mehr als ein politisches,
es ist ein moralisches Versagen: das Verweigern eines
moralischen Protestes ohne Rücksicht auf politische
Opportunitäten, und zwar durch einen Christen, der den (zwar
erst seit dem Mittelalter üblichen) Titel eines »Stellvertreters
nicht nur Petri, sondern Christi« meint tragen zu dürfen und der
seine Fehler nach dem Krieg verdrängt, durch autoritäre
Maßregelungen innerkatholischer Abweichler kompensiert und
dem jungen demokratischen Staat Israel bis zu seinem Tod die
diplomatische Anerkennung verweigert. »Ein christliches
Trauerspiel« - dieser Untertitel zu Rolf Hochhuths Drama »Der
Stellvertreter« ist nicht unberechtigt.
Pius' XII. Heiligsprechung aber wäre wie die Pius' IX. - des
Feindes von Juden, Protestanten, Menschenrechten,
Religionsfreiheit, Demokratie, moderner Kultur! - eine
vatikanische Farce und eine Desavouierung allerneuester
päpstlicher Schuldbekenntnisse. »Nein, ein Heiliger ist er
nicht«, sagte uns im Collegium Germanicum von Pius XII.
selbst sein getreuer Privatsekretär P. Robert Leiber SJ noch zu
des Papstes Lebzeiten, »Nein, ein Heiliger ist er nicht, aber ein
großer Mann der Kirche«.
»Was verbirgt sich hinter dem Wunsch eines Papstes, andere
Päpste zu kanonisieren?«, fragt in einer Stellungnahme die
Internationale Zeitschrift für Theologie CONCILIUM (Juli
2000), »Ist diese Kampagne auf eine Stärkung päpstlicher
Autorität ausgerichtet oder als Versuch zu verstehen, den
wichtigen Akt der Erkenntnis von Heiligkeit nun zur
Absicherung ideologischer Ziele zu missbrauchen?«
Dass die Situation des Papsttums in Bezug auf das Judentum
nicht ganz so erbärmlich aussieht, verdankt es einem anderen:
dem am 28. Oktober 1958 gewählten Nachfolger Pius' XII.,
Angelo Giuseppe Roncalli. Dieser wird als Johannes XXIII., mit
seinen 77 Jahren eigentlich als ein »Übergangspapst«
angesehen, zum Papst eines epochalen Übergangs
(»Paradigmenwechsels«), der die katholische Kirche aus ihrer
inneren Erstarrung löst.
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Jetzt Deschner:
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Leistete die Kirche Geburtshilfe für den Faschismus?
»Gleiche Klientel, gleiche Symptome« könnte ein Merkspruch über das
Verhältnis von Klerikalismus und Faschismus lauten. Er wäre
historisch belegt. Alle faschistischen Regimes wurden mit intensiver
Unterstützung des Papsttums an die Macht gebracht. Gleich und
gleich gesellte sich da allzugern. Italiens Mussolini und Spaniens
Franco sind von Katholikenmassen gestützt worden (von wem
eigentlich sonst?). Zwar hatte Benito Mussolini, Verfasser von »Es
gibt keinen Gott« und »Die Mä-
tresse des Kardinals«, noch 1920 religiöse Menschen als Kranke
bezeichnet und auf die Dogmen gespuckt. Doch schon im Jahr darauf
rühmte er den Vatikan und dessen Reich derart, daß Kardinal Ratti -
ein Jahr vor seiner Wahl zum Papst Pius XI. -entzückt ausrief:
»Mussolini ist ein wundervoller Mann. Hören Sie mich? Ein
wundervoller Mann!«
Papst und Duce kamen aus Mailand. Beide haßten Kommunisten,
Liberale, Sozialisten. Mussolini rettete zudem den »Banco di
Roma«, dem die Kurie hohe Summen anvertraut hatte, vor dem
Bankrott, indem er öffentliche Gelder lockermachte. Worauf der
oberste Faschist vom Dekan des Kardinalskollegrums als »auserwählt
zur Rettung der Nation« gerühmt wurde. Und auch Pius XI. (1922-1939)
förderte natürlich den Diktator Italiens: Er protestierte nicht, als
Geistliche von Faschisten getötet wurden. Er hielt den Mund, als
Kommunisten und Sozialisten ermordet wurden. Er sprach am 20.
