--><font size=5>Höllenfeuer in Bagdad</font>
Mit verheerenden Luftschlägen auf die Hauptstadt versuchte Washington, Saddam Husseins Militärs zur frühzeitigen Kapitulation zu zwingen. Setzen die Iraker jedoch ihren Widerstand fort, droht womöglich ein blutiger Endkampf in der Fünf-Millionen-Metropole.
Die Stadt am Tigris lag wie erstarrt, schockgefroren angesichts der nahenden Verheerung. Alles Leben schien erstorben in Bagdad, seit Fernsehstationen weltweit verbreitet hatten,"A-Day" sei angebrochen, die Zeit von"Schock und Schrecken".
<font color="#FF0000">Die alten B-52-Bomber aus den Zeiten des Kalten Kriegs und ihre moderneren Varianten vom Typ B-2 mit ihrer tonnenschweren Bombenlast schwebten längst in der Luft, nur noch wenige Stunden entfernt von ihren irakischen Zielen</font>. Hunderte Marschflugkörper steckten abschussbereit in den Startcontainern der alliierten Flottenverbände im Mittelmeer und im Persischen Golf. Die Koordinaten der Paläste, Kommando-Bunker und Nachrichtenzentralen längst einprogrammiert in ihren Steuerungscomputern.
<font color="#FF0000">Es war die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm</font>. Dann plötzlich, gegen 20 Uhr Ortszeit, zerriss das nervenzehrende Geheul von Luftschutzsirenen die gespenstische Stille. Leuchtspurgranaten aus Hunderten Flugabwehrkanonen und der Feuerschweif gen Himmel jagender Raketen zeichneten glühende Spuren in den nachtschwarzen Himmel über der gelähmten Metropole. Angesichts des scheinbar Unvermeidlichen hatte Bagdad nicht einmal sein Heil in Verdunklung gesucht.
Ängstlich dachten viele Hauptstadtbewohner an das Gewitter aus Bomben und Raketen, das vor kaum mehr als zwölf Jahren über die Fünf-Millionen-Metropole hereingebrochen war. Doch nur der Auftakt ähnelte dem des Golfkriegs von 1991.
Sekunden später brach ein nie zuvor erlebter Furor mit unheimlicher Präzision herein: In rascher Folge tauchten Explosionsblitze die Stadt in grelles Licht, als immer neue Marschflugkörper mit schrillem Jaulen in ihre Ziele flogen.
<font color="#FF0000">Glühende Splitter, Rauch und Trümmer schienen Hunderte Meter hoch in die Luft zu wirbeln, wenn mit betäubendem Getöse amerikanische"Bunker Buster" tief vergrabene Betonburgen aus ihren unterirdischen Verstecken sprengten. Qualm und Feuerschein legte sich über das Zentrum des Zweistromlandes, an dem vor Jahrtausenden die Wiege menschlicher Zivilisation gestanden hat</font>.
Eine Bilderflut rot glühender Explosionswolken, steil in den Himmel aufschießender Flammen, gigantischer, <font color="#FF0000">dicht hintereinander gestaffelter Rauchpilze am Ufer des Tigris</font>, achteinhalb Minuten lang, die Nacht zum Tag machend, ein Kaleidoskop der Vernichtung, sofort und für immer eingebrannt in die Erinnerung Hunderter Millionen Fernsehzuschauer - der Abend, an dem Saddams Reich in Schutt und Asche versank, an dem seine Stadtpaläste barsten, Flammen aus seinen Ministerien und Polizeizentralen schlugen, machte auch dem letzten Zweifler überdeutlich: Der Mann im Weißen Haus, der nach knapp zwei Tagen eher verhaltener Kriegführung am Freitagabend seine Luftwaffe entfesselt hatte, wird sich nicht mit einem interpretierbaren Kriegsausgang zufrieden geben. Die Operation"Freiheit für den Irak" wird erst zu Ende sein, wenn der Herrscher in Bagdad seinen Thron geräumt hat -"tot oder lebendig", wie es George W. Bush in der handfesten Sprache seiner Heimat Texas so gern ausdrückt.
<font color="#FF0000">Dresden kam vielen Beobachtern in den Sinn, als die Bilder von unbändiger Sprenggewalt und gnadenloser Zerstörungskraft live rund um den Erdball gesendet wurden. Wie 1945, als in der Elbmetropole etwa 35 000 Menschen ums Leben kamen, wurde nun an den Ufern des Tigris Bombenterror für die Freiheit entfacht</font>.
Ahnungsvoll, dass die Bilder vom flammenden Inferno, von dem nicht nur Bagdad, sondern auch andere Städte Mesopotamiens heimgesucht worden waren, die nordirakischen Ã-lmetropolen Mossul und Kirkuk vor allem, das Ansehen der Supermacht noch weiter schädigen könnten, wehrte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld alle Vorwürfe prophylaktisch ab:
Völlig unzutreffend der Vergleich mit dem Zweiten Weltkrieg. Damals seien"dumme Bomben" über große Flächen ausgestreut worden. Diesmal jedoch hätten"smart weapons" mit ungeheurer Präzision genau jene Punkte getroffen, die zuvor anvisiert worden seien. Noch Hunderte Ziele würden in den kommenden 24 Stunden ähnlich genau vernichtet, drohte Generalstabschef Richard Myers.
