-->Ich weis nicht ob jemand diesen Beitrag schon mal reingestellt hat. Wenn ja Sorry!
Börse und Sucht:
Kann Wertpapierspekulation sĂŒchtig machen?
Trotz der labilen Situation an den Börsen - die Zahl der AktionÀre in Deutschland steigt wieder. Derzeit spekulieren an die 5 Millionen Deutsche an der Börse, obwohl die Turbulenzen auf dem Weltmarkt eher zu- als abnehmen.
Der Reiz, ohne viel Aufwand an Geld zu kommen, ĂŒbersteigt schon wieder die Bedenken um die Risiken. TatsĂ€chlich glauben immer noch viele Privatanleger, dass man an der Börse mit System zum schnellen finanziellen Gewinn kommen kann: Zocken auf hohem Niveau mit Wertpapieren.
SchlieĂlich war es ja wieder mal lange gut gegangen. Bis Anfang 2001 war die Börse im euphorischen âHypeâ-Zustand des Jahrtausendwechsels:
GoldgrĂ€ber-Stimmung aller Orten. Die Hoffnung auf das weltweite Wirtschaftswachs-tum war unbegrenzt. Jedem noch so windigen âNew-Businessâ- oder âDot.-comâ- Unternehmen warfen die Banker das âVenture Capitalâ nur so hinterher.
Und dann kam der Crash: Innerhalb von ein paar Wochen zerplatzte die Luftblase
âNeuer Marktâ rund um den Globus. Die Börsenkurse stĂŒrzten ab und zogen Dow-Jones, Nikkei, Nemax und DAX gleich mit runter in den Keller:
Vom Höhenflug der angeheizten âHausseâ, runtergekracht in die tiefste âBaisseâ. Im ewigen Kampf der mythologischen Börsentiere hatte mal wieder der BĂ€r ĂŒber den Bullen gesiegt.
Als dann nach dem 11. September 2001 durch den Angriff auf das World Trade Center das US-Börsenzentrum Wall Street (geographisch gleich neben dem WTC gelegen) in Mitleidenschaft gezogen wurde, wankte fĂŒr kurze Zeit die gesamte Weltwirtschaft gleich mit.
Obwohl die Nachbeben dieses Mega-Crashs noch immer zu spĂŒren sind, und durch jeden Angriff der Amerikaner auf die âSchurkenstaaten der Achse des Bösenâ reaktiviert werden - insgesamt ist die Börse wieder in ruhigerem Fahrwasser.
Was allerdings nicht bedeutet, dass das so bleiben muĂ. SchlieĂlich ist die Börse - wie Börsen-Altmeister AndrĂ© Kostolany sagte - âeine Spielhölle mit gezinkten Kartenâ - gerade wenn es um Kurzzeitanlagen geht, die eher von Zufallswahrscheinlichkeiten abhĂ€ngen, als von realen Werten ausgehen.
Börsenkick: Info-Overflow und Massenpsychologie
Der Offenbacher Psychologe und Psychotherapeut Werner Gross schreibt in seinem Buch âHinter jeder Sucht ist eine Sehnsuchtâ (Freiburg 2002, Herder-Spektrum), dass den meisten GlĂŒcksrittern langfristig der Totalverlust drohe, wenn sie an der Börse zocken: âAber fĂŒr viele, die heute noch dabei sind, macht genau das den âKickâ aus: Der Ritt auf dem Tiger.â
Selbst fatale Börsen-Crashs lasse die Menschen anscheinend nur fĂŒr kurze Zeit vorsichtiger und gewissenhafter mit ihrem Geld umgehen.
Wenn der erste Schreck ĂŒberwunden ist, wird wieder reichlich Kapital investiert - vermeintlich abgesichert durch Vorhersagen und die Beratung von Experten.
Der Zusammenbruch des sogenannten âNeue Marktesâ, in dem gröĂtenteils erst vor kurzem entstandene Technologie-, Kommunikations- und IT-Unternehmen vertreten sind, zeigt eindrucksvoll, wie kurzlebig und risikobehaftet die Spekulation mit und auf bestimmte Papiere sein kann.
