-->Die Bomben sind Musik für mich
Tagebuch
Der Krieg gegen den Irak beendet den Krieg der Baath-Partei gegen das eigene Volk. Doch wie kann auf Trümmern Gerechtigkeit entstehen? Aufzeichnungen von Kanan Makiya, dem Vordenker der irakischen Opposition
Bomben fallen auf Bagdad. Irakische Soldaten haben ihre Offiziere erschossen und ergeben sich den Amerikanern und Briten. Andere, in Nasirija und Umm Kasr, leisten harten Widerstand, sogar Zivilisten wurden bombardiert. Trotzdem weise ich entschieden die E-Mails und Anrufe meiner Freunde aus dem"Antikriegslager" zurück, die glauben, sich entschuldigen zu müssen, weil"ihr" Land"mein" Land bombardiert. Natürlich mache ich mir Sorgen. Wie jeder Iraker, den ich kenne, habe ich Freunde und Verwandte in Bagdad. Ich bin krank vor Angst um ihre Sicherheit. Dennoch sind die Bomben Musik in meinen Ohren. Sie klingen mir wie Freiheitsglocken für ein Land, das in ein riesiges Konzentrationslager verwandelt worden ist. Solche Dinge sagt man nicht in den linken, pazifistischen, zutiefst antiamerikanischen akademischen Zirkeln, in denen ich normalerweise lebe und arbeite. Die Wahrheit ist selbst für meine eigenen Ohren schmerzhaft und schockierend. © Karim Sahib/dpa/AFP
Wenn man die unterschiedliche Wahrnehmung dieses zweiten Golfkriegs verstehen will, die uns Iraker vom Rest der arabisch-muslimischen Welt - und auch von den Antikriegseliten von Cambridge, Paris und Berlin - unterscheidet, dann muss man den Krieg in Betracht ziehen, der von dem irakischen Regime gegen sein eigenes Volk geführt wird. Für die Iraker hat die Abwesenheit des jetzigen, von Amerika geführten Krieges keineswegs Frieden bedeutet. In all den Jahren, bevor die erste Cruise Missile in einem Unterschlupf der irakischen Führung detonierte, haben die Menschen des Iraks bereits einen anderen Krieg durchlebt. Sie leben seit 1980 im Krieg - seit Saddam Husseins sinnlosem Angriff auf den Iran. Seither sind eineinhalb Millionen Iraker eines gewaltsamen Todes gestorben. Zwischen fünf und zehn Prozent der Bevölkerung sind infolge der Entscheidungen ihrer eigenen Führung umgekommen.
Während ich die Nachrichten über den Krieg verfolge, befinden sich meine Freunde von der Opposition bereits in Kurdistan und in Kuwait, wo sie mit dem"Büro für Wiederaufbau und humanitäre Hilfe" unter Leitung des Exgenerals Jay Garner zusammenarbeiten. Mein Platz wäre dort bei ihnen, aber man hat mir die Aufgabe zugewiesen, mit Washington Kontakt zu halten. Ich kann es kaum aushalten. Ich denke dauernd darüber nach, ob die US-Regierung die irakische Opposition noch einmal im Stich lassen wird.
Was heißt"demokratischer Irak"?
Anlässe zum Zweifel gibt es genug. Marc Grossman, der zuständige Staatssekretär im State Department, hat es geschafft, eine lange Pressekonferenz über die Zukunft des Iraks abzuhalten, ohne auf Einzelheiten einzugehen. Alles, was er über die zentrale politische Frage sagen konnte, war, die Bush-Regierung strebe"einen Irak an, der demokratisch ist". Auch auf hartnäckige Nachfrage von Journalisten hatte Grossman diesen Allgemeinheiten nichts hinzuzufügen. Haben die Vereinigten Staaten überhaupt klare Vorstellungen darüber? Als ich hörte, wie Präsident Bush Saddam Hussein das Ultimatum stellte, konnte ich nicht umhin, mich über eine entscheidende Auslassung zu wundern: das Wort"Demokratie". Warum, fragte ich mich, hat er sich entschieden, es nicht zu gebrauchen?
