-->Unlösbar? Der Souveränitätskonflikt zwischen der VR China und Taiwan
Der nunmehr Jahrzehnte andauernde Souveränitätskonflikt zwischen der VR China und der Republik China (Taiwan) hat eine Vielzahl historischer, ideologischer, systemischer und militärisch-strategischer Ursachen. Bei dem Konflikt geht es um wesentlich mehr als nur die Frage, welche staatsrechtliche Form die chinesiche Großregion in Zukunft annehmen soll. Während die Staatsführung der VR China auf die strikte Einhaltung des Ein-China-Prinzips besteht, wonach Taiwan als abtrünnige Provinz und als unveräußerlicher Teil Chinas angesehen wird, hat sich im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte im demokratischen Taiwan eine selbständige politische Identität entwickelt. Die meisten Mitglieder der internationalen Staatengemeinschaft erkennen zwar pro-forma das Ein-China-Prinzip an, viele von Ihnen unterhalten jedoch gleichzeitig rege inoffizielle, quasi-diplomatische Kontakte mit Taiwan.
Der Souveränitätskonflikt läßt sich daher nicht auf die Frage einer taiwanischen Vereinung mit oder Unabhängigkeit von der VR China reduzieren. Es ist auch keine regional beschränkte Dauerkrise, sondern hat vielmehr eine Reihe von internationalen Implikationen. Sollte der schwelende Konflikt in eine offene militärische Auseinandersetzung umschlagen, würde dies nicht nur die regionale Sicherheit Ost- und Südostasiens gefährden. Auch die Ordnungsmacht USA und ihre Verbündeten in Asien und sogar Europas würden aller Voraussicht nach in einen solchen Konflikt involviert.
Doch was sind die konkreten Streitpunkte? Weder ein Blick in die politische Geschichte beider politischer Entitäten, noch internationales Recht, geschweige denn Theorien der Internationalen Politik können zufriedenstellende Antworten auf die Frage geben, was Taiwan gegenwärtig überhaupt darstellt und wie es seine Beziehungen zu dem großen Nachbar dauerhaft friedlich gestalten kann.
Die in den letzten Jahren stark zunehmende wirtschaftliche Verflechtung der chinesischen und taiwanischen Volkswirtschaft und die Aufnahme beider Seiten in die WTO verringern nur auf ersten Blick die Gefahr eines offenen, in letzter Konsequenz möglicherweise militärischen Konfliktes. Wirtschaftliche Integration und ökonomische Interdependenzen erhöhen zwar die Kosten einer kriegerischen Auseinandersetzung, machen sie damit aber nicht unmöglich.
Auf volkrepublikanischer Seite wird Chinas 4000-jährige Geschichte nach wie vor weitgehend politisch, d.h. unter staatserhaltenden und die Legitimität der KP Chinas erhöhende Weise interpretiert. Ihr steht eine neue, konkurrierende taiwanische Geschichtschreibung gegenüber, die eine eigenständige 400-jährige Geschichte zu erkennen glaubt. Mit dem Niedergang der Nationalistischen Partei (KMT) auf Taiwan im Zuge der letzten Präsidentschafts- und Parlamentswahl (2000 und 2001) ist der innerchinesische Bürgerkrieg allerdings endgültig beendet. Ein letztes historisch verbindendes Element beider politischen Entitäten ist damit abhanden gekommen. Eine dauerhafte Loslösung Taiwans vom chinesischen Festland würde jedoch die auf nationalistische Sentiments setzende KP Chinas unter starken Druck setzen.
Mit der Interpretation chinesischer Geschichte auf das Engste verknüpft sind wiederstreitende politische Identitäten. Während in der VR China nach wie vor eine Einheit von politischer, kultureller und ethnischer Identität propagiert wird, finden sich in Taiwan mittlerweile mindestens zwei konkurrierende Nationalismen, eine lokal taiwanische und ein großchinesische Variante. Der stark polarisierte Diskurs der beiden politischen Lager hat zu einer intensiven öffentlichen Debatte über die Vereinigungs- und Unabhängigkeitsfrage auf der Insel geführt. Der nationale Identitätskonflikt der Taiwaner ist eine der größten politischen Herausforderungen für beide Seiten: hier gerät eine wachsende Zahl taiwanischer Nationalisten mit chinesischen Nationalisten sowohl in Taiwan als auch der VR China in scharfen Konflikt.
