--><h2>Vom Kalten Krieg zum Neoimperialismus</h2>
<h3>Die USA sind nicht allmächtig - Irakkrieg mit unerwarteten Hindernissen</h3>
<font face="arial, helvetica, Sans-Serif" size="-1">Von Peter Strutynski
Ich möchte in meinem Referat vor allem drei Behauptungen aufstellen und sie zu
begründen versuchen:
<ol>
~ Die Vereinigten Staaten von Amerika sind - ganz im Gegensatz zu ihrer
einzigartigen militärischen Stärke - keineswegs allmächtig.
~ Der Irakkrieg 2003 ist nicht nur eine Niederlage des menschlichen Geistes,
sondern auch eine politische Niederlage der USA.
~ Die Friedensbewegung ist zu einer weltweit politischen Kraft geworden, zu
einer"Internationale des Friedens".</li>
</ol>
Beginnen möchte ich mit einer weltpolitischen Einordnung des Irakkrieges.
Erinnern wir uns einen Augenblick an dessen Vorgeschichte. Begonnen hat der
"Vorkrieg" mit der bekannten Rede des US-Präsidenten George W. Bush
zur"Lage der Nation" (29. Januar 2002), worin er erstmals öffentlich
eine"Achse des Bösen" ausgemacht hatte, der die drei
"Schurkenstaaten" Irak, Iran und Nordkorea angehörten. Kennzeichen
dieser Staaten sind nach Auffassung der US-Administration ein diktatorisches und
menschenverachtendes Regime, der Besitz von oder das Streben nach
Massenvernichtungswaffen und die Unterstützung oder gar Beherbergung
terroristischer Netzwerke. Nun wären diese drei Vorwürfe für sich genommen für
die USA kein Grund, einen Staat für"böse" zu halten und unter
weltpolitische Quarantäne zu stellen. Mit wie vielen anderen Diktaturen
pflegten und pflegen die USA gute bis herzliche Kontakte! Wie viele Staaten - außer
den drei genannten - betätigen sich regelmäßig oder sporadisch als
Proliferanten des Todes? So waren z.B. honorige westliche Staaten und Firmen maßgeblich
an der Aufrüstung des Irak mit biologischen und chemischen Waffen einschließlich
der dafür benötigten Trägersysteme beteiligt. Die enthüllende Liste der
Lieferanten machte 1991 die Runde; sie befand sich auch in dem vom Irak den
UN-Inspekteuren vorgelegten Waffenbericht vom Dezember 2002 - wo sie allerdings
auf Geheiß der US-Regierung geschwärzt wurde. Und auch das dritte Kennzeichen
"böser" Staaten, sie unterstützten Terroristen, könnte mit
wesentlich mehr Recht auf zahlreiche andere Staaten zutreffen als auf die
"Achse des Bösen". So stammen beispielsweise 16 von 19 mutmaßlichen
Terroristen des 11. September 2001 nicht aus Irak, Iran oder Nordkorea, sondern
aus Saudi-Arabien. Doch dieser Staat zählt zu den engsten Verbündeten der
Vereinigten Staaten in der Golfregion.
Die"Achse des Bösen" ist im Grunde genommen nichts anderes als eine
zweckdienliche Reduzierung des"Schurkenstaaten"-Konzepts früherer Präsidenten
auf die Länder, die zur Zeit in der Hauptrichtung der US-Expansionsbestrebungen
liegen; und diese Richtung führt nun einmal über den Nahen Osten bis nach
Zentralasien und bis an die Grenzen der Volksrepublik China. Charles
Krauthammer, konservativer Kolumnist der"Washington Post" mit großem
politischen Einfluss auf das Weiße Haus, war schon Anfang Februar letzten
Jahres der Meinung gewesen, dass der interne Meinungsstreit in der
US-Administration zwischen den reaktionärsten Hardlinern um Bush, Cheney und
Rumsfeld und den bündnisorientierten Pragmatikern um Außenminister Powell
zugunsten ersterer entschieden sei. Präsident Bush habe den"Krieg gegen
den Terrorismus" in seiner Rede zur Lage der Nation am 29. Januar neu
definiert und ihm eine klarere Zeitachse gegeben:"Wir werden uns
beraten", sagte Bush vor dem Kongress,"aber die Zeit ist nicht auf
unserer Seite. Ich werde nicht auf Ereignisse warten, während die Gefahren
zunehmen. Ich werde nicht untätig zusehen, während die Gefahr näher und näher
kommt. Die Vereinigten Staaten von Amerika werden es den gefährlichsten Regimes
der Welt nicht erlauben, sie mit den zerstörerischsten Waffen der Welt zu
bedrohen." Krauthammer meinte nun, Bush werde seine Popularität für einen
weitaus größeren und riskanteren Krieg nutzen, als es der Afghnaistankrieg
darstellte. Wohin gehen die USA"nach Phase eins, Afghanistan", fragte
Krauthammer. Seine Antwort: Phase zwei beginne jetzt mit der Terroristenjagd von
den Philippinen über Bosnien bis nach Somalia. Und Phase drei, der Sturz Saddam
Husseins, werde in aller Ruhe vorbereitet, während Phase zwei noch wochenlang
Schlagzeilen macht. Einen groß angelegten Feldzug gegen Irak sagte Krauthammer
innerhalb von 12 Monaten voraus.