Ich habe die letzten 25 Jahre meines Lebens damit zugebracht, auf diesen Moment hinzuarbeiten. Dieses Engagement war ein ständiges Auf und Ab zwischen Enttäuschung und Hoffnung, schmerzhaft verpassten Gelegenheiten und betrogenen Versprechen. Seit dem Ende des ersten Golfkriegs war für die irakische Opposition jeder kleine Fortschritt von Enttäuschung und Bitternis begleitet. In all den Jahren haben wir uns in der Opposition sorgsam über jedes Wort, jede Betonung, jedes Bild gebeugt, das in den amerikanischen Äußerungen über den Irak verwendet wurde. Und nun hörte ich den Präsidenten sagen, die"Befreiung" des Iraks stehe kurz bevor. Warum benutzte er nicht jenes Wort, mit dem in der Geschichte des Iraks ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen würde?
Trotz dieser Auslassung bin ich heute zuversichtlicher als bei meiner Rückkehr aus Kurdistan vor zehn Tagen. Dort hatte es manchmal ausgesehen, als würde die Regierung die Partnerschaft mit der irakischen Opposition ausgerechnet im Augenblick der Wahrheit beenden. In Ankara hatte der Gesandte der US-Regierung, Zalmay Khalilzad, der Opposition von den Regierungsplänen erzählt, nach dem Sturz Saddam Husseins einen Militärgouverneur zu installieren. Wir fühlten uns betrogen. Ich hatte Monate damit zugebracht, mit irakischen Freunden Pläne für den Übergang des Iraks zur Demokratie zu machen. Viele Jahre unseres Lebens stecken in der Vorbereitung dieses Dokumentes. Wir haben unsere Berufe dafür aufgegeben, alle anderen Verpflichtungen hintangestellt, unsere Familien vernachlässigt und pausenlos gearbeitet. Das Konzept wurde einer großen Versammlung der irakischen Opposition in London vorgestellt, an der 400 Delegierte teilnahmen. Aus dieser Versammlung ging ein 65-köpfiges Komitee hervor, dessen Aufgabe es sein sollte, eine neue irakische Führung zu bestimmen. Dieser Prozess kam letzten Monat bei der Konferenz von Salahuddin in Irakisch-Kurdistan zum Abschluss: Ein sechsköpfiges Führungsteam wurde gewählt, in dem Sunniten, Schiiten und Kurden repräsentiert sind.
Der Dreck der arabischen Politik
Wir erhielten vonseiten der US-Regierung allerdings keinerlei Sicherheit, dass unser Führungsteam irgendeinen tatsächlichen Einfluss auf die Zukunft des Iraks haben würde. Stattdessen schienen sich die Vereinigten Staaten nach wie vor auf die existierenden Strukturen des von der Baath-Partei kontrollierten Staates verlassen zu wollen. Als Reaktion darauf veröffentlichten der Präsident des Irakischen Nationalkongresses Achmed Schalabi und ich Kommentare im Wall Street Journal und im Observer, in denen wir vor jenen Plänen warnten, die"die irakische Opposition am Tag nach der Befreiung in einen Gegner der Vereinigten Staaten verwandeln würden".
In der letzten Woche jedoch die Erleichterung: Durch verschiedene Kanäle hat man uns wissen lassen, dass der Plan für eine Militärverwaltung für uns nicht so schlimm sei, wie wir befürchteten. Angesichts der geringen internationalen Hilfe hat die Regierung offenbar erkannt, dass sie es sich nicht leisten kann, auch noch die Unterstützung der irakischen Opposition zu verlieren. Hunderte von Irakern in Amerika, England und dem Rest ihrer Diaspora geben jetzt ihre Jobs auf, um beim Wiederaufbau des Landes mitzuhelfen. Trotzdem bereitet es mir Kopfschmerzen, dass all dies so spät in Gang kommt. Wir hätten schon vor einem halben Jahr auf diesem Stand der Vorbereitungen sein sollen.
Gerechtigkeit wird das Erste sein, was jedermann im Irak nach der Befreiung verlangen wird - aber Gerechtigkeit wird auch das am schwersten bereitzustellende Gut sein. Unter meinen irakischen Freunden im Westen musste ich leider Widerwillen erkennen, solchen bitteren Wahrheiten ins Auge zu sehen. Eine Anekdote aus Salahuddin zeigt, welchem Problem wir uns bald werden stellen müssen: Es gibt einen scharfen Kontrast zwischen jenen von uns, die privilegiert im Westen gelebt haben, und jenen Irakern, die dazu nie Gelegenheit hatten, mit denen wir aber gleichwohl morgen eine demokratische Gesellschaft aufbauen wollen. Jemand, der eine ziemlich ungenaue Übersetzung meines Observer-Artikels gelesen hatte, rief spät am Abend einen meiner Kollegen an und sagte ihm, er werde mich"vom Antlitz der Erde vertilgen". Er war wütend und meinte es ernst. Er glaubte, dass sich eine bestimmte Wendung in dem Artikel auf ihn persönlich bezog. Dabei hatte ich beim Schreiben überhaupt nichts von ihm wissen können. Am nächsten Tag legte sich seine Wut, und am Ende kam er sogar zu mir, um sich zu entschuldigen.