Dezember 1926 die wegweisenden Worte: »Mussolini wurde uns von
der Vorsehung gesandt.« Drei Jahre später schlössen Klerikale und
Faschisten die Lateranverträge, die den einen eine Millionenrente für
das Reich einbrachten, das nicht von dieser Welt war, den anderen den
päpstlichen Segen und die öffentliche Anerkennung. Der
Katholizismus wurde Staatsreligion in Italien. Der Faschismus
übernahm die politische Leitung. Beide Ideologien verstanden sich
prächtig, ihre Ziele gingen Hand in Hand, Klientel und Symptome
waren oder wurden dieselben.
In Italien bestanden damals die Bücher der Grundschulen zu einem
Drittel aus »Katechismus«-Stücken und Gebeten, zu zwei Dritteln
aus Verherrlichungen des Faschismus und des Krieges. Beide Reiche
stammten wieder von dieser Welt. Nachdem Mussolini Abessinien in
einem »gerechten Verteidigungs krieg« (katholische Meinung)
niedergeworfen hatte, nachdem sich eine Munitionsfabrik in
vatikanischem Besitz als einer der wichtigsten Kriegslieferanten
bewährt und der Kardinal von Mailand den Krieg als
»Evangelisationsfeldzug« gerühmt hatte,
feierte der katholische Klerus den »wundervollen Duce« gemeinsam als
Führer des »neuen Römischen Reichs, das Christi Kreuz in alle Welt
tragen wird«. Mein Reich ist nicht von dieser Welt?
In Spanien, einem seit Jahrhunderten von klerikalen Macht- habern
finanziell und geistig ausgepowerten Land, forderten die Bischöfe
schon 1933 - das Jahr ist kein Zufall — ebenso wie der Papst einen
»heiligen Kreuzzug für die Wiederherstellung der kirchlichen Rechte«.
Francos Putsch gegen die legale Regierung begann denn auch mit dem
Segen der Prälaten. Nur einen Verteidigungsfeldzug wollten Frankisten
und Klerikale führen. Gegen den gottlosen Kommunismus. Gegen ein
Volk, das nicht ganz so wollte wie sie selbst. Als erste ausländische
Flagge wehte über Francos Hauptquartier die des Papstes, und über
dem Vatikan wurde bald die des Caudillo gehißt. Pius XI. wußte,
wie sehr sein Reich von dieser Welt war, als er mitten im Bürgerkrieg
dem Faschistengeneral Franco ein Huldigungstelegramm schickte, bei
dem er »den angestammten Geist des katholischen Spanien
pulsieren« fühlte. Im Sommer 1938 lehnte es derselbe Papst ab, sich
der Bitte Englands und Frankreichs anzuschließen und gegen die
Bombardierung der republikanischen Zivilbevölkerung zu protestieren.
Als Franco schließlich mit Hilfe aus Berlin und Rom über das
spanische Volk gesiegt hatte, beglückwünschte ihn der neue
Papst, Pius XII., am 1. April 1939: »Indem Wir Unser Herz zu Gott
erheben, freuen Wir Uns mit Ew. Exzellenz über den von der
katholischen Kirche so ersehnten Sieg.... Wir hegen die Hoffnung«,
schrieb der Papst weiter, »daß Ihr Land nach der Wiedererlangung des
Friedens mit neuer Energie die alten christlichen Traditionen
wiederaufnimmt!« Er hatte nicht vergebens gehofft: Franco ließ in den
folgenden Jahren mehr als 200000 Andersdenkende erschießen.