Die VR China, welche seit 1978 einen Ã-ffnungs- und Modernisierungsprozess durchläuft, wird, wenn überhaupt, noch Jahrzehnte brauchen, um Taiwans Demokratisierungsprozess aufzuholen. Zwar bleiben beide politische Systeme im Umbruch, eine Fusion nach dem Vorbild Hong Kongs erscheint aber zu dem gegenwärigen Zeitpunkt jedoch höchst unwahrscheinlich. Die Möglichkeit eines vereinten, demokratischen Chinas wird weithin als Ideallösung angesehen. Doch der Niedergang der KMT, welche Taiwans politisches System Anfang der siebziger Jahre sukzessive liberalisierte, ist für die KP Chinas kein vielversprechendes Vorbild für eigene politische Reformen.
Internationales Recht, darauf haben eine Vielzahl von renommierten Experten immer wieder hingewiesen, bietet keine eindeutigen Lösungen. Der Souveränitätskonflikt berührt Fragen der Bedeutung und Wirksamkeit internationaler Akte und Verträge (Kairo-Deklaration von 1943, multilateraler japanischer Friedensvertrag von 1951). Diese können jedoch - je nach Geschichtsschreibung - überzeugend in mehrere Richtungen interpretiert werden. Aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung der VR China auf der einen Seite, der strategischen Allianz der USA mit Taiwan auf der anderen Seite ist nicht zu erwarten, daß die Staatengemeinschaft das Problem in absehbarer Zeit einer Lösung zuführen wird.
Ein Problem stellt Taiwan auch für alle Theorien der Internationalen Politik dar, welche den Staat als wichtigsten Akteur der internationalen Beziehungen ansehen. In diesem Sinne ist die Inselrepublik eine Anomalie der internationalen Staatengemeinschaft, ist doch die Republik China seit jahrzehnten de facto (und für weniger als 30 Staaten auch de jure) ein eigenständiger, unabhängiger Staat. Doch das Konzept der uneingeschränkten Staatssouveränität, welches ihren Ursprung im Westphälischen Frieden von 1648 hat, ist im 21. Jahrhundert nicht länger ein Sakrileg. Während die VR China an einem Souveränitätsverständnis des 19. Jahrhundert festhält, bemüht sich die taiwanische Regierung mit pragmatischer Diplomatie den internationalen Spielraum Taiwans zu erweitern.
Hinzu kommt, daß Taiwan nicht nur politisch sondern auch militärisch eine Sonderstellung einnimmt. Strategisch zwischen Japan und den Philippinen gelegen ist die Insel für die ostasiatische Sicherheitsarchitektur von überragender Bedeutung. Aus Sicht des chinesischen Festlandes stellt die Inselrepublik jedoch ein Sicherheitsrisiko dar. Im Rahmen des Taiwan Relation Acts (TRA), einem amerikanischen Bundesgesetz aus dem Jahre 1979, haben sich die USA einseitig dazu bereit erklärt, Taiwan mit ausreichend Verteidungswaffen zu versorgen, um einen eventuellen Angriff der chinesischen Volksbefreiungsarmee (VBA) abzuwehren. Zwar lassen sich aus dem TRA keinerlei Bündnisverpflichtungen ableiten. Als maritime Ordnungsmacht in Ost- und Südostasien wären jedoch geopolitische Interessen der USA in einem Konfliktfall direkt berührt. Jüngste amerikanische Überlegungen, sowohl den Bündnispartner Japan als auch Taiwan in einen regionalen Raketenabwehrschirm zu integrieren (TMD, Theatre Missile Defense) belasten schon länger das sino-amerikanische Verhältnis. Das gespannte Verhältnis zwischen der VR China und Taiwan werden durch die höchst sensiblen bilateralen Dreiecks-Beziehungen der VR China, USA, und Japan zusätzlich verkompliziert.
<ul> ~ Quelle</ul>
|