<font color="#FF0000">Erst nach Ende der Kämpfe wird sich herausstellen, was wirklich dran ist an der in Afghanistan, während der Balkan-Konflikte und auch schon 1991 fälschlich erhobenen Behauptung, Krieg ließe sich mittlerweile dank zielgenauer Waffen mit nur noch minimalen Schäden für die Zivilbevölkerung führen</font>. Doch die Bilder aus Bagdad von der vergangenen Freitagnacht machten ganz unzweifelhaft deutlich: Ein Mittel des blanken Entsetzens, der heillosen Einschüchterung ist auch die genaueste Bombe, wenn sie mitten unter der Zivilbevölkerung einschlägt, die zu schützen eines der vornehmsten Ziele des Völkerrechts ist.
Wie ein sicherer Sieger hatte US-Präsident Bush nicht ausgesehen, als er am Mittwochabend im Weißen Haus verkündete, dass die Zeit für Saddam Hussein abgelaufen sei. Sein Mund war noch schmallippiger als gewöhnlich erschienen; der harte Rhythmus seiner markigen Sätze hatte schlecht zu dem unsicher wirkenden Mienenspiel gepasst.
Und auch der Krieg, der Stunden vorher begonnen hatte, sah anfänglich gar nicht danach aus, dass hier"die tödlichste Kampfmaschine der Welt", wie sich das US-Militär gern selbst lobt, die einzigartige Machtposition Amerikas einmal mehr eindrucksvoll bestätigen soll. Im Gegenteil.
Nichts lief, wie es die Auguren des Pentagon angekündigt hatten. Statt eines zweitägigen Feuerzaubers verfehlten rund 40"Cruise Missiles" und zwei Tarnkappenbomber vom Typ F-117 in der Nacht zum Donnerstag das wichtigste Kriegsziel - Saddam Hussein und seine engsten Vertrauten. Wen sie stattdessen trafen, vermochten Washingtons Auswerter tagelang nicht zu beantworten.
Als kaum 15 Stunden später der Bodenkrieg begann, mussten britische und amerikanische Marineinfanteristen sowie die 3. US-Infanteriedivision vorrücken, ohne dass der Kampfeswille der Iraker zuvor durch das angedrohte gnadenlose Bombardement gebrochen worden war.
Die ersten uniformierten Opfer wurden denn auch nicht von den schlecht gerüsteten Verteidigern des Zweistromlands gemeldet. Vielmehr zerbarst ein Transporthubschrauber der Angreifer auf dem harten Wüstenboden an der Nordgrenze von Kuweit. Acht Royal Marines und die vierköpfige amerikanische Besatzung starben in den Trümmern des Helikopters, der nach US-Darstellung einem technischen Defekt, nicht feindlichem Feuer zum Opfer gefallen war.
Das jedoch wurde wenig später einem Kampfhubschrauber der US-Marines zum Verhängnis, der seiner Einheit den Weg zur strategisch wichtigen Hafenstadt Umm Kasr bahnen sollte. Die beiden Piloten konnten verletzt geborgen werden.
Angreifende amerikanische Ledernacken gerieten bereits 200 Meter jenseits des Grenzzauns unter heftigen Beschuss."Unerwartet schweres Abwehrfeuer", meldete ein atemloser Reporter per Handy seinem Heimatsender:"Wir suchen Schutz hinter allem, was Deckung bietet." Zwei amerikanische Marineinfanteristen fielen der irakischen Gegenwehr zum Opfer.
Erst am Freitagmittag wurde klar, dass diese Kette von Unglücksfällen ein falsches Bild der Lage gezeichnet hatte. <font color="#FF0000">Der Aufschub des großen Bombardements hatte in Wahrheit nur einem Ziel gedient: So schnell wie nur irgend möglich wollten die Angreifer Bagdad erreichen</font>. Dort wollte der Kriegsherr Bush die Entscheidung erzwingen - und zwar mit einem Coup, der seine Kritiker bis auf die Knochen blamiert hätte. Mit dem Eilmarsch auf Bagdad, aber auch mit allen Tricks psychologischer Kriegsführung wollte Washington die irakischen Kommandeure zur Aufgabe überreden. <font color="#FF0000">Erst als das bis zum Freitagabend nicht geklappt hatte, begann die Vernichtung von Saddams Armee in blutiger Ernsthaftigkeit</font>.
Mehr Glück als ihre amerikanischen Kameraden hatten die britischen Royal Marines zu Kriegsbeginn. Sie landeten mit ihren Hubschraubern vom Typ"Sea Stallion" auf der Halbinsel Fao und konnten bei geringer Gegenwehr wichtige Ã-lanlagen sichern. Schon Stunden später begann der Vorstoß auf Basra, Iraks zweitgrößte Stadt.
Mit Fao und dem einzigen Tiefwasserhafen des Irak Umm Kasr eroberten die Schocktruppen der alliierten Marineinfanterie einen immens wichtigen Brückenkopf als Einfallstor für den Nachschub der nach Norden vorrückenden Invasionsarmee von bald 200 000 Soldaten. <font color="#FF0000">Tausende Tonnen Wasser und Verpflegung sowie über 50 Millionen Liter Treibstoff für alle Militärfahrzeuge müssen täglich an die Front geschafft werden</font>. Nur über einen Seehafen lassen sich solche Mengen verlässlich umschlagen.