Auch in der deutschen Kirchengeschichte ist erwiesen, daß die
Bischöfe — gelegen oder ungelegen, im Verein mit dem
Vatikan und dessen Chef, Papst Pius XII. - Hitler mit aufgebaut und
fast bis zuletzt gestützt haben. Die vielen Versuche einer
Mohrenwäsche versagen vor den Fakten. Das Ermächtigungsgesetz
vom 24. März 1933 (vorher schon waren die bürgerlichen
Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt) wurde mit
den die Mehrheit beschaffenden Stimmen der klerikal geführten
Katholikenpartei (»Zentrum«) beschlossen. Und ihre Zustimmung war
an die Zusage Hitlers gebunden, über den Abschluß eines
Reichskonkordats zu verhandeln. Am 10. April, inmitten von
Boykottbefehlen und Pogromen gegen Juden, ist Hitlers Paladin
Göring im Vatikan empfangen worden, um Deutschland zu seinem
neuen Führer beglückwünschen zu lassen. Am 3. Juni 1933, als schon
Tausende von Katholiken verhaftet sind, schreiben die Bischöfe: »Wir
wollen dem Staat um keinen Preis die Kräfte der Kirche entziehen.«
Am 20. Juli 1933 wird das Reichskonkordat unterzeichnet. Es enthält
nicht nur finanzielle Zusagen, die das Dritte Reich der katholischen
Kirche macht, sondern auch ein geheimes Zusatzprotokoll, das eine
Wiederaufrüstung Deutschlands absegnet. Es gilt noch heute.
Das Reichskonkordat wurde mit Festgottesdiensten gefeiert, wobei
das neu begründete Verhältnis von Staat und Kirche auch liturgisch
zum Ausdruck kam: Bischöfe stimmten das Tedeum an,
nationalsozialistische Geistliche hielten vor angetretener SA und SS
Festpredigten, Sturmfahnen der SA nahmen am Altar Aufstellung,
SA-Kapellen spielten Kirchenmusik. Alles jubelt, und wer nicht
jubeln kann, sitzt bereits im KZ. Papst Pius XI. läßt sich von seinem
Kardinal und Widerständler Faulhaber als den »besten, am Anfang
sogar einzigen Freund des neuen Reiches« rühmen. Und die deutschen
Bischöfe ordnen dies Konkordat am 20. August 1935 richtig ein: Der
Heilige Vater hat, so bescheinigen sie Hitler, »das moralische Ansehen
Ihrer Person und Ihrer Regierung in einzigartiger Weise begründet und
gehoben«. Noch 1937, als der Oberhirte Faulhaber
bereits wußte, was Hitler seit 1933 getan hatte, sagte er zum Thema:
»Zu einer Zeit, da die Oberhäupter der Weltreiche in kühler Reserve
und mehr oder minder voll Mißtrauen dem neuen Deutschen Reich
gegenüberstehen, hat die katholische Kirche, die höchste sittliche Macht
auf Erden, mit dem Konkordat der neuen deutschen Regierung ihr
Vertrauen ausgesprochen. Für das Ansehen der neuen Regierung im
Ausland war das eine Tat von unschätzbarer Tragweite.«
Papst Pius XII., der Oberste Oberhirte seiner Kirche und der
Meisterdiplomat der deutschen Konkordatsära, schwärmt nach der
Besetzung der Tschechoslowakei, er liebe Deutschland »jetzt noch
viel mehr«. Nach dem Überfall auf Polen wiederholt er diesen
Liebesschwur gegenüber seinen besten Finanziers. Und sein
»Osservatore Romano« schreibt, um die Kriegsschuldfrage von
vornherein richtig zu beantworten: »Zwei zivilisierte Völker beginnen
einen Krieg«. Als England und Frankreich darauf bestehen, die Kurie
möge Hitler zum Angreifer erklären, lehnt Pius XII. ab. Noch im
November 1943, mitten in Hitlers hochverbrecherischem
Angriffs krieg, beteuert der Papst, seine »ganz besondere Sorge« gelte
»dem jetzt so schwergeprüften deutschen Volke vor allen anderen
Nationen«. Und die Erzdiözese Freiburg hatte schon in den ersten 15
Kriegsmonaten über 1,3 Millionen Reichsmark an
»Kriegshilfeleistungen« erbracht. Kein Wunder, verfaßte doch
Oberhirte Gröber, selbst Förderndes Mitglied der SS, in dieser Zeit
nicht weniger als 17 Hirtenbriefe, die allesamt zur Opferbereitschaft
aufriefen.