Gross, selbst im Leitungsteam des Psychologischen Forums Offenbach (PFO) tĂ€tig, beschreibt das Börsengeschehen als labiles System von Prognosen und mehr oder weniger fundierten Vorstellungen, wobei kleinste VerĂ€nderungen im Weltgeschehen (oder auch in unternehmensspezifischen EinschĂ€tzungen) extreme Auswirkungen haben können. So erscheine die Börse als âSpiegelbild unserer immer unsicherer und labiler werdenden globalisierten Gesellschaft.â
Danach sind die Kursschwankungen an der Börse stark von massenpsychologischen PhĂ€nomenen beeinflusst. Dadurch dass bei diesen labilen MĂ€rkten niemand mehr einen vollstĂ€ndigen Ăberblick ĂŒber die Einflussfaktoren auf bestimmte Papiere haben kann, wird nach mehr oder weniger absurden Kriterien entschieden, ob man ein Aktienpaket behĂ€lt oder abstöĂt - und das ist dann wie das Zocken von SpielsĂŒch-tigen. Gross, der am PFO immer wieder âBörsenjunkiesâ berĂ€t und behandelt: âDabei leiden die Börsianer eher unter einem InformationsĂŒberfluss als unter zu wenig Informationen - nur man weiĂ nicht mehr wie man diesen âInfo-Overflowâ angemessen sortieren und vor allem bewerten soll. Unberechenbar wie eine Herde Bisons, die im Wilden Westen durch die PrĂ€rie donnert, weiĂ man auch an der Börse nie genau, wer im Moment gerade das Sagen hat, und wohin die Börsengemeinde rennt und ihre GeldflĂŒsse leitet.â
Gar nicht selten nutzen angesehene Börsianer dieses Wissen ĂŒber die börsianische Massenpsychologie und treten manchmal unter strategischen Gesichtspunkten Lawinen los. Da werden heute Papiere hochgejubelt und morgen werden sie wieder niedergemacht - und die richtigen Leute machen sowohl mit dem Aufschwung wie mit dem Abschwung ihren Gewinn.
Der offenbacher Psychologe: âWeil die Börse immer ein GeschĂ€ft mit der Zukunft ist und man die (fataler- oder glĂŒcklicherweise) nicht wirklich voraussagen kann, ist die Börse auch immer ein Handel mit Ăngsten und Hoffnungen. Und je weniger man davon versteht, umso mehr ist man manipulierbar und lĂ€uft irgendwelchen `fake-trendsÂŽ hinterherâ.
Viele AktionÀre lassen sich denn auch mitunter von den absurdesten Vorhersagen leiten und vertrauen blind auf die Meinung von Börsenanalysten.
Aber was ist wirklich von Analysten, Börsenastrologen oder Börsengurus zu halten? Es wirkt schon komisch, dass ein Schimpansenweibchen bei der zufĂ€lligen Auswahl gewinnbringender Aktien fast genauso erfolgreich war, wie die vermeintlichen Experten. Und sogar einer Yucca-Palme gelang mit ihren ĂŒber Elektroden abgegebenen Tipps eine ansehnliche Vorhersage. Diese Experimente schmĂ€lern die Kompetenz und GlaubwĂŒrdigkeit selbst ernannter Experten und fordern jeden Privatanleger zum kritischen Umgang mit derartigen Informationen auf. Wie sagte doch der inzwischen verstorbene âBörsen-Guruâ AndrĂ© Kostolany:
âDie Börse hĂ€ngt davon ab, ob es mehr Aktien als Idioten oder mehr Idioten als Aktien gibtâ.
âBörsenzockerâ: Vom Nervenkitzel zur Suchtgefahr
Obwohl das Börsengeschehen nicht zu berechnen ist, stĂŒrzen sich eine gar nicht zu geringe Zahl von Kleinanlegern tatsĂ€chlich in den finanziellen Ruin. Und es stellt sich die Frage, ob das Spekulieren an der Börse - Ă€hnlich wie pathologisches Spielverhalten - auch sĂŒchtige ZĂŒge haben kann. Nach Meinung von Werner Gross, der sich als Suchtexperte schon lĂ€ngere Zeit mit dem Thema beschĂ€ftigt, sind auch Börsenzocker - Ă€hnlich wie Spieler - einer regelrechten Suchtgefahr ausgesetzt.