Aus Jordanien und wohl auch aus dem Norden Saudi-Arabiens waren derweil Special Forces und andere Elitetruppen zu Tausenden in die westliche Wüste des Irak eingerückt, obwohl beide Länder offiziell deutliche Distanz zu Washingtons Kriegsplänen gehalten hatten. Die US-Truppen suchten auf dem Weg nach Bagdad irakische Raketenstellungen, aus denen heraus Israel angegriffen werden könnte. Zwei strategisch bedeutsame Flugstützpunkte fielen nach wenigen Stunden in ihre Hände.
Auch die 3. Infanteriedivision der U. S. Army konnte rasche Erfolge melden. Durch panzerfreundliches Wüstengelände rollte sie von Kuweit - praktisch ohne Gegenwehr - so schnell nach Norden, dass sie schon nach wenigen Stunden Gefahr lief, ohne Sprit auf den viel langsameren Nachschub warten zu müssen. Noch am Freitag hatten die schweren Kampfpanzer M1A1"Abrams" und die"Bradley"-Schützenpanzer des 7. Kavallerieregiments der Amerikaner beinahe den halben Weg nach Bagdad zurückgelegt.
<font color="#FF0000">In"drei bis vier Tagen" stünden die Alliierten in der Hauptstadt, triumphierte reichlich siegesgewiss Hauptmann Al Lockwood, der Sprecher der britischen Truppen im weit vom Kriegsgeschehen entfernten Katar</font>. Aus dem von Amerikanern eroberten Ort Safwan konnten die Fernsehsender auch jene Bilder zeigen, auf die es den Amerikanern angekommen war: Glückliche Iraker jubeln den Invasoren zu, reißen die Bilder des verhassten Diktators von den Hauswänden.
Die meisten Militärexperten waren sich bald einig: Es muss den Amerikanern möglichst schnell gelingen, jeden noch vorhandenen Widerstandswillen der Iraker zu brechen. Sonst steht den Invasoren beim Sturm auf die Fünf-Millionen-Metropole Bagdad womöglich ein blutiges Ende des Feldzugs bevor."Bislang läuft immer noch manches nach Bagdads Plan", warnte am Freitagnachmittag denn auch der US-Stratege Kenneth Pollack, unter Präsident Bill Clinton Irak-Experte im Nationalen Sicherheitsrat.
Ohne Zweifel, militärisch werden die USA letztlich obsiegen. Die Frage ist nur: <font color="#FF0000">wie schnell und zu welchem Preis?</font> Den möglichst hochzutreiben ist Saddam Husseins einzige Chance."Wir knicken nicht ein", versicherte Vizepräsident Taha Jassin Ramadan in einem SPIEGEL-Interview am Donnerstag (siehe Seite 27). Das kann dem Regime nur gelingen, wenn seine Truppen zu ihm stehen, zumindest aber die rund 100 000 Mann der Republikanischen Garde und anderer Eliteeinheiten, die in und um Bagdad Verteidigungsstellungen bezogen haben.
Bis zum Beginn der großen Bombenkampagne jedenfalls waren die Iraker noch nicht in jenen Massen geflohen, auf die Washingtons zögerlicher Kriegsbeginn gezielt hatte. Nur um die Desertation ganzer Großverbände, mit denen angeblich bereits über E-Mails und am Handy verhandelt wurde, nicht zu gefährden, hatten die Pentagon-Strategen den geplanten Gewaltschlag zum Auftakt des Kriegs verschoben."Was wir bislang gemacht haben", höhnte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld,"war offenbar nicht überzeugend genug."
Doch schon bald nach dem Schockbombardement gaben die ersten Einkeiten auf. Und während im Hauptquartier des US-Geheimdienstes CIA in Langley (Virginia) vor den Toren Washingtons die Experten noch rätselten, ob der anfängliche Enthauptungsschlag gegen das Saddam-Regime nicht doch erfolgreich war, meldete sich der Raïs höchstselbst über die Fernsehschirme. Wie zur Bestätigung des irakischen Verteidigungswillens schlugen fast gleichzeitig die ersten Raketen auf kuweitischem Boden ein.
Immer wieder heulten in Kuweit-Stadt die Sirenen, eilten die Menschen in die Bunker, mussten auch die Angreifer ihre Masken und Schutzanzüge überziehen (siehe Seite 26). Allgegenwärtig war die Furcht, der mesopotamische Despot könne versuchen, den Aufmarsch seiner Feinde mit Massenvernichtungswaffen zu zerschlagen.
Der erste irakische Flugkörper detonierte nahe dem Hauptquartier der US-Marines in Camp Commando - ohne Schaden anzurichten. Der nächste wurde erst mit der dritten"Patriot"-Abwehrrakete vom Himmel geholt. Die Bilanz der Raketenverteidigung blieb gemischt - einige anfliegende Raketen wurden getroffen, andere kamen durch, schlugen allerdings harmlos in der Wüste ein.
Wirkung erzielte Saddam hingegen auf den Ã-lfeldern: Sieben brennende Quellen zählten die Briten allein im grenznahen Rumeila-Gebiet.
Aus der ergiebigen Ã-lförderregion bei den Städten Kirkuk und Mossul im Norden des Irak kamen widersprüchliche Meldungen. Zunächst hieß es, amerikanische Special Forces hätten die offenbar weithin verminten Bohrlöcher bereits gesichert. Wenig später musste ein Kurden-Sprecher dementieren: Truppen des 1. Korps der Republikanischen Garde kontrollierten nach wie vor die Region.