Im Sommer l. J. begannen die USA sowohl mit einer detaillierten Planung des
Krieges als auch mit dem Truppenaufmarsch in der Golfregion. Am 5. Juli 2002 veröffentlichte
die New York Times einen Bericht, in dem die Planungen des Pentagon für einen
Krieg gegen den Irak preisgegeben wurden. Zehntausende von amerikanischen
Marines und anderen Bodentruppen sollten sich ihren Weg ins Innere des Irak
freikämpfen, hieß es unter Berufung auf ein geheimes Planungsdokument des
US-Zentralkommandos in Tampa, Florida. Von dort sollte der nächste Krieg gegen
den Irak geleitet werden. Unterstützt von schlagkräftigen Luft- und
Seestreitkräften würde der US-amerikanische Angriff mit bis zu 250.000 Mann
von drei Seiten geführt werden, vom Norden, Süden und vom Westen.
US-Spezialeinheiten oder CIA-geführte Operationen würden im Hinterland des
Irak Depots und Waffenlager angreifen. Der größte Teil der US-Bodentruppen
sollte Irak von Kuwait aus überfallen. Der Planung entsprach die Verlegung von
Truppen und Kriegsgerät an den Golf. Hierbei spielt die US-Airbase Frankfurt
a.M. eine herausragende Rolle. Am 2. August 2002 meldet die Frankfurter
Allgemeine Zeitung in ihrem Frankfurter Lokalteil unter der Überschrift
"Amerikaner verstärken Militärtransportflüge":"Bis Ende
August wickeln die amerikanischen Streitkräfte über den Frankfurter Flughafen
bis zu 30 zusätzliche Flüge täglich ab. Das teilte der Lärmschutzbeauftragte
der Landesregierung, Johann Bruinier, der Stadt Frankfurt und anderen
Kommunalverwaltungen im Flughafenumkreis mit. Ein Viertel der Transportflüge,
die nach amerikanischen Angaben der Unterstützung der Anti-Terror-Aktion
'Dauerhafter Frieden' gelten, findet zur Nachtzeit statt - auch mit schweren und
lauten Maschinen." Großbritannien begann derweil mit dem Abzug von 1.700
Soldaten aus Afghanistan und von 1.500 Soldaten von der NATO-Eingreiftruppe
(Juni 2002) sowie von 3.000 Soldaten einer Panzerdivision aus Polen (Juli 2002).
Außerdem wurde im Juli mit der massenhaften Einberufung von Reservisten
begonnen. Seither wurden etwa 200.000 US-Soldaten und rund 30.000 britische
Soldaten in der Golfregion stationiert.
Frappierend war auch die Offenheit, mit der vor aller Welt der Truppenaufmarsch
als kriegsvorbereitender Vorgang hingestellt wurde. Dies stellt zweifellos ein
Novum in der neueren Geschichte dar. Seit Monaten predigt die US-Administration
einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Irak - und kein einziges Mal ist
sie dafür etwa von UN-Generalsekretär abgemahnt worden. Dabei ist die
UN-Charta in diesem Punkt eindeutig: In Art. 2 Ziffer 4 wird ja nicht nur die
"Anwendung von Gewalt" sondern auch schon deren"Androhung"
in den internationalen Beziehungen untersagt. Wenn je der historisch belegte
Begriff des"Appeasement" Sinn macht (er wird als Vorwurf bisher fast
ausschließlich fälschlicherweise gegenüber den kriegsunwilligen Europäern
gebraucht, die durch ihr Beharren auf einer"friedlichen Abrüstung"
des Irak angeblich Saddams Position stärken), dann muss er gegenüber den
Vereinten Nationen und der EU, gegen die Staatengemeinschaft insgesamt erhoben
werden. Mir ist nicht bekannt, dass eine dieser Institutionen oder irgend eine
Regierung den USA diplomatische Proteste oder gar Sanktionen angedroht hätte.
Im Gegenteil: Die Diplomatie und das Regierungshandeln der Staaten dieser Welt -
selbst wenn sie im Widerspruch zur US-Kriegspolitik stehen - erschöpfen sich im
Beschwichtigen, in der Suche nach"Kompromissen" (als könne es
zwischen Krieg und Frieden einen Kompromiss geben!) und nach
"intelligenteren Lösungen", mit denen die USA vielleicht ohne den großen
Krieg an ihr Ziel kommen, das da heißt: Regimewechsel und Etablierung einer den
USA genehmen (Protektorats-)Verwaltung.
Auch die mehrfache Verschiebung des möglichen Angriffstermins spricht nicht
unbedingt für die Souveränität der einzigen Weltmacht, diesen Krieg nach den
eigenem Gutdünken zu führen. Wir erinnern uns, dass seit dem letzten Sommer
mindestens vier"günstige" Zeitpunkte für einen möglichen
Kriegsbeginn"gehandelt" und immer wieder verworfen bzw. verschoben
wurden. Zunächst war es der September, dann der November (vor den
Kongressteilwahlen!), im November hieß es dann, dass der Krieg Ende Januar
beginnen müsse, weil dann die klimatischen Bedingungen für die US-Soldaten und
das militärische Gerät am günstigsten seien. Schließlich verstrich auch der
nächste"Termin" (Mitte bis Ende Februar).
Es kam ein weiteres retardierendes Moment hinzu: der Gang der US-Regierung vor
die Vereinten Nationen. Nach der Ankündigung des US-Präsidenten vor der
UN-Generalversammlung am 12. September 2002, man werde von den Vereinten
Nationen verlangen, dass sie ihre Aufgaben im Kampf gegen den internationalen
Terrorismus und insbesondere bei der Entwaffnung des Irak wahrnehmen müsse, war
zumindest klar, dass sich die US-Administration den Mechanismen der UNO
unterwerfen würde. So wurde schließlich im November 2002 die Resolution 1441
(2002) im UN-Sicherheitsrat einstimmig verabschiedet und somit ein gewisses
Zeitfenster für die Tätigkeit der UN-Waffeninspekteure geöffnet. Der angekündigte
Krieg gegen den Irak wurde somit weiter vertagt.