Widerstand? Widerstandskämpfer unter den Bischöfen? Von den
26000 deutschen Klerikern saß ein Prozent in Dachau, darunter kein
einziger Bischof — weder Faulhaber aus München noch Galen aus
Münster. Als Hitler sich über Teilbestimmungen des Reichskonkordats
hinwegsetzt, beklagen Bischöfe und Papst nur die eigene
Benachteiligung. Der Historiker Hans Müller sieht in der
Verteidigung der katholischen Institution
»den ersten und beinahe einzigen Ansatzpunkt katholischen
Widerstands«. Der deutsche Katholizismus war nahezu aus schließlich
an der Erhaltung seiner Rechte, Freiheiten und Organisationen
interessiert. Dagegen ignorierte er das Unrecht, den Terror, den Mord,
die Vergewaltigung des Menschen. So beklagt Bischof Galen am 26.
Mai 1941 in einem Brief an seinen Kollegen Berning zwar ausführlich
die Einschränkung kirchlicher Rechte. Von der Verfolgung, die über
Nichtkatholiken hereingebrochen war, spricht er aber mit keinem Wort.
Äußerungen gegen die Jagd auf Juden sind von Galen nicht
bekanntgeworden. Juden waren für die deutschen Bischöfe ein »uns in
kirchlicher Hinsicht nicht nahestehender Interessenkreis«. Freiburgs
Erzbischof Gröber schreibt 1937, der Bolschewismus, gegen den Hitler
rüstete, sei ein »asiatischer Despotismus im Dienste einer Gruppe von
Terroristen, angeführt von Juden«. Bischof Gföllner von Linz meinte
schon 1933, kurz vor Hitlers Machtübernahme, es sei strenge
Gewissenspflicht eines jeden Christen, »das entartete Judentum« zu
bekämpfen, welches im »Bunde mit der Weltfreimaurerei... der
Begründer und Apostel des Bolschewismus« sei. Galen selbst schreibt
in seinem Glückwunsch zum Überfall Hitlers auf die Sowjetunion von
der »jüdisch-bolschewistischen Machthaberschaft von Moskau«, die
nun gestoppt werde. Wie groß war hier noch der Abstand zur
mörderischen Nazi-Formel von der »jüdischen Weltverschwörung«?
Nie protestieren diese Bischöfe gegen die Aufhebung der
demokratischen Grundrechte aller Deutschen, nie gegen die Beseitigung
von Liberalen, Demokraten und Kommunisten, nie gegen den
Antisemitismus und seine verbrecherischen Taten an Millionen. Kein
einziger Hirtenbrief, lobt sich 1936 ein deutscher Kardinal, hat je den
Staat, die Bewegung oder den Führer kritisiert. In Spanien ist, so Galen,
der gottlose Bolschewismus »mit Gottes und Hitlers Hilfe besiegt
worden«.
Freilich, hinterher standen sie alle wieder auf der Seite der
Sieger. Kein einziger Hirte wollte es nun gewesen sein. Vielmehr
prangern im Juli 1951 Kleriker jene Katholiken als jämmerliche
Versager an, »die sich durch den totalitären Staat täuschen ließen« und
»in friedfertiger Gesinnung eine politisch verhängnisvolle
Kompromißbereitschaft« zeigten. Die Sündenböcke sind gefunden. Die
Tendenz, alle Schuld auf die Nazis abzuschieben und auf deren
Mitläufer, soll das eigene Versagen (nicht nur Mitläufer gewesen zu
sein) kaschieren. Dokumente werden gereinigt, klerikal bestimmte
Kirchenhistoriker dürfen wesentliche Dinge übergehen und
unwesentliche in aller Breite schildern. Ein aktuelles bundesdeutsches
Lexikon teilt unter dem Stichwort »Faulhaber, Michael von« mit, der
Kardinal sei »schon vor 1933 entschiedener Gegner des
Nationalsozialismus« gewesen. Doch diese Widerstandslüge ist nichts
Besonderes. Sie ist allen - zufällig am 8. Mai 1945 - vom Faschismus
bekehrten katholischen Bischöfen zu eigen. Ihr Reich war nie von
dieser Welt. Kardinal von Galen hat im Sommer 1945 selbst ein
Parteiprogramm für eine neue, christlich orientierte Volkspartei
entworfen. Von nun an wird an der Lebenslüge des deutschen
Nachkriegskatholizismus vom angeblichen Widerstand gestrickt.