Regelmäßig rief Informationsminister Mohammed Saïd al-Sahaf seine Landsleute zum Widerstand auf. Der neben ihm stehende Innenminister Mahmud Diab al-Ahmed, den Finger am Abzug einer Maschinenpistole, versprach, Bagdad werde zum"Krematorium für die Angreifer", ein Höllenfeuer, das alle vernichte.
Am Samstagmorgen trat al-Sahaf noch einmal vor die Kamera. Vor dem Hintergrund eines zerstörten Ministeriums sagte er:"Saddam lebt. Er hat alles im Griff."
WER SADDAM NICHT MIT HITLER GLEICHSETZTE, WURDE ALS APPEASEMENT- POLITIKER ABGETAN.
Und so, mit den nach Bagdad hastenden Kolonnen amerikanischer und britischer Verbände, mit brennenden Ã-lquellen und zu Trümmern gesunkenen Palästen begann der Krieg des George W. Bush. Er hat ihn gewollt, und er hat ihn bekommen. Nun belegt der Waffengang, dass Bush viel von jener Risikobereitschaft besitzt, die Amerika von seinen Präsidenten erwartet - und mindestens ebenso viel von der Arroganz einer Supermacht, die der übergroße Rest der Welt für eine Gefahr hält.
<font color="#FF0000">Seit Harry Truman, der die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki werfen ließ, habe sich kein Amtsinhaber im Weißen Haus auf ein vergleichbares"Spiel mit dem Schicksal" eingelassen</font>, schreibt die"New York Times". Die Kuba-Krise hat die Sowjetunion mit ihren Atomwaffen für Kuba ausgelöst, worauf John F. Kennedy reagieren musste. In den Vietnam-Krieg sind die Vereinigten Staaten erst nach und nach hineingeschlittert, ehe sie ihn zu ihrem größten moralischen Desaster im 20. Jahrhundert machten. Und den Krieg gegen Afghanistan hätte Amerika ohne die mörderischen Anschläge am 11. September 2001 nicht geführt.
Doch der zweite Feldzug der Amerikaner am Golf ist ein Krieg, für den ausschließlich Bush die Verantwortung trägt. Um ihn zu führen, hat er alte Verbündete abgewertet und die militärische Macht aufgewertet. Wer seinen Wünschen im Wege war, ob die Vereinten Nationen oder ein paar Vertreter des"alten" Europa, wurde der Bedeutungslosigkeit geziehen. Wer Saddam nicht mit Hitler gleichsetzte und ihn auch nicht für die größte aller Gefahren hielt, wurde in Washington zu den Appeasement-Politikern gezählt.
<font color="#FF0000">Dabei krönt der Krieg eine Phase beispiellosen Versagens der amerikanischen Außenpolitik. Dass US-Präsidenten die Welt fast immer neu entdecken, wenn sie ins Amt kommen, gehört zu den Gepflogenheiten in Washington, an die sich die Verbündeten mehr oder weniger gewöhnt haben</font>. <font color="#FF0000">Dass aber ein Präsident erst acht Monate lang mit Alleingängen so ziemlich alle Welt vor den Kopf stößt, dann - nach dem 11. September 2001 - weltweite Solidarität erfährt, sie aber binnen kurzer Zeit wieder verspielt, ist auch für amerikanische Verhältnisse ein Novum</font>.
Die Nation, die sich so gern an ihrer unvergleichlichen Machtfülle berauscht, wurde auf einmal von kleinen wie mittleren Mächten vorgeführt. Nicht einmal ein Angebot von 15 Milliarden Dollar erwies sich als ausreichend, um dem türkischen Parlament die Zustimmung abzuringen, 62 000 Soldaten des Nato-Partners USA im eigenen Land zu stationieren. Nachdem der neue Premierminister Tayyip Erdogan mühsam die Zustimmung der Abgeordneten durchsetzte, den Angreifern wenigstens die Überflugrechte einzuräumen, marschierte die türkische Armee gegen den Wunsch der Amerikaner im Nordirak ein. Nun droht ein neuer Kurden-Krieg (siehe Seite 38).
<font color="#FF0000">45 Staaten seien in der"Koalition der Willigen" vertreten, brüstete sich Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Etliche von ihnen mochte er jedoch öffentlich nicht nennen, um die Freunde nicht bloßzustellen</font>.
Und selbst unter denen, die öffentlich auf Kriegskurs gegangen waren, befanden sich erkennbar viele, deren Hauptinteresse es war, rechtzeitig auf Seiten des Siegers zu stehen: Spaniens José MarÃa Aznar, der in der Entscheidung für Bush die Rückkehr seines Landes auf die weltpolitische Bühne zu erreichen sucht, <font color="#FF0000">will allenfalls ein Lazarettschiff zu Hilfe schicken</font>. Italiens Silvio Berlusconi, ebenfalls stolz darauf, zum neuen Europa der Bush-Freunde zu gehören, nannte zwar den Krieg"legitim", beteuerte aber, <font color="#FF0000">Italien werde nicht mitkämpfen</font>.
In Bulgarien, das im Sicherheitsrat stets auf Seiten der USA stand, knöpfte sich der Präsident seine eigene Regierung vor:"Ich kann diesen Krieg nicht akzeptieren", sagte Georgi Parwanow und warnte seinen Premierminister, er gefährde die Aufnahme Bulgariens in die Europäische Union.