Dies alles deutet darauf hin, dass selbst die einzige Supermacht dieser Welt
nicht allmächtig ist. Dass sie bisweilen in ihrem Drang nach Unilateralismus
gebremst wird und außenpolitische Rücksichten nehmen muss.
Das sture Festhalten an den einmal beschlossenen Kriegsplänen zeigt aber auf
der anderen Seite, wie Ernst es den USA war diesen Krieg tatsächlich zu führen.
Washington muss also triftige Gründe für diesen Krieg haben. Welche sind das?
Die Welt nach dem Kalten Krieg: Ein explosives Gemisch alter und neuer
Konfliktkonstellationen
Mit dem Ende des"klassischen" Ost-West-Konflikts in Europa haben sich
die Koordinaten der Weltpolitik zweifellos stark verändert. Wir befinden uns
seither in einer Übergangszeit, in der drei verschiedene Konstellationen
nebeneinander existieren und möglicherweise eine brisante Mischung ergeben.
Erstens hat der Kalte Krieg nicht wirklich aufgehört (1), zweitens stehen wir
an der Schwelle eines neuen Kalten Kriegs (2) und drittens befinden wir uns auf
der Rückkehr in die Zeit vor dem Kalten Krieg (3).
(1) Meine erste These lautet: Der Kalte Krieg, der in den 40 Jahren nach dem
Zweiten Weltkrieg der ganzen Welt seinen Stempel aufgedrückt hatte, ist nur aus
einer eurozentrierten Perspektive beendet worden. In Ostasien und im pazifischen
Raum hat der Kalte Krieg in Wirklichkeit nie zu existieren aufgehört. Dies hat
damit zu tun, dass in Asien der große Antipode der USA, die Volksrepublik
China, von der Auflösung der Sowjetunion und des Warschauer Pakts nicht
betroffen war und nicht in den Strudel des Zerfalls des Realsozialismus geriet.
Unabhängig davon, wie sich die ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse
in China entwickeln werden, stellt das Land für die Supermacht USA eine große
Herausforderung dar - auch wenn sich Peking zur Zeit selbst weniger als
Supermacht, sondern allenfalls als Regionalmacht begreift. Auch die koreanische
Halbinsel spielt eine herausragende Rolle in der Kontinuität des"Kalten
Kriegs". Dies wird nicht zuletzt dadurch unterstrichen, dass US-Präsident
Bush in seiner Rede zur Lage der Nation am 29. Januar 2002 Nordkorea explizit
seiner"Achse des Bösen" zugeordnet hat. Im Hin und Her der letzten
Wochen und Monate um die zivilen und militärischen Atomprogramme Nordkoreas
haben die Kontrahenten alle Register des gängigen gegenseitigen
Bedrohungsrituals gezogen. Kalter Krieg also wie gehabt!
(2) Meine Zweite These lautet: Es ziehen Strukturen eines"Neuen Kalten
Kriegs" am Horizont auf. Hierbei geht es v.a. um die hochgradig ideologisch
ausgetragene Konfrontation zwischen der"zivilisierten" und der
"nicht zivilisierten", der christlich-abendländisch-modernen Welt und
der islamisch-mittelalterlichen Welt. Der unvermeidbare Zusammenstoß der
Kulturen, den Samuel Huntington schon Anfang der 90er Jahre des letzten
Jahrhunderts kommen sah, scheint mit den Angriffen auf die Twin Towers eingeläutet
worden zu sein. Die Kriegsrhetorik des US-Präsidenten in den vielen Reden, die
er seither gehalten hat, beschwört einen solchen neuen Kalten Krieg geradezu
herauf. An die Stelle des"Antikommunismus" als ideologisches
Bindemittel des Westens tritt heute der Anti-Islamismus, der unter dem Label des
"Antiterrorismus" firmiert. Was die Situation heute von dem alten
Kalten Krieg unterscheidet und so gefährlich macht, ist die Tatsache, dass die
USA aufgrund ihrer militärischen Stärke diesen neuen Kalten Krieg nach
Belieben auch heiß führen können.
(3) Die dritte Konstellation wird von den westlichen Industriestaaten (einschließlich
Japans) selbst gebildet. Die Risse, die periodisch immer wieder zwischen den USA
und den EU-Staaten virulent werden (Streit um den ICC, Kyoto-Protokoll und
andere Beispiele aus der Umwelt- und Handelspolitik), deuten auf langfristige
strategische Widersprüche hin, die über den Weg des politischen Kompromisses
nicht endlos zu kitten sein werden. Die Hauptakteure sind wahrscheinlich
dieselben, die schon vor hundert Jahren den Kampf um die Vorherrschaft
ausgetragen haben. Nach dem bekannten Sozialwissenschaftler und Philosoph
Immanuel Wallerstein waren dies seit 1873 Deutschland und die Vereinigten
Staaten. Sie repräsentierten bis 1913 die erfolgreichsten Ã-konomien und
lieferten sich von 1914 bis 1945 einen"dreißigjährigen Krieg", der
- in der Zwischenkriegszeit - nur von einem Waffenstillstand unterbrochen war.