Die Details dieses Zwischenfalls sind nicht entscheidend. Es geht mir darum klar zu machen, dass dieser Mann unter den Händen der Baath-Partei so viel gelitten hat, wie Menschen überhaupt zu leiden fähig sind. Seine Verwandten wurden ermordet, er erlebte am eigenen Leib fürchterliche Grausamkeiten. Man stelle sich das Schlimmste vor, und man wird immer noch nicht die Schmerzen erahnen, die dieser Mann in seinem Leben erduldet hat. Irgendwann wog er nur noch 30 Kilo. Dies ist das"Rohmaterial", mit dem wir die Demokratie bauen wollen. An jedem Tag meiner Irak-Reisen in den letzten fünf Wochen bin ich solchen zerstörten und verwundeten Menschen begegnet - Menschen, die chauvinistisch und sektiererisch und voller Misstrauen gegenüber ihren eigenen Landsleuten sind. Das sind die Tatsachen in unserem armen, unglücklichen und ruinierten Land.
Warum schreibe ich das? Weil ich den Eindruck gewonnen habe, dass einige von uns im Ausland sich vorstellen, man könne hoch oben auf einem amerikanischen Panzer im Irak einmarschieren, erhaben über den Gestank der verrotteten Verhältnisse, ohne knietief in der Scheiße zu waten, die die Baath-Partei aus unserem Land gemacht hat. Die Amerikaner werden im Irak die kürzest mögliche Zeit verbringen, die man ihnen durchgehen lässt, und sie werden während dieser Zeit nicht verstehen lernen. Sie sind einfach nicht in der Lage, sich das auszumalen, womit sie es hier eigentlich zu tun haben. Sie werden es auch nicht schaffen, die Verhältnisse in Richtung des ruhigen und versöhnlichen Lebensstils hinzubiegen, den wir alle so viele Jahre lang im Westen genossen haben.
Niemand anderes kann die Verantwortung für eine solche Katastrophe übernehmen als die Menschen, die auf die eine oder andere Weise Teil davon sind. Ich werde allmählich zu alt, um immer weiter in der Scheiße der arabischen Politik zu waten, wie ich es nun schon über 30 Jahre tue. Ich schreibe dies, weil ich nicht weiß, wie viel mehr ich davon ertragen kann. Ich möchte, dass die Jüngeren verstehen, worauf sie sich einlassen, wenn sie nach der Befreiung in den verwüsteten Irak zurückkehren.
Ein neues Wort ist in die englische Sprache eingesickert: de-baathification. Es ist in den Diskussionen unserer Exilzirkel erfunden worden, und nun ist es Teil des Vokabulars der Bush-Regierung geworden. Das ist ein wichtiger Sieg für den demokratischen Flügel der irakischen Opposition. Es gibt zwar in der Regierung einen breiten Konsens darüber, dass irgendeine Form von Entbaathifizierung stattfinden solle, aber niemand hat bisher genaue Kriterien dafür ausgearbeitet. In unserem Report über den Übergang zur Demokratie im Irak haben wir argumentiert, ein ganzheitlicher gesellschaftlicher Prozess sei notwendig, um das Ziel zu erreichen. Um zu verstehen, warum das so ist, muss man sich die Natur von Saddam Husseins Regime vergegenwärtigen. Die wichtigsten Herrschaftsstrukturen sind nicht säuberlich in Ministerien organisiert. Die heimtückischste Wirkung entfaltet die Baath-Partei in Schulen, Universitäten, Gewerkschaften, Frauenorganisationen und Jugendgruppen. Sie wirkt mithilfe von Curricula und durch die Art der Lehrerausbildung. Sogar in die Angelegenheiten der Moscheen mischt sie sich ein, selbst die Bestellung von Klerikern ist ein politischer Akt. Hunderttausende von Polizisten und Armeeangehörigen werden nach Baath-Prinzipien ausgebildet und kommandiert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Mitglieder der NSDAP in fünf Kategorien ihrer Verstrickung in den Nazi-Apparat eingeordnet, vom"Hauptschuldigen" bis zum"Entlasteten". Ob jemand in einer staatlichen Institution arbeiten durfte, hing von seiner Einstufung ab. Die Übergangsregierung im Irak wird ebenfalls verschiedene Stufen der Verstrickung mit dem Regime definieren müssen. Zwischen überzeugten Baathisten und einfachen Parteimitgliedern muss unterschieden werden. Manche Parteimitglieder sind bloß beigetreten, weil es keine anderen Kanäle des sozialen Aufstiegs (und manchmal schlicht des Überlebens) gab.