Andere Bush-Freundschaften nahmen Schaden: Russlands Staatspräsident Wladimir Putin nannte den Militäreinsatz gegen den Irak einen"großen politischen Fehler" und forderte ein schnelles Ende der Kampfhandlungen. Die Staatengemeinschaft könne nicht zulassen,"dass internationales Recht durch das Faustrecht ersetzt" werde, bei dem"nur der Starke immer Recht" habe.
Auch die Aussagen der anderen Kriegsgegner im Sicherheitsrat waren eindeutig: Frankreichs Präsident Jacques Chirac fürchtete, der Krieg könne in einer"humanitären Katastrophe" enden, der Sprecher des Pekinger Außenministeriums, Kong Quan, nannte ihn einen"Verstoß gegen die Normen internationaler Beziehungen".
Im Übrigen waren es die muslimischen Länder, bei denen der Unterschied zu ihrem Verhalten im Golfkrieg von 1991 am deutlichsten wurde. Saudi-Arabiens König Fahd, damals ein Waffengefährte von Bush Sr., ließ seinen Bruder Kronprinz Abdullah eine Rede verlesen, die klarstellte, dass das Königreich keinen Krieg gegen Bagdad führt:"Kein saudischer Soldat wird irakischen Boden betreten." Die indonesische Präsidentin Megawati Sukarnoputri beklagte einen"Akt der Aggression, der gegen internationales Recht verstößt".
Ägyptens Präsident Husni Mubarak, seit langem ein erbitterter Gegner des irakischen Staatschefs, ließ zwar seine Polizei aufmarschieren und Wasserwerfer auffahren, um randalierende Demonstranten in Schach zu halten, doch sogar er wandte sich gegen die Kriegspolitik seiner Washingtoner Freunde.
In den Moscheen der arabischen Welt verkündeten Prediger, ein neuer Kreuzzug habe begonnen, in dem die Krieger des Westens zum Kampf gegen die Rechtgläubigen angetreten seien. <font color="#FF0000">Nach dem Freitagsgebet lieferten sich Jugendliche in vielen arabischen Hauptstädten Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften. Beim Versuch, die US-Botschaft im Jemen zu stürmen, gab es vier Tote</font>."Bush ist das Kunststück gelungen", höhnte der"New York Times"-Korrespondent Thomas Fried- man angesichts weltweiter Ausschreitungen,"einen globalen Popularitätswettbewerb gegen Saddam zu verlieren."
Natürlich stellten sich auch Amerikaner die Frage, weshalb das Land nun"auf den Ruinen der Diplomatie" ("New York Times") die Invasion beginnen müsse. Denn in Wahrheit war Präsident Bush schon zum Krieg entschlossen, als er im September vor die Vereinten Nationen trat, um den Fall Saddam zur Anklage vor der Weltöffentlichkeit zu bringen. Vielleicht wäre die Kalkulation sogar aufgegangen, <font color="#FF0000">doch Bush hielt es für ratsam, mit Nötigung und Druck zu operieren, anstatt für seine Sache zu werben</font>.
<font color="#FF0000">Am Ende führte die Ungeduld des Präsidenten mit dem langsamen Verfahren, mit den Inspektoren und den obstinaten Mitgliedern des Sicherheitsrats zur diplomatischen Katastrophe</font>. Plötzlich ging es ums Ganze: Unilateralismus gegen Multilateralismus, Krieg gegen Frieden, Europa gegen Amerika - und darum, ob sich die Vereinten Nationen durch Unterwerfung unter die Vormacht irrelevant machen oder durch Resistenz gegen sie. Jetzt ging es mehr um Amerika als um den Irak.
An Überzeugungskraft fehlte es dem US-Präsidenten aber auch, weil er für den Krieg gegen den Irak wechselnde Gründe genannt hatte. Ein Leitmotiv für den Sturm nach Bagdad wurde einmal mehr in der Präsidentenrede vom vorigen Montag deutlich. Da schwang Angst mit vor einer Wiederholung der Anschläge vom 11. September."Anstatt einer Tragödie entgegenzutreiben", lautete der Kernsatz des Präsidenten,"nehmen wir Kurs auf unsere Sicherheit." Mit der Gegenwehr zu warten sei"Selbstmord".
Zwei Tage darauf, als er den Beginn des Kriegs erklärte, spitzte er diesen Gedanken weiter zu:"Wir werden dieser Bedrohung jetzt mit unserem Heer, unserer Luftwaffe, der Flotte, der Küstenwache und den Marines begegnen, damit wir ihr nicht später mit Armeen von Feuerwehrleuten, Polizisten und Ärzten auf den Straßen unserer Städte begegnen müssen."
Sechs eindeutig definierte Ziele will Washington mit dem Feldzug gegen Bagdad erreichen:
<ul type=disc>
~ die Entmachtung Saddam Husseins ("regime change")
~ den fortdauernd territorialen Zusammenhalt des Irak
~ die Beseitigung von Massenvernichtungswaffen
~ eine Demonstration der Durchsetzungsfähigkeit der Vereinigten Staaten gegenüber der islamischen Welt;
~ die Zerstörung jeder Verbindung des Irak mit dem internationalen Terrorismus sowie
~ eine möglichst geringe Anzahl amerikanischer Verluste und ziviler Opfer.