Deutschland hat nun im Rahmen der EU Verstärkung erhalten - die USA sind
weitgehend auf sich gestellt und im Moment dabei, trotz weltweiten Engagements
politisch in die Isolation zu geraten. Wallerstein gibt den USA nur noch zehn
Jahre für den unabwendbaren Abstieg als einer entscheidenden Macht in der
Weltpolitik. Schon heute sei es so, dass die USA lediglich auf militärischem
Gebiet eine Weltmacht darstellen, ökonomisch seien sie es längst nicht mehr. Für
Wallerstein stellt sich deshalb nicht mehr die Frage,"ob die US-Hegemonie
schwindet, sondern ob die Vereinigten Staaten einen Weg finden in Würde
abzudanken, mit einem Minimum an Schaden für die Welt und für sie
selbst."
Die relativ einfache und gut durchschaubare Weltordnung der Bipolarität und des
Systemwettstreits zwischen einem gezähmt und attraktiv erscheinenden
Kapitalismus auf der einen und einem ökonomisch ineffizient und demokratisch
defizitär erscheinenden Sozialismus auf der anderen Seite ist also heute von
einem höchst explosiven Gemisch dreier sich überlagernde
Konfliktkonstellationen abgelöst worden. In ihnen entwickelt sich eine neue
Welt(un)ordnung, die gekennzeichnet ist durch
<ul>
~ die von der Welthandelsorganisation und dem Internationalen Währungsfonds
gestützte Durchsetzung neoliberaler Grundsätze in der Wirtschafts- und
Finanzpolitik fast aller Staaten der Erde,
~ die Entsouveränisierung, Marginalisierung oder/und Radikalisierung von
Staaten und Gesellschaften, die von der"Globalisierung" ausschließlich
negativ betroffen sind oder die aus ressourcialen und geostrategischen Gründen
zum Objekt der Begierde der USA und der anderen führenden kapitalistischen
Staaten werden,
~ die relativ ungehemmte Ausbreitung und Barbarisierung regionaler, zumeist
innerstaatlicher Kriege und bewaffneter Konflikte insbesondere in der
Dritten Welt und der ehemaligen"Zweiten Welt",
~ die fortschreitende Umwandlung der Vereinten Nationen in ein Hilfsorgan
der führenden Mächte, insbesondere der USA, das im wesentlichen nur noch
auf zwei Funktionen reduziert sein soll: die Legitimierung militärischer
Interventionen und die humanitäre Nachsorge in militärisch
"befriedeten" Staaten und in den von jeder Entwicklung
abgekoppelten Hunger- und Katastrophengebieten der Erde,
~ den in den letzten Jahren immer deutlicher zum Ausdruck kommenden Drang
der USA zum"Unilateralismus", der von der komfortablen Situation
einer uneinholbaren militärischen Stärke begleitet wird, und
~ die zunehmende Differenzierung der ökonomischen und geostrategischen
Interessen zwischen den führenden Staaten der"Triade"
USA-Europa-Ostasien einschließlich der sich verschärfenden Konkurrenz
zwischen den global operierenden Transnationalen Konzernen.</li>
</ul>
Neoimperialismus: Kampf um die Energievorräte
Insgesamt haben wir es also mit einer Verschärfung des Nord-Süd-Konflikts
sowie mit einer Revitalisierung der Widersprüche zwischen den Hauptmächten der
industrialisierten Welt des"Nordens" zu tun. Diese Widersprüche
waren nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund des dominanten Systemwettstreits
zwischen Kapitalismus und Realsozialismus jahrzehntelang außer Kraft gesetzt
worden. Diese neue Konstellation erinnert sehr an ältere imperialistische
Konfliktlagen. Dennoch scheint mir haben sich die Voraussetzungen und das
Gesicht des Imperialismus in mancher Beziehung verändert. Heute geht es z.B.
nicht mehr in erster Linie um den Kampf der großen Konzerne um neue Absatzmärkte.
Der Weltmarkt, liegt den TNK vielmehr zu Füßen und es gibt keine relevanten
Grenzen mehr für die Waren der Ersten Welt. Schwieriger ist es da schon für
die umgekehrten Warenströme (etwa für Agrarprodukte aus der Dritten Welt in
die entwickelten kapitalistischen Länder), doch imperialistische
Austauschbeziehungen beruhen nun einmal nicht auf dem Prinzip der Gleichheit und
Gleichberechtigung. Eine Einschränkung des unbeschränkten Weltmarktes (dies
wurde in der Diskussion kritisch angemerkt) gibt es. Sie betrifft ein
weltwirtschaftlich weniger ins Gewicht fallendes, für bestimmte
Volkswirtschaften aber durchaus interessantes Marktsegment: den Rüstungshandel.
Da er in der Regel staatlich kontrolliert ist, kann er im Zweifelsfall auch nur
politisch, d.h. notfalls auch militärisch erschlossen bzw. umverteilt werden.
Die partielle Neuregelung der Verhältnisse im Nahen Osten nach dem zweiten
Golfkrieg 1991 haben die USA z.B. in die komfortable Lage gebracht, fast den
gesamten Rüstungsimportbedarf von Kuwait und Saudi-Arabien zu befriedigen.
Heute geht es auch nicht mehr um den seinerzeit erbittert geführten Kampf um
den Zugang zu den Kapitalmärkten anderer Staaten und Regionen. Kapitalexport
und Direktinvestitionen sind heute fast überall auf der Erde uneingeschränkt möglich,
ja, die Nationalstaaten sind im Zuge der weltweiten Standortkonkurrenz zu
"nationalen Wettbewerbsstaaten" geworden.