Er schreibt: âDie enorme nervliche Belastung wandelt sich durch den neuen Abschluss nur kurzfristig in Entspannung. Und schon werden sie von der Gier weitergetrieben. Bis zu dem Punkt, an dem es nicht mehr âstraight to the topâ geht, sondern abwĂ€rts: Schulden werden gemacht, damit man wieder eine Chance auf Gewinn hat.â
Mittlerweile sehen viele Experten die Risiken der wiederkehrenden Börseneuphorie. Zu den Klienten der Schuldnerberatungsstellen gesellen sich schlieĂlich zunehmend auch âverspekulierte Anlegerâ.
Der Hintergrund: SĂŒchte, die nicht durch einen bestimmten Stoff ausgelöst und erhalten werden, sondern durch das Verlangen nach bestimmten GefĂŒhlszustĂ€nden, werden als âstoffungebundene Suchtformenâ bezeichnet. Bei der Spielsucht beispielsweise ist es gerade die Ungewissheit und das Risiko, die die Erregung des SĂŒchtigen in die Höhe treiben. Bei Gewinn löst sich die Spannung kurzzeitig, der Körper verlangt aber immer wieder nach den im Erregungszustand ausgeschĂŒtteten Botenstoffen, den Endorphinen. Die Parallele zur Drogensucht besteht darin, dass sich âder Endorphinspiegel bei extrem schnellen BörsengeschĂ€ften wie dem âDay-Tradingâ zwischenzeitlich kaum noch normalisieren kann, und der Körper sich an die Dauererregung gewöhnt. Die durch permanente Erregung gebildeten Endorphine wirken als sogenannte âkörpereigene Drogenâ. In diesem Zustand verlangen Psyche und Körper nach immer stĂ€rkerer Stimulation.â Zudem fĂŒhre der schon oben erwĂ€hnte âInfo-Overflowâ oftmals dazu, dass Betroffene nur noch die fĂŒr sie gĂŒnstigen Informationen auswĂ€hlen und andere objektive und kritische Daten vernachlĂ€ssigen. So komme es zu fatalen FehleinschĂ€tzungen.
Gewinn und Verlust - Die Zwillingskinder des Risikos
Darf man deshalb jeden Kleinanleger als suchtgefĂ€hrdet bezeichnen? NatĂŒrlich geht es nicht darum, die Börse per se zu verteufeln - denn der vernĂŒnftige Umgang mit den kleinen und groĂen Summen ist durchaus möglich. Viele Anleger verpassen aber leider gar nicht zu selten den richtigen Zeitpunkt zum Absprung oder haben sich von Vornherein nicht richtig abgesichert.
SchlieĂlich kann man durch eine kritische Analyse der verschiedenen Unternehmen und geschicktes Splitting des Anlagekapitals in solide Aktienfonds und risikoreichere Papiere dem totalen persönlichen Crash vorbeugen.
GefĂ€hrdet sind - wie bei der AlkoholabhĂ€ngigkeit - die Menschen, die sich und ihre âLeidenschaftenâ nicht unter Kontrolle haben. Wer nach einem groĂen Verlust immer noch denkt, er könne das System durchschauen und berechnen, und daraufhin noch mehr investiert, handelt irrational und ohne Verhaltenskontrolle. Ein betroffener Anleger beschreibt den Anreiz der Spekulation wie folgt:
âDie Chancen sind höher als bei GlĂŒcksspielen, man beschĂ€ftigt sich ĂŒber Jahre damit. Ăber Aktien weiĂ ich Bescheid. Das Kribbeln im Lotto hast du erst nach vier richtigen, bei der Börse bist du gleich voll dabei... Ob ich eine Millionen oder zwei verdient hĂ€tte, es wĂ€re nicht Schluss gewesen. Ich glaube, ich hĂ€tte nie aufgehört. Ich meinte immer: Ich weiĂ es, ich kann es, ich tue es!â
Und gerade die schier ausweglose finanzielle Lage der âBörsenjunkiesâ zwingt sie hĂ€ufig dazu, immer weiter zu spekulieren - in der Hoffnung, dass es beim nĂ€chsten Mal besser klappt.