</ul>
Das Ziel des Despoten aus Bagdad hingegen ist denkbar einfach: Es geht um das Überleben seines Regimes an der Macht. Gelingt ihm das selbst für wenige Wochen, geraten die Angreifer in Verlegenheit.
Ein solches Hinauszögern des angeblich unvermeidlichen Sieges ist der düsterste Alptraum von General Tommy Franks. Der Feldherr, der zeitgleich mit dem Beginn des Angriffs auf Bagdad in Afghanistan erneut 1000 Soldaten in einer Großoffensive nach versprengten Qaida-Terroristen, vor allem aber nach deren Chef Osama Bin Laden suchen ließ, führt auch den Krieg gegen Saddam."Er ist intelligent und schnell, vor allem aber kennt er seine Materie", rühmt Rumsfeld den Vier-Sterne-General.
Viele Beobachter in Washington sehen in dem zurückhaltenden Soldaten allerdings auch das Alter Ego des flamboyanten Pentagon-Chefs. Die beiden haben sich zusammengerauft: Rumsfeld war stets der risikobereite Antreiber, Franks der Bremser, der sich eher an erprobte Rezepte hält.
Vor allem dank der gewaltigen technologischen Überlegenheit der Koalitionstruppen glaubt Franks allerdings nicht, dass sich Saddam an der Macht halten kann. Die meisten Experten geben ihm Recht."Wir werden schnell gewinnen", prophezeite vergangenen Freitag der amerikanische Konteradmiral John Kelly.
Saddam Husseins Kalkül sieht naturgemäß genau das Gegenteil vor. Er hat schon einmal eine vernichtende Niederlage durch die USA im Amt überlebt und weiß daher, dass er den Amerikanern an Kampfkraft hoffnungslos unterlegen ist. Gelänge es seinen Streitkräften, den Feind in einen Abnützungskrieg in den Städten zu verwickeln, sähe sich Saddam womöglich auf der Gewinnerstraße. <font color="#FF0000">Einen Monate dauernden, verlustreichen Häuserkampf werde Bush politisch nicht durchhalten, hofft der Gewaltherrscher</font>.
In diese Falle will Washington auf keinen Fall geraten. Die Isolierung des Despoten und die Zerschlagung seines Regimes so schnell wie möglich ist daher erste und wichtigste Aufgabe des Pentagon.
Diesem Ziel galt schon der Eröffnungsschlag des Kriegs - der nachts um 5.34 Uhr Ortszeit im Süden der irakischen Hauptstadt niederging. Sechs amerikanische Kriegsschiffe im Roten Meer und im Persischen Golf hatten rund 40"Cruise Missiles" gestartet. Mit ihnen tauchten, kaum zu erkennen für die irakische Luftverteidigung, zwei Tarnkappenbomber vom Typ F-117 über Bagdad auf.
Sie alle hatten ein Ziel - ein Privathaus, in dem sich nach Geheimdienstinformationen Saddam mit seinem engsten Führungszirkel zum Kriegsrat treffen wollte. Senkrecht durchs Dach und zeitgleich durch die Seitenwände sollten die Flugkörper einschlagen. Kein Entkommen sollte es geben aus dem Inferno.
Tonnenschwere Bomben vom Typ"Bunker Buster" sollten zudem garantieren, dass auch eine unterirdische Festung unter dem Wohngebäude keinen Schutz bot. Die satellitengesteuerten Sprengsätze können bis zu sechs Meter Beton durchschlagen, ehe sie mit einer gewaltigen Explosion im Bunkerinneren alles Leben auslöschen.
<font color="#FF0000">Das Ziel wurde getroffen und zugleich verfehlt: Saddam Hussein, dessen Tod den Krieg womöglich beendet hätte, noch ehe er begann, blieb offensichtlich unversehrt</font>.
Wäre Saddam selbst oder wenigstens seine wichtigsten Getreuen gleich zu Anfang des Krieges ausgeschaltet worden, so die Hoffnung im Pentagon, wäre es den Kommandeuren seines Heeres und allen überlebenden Politikern seines Regimes leichter gefallen, die Seiten zu wechseln.
Doch auch ohne einen solchen Erfolg zu Kriegsbeginn bleibt der Faktor Geschwindigkeit kriegsentscheidend. Franks will möglichst früh Erfolge vorweisen können, um immer mehr irakische Offiziere zum Aufgeben zu bewegen."Angelpunkt dieses Kriegs ist die Zeit", sagt John Pike, Chef des Washingtoner Think Tanks"Globalsecurity.org"."Die USA müssen die Iraker dazu bewegen, schnell die Kämpfe zu beenden.<font color="#FF0000"> Saddam dagegen will den Krieg verlängern, um möglichst viele Opfer und möglichst viele Bilder der Zerstörung vorweisen zu können</font>."
Während Bush in seiner Kriegsansprache vor allzu großen Hoffnungen auf ein schnelles Kriegsende warnte, geben Pentagon-Strategen - wie immer anonym - zu, dass ihre Truppen die Hauptstadt des Gegners gar nicht zügig genug erreichen können. <font color="#FF0000">"Jeden Tag werden die Verluste größer, die im Irak, bei den übrigen Arabern und bei Muslimen anti-amerikanische Ressentiments verstärken können."</font>
STUNDENLANG ÜBERTRUG CNN LIVE DIE BILDER DES SCHEINBAR UNAUFHALTSAMEN VORMARSCHES.
