-->Als die Notenpresse rotierte
Vor fünf Jahren versanken die Staatsfinanzen im Chaos
MDZ 05-03-2003
Notiert von Alexander Dedul
Ein halbes Jahr ist es nun her, dass Russlands Staatsfinanzen kollabierten, der Rubelkurs in die Knie ging und Moskau seine Verschuldung kaum noch in den Griff zu kriegen schien. Eine wesentliche Rolle beim Zusammenbruch spielte der Internationale Währungsfonds (IWF), wie Jewgenij Gawrilenko, Chefökonom beim Investitionshaus Trojka-Dialog, darstellt.
Zwischen Juli 1992 und 1996 bekam Russland vom IWF über 6,8 Milliarden Dollar überwiesen. Bedingung für die Auszahlung war, die Inflationsrate zu senken, einen Rubelkurs im Rahmen festgelegter Grenzen einzuführen und auf die Budgetdefizitdeckung durch Kredite der Zentralbank zu verzichten. Als Gegenleistung boten die IWF-Experten an, in Russland einen Markt für staatliche Anleihen zu organisieren. Schnell hatte die Zentralbank mit der Emission von Staatspapieren begonnen.
Diese Politik trug zu einer gewissen Finanzstabilität bei. Mit den eingenommenen Geldern konnte die nach der Liberalisierung von 1992 galoppierende Preiserhöhung gestoppt werden. Die Inflationsrate sank auf moderate Werte von 21,8 Prozent (1996) und 11 Prozent (1997). Doch die Politik des Währungsfonds berücksichtigte nicht die Disproportionen der russischen Wirtschaft. So wurde zur Stärkung des Rubelkurses eine strenge Geldpolitik empfohlen, die sich die Regierung nicht erlauben konnte.
Da die Haushaltslöcher durch so genannte „Nichtinflationsquellen“, also durch die Ausgabe von kurzfristigen Staatsanleihen (GKOs) gestopft wurden, war der Effekt zunächst positiv: Die Preissteigerung ging zurück, denn auch das Geldangebot reduzierte sich stark. Doch der Umfang der herausgegebenen Obligationen nahm derart zu, dass er zum Jahresende 1997 den Umfang der Geldmenge übertroffen hatte. Das schnelle Wachstum der Geldsurrogate entstand, weil bei Geldmangel die Zinssätze in die Höhe schießen. Deswegen stiegen die Budgetausgaben zur Begleichung der Inlandsschulden. 1997 überstieg der Schuldenstand bereits die kritischen Werte einer Reihe von Parametern (zum Beispiel beim Verhältnis der kurzfristigen Schulden zu den Devisenreserven). So erreichte Russland das Niveau von Thailand oder Indonesien, die zu diesem Zeitpunkt die Währungs- und Finanzkrise bereits hinter sich hatten.
Ausländisches Kapital wanderte vom russischen Markt der GKOs ab, die Devisenreserven verringerten sich und die Zinssätze kletterten auf über 100 Prozent, die Ausgaben zur Bedienung der Obligationen lagen teilweise über den Einnahmen des Staatshaushalts. Gleichzeitig verringerten sich die Steuereinnahmen stark, weil der GKO-Markt immer mehr Finanzressourcen verschlang und damit den Unternehmenssektor ruinierte.
Der IWF sah eine Zuspitzung der Finanzkrise und beschloss im Juli 1998, Russland einen Stabilisierungskredit zu gewähren, wenn die Staatsausgaben reduziert werden. Nachdem das Finanzprogramm gebilligt worden war, wurde ein Stand-by-Kredit in Höhe von 4,5 Milliarden Dollar bereitgestellt, der in sieben Tranchen überwiesen werden sollte. Die erste Tranche kam im Juli 1998 an, doch schon die zweite Teilsumme wurde im September zurückgehalten, weil Russland im Skandal um die „Bank of New York“ Mittel zweckentfremdet haben soll.
In diese Phase platzte im August 1998 die Finanzkrise. Das Land erklärte seine Zahlungsunfähigkeit bei den Inlandsschulden und gab die Devisenregelung frei. Der Internationale Währungsfonds erklärte, die Bereitstellung der zweiten Tranche verzögere sich weiter wegen der „unvollständigen Erfüllung“ einer Reihe von Strukturmaßnahmen. Der Fonds verstrickte sich in Widersprüche zwischen der von ihm empfohlenen strengen Geld- und Kreditpolitik und dem permanenten Budgetdefizit. Ein Haushaltsloch ist für ein Land wie Russland besonders schädlich, weil seine Wirtschaft äußerst schwach „monetarisiert“ ist. Mitte der 90er Jahre betrug das Verhältnis der Rubelmenge zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur 15 Prozent, während die entwickelten Länder auf fast 100 Prozent kommen.
Bei einem derart niedrigen Geldumlauf führt sogar ein moderates Budgetdefizit von drei bis vier Prozent des BIP zu starker Inflation, wenn es durch die Notenpresse gedeckt wird, weil die Barmenge in diesem Fall gleich um ein Drittel zunimmt. Wenn das Etatloch dagegen durch die Emission von Obligationen gedeckt wird, so steigt der Anleihepreis bei einem niedrigen Monetisierungsniveau und bei schwacher Liquidität so stark an, dass der Wirtschaft eine Schuldenkrise droht. Die Folgen hat Russland im August 1998 zu spüren bekommen.
Das reine Bestehen des IWF auf Finanzstabilität ohne Berücksichtigung der ineffizienten Markt- und Staatsmechanismen hatte dem Investitionsklima in Russland erheblich geschadet. Die erzwungene hohe Steuerbelastung der Wirtschaft stand in keinem Verhältnis zur Qualität der Dienstleistungen, die der Staat der Gesellschaft erbrachte. Deshalb wanderte das Kapital massiv ab.
In manchen Bereichen war die Zusammenarbeit zwischen Moskau und dem IWF allerdings auch effektiv. So wurde in Russland beispielsweise in relativ kurzer Zeit das System der Finanz- und Geldstatistik reformiert. Das Finanzministerium ging bei der Budgetzusammenstellung zu den internationalen Standards über. Die Zentralbank machte die Staatsfinanzen und die Rechnungslegung transparenter, was allerdings längst noch nicht für den Unternehmenssektor gilt.
Heute ist Russland kein Kreditnehmer des Internationalen Währungsfonds mehr und zahlt stattdessen pünktlich seine Außenschulden zurück. Derzeit hat Moskau noch 6,9 Milliarden Dollar Verbindlichkeiten beim IWF, was rund 6,5 Prozent seiner gesamten Außenschuld entspricht. Das Wirtschaftswachstum befindet sich auf einem qualitativ höheren Niveau und damit auch die Beziehungen zum IWF. Der Währungsfonds achtet nun vor allem auf die Probleme der Institutions- und Strukturreformen.
<ul> ~ Quelle</ul>
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