Kleriker müssen fortan dementieren, ja entrüstet zurückweisen, daß
sie Hitlers Geld nahmen. Sie müssen verdrängen, daß ihr Papst zu
lange auf die falsche weltanschauliche Karte gesetzt hatte und erst
umgeschwenkt war, nachdem sich eine militärische Niederlage der
Deutschen abzeichnete. Sie müssen ihre eigenen Worte desavouieren.
Nie sagten sie, was schwarz auf weiß geschrieben steht. Kein einziger
deutscher Bischof aber war als Häftling in einem Hitler-KZ. Bischof
Berning hat sogar einige KZs besucht, hat die Lagereinrichtungen, die
Wachen gelobt, die Häftlinge zu Gehorsam und Treue gegen Volk und
Führer ermahnt und seine Predigt mit einem dreifachen »Sieg Heil«
beschlossen.
Lob für die Bischöfe kam von Hitlers Scherge Heydrich.
Dieser rühmte den Hirtenbrief des Ermländer Bischofs Kalier, der
noch 1941 versichert hatte: »Gerade als gläubige, von der Liebe
Gottes durchglühte Christen stehen wir treu zu unserem Führer, der
mit sicherer Hand die Geschicke unseres Volkes leitet.« Auch Bischof
von Galen stand nie zurück. Schon am Tag seiner Bischofsweihe (28.
Oktober 1933) predigte er: »Wir wollen Gott dem Herrn für seine
liebevolle Führung dankbar sein, welche die höchsten Führer unseres
Vaterlandes erleuchtet und gestärkt hat, daß sie die furchtbare Gefahr,
welche unserem geliebten deutschen Volke durch die offene
Propaganda für Gottlosigkeit und Unsittlichkeit drohte, erkannt haben
und sie auch mit starker Hand auszurotten suchen.« Die starke Hand?
Die Ausrottung? Die Legitimation Hitlers durch den Bischof? Dieser
Widerständler kannte seine wirklichen Feinde. Sie hörten nicht auf den
Namen Nationalsozialisten. Sie waren unter den Kommunisten, diesen
»vertierten Bestien« (Galen 1945). Schon das Wort »Demokratie« war
ihm peinlich. Als im Herbst 1941 eine Fälschung zirkuliert, nach der er
zum passiven Widerstand gegen Hitler aufgerufen haben soll, läßt
der »Löwe von Münster« das Schriftstück, »dessen Tendenz zu seiner
Gesinnung und Haltung in schroffem Widerspruch steht«, ener gisch
dementieren.
Wer wirklich Widerstand leistete? Zum Beispiel der katholische
Pfarrer Dr. Max Joseph Metzger, der wegen seiner
Friedensbemühungen im Jahr 1944 hingerichtet wurde. Sein eigener
Bischof, das SS-Mitglied Gröber aus Freiburg, hatte sich von Metzger
und dessen »Verbrechen« in einem Brief an den Präsidenten des
Volksgerichtshofs Freisler distanziert. Diesem, nicht seinem Pfarrer,
bekundete er in diesem Brief »hohe Wertschätzung und Verehrung«.
Und selbst die Bekehrung des 8. Mai 1945 bewirkte bei Erzbischof
Gröber nichts: Als sich die elf Priester seiner Erzdiözese, die das KZ
überlebt hatten, 1946 trafen, verweigerte er ihnen seinen Besuch und
untersagte, das Treffen in Offenburg öffentlich zu machen. Die Lage
des offi-
ziellen Kirchenchristentums war damals so heikel, daß »nur ein
gigantisches Verdeckungsmanöver« (der Historiker Friedrich Heer) das
Gesicht der Bischöfe retten konnte. Im Schatten der Ruinen entstand
dann jenes mächtige Gebäude der Lebenslüge vom Widerstand - und
bald schon wurden die Bischöfe, die eben noch so schlimm versagt
hatten wie ihr Papst, zu Garanten der neuen Werte (und entsprechend
honoriert). Ein Beispiel für viele: München benennt eine Straße an
zentraler Stelle nach Kardinal Faulhaber. Sie ist nicht weit von der
Pacelli-Straße entfernt (die Pius XII. ehrt). Beide Straßen liegen nahe
am Platz der Opfer des Nationalsozialismus.