Entbaathifizierung kann auf keinen Fall die Entlassung aller zwei Millionen Mitglieder aus ihren Ämtern bedeuten. Institutionen allerdings, die allein der politischen Manipulation dienen, wie das Informations- und das Religionsministerium, müssen aufgelöst werden, desgleichen die Sicherheitsdienste des Staates und der Partei sowie alle Milizen und paramilitärischen Organisationen. Dies ist eine sehr delikate Aufgabe: Hunderttausende Menschen, die im Sicherheitsapparat beschäftigt sind, werden vielleicht amnestiert, aber dennoch werden sie sozial ausgeschlossen und auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. Sie können sich zu einem gefährlichen destabilisierenden Faktor entwickeln, wenn sie nicht in die neue irakische Gesellschaft integriert werden.
Glauben Sie keinem Kommentator, der behauptet, eine Welle"nationaler Begeisterung" halte die Iraker davon ab, amerikanische und britische Soldaten in den Straßen zu begrüßen. Sie werden von jenen mörderischen Braunhemden daran gehindert, die unter dem Namen"Fedajin Saddam" bekannt sind.
Saddams Gesicht regiert
Die USA müssen verstehen, dass die Iraker nicht CNN sehen können. Die Koalitionsarmeen haben bislang außerhalb irakischer Städte Stellung bezogen. Sie haben jetzt erst damit begonnen, das irakische Fernsehen zu zerstören, Saddam Husseins Hauptinstrument zur psychologischen Kontrolle des Landes. Im Übrigen ist die Erinnerung an den März 1991 sehr lebendig, als der Aufstand im Südirak gnadenlos unterdrückt wurde, besonders brutal in Basra. Wenn Saddam Hussein 1991 wiederauferstehen konnte, denken die Iraker, warum dann nicht auch jetzt? Meine Telefongespräche mit Informanten im Südirak lassen auf eine Stimmung voller Ambivalenz und Zögerlichkeit schließen.
Das irakische Fernsehen muss ausgeschaltet werden, und zwar für immer. Das Bild Saddams und seiner Henker war während des gesamten Krieges im Süden und während der Bombardierung von Bagdad stets sichtbar. Saddam regiert durch sein Gesicht, durch seine allgegenwärtige Präsenz im Alltagsleben. Darum geht es bei diesen Abertausenden von Riesenpostern, die ihn überall im Irak zeigen. Jeder Tag, an dem sein Bild verbreitet wird, verstärkt die Aura der Unbesiegbarkeit. Trotz all der Spekulation der westlichen Medien glaubt kein einziger Iraker, dass er tot ist. Aber sein Bild zu eliminieren ist nicht genug. Die Koalition braucht die irakische Opposition - Iraker, die in die Städte schleichen können und andere Iraker organisieren helfen, Männer, die wissen, wie man mit ihren in der Falle sitzenden Brüdern reden muss, und die ihnen glaubhaft machen können, dass es mit Saddam diesmal wirklich zu Ende geht. Die US-Regierung verweigert der irakischen Opposition immer noch hartnäckig, ihre Netzwerke zu aktivieren, um den Kampf in den Städten und Dörfern zu erleichtern. Warum nur? Brauchte nicht auch das freie Frankreich seine kämpfende Résistance, um das Selbstbewusstsein und das Ehrgefühl einer geschlagenen Nation wiederzugewinnen? Den Untergang des Tyrannen vor Augen, bin ich voller Hoffnung und Sorge.
Kanan Makiya, geboren in Bagdad, kam 1968 zum Architekturstudium nach Amerika. Seine Arbeiten über Saddam Husseins Unterdrückungssystem brachten ihm den Ruf eines"arabischen Solschenizyn" ein. In Friedenszeiten leitet Makiya in Harvard ein Forschungszentrum über den Genozid des irakischen Regimes an den Kurden und lehrt an der Brandeis University, USA. - Abdruck mit freundlicher Genehmigung von"The New Republic", 2003. Aus dem Englischen von Jörg Lau
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