Doch schon bei den unerwarteten Kämpfen vor Basra wurde deutlich, was einen raschen Vormarsch verlangsamen kann. Bagdads Artillerie - über 2000 Geschütze und Raketenwerfer sowie rund 2500 Granatwerfer unterschiedlichster Kaliber - ist die einzige konventionelle Waffe, die den Amerikanern Sorgen bereitet. Ihr widmen die Angreifer denn auch besondere Aufmerksamkeit: Kampfhubschrauber vom Typ"Apache Longbow" und A-10-Jets, die als Panzerknacker gefürchteten"Warzenschweine", werden versuchen, irakische Artilleriebatterien auszuschalten, noch ehe die US-Angriffstruppen in ihre Reichweite geraten.
Auf vielen Wegen intensivierte Washington auch die Propagandakampagne, welche die irakische Armee von der Sinnlosigkeit des Widerstands überzeugen und zur Aufgabe bewegen soll. Flugblätter kündigten den baldigen Sturz Saddams an und warnten vor Gegenwehr. Vor allem mögliche Befehle zum Einsatz von Massenvernichtungswaffen sollten die Soldaten unbedingt verweigern, um der sonst sicheren Vernichtung auf dem Schlachtfeld oder der schweren Bestrafung durch Siegergerichte zu entgehen.
Selbst E-Mail und private Telefonanschlüsse nutzten Washingtons Propagandakrieger, um den Gegner zu entnerven. Die Regierung in Bagdad ließ kürzlich sämtliche Telefonnummern ihres Führungspersonals austauschen, nachdem immer häufiger anonyme Anrufe eingingen, die vor dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen warnten.
Vor allem die Entscheidung, im Gegensatz zum Golfkrieg von 1991, diesmal Reporter an die Front zu lassen, zahlte sich für die Amerikaner aus. <font color="#FF0000">Stundenlang übertrug CNN live die Bilder des scheinbar unaufhaltsamen Vorstoßes nach Bagdad - für die irakische Militärführung eine einzige Katastrophe, die sie mit der Ausweisung des TV-Teams aus Bagdad ahndete</font>."Selten zuvor ist eine Armee mit so großer Hoffnung in die Schlacht gegangen, dass die andere Seite einfach die Seiten wechseln wird", sagt James Steinberg, Forschungsdirektor bei der Washingtoner Brookings Institution.
Doch die Blitzkriegsstrategie des Pentagon birgt auch ein hohes Risiko. Vor allem der Verzicht darauf, Saddam im Vorweg durch einen Luftkrieg zu entwaffnen, setzt die Angreifer erhöhten Gefahren aus. Wie schnell also treibt dieser Krieg der Entscheidung zu? Wenn der Maßstab der berühmte amerikanische Weltkriegsgeneral George Patton wäre, müssten die ersten Panzer der Amerikaner"nach zwei Tagen vor Bagdad stehen", glaubt Patrick Garrett von Globalsecurity.org. Konservativere Kommandeure würden allenfalls vier Tage benötigen.
Genau diese Differenz, berichten Insider, mache auch einen anhaltenden Konflikt im Pentagon aus: Minister Rumsfeld, dem schon der Afghanistan-Krieg viel zu lange gedauert hatte, drängte aufs Tempo. General Tommy Franks, der methodische, eher vorsichtige Kommandeur, nahm sich mehr Zeit.
Doch mit dem Eintreffen vor der Hauptstadt wäre nur die erste Aufgabe gelöst: <font color="#FF0000">"Um zu Saddam zu gelangen, müssen wir uns wohl durch Bagdad kämpfen"</font>, fürchtet der Stratege Pollack. Spätestens hier muss sich zeigen, ob Saddams Militär bereits so geschwächt ist, dass auch den Elitetruppen der Republikanischen Garde, die in Bagdad stehen, die Lust zum Kämpfen vergangen ist.
<font color="#FF0000">Allerdings: An den Toren der Hauptstadt schrumpft Amerikas technologischer Vorsprung auf eine für den Ausgang der Schlacht nicht vorhersehbare Größe. Das, was der Supermacht den Marsch bis an den Stadtrand erleichtert hat, zählt kaum noch, wenn in der Fünf-Millionen-Metropole Straße um Straße, Haus um Haus im Kampf Mann gegen Mann erobert werden muss</font>.
Um die Amerikaner aufzuhalten und den Anflug der Präzisionswaffen zu stören, hat Saddam rings um Bagdad Gräben ausheben lassen. Geheimdienste glauben, der Diktator werde anordnen, sie mit Ã-l zu füllen und anzustecken. Der Rauch verbrennenden Ã-ls, das geben selbst die Amerikaner zu, könnte lasergelenkte Leitsysteme stören.
Gelänge es Saddam, seine Hauptstadt in ein <font color="#FF0000">"mesopotamisches Stalingrad"</font> zu verwandeln, rechnet Pollack mit"Hunderten, wenn nicht Tausenden" amerikanischer Opfer. Bei Übungen für den Häuserkampf"haben US-Einheiten eine Verlustrate von 30 bis 70 Prozent erlitten", resümiert auch der Militäranalytiker Garrett. Schlimmer noch: Würde sich auch die Bevölkerung gegen den Angreifer wenden, könnte der Kampf doch noch in einem Debakel enden.