Schließlich geht es auch nicht mehr um die Eroberung fremder Territorien nach
dem Muster des klassischen Kolonialismus/Imperialismus. Koloniale Besitzungen wären
heute eher ein lästiger Kostenfaktor denn ein Gewinn für den erobernden Staat.
So erklärt sich im Übrigen die Abkoppelung ganzer Weltregionen von jeglicher
Entwicklung. Länder oder Regionen, in denen nichts zu holen ist, werden zur
Sozial- und Ã-kobrache der neoliberalen Globalisierung.
Das einzige, was dagegen heute noch zählt und in Zukunft sogar noch an
Bedeutung gewinnen dürfte, ist die (neo-)imperialistische Konkurrenz um knappe
Ressourcen, insbesondere um die endlichen fossilen Energievorräte dieser Erde.
Da diese Vorräte lokalisiert sind, d.h. nur an bestimmten Standorten vorkommen
und dort"gehoben" werden müssen, können selektive territoriale
"Eroberungen" nötig sein. Die weltweite Rohstoff- und
Energiesicherung zieht sich wie ein roter Faden durch alle strategischen
Konzepte der NATO sowie der einzelstaatlichen Sicherheitsdoktrinen der führenden
Industriestaaten:
<ul>
~ Die Römische Erklärung der NATO vom November 1991 enthielt bereits die
strategische Neuorientierung des ursprünglich auf Verteidigung ausgelegten
Militärbündnisses. Die Gefahr eines"großangelegten, gleichzeitig an
allen europäischen NATO-Fronten vorgetragenen Angriffs" sahen die
NATO-Strategen als"praktisch nicht mehr gegeben" an. Stattdessen
erwüchsen dem Bündnis neue Sicherheitsrisiken, die"ihrer Natur nach
vielgestaltig" seien und"aus vielen Richtungen" kämen. Und
als Beispiele für solche neuen Risiken nannte das NATO-Dokument die
"Verbreitung von Massenvernichtungswaffen", die
"Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen" sowie
"Terror- und Sabotageakte".
~ Das deutsche Verteidigungsministerium übernahm das Strategische Konzept
der NATO ein Jahr später fast wortgleich in seine
"Verteidigungspolitischen Richtlinien" (28. November 1992), die übrigens
bis zum heutigen Tag in Kraft geblieben sind und im Frühjahr einer Ankündigung
Peter Strucks zufolge überarbeitet werden sollen. In einer global
vernetzten, chaotischen Welt, so heißt es dort, würden"unwägbare
Risiken" überall lauern und stets auch"deutsche Interessen"
berühren. Daher, so schlussfolgerten die Richtlinien, ließe sich
"Sicherheitspolitik weder inhaltlich noch geografisch eingrenzen".
Die Ziele deutscher Sicherheitspolitik werden dagegen sehr exakt beschrieben
und lauten u.a.:"Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des
ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt..."
~ Ähnlich argumentierte das Verteidigungs-Weißbuch aus dem Jahr 1994, das
damals zeitgleich mit dem französischen Weißbuch veröffentlicht wurde, in
dem sich dieselben Formulierungen bezüglich der weltweiten
Rohstoffsicherung finden.
~ Eine der ersten Amtshandlungen des von einem US-Gerichts eingesetzten
US-Präsidenten George W. Bush war die Bildung einer Nationalen
Energiekommission unter der Leitung seines Vizepräsidenten Richard Cheney.
"Im großen Spiel des beginnenden 21.Jahrhunderts", so schrieb
Heiko Flottau am 28. Januar in der Süddeutschen Zeitung,"geht es..
um wirtschaftliche Einfluss-Sphären: Wer würfelt so viele Sechser, dass er
als Erster das Etappenziel Irak und danach das Feld mit der Aufschrift
"Welt- Erdölreserven" erreicht?" Zu den außenpolitischen
Prioritäten der Regierung des Texaners George W. Bush gehört die
Sicherstellung des wachsenden Ã-lbedarfs. Im Mai 2001 legte Cheneys
"Nationale Gruppe für Energie-Entwicklung" ihren Bericht vor.
Thema:"Wie ist der Erdölbedarf der USA in den nächsten 25 Jahren zu
sichern?" Immerhin werde der Anteil des von den USA importierten Rohöls
bis 2020 von jetzt 52 auf 66 Prozent steigen. Die Sicherung der Ã-lquellen
durch Diversifizierung der Importe von Kolumbien über Venezuela bis zum
Persischen Golf und nach Zentralasien ist eine der Forderungen des
Cheney-Berichtes. Und der Irak ist mit seinen 11 Prozent Weltölvorkommen
der erste Mosaikstein - dahinter lauern möglicherweise Saudi-Arabien und
der Iran.</li>
</ul>
Wenn man möchte, kann man sogar noch weiter in die Geschichte zurück gehen und
zeigen, dass die USA schon im Zweiten Weltkrieg versuchte hatten, die Kontrolle
über die strategischen Zentren der Weltwirtschaft zu gewinnen. Noam Chomsky
beschrieb in der Monthly Review vom November 1981 die Formierung der
geopolitischen Strategie der USA in jener Periode so:
"Der allgemeine Rahmen, innerhalb dessen sich die außenpolitischen Überlegungen
der USA nach dem Zweiten Weltkrieg bewegten, ist am besten beschrieben in den
Dokumenten, die während des Krieges von den Strategen des State Departement und
dem Rat für Auswärtige Angelegenheiten gefertigt wurden. Diese trafen sich
sechs Jahre lang, von 1939 bis 1945, im Rahmen des War and Peace Studies
Programms. Sie wussten spätestens seit 1941/42, dass die Vereinigten Staaten
bei Kriegsende eine Position enormer globaler Vorherrschaft einnehmen würden.