Auch der Spielsucht-Experte Gerhard Meyer von der UniversitĂ€t Bremen geht von einem hohen Suchtpotential der Börsenspekulationen aus. Nach seiner Meinung sind etwa zehn Prozent der professionellen Vermögensverwalter und Aktienfondsmanager, aber auch jeder 50ste deutsche Privatanleger sĂŒchtig oder zumindest suchtgefĂ€hrdet.
Gross nennt folgende Kriterien zur Beurteilung einer problematischen Neigung zu Börsenspekulationen - oder gar Börsensucht - helfen. Sie sind angelehnt an die Merkmale der klassischen Suchtformen:
Beurteilungskriterien zur âBörsensuchtâ:
1. Dosis und IntensitÀt:
Exzessive Börsenspekulationen ĂŒber einen lĂ€ngeren Zeitraum (mindestens ein Jahr) mit hohem finanziellen und zeitlichen Einsatz (entweder kontinuierlich oder episodisch)
2. Finanzielle Verluste:
Es wird so viel Geld eingesetzt und verspekuliert, dass die materielle Existenz gefÀhrdet ist
3. Soziale und berufliche Probleme:
Durch die BeschÀftigung mit der Börse entstehen massive soziale, familiÀre und/oder berufliche Probleme
4. AbstinenzunfÀhigkeit und Kontrollverlust:
Trotz Problemeinsicht und hohem Leidensdruck besteht die Schwierigkeit und/oder UnfÀhigkeit durch Willensanstrengung das Spekulieren zu unterlassen oder langfristig zu unterbrechen
5. Entzugserscheinungen:
Wenn es doch kurzfristig gelingt, sich abstinent zu verhalten, entstehen psychische Entzugserscheinungen (Unruhe, Unwohlsein, AggressivitĂ€t, GefĂŒhlsausbrĂŒche, Schlafprobleme, etc.)
6. Zentrierung und Dosissteigerung
Andauernde und intensive gedankliche und/oder reale BeschÀftigung mit Börse und Spekulation. Alle anderen TÀtigkeiten werden zunehmend unwichtiger und dem Spekulieren untergeordnet. EinsÀtze und auch Verluste werden mit der Zeit höher.
Aus: (Werner Gross: Hinter jeder Sucht ist eine Sehnsucht, Freiburg 2002).
Personen, die mindesten drei dieser Kriterien aufweisen, gehören aus psychologischer Sicht zur Risikogruppe.
In erster Linie soll der Wertpapierhandel langfristigen Gewinn bringen und SpaĂ machen und die Menschen nicht in finanzielle Turbulenzen stĂŒrzen. Deshalb raten Experten wie Werner Gross allen Anlegern, sich durch die Einhaltung folgender GrundsĂ€tze abzusichern:
StĂ€ndiger Ăberblick ĂŒber die finanziellen VerhĂ€ltnisse
Nie auf Grundlage von Krediten oder fremdem Geld spekulieren
Nie das gesamte Kapital einsetzen
Risikostreuung: Splitten der Anlageformen
Setzen und einhalten eines klare âStoppâ-Signals
Eigenverantwortung: Es gibt keine Garantie
Werner Gross
Weitere Informationen:
Dipl. Psych. Werner Gross
c/o Psychologisches Forum Offenbach (PFO)
Bismarckstr. 98
63065 Offenbach/Main
Tel:069-82369636
Literatur:
Gross, Werner: Hinter jeder Sucht ist eine Sehnsuchtâ (Freiburg 2002, Herder-Spektrum 5166)
Diesen Text finden Sie auch im Internet unter der Adresse
www.BDP-Verband.org/bdp/idp/2002-3/11.shtml
<ul> ~ Quelle</ul>
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