Genau darauf setzt Saddam. Während die wenig zuverlässigen Divisionen der regulären Streitkräfte im Süden und Norden Stellung in der Nähe der Grenzen bezogen haben, hat er seine getreuen Garde-Truppen um und in Bagdad konzentriert. <font color="#FF0000">Ein erster Verteidigungsring zieht sich in 50 Kilometer Abstand um die Hauptstadt, ein zweiter verläuft durch deren Randbezirke. Der Regierungsbezirk sowie seine Heimatstadt Tikrit sind noch einmal besonders durch einen engen Truppenring geschützt, der aus den Spezialkommandos der Republikanischen Garde besteht</font>.
Das Pentagon glaubt, selbst den Kampfgeist der Saddam-Gardisten binnen Tagen brechen zu können. Auch Pollack hält es für"äußerst unwahrscheinlich, dass der Einmarsch fehlschlägt". Selbst unter denkbar ungünstigsten Umständen,"wenn jeder irakische Soldat bis zum Tod kämpft, wenn Bagdad Massenvernichtungswaffen wirkungsvoll gegen US-Truppen einsetzt und wenn die Iraker sich effektiv in ihren Städten verschanzen, würden die Vereinigten Staaten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gewinnen".
"UM ZU SADDAM ZU GELANGEN, MÜSSEN WIR UNS WOHL DURCH BAGDAD KÄMPFEN."
Die Angst vor dem Straßenkampf ist deshalb bei den Einwohnern von Bagdad weit ausgeprägter. Dort hat ein Stadtteil derzeit ganz besonderen Zulauf: Das Viertel Chalil Ibn al-Walid im Osten von Bagdad gilt als Geheimtipp für den Kriegsfall. Die Regierungs-, Armee- und Geheimdienstzentralen, Ziele der amerikanischen Bomber wie der anrückenden alliierten Truppen, liegen weitab auf der anderen Seite des Tigris.
"Die Stadt kommt mir vor wie in den ersten Tagen des Fastenmonats Ramadan", sagt Ban Jusif Dschamil, 32, eine Sängerin im Chor des Bagdader Symphonie-Orchesters."Kaum jemand ist unterwegs, doch was man unbedingt braucht, kann man trotzdem kaufen."
Strom und Wasser flossen bis zum vergangenen Freitag ohne Störung, das Telefonnetz funktionierte selbst noch nach dem Bombenschock. Im Pressehaus Wasirija liefen die Druckmaschinen, überall in der Stadt waren Zeitungen zu kaufen. Der Verkehr rollte, der bewaffnete Zivilschutz der Baath-Partei, der die Bevölkerung seit Wochen mit martialischen Notfallübungen eingeschüchtert hatte, hielt sich im Hintergrund.
<font color="#FF0000">Die wenigsten Bagdader haben in den vergangenen Wochen die Stadt verlassen, doch sie wissen von den massiven Befestigungsanlagen im Süden und Westen der Stadt. Dort hat die Republikanische Garde schwere Waffen in Stellung gebracht, um die Amerikaner an der Eroberung der Hauptstadt zu hindern</font>.
Alarmstimmung - trotz der Eilmärsche ihrer Truppen auf Bagdad - herrschte auch bei den Amerikanern. Seit Kriegsbeginn ist an der Heimatfront wieder"Code Orange" ausgerufen, die zweithöchste Stufe auf der Alarmskala. Das FBI warnt vor Attentaten. In einem Memorandum der Polizeibehörde steht orakelhaft, dass"al-Qaida im letzten Stadium für Anschläge in großem Umfang sein kann".
<font color="#FF0000">Die Bundesbehörden rechnen offenbar mit biologischen oder chemischen Anschlägen. Die Küstenwache verschärft deshalb ihre Patrouillen in den Häfen und an der Küste. Sie konzentriert sich vorzugsweise auf Schiffe, die Nahrungsmittel oder gefährliche Chemikalien geladen haben</font>.
In New York hat das Alarmprogramm bereits einen eigenen Namen: Operation"Atlas". Polizeibeamte bewachen U-Bahnen, Tunnel, Fähren, Hotels, Synagogen. Sie halten sich zudem in der Umgebung der Touristen-Attraktionen auf. Schwer bewaffnete Verbände der Nationalgarde patrouillieren am Times Square und in der Wall Street. Spürhunde schnüffeln nach versteckten Bomben."New York war schon einmal Ground Zero", meinte Bürgermeister Michael Bloomberg zur Rechtfertigung"des umfassendsten Terrorabwehr-Programms" in der Geschichte der Stadt (siehe Seite 170).
Vergangenen Mittwoch, in der Nacht, in der der Krieg begann, ähnelte sogar Amerikas Hauptstadt ein wenig der Hauptstadt des Gegners - hier wie dort warteten die Bewohner auf das kommende Unheil.
In Washington stiegen noch mehr Hubschrauber als üblich auf, um die Stadt aus der Luft zu überwachen. Die Symbolstätten amerikanischer Macht, vom Kapitol über das Washington Monument bis hin zum Weißen Haus, wurden weiträumig abgesperrt. Die ganze Nacht über ertönte das schrille Heulen der Polizeisirenen.
Am Potomac wie am Tigris herrschte Angst.
HANS HOYNG, SIEGESMUND VON ILSEMANN, GERHARD SPÃ-RL, BERNHARD ZAND
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