Hat die Kirche Hitler zuwenig versprochen?
Mein Reich ist nicht von dieser Welt? Hitler konnte 1940 dem Papst
sagen lassen, der nationalsozialistische Staat verwende jährlich eine
Milliarde Reichsmark zugunsten der katholischen Kirche, »eine
Leistung, deren sich kein anderer Staat rühmen könne«. Hitler sagte
die Wahrheit, und kein Papst widersprach. Vielmehr hatte sich der
Vatikan bereits 1933, als Hitler seine Maske schon abgelegt hatte,
bereit gefunden, seine Bischöfe künftig schwören zu lassen, »die
verfassungsmäßig gebildete Regierung zu achten und von meinem
Klerus achten zu lassen« (Artikel 16). Die deutschen Bischöfe, nach
Friedrich Heer »Söhne jenes autoritären Klerokratismus, der auf dem
Ersten Vatikanischen Konzil 1870 triumphiert hat«, waren
vertragstreu. Der Nationalsozialismus hatte sich ihnen, den
Hochklerikalen, präsentiert als einziger Kämpfer gegen Liberalismus,
Bolschewismus und Demokratie. Diese Bischöfe haben geschworen,
geachtet und achten lassen. Auch war ein eigenes »Gebet für das
Wohlergehen des Deutschen Reiches und Volkes« zugesagt worden
(Artikel 30), das an allen Sonntagen in allen Kirchen »eingelegt«
werden mußte. Ob sich dieses Kon-kordats-Gebet ausgezahlt hat, ist
dem Urteil anderer zu über-
lassen. Die Bischöfe waren vertragstreu. Sie haben gebetet — und
beten lassen. Im Gegenzug hatte Hitler zugesagt, den Gebrauch
geistlicher Kleidung durch Laien »mit den gleichen Strafen wie den
Mißbrauch der militärischen Uniform« zu belegen (Artikel 10). Da
muß nichts erfunden werden. Dies ist keine Satire, sondern geltendes
deutsches Recht. Bischofs- und Generalsmütze, Meßgewand und
Ausgehuniform, Barett und Käppi sind bei uns strafrechtlich
gleichermaßen geschützt. Jede Elite hat sich ihre Rechte gesichert:
Während das Militär seine Uniform gegen die Nichtsoldaten abschirmt,
schützt der Klerus seinen Talar gegen jene Laien, die ihn bezahlen. Die
deutschen Bischöfe waren vertragstreu. Sie haben ihre »Uniform«
geschützt - und schützen lassen.
Das Reichskonkordat hatte auch das Amt des Nuntius garantiert,
»um die guten Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem
Deutschen Reich zu pflegen« (Artikel 3). Pacelli wußte, wovon er
sprach - und Hitler auch. Die deutschen Bischöfe waren vertragstreu.
Sie haben die guten Beziehungen zwischen dem Dritten Deutschen
Reich und dem Heiligen Stuhl gepflegt - und pflegen lassen. So weit
ein kleiner Exkurs über die Inhalte jener Abmachungen, die Vatikan
und Diktatur getroffen haben, um die guten Beziehungen
untereinander zu pflegen. Jeder Bischof der Bundesrepublik ist auf
diese Normen verpflichtet. Kein einziger von ihnen hat sich je
darangemacht, diese Abmachungen mit Hitler zu beseitigen.