Und so stellte sich die Frage: `Wie organisieren wir die Welt?´
Sie entwarfen eine Konzeption, die als Grand Area Planning [Großgebietsplanung]
bekannt wurde. Die Grand Area wird darin bestimmt als jenes Gebiet, das, in
ihren Worten, `strategisch notwendig [ist], um die Welt zu kontrollieren´. Die
zugrunde liegende geopolitische Analyse versuchte herauszuarbeiten, welche
Weltregionen `offen´ sein müssen - offen für Investitionen, offen für die Rückführung
von Profiten. Offen also für die Beherrschung durch die Vereinigten Staaten.
Damit die US-Wirtschaft ohne interne Veränderungen würde prosperieren können
(ein ganz wesentlicher Punkt, der in allen damaligen Diskussionen aufscheint),
also ohne Umverteilung von Einkommen oder Macht oder strukturelle
Modifikationen, hatte dem War and Peace Program zufolge das für die
strategische Kontrolle über die Welt notwendige Gebiet zumindest die gesamte
westliche Hemisphäre, das frühere, jetzt in Auflösung begriffene Britische
Empire und den Fernen Osten zu umfassen. Das war das Minimum - das Maximum war
das Universum.
Irgendwo zwischen beidem war die Konzeption der Grand Area angesiedelt - und die
Aufgabe, sie in Form von Finanzinstitutionen und Finanzplanung zu organisieren.
Dies war der Rahmen, der für die gesamte Nachkriegsperiode gültig blieb."
(Zit. nach H. Magdoff u.a. "Die
imperialen Ambitionen der USA und der Irak". In: Marxistische Blätter,
Special zum Irakkrieg, 1/2003, S. 5f)
Entscheidend für die gesamte Konzeption der Grand Area war demnach die
Kontrolle des Mittleren Ostens, der als Teil des alten Britischen Empire
betrachtet wurde und als absolut unentbehrlich für die wirtschaftliche, militärische
und politische Kontrolle über den gesamten Globus galt - nicht zuletzt deshalb,
weil dort der größte Teil der bekannten Welterdölvorräte lag. Die
Vereinigten Staaten starteten deshalb in den 1950er Jahren eine lange Reihe
offener und verdeckter Interventionen in der Region, deren erste und wichtigste
der Sturz der demokratisch gewählten Mossadegh-Regierung im Iran war, die ausländische
Ã-lgesellschaften nationalisiert hatte. Der US-amerikanische Großangriff war
ein klarer Erfolg. Zwischen 1940 und 1967 steigerten die US-Gesellschaften ihre
Kontrolle über die Ã-lreserven des Mittleren Ostens von 10 auf nahezu 60
Prozent, während die unter britischer Kontrolle stehenden Reserven von 72
Prozent 1940 auf 30 Prozent 1967 abnahmen (ebd. S. 6) Mit der Verstaatlichung
der ausländischen Erdölgesellschaften im Irak durch die regierende
Baath-Partei 1972 und die Revolution der Ayatollahs im Iran 1979 sank der
Einfluss Großbritanniens und der USA erheblich. Dennoch blieben die
angloamerikanischen Konzerne führend in der Ausbeutung des Nahostöls. Das
meiste davon wurde aber in Saudi-Arabien realisiert, einem Land, dem man am
ehesten zutraut, dass es vollends unter den Einfluss islamistischer
Fundamentalisten gerät, auf die sich die USA langfristig nicht werden stützen
können. So gesehen ist der Griff der USA nach dem irakischen Ã-l ein Teil ihrer
"Diversifizierungsstrategie".
Die US-Amerikaner sagen das übrigens viel unverblümter, als wir uns das zu
denken getrauen. Jay Bookman, Redakteur und Leitartikler des"Atlanta
Journal Constitution, schrieb am 29. September 2002 folgendes:
"Die offizielle Version der Irak-Geschichte hat noch nie Sinn gemacht...
[Die angedrohte Invasion] hat nichts zu tun mit Massenvernichtungswaffen oder
Terrorismus oder Saddam oder UN-Resolutionen. Dieser Krieg, so er denn kommt,
soll dazu dienen, den Status der Vereinigten Staaten als flügge gewordenes
Weltreich zu bestätigen, das die alleinige Verantwortung und Autorität des
Weltpolizisten übernimmt. Es wäre die Krönung eines Plans, an dem seit zehn
oder mehr Jahren gearbeitet wurde und der jetzt verwirklicht wird von denen, die
überzeugt sind, dass die Vereinigten Staaten die Gelegenheit zur Weltherrschaft
ergreifen müssen, selbst wenn dies bedeutet, dass wir die ‹amerikanischen
Imperialisten› werden, die wir unseren Feinden zufolge immer waren... Rom hat
sich nie zu Containment [einer Politik der Eindämmung] herabgelassen; es hat
erobert. Und das sollten auch wir tun."
