-->Frankreich
Chiracs Kalter Krieg
<font color=red>Gegen Amerika, für - ja, was? Frankreich kommt den USA als Sündenbock gerade recht </font>
Von Michael Naumann
Paris
Das Ultimatum des George W. Bush an den Irak war Jacques Chiracs schlimmste Niederlage. Der kriegsentscheidende Teil der Welt hat nicht auf ihn gehört. Mit seiner „Kamikaze-Diplomatie“ (Robert Kagan) hat er die Amerikaner mehr gegen sich aufgebracht als einst Charles de Gaulle, der 1966 anlässlich seines zeitweiligen Nato-Austritts die US-Truppen aus Frankeich hinauswarf. Nun muss Frankreich, wenn man es denn überhaupt lässt, nicht nur den Irak wiederaufbauen, sondern auch die UN, die Nato und die EU. Und das ruinierte Verhältnis zu den USA.
Am Tag des Kriegsbeginns wendet sich der Präsident mit einer Fernsehansprache an die Franzosen, die er - ähnlich wie Gerhard Schröder wenige Stunden zuvor im deutschen Fernsehen - wie eine Kondolenzrede beginnt. Mit Grabesstimme und nahezu reglosem Gesicht bedauert Chirac die Militäraktion und wünscht ihr einen „möglichst schnellen und wenig mörderischen Verlauf“. Doch dann blitzt wieder der Missionarsgeist auf: „Wir finden uns nicht damit ab, dass Europa bislang unvollendet ist.“ Nun müsse der Kontinent „seine eigene Sicht der Weltlage formulieren“ und diese „durch eine gemeinsame Verteidigung glaubhaft machen“.
Wenig später, beim EU-Gipfel am vergangenen Donnerstag in Brüssel, ist Chirac der Medienstar, um den sich die Journalisten drängeln. Ohne jede Spur von Bedauern über das zerschlagene Porzellan weist Chirac einen Vorstoß der Briten und Amerikaner zurück, den Krieg mittels einer neuen UN-Resolution postum zu legitimieren und im Irak ein Protektorat zu errichten.
Stattdessen erreicht er, dass selbst sein Erzrivale Tony Blair, dem er in dieser Woche fast die politische Laufbahn ruiniert hätte, eine gemeinsame Erklärung unterschreibt. Darin wird nicht dem Weltpolizisten Amerika gehuldigt, sondern die „grundlegende Rolle der UN im internationalen System“ bekräftigt und „an erster Stelle der Sicherheitsrat für Frieden und Stabilität in der Welt verantwortlich“ gemacht. Am Wochenende sucht Chirac mit einem Brief die Unterstützung des Papstes bei dem Vorhaben, das gesamte Krisengebiet zwischen Palästina und Irak durch internationale Konferenzen in den Griff zu bekommen - ohne die USA dabei mit einem Wort zu erwähnen.
Chiracs Unbeugsamkeit hat zwischenzeitlich selbst regierungstreue Gefolgsleute verzweifeln lassen. „Wir sollten jetzt aufpassen, dass wir nicht als Verbündete Saddams und Gegner Amerikas angesehen werden“, warnt Pascal Clément, der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Parlament. Das konservative Nachrichenmagazin Le Point fragt in einer Titelgeschichte: „Sind Chirac und sein Außenminister de Villepin nicht längst viel zu weit gegangen?“ Und der Analyst Guillaume Parmentier vom Institut für internationale Beziehungen IFRI sieht Frankreich bereits „einen hohen Preis zahlen“ - nicht so sehr durch einen Wirtschaftskrieg, sondern durch politische Marginalisierung. Wenigstens die Befürchtungen des Abgeordneten Dominique Dord von Chiracs Partei UMP, Frankreich werde „sehr dumm dastehen, wenn die Iraker den Einmarsch der Amerikaner bejubeln“, haben sich nach den ersten Kriegstagen nicht erfüllt. Derweil ist laut jüngsten Umfragen die Zustimmung der Franzosen zur Politik Chiracs auf fast 85 Prozent geklettert.
Bei allen Gefühlsregungen für und wider den Crash-Kurs der französischen Außenpolitik ist ein Sentiment eindeutig deplatziert: das der <font color=red>Überraschung über Chiracs Beharrungsvermögen</font>. Während Beobachter in aller Welt noch bis zuletzt fest damit rechneten, dass die Franzosen einschwenken und wenigstens mit den Aufklärungseinheiten ihres Flugzeugträgers Charles de Gaulle am Golf mitoperieren würden, hätte man bei aufmerksamer Analyse der französischen Regierungserklärungen bereits seit vergangenem Herbst feststellen können, dass Chiracs Antikriegspolitik felsenfest verankert ist.
Schon beim deutsch-französischen Gipfel in Schwerin im Juli hatte der Präsident den deutschen Bundeskanzler hinter verschlossenen Türen mit seinen Befürchtungen über Amerikas Kriegsentschlossenheit derart alarmiert, dass Gerhard Schröder im Wahlkampf sofort die Friedensfahne hisste. Gegenüber der New York Times lehnte Chirac am 9. September jeden Präventivkrieg gegen den Irak ab: „Auch ich wünsche mir einen Regimewechsel. Aber man braucht ein paar Grundsätze und ein wenig Ordnung in der Weltpolitik.“ Zu Jahresanfang bezeichnet Chirac die amerikanischen Pläne dann als „idiotisch, gefährlich und absurd“, und am 20. Januar kleidete Außenminster Dominique de Villepin im Sicherheitsrat seine klare Veto-Drohung in die Worte, Frankreich werde „aus Respekt vor den Verfahrensprinzipien bis zum Äußersten gehen“.