Vielmehr erscheint es jedem Bischof noch heute wichtiger, die im
Hitler-Konkordat festgelegten Privilegien zu wahren. Privilegien
freilich nicht der Schafe, sondern der Hirten: die Befreiung der
geistlichen Amtseinkommen von der Zwangsvollstreckung (Artikel 8)
beispielsweise. Oder der Schutz der Kleriker vor Beleidigung ihrer
Person oder ihres Amtes (Artikel 5). Oder die Zusage des Artikels 13,
die allem klerikalen Besitz und Vermö gen besonderen Rechtsschutz
sichert. Oder die Garantie des Artikels 17, daß »aus keinem irgendwie
gearteten Grunde« ein
»Abbruch von gottesdienstlichen Gebäuden« erfolgen dürfe. Oder die
Zusage an den Nuntius des Papstes, grundsätzlich der »Doyen«
(Sprecher) des Diplomatischen Korps sein zu dürfen (Schlußprotokoll).
Oder - und dies vor allem - Hitlers Garantie der Kirchensteuer
(Schlußprotokoll). Die deutschen Bischöfe sind vertragstreu. Sie
rühren sich keinen Millimeter, um ihre Privilegien aufzugeben. Sie
haben nicht den geringsten Grund dazu. Ihr Reich ist nicht von dieser
Welt.
Die katholische Amtskirche leistete dem NS-Regime zu keiner Zeit
Widerstand, wie dies einzelne Christen oder die Kommunisten getan
haben. Diese Kirche ist nicht, wie viele Intellektuelle, ins innere Exil
gegangen. Sie hat sich nicht einmal angepaßt, um als harmlose
»Mitläuferin« möglichst ungeschoren davonzukommen. Sie hat mit den
Nazis um die Macht über Köpfe und Herzen der Menschen konkurriert.
Sie hat sich dabei der gleichen Argumente und der gleichen
demagogischen Sprache bedient. Sie hat sich selbst gleichgeschaltet,
um sich für die Nazis unverzichtbar zu machen. Als dann alles anders
kam als erhofft, ist es ihr gelungen, mit dem Hinweis auf ihren
»Widerstand« das Bild einer integren, von der NS-Ideologie
unbefleckten Kirche zu zeichnen - und sich (wie die Richter-,
Offiziersund Industriellenkaste) vor jeder wirklichen Entnazifizierung
zu retten. War ihr Reich zwischen 1933 und 1945 durchaus von dieser
Welt, so war es nach 1945 für kurze Zeit wieder jenseitig. Bis es ihr
gelang, in der entstehenden Bundesrepublik das Reich wieder in dieser
Welt aufzurichten. Bischof Simon Konrad Lan-dersdorfer aus
Regensburg, dessen Klerusblatt sich besonders für Hitler und dessen
Kriege engagiert hatte, sagte 1958 in seiner Jahresschlußpredigt, die
Sünden der Menschheit seien bereits wieder so groß, daß Gott wohl
einen Dritten Weltkrieg verhängen werde. Der Oberhirte, bequem
eingebettet in die postfaschistische katholische Gesellschaft seiner Tage
und entsprechend dotiert, blickte nach Osten.
Noch ist es nicht soweit. Dafür hilft »Partner Staat« kräftig
wie immer mit, das »Reich« auf Erden zu etablieren. Ein winziges
Beispiel: die Ausgabenpolitik der Bundespost. Auch wenn man es
kaum glaubt, die Briefmarke ist in Deutschland — im Gegensatz zu den
USA und der Schweiz, die jede kirchliche und religiöse Aussage streng
vermeiden - Trägerin weltanschaulicher Werbung. Zwischen 1949 und
1985 trugen 12,6 Prozent der Sondermarken kirchliche oder religiöse
Motive, aber nur 1,4 Prozent waren der Gewerkschafts- oder
Arbeiterbewegung gewidmet. Allein für die Kirchentage wurden 16
Sondermarken ausgegeben, mehr als für alle Marken mit
gewerkschaftsnaher Aussage zusammen. Die Gesamtauflage der
bundesdeutschen Luther-Sondermarken betrug 2,561 Milliarden
Exemplare, auch dies eine kostenlose Propaganda eines Staates für
eine Großkirche, auch dies eine auf keine andere gesellschaftliche
Gruppe der Republik zu übertragende Privilegierung.
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