(Zit. n. ebd. S. 6)
Das"alte" Europa und die"Internationale des Friedens"
Genau hierin liegen wohl auch die Gründe, warum sich das"alte
Europa" quer stellt. Die Europäer befinden sich eigentlich in einem
Dilemma der besonderen Art. Die meisten europäischen Staaten, unter ihnen vor
allem Deutschland, Frankreich, Belgien und Ã-sterreich, bevorzugen gegenüber
dem Nahen Osten eher eine Politik der wirtschaftlichen Kooperation und des
politischen und sozialen Wandels. Immerhin hat eine solche Strategie im Rahmen
der KSZE schon einmal funktioniert: Die sozialdemokratische Formel der siebziger
Jahre vom"Wandel durch Annäherung" hat mit dem Dahinscheiden des
Realsozialismus und dessen sanfter"Übernahme" durch den Westen Ende
der achtziger Jahre doch späte Früchte getragen. Aus dieser Perspektive erklärt
sich das Nein der meisten europäischen Staaten zu den US-Kriegsplänen als
plausible Alternative. Auf der anderen Seite läuft das kontinentale Europa (Großbritannien
stand als Kriegsgefährte der USA immer schon fest) Gefahr, bei einer
Kriegsabstinenz nicht in den Genuss der"Kriegsbeute" zu kommen. Und
es geht neben dem Ã-l um nichts geringeres als um die Neuordnung der gesamten
Region.
Die inkonsequente Nein-Haltung der Bundesregierung und das theoretische
Offenhalten der Kriegsfrage durch Frankreich sind letztlich ein Reflex dieses
Dilemmas. Für Frankreich und Russland kommt hinzu, dass sie beide über eine
Reihe von Vorverträgen mit dem Regime in Bagdad zur Förderung irakischen Erdöls
verfügen, die hinfällig würden, wenn die USA den Krieg allein führen und
gewinnen. Vermutlich nützte Frankreich aber auch ein Mitmachen als
"Juniorpartner" der USA nicht viel - so einfach erwirbt man im
knallharten Ã-lgeschäft keine Zuschläge! Der günstigste, aber eben
unwahrscheinlichste Fall war daher aus französischer Sicht der Verzicht auf die
militärische Option.
Neben zahlreichen europäischen Regierungen haben sich fast alle Staaten der
Welt gegen den Krieg ausgesprochen. Zusammen mit einer weitgehend geschlossenen
Front der"öffentlichen Weltmeinung", einer zuletzt rasant wachsenden
und global agierenden Friedensbewegung (die ich die"Internationale des
Friedens" nennen möchte) und der zunehmenden Kritik in"God's own
country" geriet die US-Administration immer mehr in die Defensive. Der Gang
vor den UN-Sicherheitsrat sollte ein Befreiungsschlag für die USA werden, die
sich schon im November eine kriegslegitimierende Resolution erhofft hatten.
Statt dessen sprang lediglich eine zwar für den Irak überaus harte, für die
USA aber unzulängliche weiche Resolution 1441 (2002) heraus, die keine
Kriegsermächtigung darstellte. Die Vetomächte Frankreich, Russland und China
hatten bei der Erarbeitung der Resolution und vor der Abstimmung ausdrücklich
darauf hingewiesen, dass sie keinerlei Automatismus zum Krieg enthielte. Ein großer
Teil der Verantwortung wurde in die Hände der UN-Waffeninspekteure gelegt. Ihr
Vorgehen, ihre Berichte und Empfehlungen sollten das Drehbuch des Geschehens zunächst
bis zum 14. Februar bestimmen. Die Isolierung der USA und ihrer Verbündeter -
neben dem treuen Pudel Blair waren das Ende Januar noch ein paar europäische
Abweichlerregierungen wie Spanien und Italien - war in dieser Phase so vollständig,
dass die Kriegstreiber mit allen möglichen Tricks versuchten, den
UN-Sicherheitsrat doch noch auf ihre Seite zu ziehen und eine zweite,
kriegslegitimierende Resolution zu verabschieden. Erst als dies nicht gelang,
setzte die Kriegsallianz alles auf eine Karte und begann den Krieg am 20. März
nicht nur ohne UN-Mandat, sondern gegen den ausdrücklichen Willen der Mehrheit
der UN-Sicherheitsrats und der UN-Waffeninspekteure.
Die USA mögen diesen Krieg nach Belieben gewinnen - die Tatsache, dass er überhaupt
geführt wird und die Umstände, unter denen er zustande kam, zeigen, dass
dieser Krieg eine schwere Niederlage für die Vereinigten Staaten darstellt. Ihr
politischer Einfluss entwickelt sich in einem umgekehrten Verhältnis zu ihrer
militärischen Stärke. Dies ist ein Trost, aber auch eine anhaltende Bedrohung
für die Menschheit.
Dennoch: Der Aufschwung der Friedensbewegung in den letzten Wochen vor dem Krieg
und während des Krieges deutet an, welche politische Kraft künftig die
gesellschaftlichen Alternativen zum hegemonialen Kriegskapitalismus der USA und
anderer Mächte annehmen können. Mit der Großdemonstration in Berlin am 15.
Februar 2003 ist die Friedensbewegung endgültig aus dem Schatten der 80er Jahre
herausgetreten und hat sich als runderneuerte außerparlamentarische Kraft im
politischen Kräftespiel der Bundesrepublik Respekt verschafft. Noch nie war außerdem
so deutlich, dass die deutsche Friedensbewegung Teil einer weltweiten Bewegung
gegen Krieg und neoliberale Globalisierung ist. Ohne auf weltweite
Organisationsstrukturen zurückgreifen zu können, hat sich mittels Nutzung der
modernen Kommunikationstechnologien eine nicht nur virtuelle
"Internationale des Friedens" etabliert. In ihr wirken keine
hierarchischen Organisationsprinzipien, sondern freiwillige Übereinkunft
aufgrund ähnlich gelagerter Interessen und politischer Ziele.