Bevor Chirac nun an die außenpolitische Schadensregulierung denken kann, muss er sich fragen, warum ausgerechnet seinem Land, das in den vergangenen sechs Monaten seine Haltung um kein Jota geändert hat, stets der Ruf vorausgeht, unzuverlässig und opportunistisch zu sein. Als Frankreichs Botschafter Jean-David Lévitte in Washington vergangene Woche erklärte, bei einem Einsatz von chemischen und biologischen Waffen werde man „den USA solidarisch zur Seite stehen und Hilfe leisten“, sah der Chor der Frankreich-Kritiker darin den endgültigen Beweis, dass Paris nun umkippe. Dem hielt Thérèse Delpech, Frankreichs Vertreterin in der UN-Kommission zur Entwaffnung des Iraks, nur kühl entgegen: „Diese Waffen sind laut internationaler Konvention seit 1925 geächtet, und Frankreichs Beistand verstünde sich in diesem Fall von selbst.“
Doch sosehr sich Chirac in der Pose des Widerstandskämpfers gegen den Hegemon Amerika gefallen mag und so kategorisch er auch die jüngste Forderung Washingtons abgelehnt hat, die letzten irakischen Diplomaten aus Paris auszuweisen - allmählich müsste er ebenso engagiert darangehen, Schaden von seinem Volk abzuwenden. Denn der „Kalte Krieg zwischen Frankreich und den USA“ (Libération) hat nicht nur zur Folge, dass die französischen Sofitels in den USA bereits die Trikolore eingezogen haben, um nicht aufzufallen. Längst riskiert TotalFinaElf auf den südirakischen Ã-lfeldern von Bim Umar und Majnoon den Verlust der größten Förderkontrakte der Nachkriegszeit. Und auch andere lukrative Aufträge zum Wiederaufbau des Iraks werden nach gegenwärtiger Lage den Franzosen wohl zuletzt erteilt.
Aber nicht allein den Wirtschaftskrieg muss der so häufig als Krämerseele und Kontraktjäger gescholtene Chirac fürchten, sondern vor allem eine Erschütterung seiner europäischen Vorrangstellung. Schon schrumpft angesichts der Spaltung in der EU das groß angelegte Projekt des Europas der 25 wieder auf den Kernbestand der sechs Gründungsmitglieder, zumindest, was die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik angeht. „Das Europa der zwei Geschwindigkeiten ist ein alter Gedanke“, rechtfertigt Chiracs Sprecherin Catherine Colonna, „den der Präsident schon vor Jahren vor dem Deutschen Bundestag formuliert hatte.“
Allerdings muss sich erst zeigen, ob Chiracs modernisierter Gaullismus, der Frankreichs Souveränität nicht mehr im Alleingang, sondern neuerdings mithilfe einiger Kerneuropäer und den schwerfälligen UN bewahren will, tatsächlich Zukunft hat oder auf tönernen Füßen steht. De Gaulle ging 1958 zuerst daran, den zerrütteten französischen Staatshaushalt mit einer Rosskur zu sanieren, bevor er sich mit der Welt anlegte. Heute dagegen steht zur gleichen Zeit, in der Außenminister de Villepin im Sicherheitsrat schwungvoll über „die künftige Organisation der Welt, in der unsere Kinder leben sollen“ deklamiert, der französische Wirtschaftsminister Francis Mer wie ein armer Sünder vor den Brüsseler Währungskommissaren, weil seine Staatsschulden die Defizitquote sprengen. Von der pragmatischen Devise de Gaulles „Erst zahlen, dann reden“ kann Frankreich zurzeit nur träumen.
Das sind jedoch vergleichsweise harmlose Herausforderungen, die gegen den flammenden Frankreich-Hass in den USA völlig verblassen. Seitdem Sicherheitsberater Richard Perle wütet, Chirac sei „der Freund des brutalsten Tyrannen der Welt“, muss sich Frankreich darauf gefasst machen, dass der Tiefpunkt der transatlantischen Beziehungen noch aussteht. Philip Gordon, Direktor des Frankreich-Zentrums an der Brookings Institution in Washington, sieht zwei Gründe für das Zerwürfnis: „Zum einen ist es richtige Wut darüber, dass Chirac den Sicherheitsrat blockiert hat. Aber zum anderen braucht Bush, weil er dort in keinem Fall eine Mehrheit bekommen hätte, einen Sündenbock.“
<font color=red>Deshalb steigt bei manchen Präsidentenberatern in Paris aus purem Trotz die Erinnerung an die bislang größte Krise zwischen Paris und Washington wieder auf: Das war am 1. September 1966, als Charles de Gaulle in Phnom Penh den Vietnamkrieg verurteilte - mit fast den gleichen Worten, wie sie Jacques Chirac heute benutzt: dass sich Frankreich an der Ausweitung dieses Dramas nicht beteilige und dass die in Gang gesetzte Gewaltspirale den Weltfrieden bedrohe.
Damals kamen die Beziehungen zu Amerika erst Jahre später wieder ins Lot, nachdem die Franzosen Recht behalten und de Gaulles schlimmste Befürchtungen sich bewahrheitet hatten. </font>
(c) DIE ZEIT 14/2003
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