-->20.03.2003
"Falschinformationen sind Teil der Kriegsführung" - Patrick Leclercq im Gespräch
Patrick Leclercq, Zweiter Chefredakteur von ARD-aktuell, hat im Zweiten Golfkrieg 1990/91 aus der Region berichtet. tagesschau.de sprach mit ihm über die Schwierigkeit, in Kriegszeiten objektive Informationen zu erhalten und die Probleme, denen sich die Berichterstatter vor Ort gegenübersehen.
tagesschau.de:Der Deutsche Journalisten-Verband hat angesichts der Irak-Krise alle Berichterstatter dazu aufgerufen, die Grundregeln journalistischer Arbeit - Objektivität, Distanz und Transparenz - unbedingt einzuhalten. Ist dies im Krieg überhaupt möglich?
Patrick Leclercq: Auch im Krieg wird es entscheidend sein, immer wieder deutlich darauf hinzuweisen, wie die Arbeitsbedingungen vor Ort sind, d. h., eingeschränkte Arbeitsmöglichkeiten und die Herkunft von Informationen müssen deutlich gemacht werden. Auch wenn eine Zensur stattfindet, muss dieses gesagt werden. Ein gesundes Misstrauen gegenüber allen Kriegsparteien ist die Grundvoraussetzung, um nicht in irgendwelche Propagandafallen zu laufen.
tagesschau.de: Im Zweiten Golfkrieg 1990/91 haben sowohl die USA als auch der Irak bewusst Falschinformationen verbreitet. Wird das auch jetzt der Fall sein?
Leclercq: Falschinformationen sind Teil der Kriegsführung. Denn sie sollen dem Gegner einen Sachverhalt vorspiegeln und ihn damit in die Falle locken. Die nützlichen Idioten dafür sind im Zweifelsfall nach den Vorstellungen der Kriegsparteien die Journalisten, wer sonst? Nicht nur die Amerikaner, die ja bereits 1990/91 für diesen Job Werbeagenturen eingesetzt haben, sondern auch der Irak nutzen dabei ganz geschickt alle Mittel.
tagesschau.de: Sie haben im Zweiten Golfkrieg für ARD-aktuell aus dem Kriegsgebiet berichtet. Auf welche ganz realen Probleme stießen die Journalisten damals?
Leclercq: Das Hauptproblem während des 2. Golfkriegs war, dass die Journalisten sich nur ganz selten ein eigenes Bild vom Kriegsverlauf machen konnten. Deutsche Journalisten wurden zusätzlich ausgespart, weil Deutschland kein aktiver Kriegsteilnehmer war. Es fand für alle Bilder eine Vorzensur statt, die entweder von den Amerikanern oder den saudi-arabischen Behörden wahrgenommen wurde. Außer den offiziellen Briefings des Generalstabs gab es keinerlei Hintergrundinformation, so dass sich die Journalisten aus aller Welt ein eigenes Netzwerk aufbauen mussten, über das die jeweiligen Informationen der amerikanischen, französischen und anderen Kollegen einflossen.
tagesschau.de: Befürchten Sie heute Gefahr für Leib und Leben der Berichterstatter? Wie bereitet ARD-aktuell seine Korrespondenten für Einsätze in einem Kriegsgebiet vor?
Leclercq: Alle Kolleginnen und Kollegen, die sich in der Krisenregion befinden, wurden durch ein Spezialtraining bei der Bundeswehr auf den Einsatz vorbereitet, ebenso wurde ein Kurs in Sachen chemische Kampfführung und wie man sich davor schützt absolviert. Einige Kolleginnen und Kollegen haben noch zusätzlich ein Spezialtraining bei dem britischen Ausbilder Centurion hinter sich gebracht. Eine Gefahr für Leib und Leben kann trotzdem im Krieg nie ausgeschlossen werden. Der Einsatz aller Beteiligten ist freiwillig, sie entscheiden persönlich oder in Abstimmung mit ihrem Team und der Heimatredaktion, wann es zu brenzlig wird. Die Korrespondenten werden nicht von ARD-aktuell beauftragt, sondern von den Landesrundfunkanstalten, die für das betreffende Berichtsgebiet zuständig sind.
tagesschau.de: Angesichts der unsicheren Nachrichtenlage und der Desinformationspolitik der Konfliktparteien: Wie sollten und können Journalisten überhaupt seriös über den Konflikt berichten?
Leclercq: Am besten ist es sicher, wenn es Journalisten gelingt, sich ein eigenes Bild zu machen und möglichst nahe an die Ereignisse heranzukommen. Wenn das nicht möglich ist, und mit Bildern und Informationen fragwürdiger Natur und Herkunft gearbeitet werden muss, dann muss dieses deutlich gekennzeichnet und gesagt werden. Und wie bereits erwähnt, Schlüssel für die Berichterstattung sollte ein tiefes Misstrauen gegenüber allen beteiligten Parteien sein.
Das Gespräch führte Jan Oltmanns, tagesschau.de
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