Die gegenwärtige Phase der Friedens- und Antikriegs-Bewegung bezieht (wieder)
ganz neue gesellschaftliche Gruppen ein. Zu nennen sind hier in erster Linie
Jugendliche, die zum ersten Mal in ihrem Leben mit der Grundfrage menschlicher
Existenz (Krieg-Frieden, Tod-Leben) konfrontiert sind und auf die Straße gehen
oder noch weiter gehende Aktionen in Erwägung ziehen (Schulstreiks u.ä.). Auch
wenn klar ist, dass die meisten Aktivisten dieser Schüler/innen-Bewegung sich
nur vorübergehend friedenspolitisch (im engeren Sinn) engagieren, ist es
wichtig, die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit ihnen zu suchen, sie nach Kräften
in ihren eigenständigen Aktivitäten zu unterstützen und - vor allem - wo es
geht das politische Gespräch mit ihnen zu führen.
Die Bevölkerungsmehrheit gegen den Irakkrieg ist politisch natürlich nicht
homogen. Gewiss haben auch viele Demonstranten in Berlin die Bundesregierung in
ihrer Nein-Position unterstützen wollen. Insofern entsprach der
"regierungsfreundliche" Teil der Schlusskundgebung (die Reden von
Schorlemmer und Bsirske) der politischen Neigung eines mehr oder weniger großen
Teils der Demonstranten. Nur: Auch sie gehen wesentlich weiter in ihrer Kritik
an der Regierungspolitik und in ihren Forderungen an die Regierung, als die
rot-grünen Parteiformationen es gern hätten. Egal wohin man kommt: Den meisten
Beifall erhält man heute, wenn man von der Bundesregierung in der Irakfrage
neben dem verbalen Nein auch die dazugehörigen Taten einfordert. Dies sollte
die Friedensbewegung verstärkt tun, nicht weil sie die Bundesregierung
"vorführen" will (das erledigt sie sehr erfolgreich ja schon selber),
sondern weil dieser Punkt gerade während des Krieges noch an praktischer
Bedeutung gewonnen hat, weil Deutschland aktive Beihilfe leistet!
In der Bevölkerung hat sich ein erstaunlich klares Bewusstsein bezüglich der
wahrscheinlichen Beweggründe der US-Regierung für ihren Krieg gegen Irak
gebildet. Leserbriefe sowie Publikumsreaktionen bei Fernsehdiskussionen, aber
auch eigene Alltagserfahrung zeigen, dass die US-Regierung in den letzten
Monaten mehr zur politischen Bildung beigetragen hat, als es jahrelange
Zirkelschulungen in Politökonomie gekonnt hätten. Jeder Tankwart weiß heute,
dass es den USA im Irak-Konflikt weder um Menschenrechte oder um
Massenvernichtungswaffen, noch um die Bekämpfung des Terrorismus zu tun ist,
sondern dass es ihnen hauptsächlich um die Kontrolle der Erdölvorräte des
Nahen Ostens sowie um geostrategische Vorteile gegenüber dem"Rest der
Welt" geht.
Erfahrungsgemäß lässt der Widerstand einer Bewegung nach, wenn ihr
unmittelbares Ziel nicht erreicht wurde. Dies war der Fall nach der
Stationierung der Atomraketen im November 1993, nach dem Beginn des Golfkrieg
1991 und nach dem Beginn des Afghanistan-Kriegs im Oktober 2001. Es ist generell
schwer, einem solchen"Abschlaffen" der Bewegung vorzubeugen. Soweit
der Grund dafür aber darin zu suchen ist, dass die Bewegung gegen den drohenden
Irak-Krieg in erster Linie eine reine Anti-Bewegung war bzw. ist, könnte der
Gefahr des Zurückfallens dadurch teilweise vorgebeugt werden, dass die
Friedensbewegung ihre Alternativen zum Krieg deutlicher zum Ausdruck bringt,
ihre Anti-Haltung (die muss natürlich bleiben!) also durch ein Pro ergänzt.
Dieses Pro sollte über noch relativ allgemeine Formulierungen wie etwa
"Eine andere, friedlichere Welt ist möglich" hinausgehen und konkrete
Ziele formulieren. Dabei kann an den gegenwärtigen Irak-Konflikt angeknüpft
werden: Das Ziel einer Beseitigung und Unschädlichmachung von
Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägersysteme sollte nicht nur für den
Irak, sondern für alle Staaten geltend gemacht werden. Der Demilitarisierung
des Irak muss die Abrüstung anderer Länder der Region folgen. Regionale
Sicherheit im Nahen Osten wird langfristig nur auf der Basis gleichberechtigter
Beziehungen zwischen strukturell angriffsunfähigen Staaten (einschließlich
eines palästinensischen Staates) herzustellen sein. Ähnlich verhält es sich
mit der Forderung, dem internationalen Recht mehr Geltung zu verschaffen. Das
strikte Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen und die universellen
Menschenrechte müssen von allen Staaten respektiert werden. Schließlich
sollten die Teileinsichten der Bevölkerung in globale ökonomische und ökologische
Zusammenhänge genutzt werden, um praktikable Alternativen zum
verschwenderischen und zerstörerischen Kapitalismus zu diskutieren.
Es gibt also viel zu tun für die Friedensbewegung, vor allem jetzt in
Kriegszeiten, aber auch danach.
* Grundlage dieses Textes bilden zwei Referate des Autors: Ein Vortrag beim
Dresdener Friedenssymposium am 22. Februar 2003, also noch vor dem Beginn des
Irakkriegs, und ein Referat beim Kieler Friedensbündnis am 1. April. Zum
letzten Teil über die Friedensbewegung vgl. ausführlicher: "10
Thesen für die Diskussion in der Friedensbewegung".
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