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als Antwort auf:
http://f17.parsimony.net/forum30434/messages/181738.htm
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Hallo JLL,
ich bin von Samsara gefragt worden, ihr mein Engagement zu erklären. Deshalb bloß meine Anmerkung. Und als Geisteswissenschaftler empfinde ich es geradezu als meine Pflicht, das Thema am Kochen zu halten.
Gerade Politologen, Historiker und Theologen sollten immer und immer wieder die verschiedenen Aspekte betrachten und Muster erkennen oder die Zielsetzungen von Lobbies zu entlarven oder zu durchleuchten, wie zum Beispiel auch die mächtigste Lobby im amerikanischen Kongress, nämlich die AIPAC (America Israel Public Affairs Committee). Nur dafür sind Geisteswissenschaften da!
Wenn Du hier jeweils auf die Logik der Threads geachtet hast, dann dürfte Dir nicht entgangen sein, dass sehr viele halbewegs neue Boardmitglieder sofort auf Provokation- und Konfrontationskurs gegangen sind. Und das mit den schäbisten und unwissenschaftlichsten Mechanismen, nämlich der Antiamerikanismuskeule. Da haben wir jetzt nach der Antisemitismuskeule ja gleich eine neue. Prima.
Und das in Threads - wie beispielsweise in dem von Galiani (vor gut 20 Tagen) als ich mit No_Fear aneinander geraten bin. Ich befinde mich auch immer noch in einem Meinungsbildungsprozeß. Und da kann ich es nicht leiden, wenn interessante Texte von irgendwem einfach achtlos mit einer flapsigen Reaktion vom Tisch gefegt werden, ohne dass inhaltlich darauf eingegangen wurde. Ich kann Dir gerne die Stelle zeigen.
Ich habe in diesen Threads gerade darauf aufmerksam gemacht, dass ich für eine haarkleine Diskussion zu haben bin, dass ich mir aber jeweils, wenn ein spezielles Thema auf dem Tisch liegt, das nicht durch ein anderes ersetzen lassen will. Die Keulennummer habe ich satt."Aber wir haben Amerika vieles zu verdanken." oder"wir bringen Freiheit und Demokratie." oder:"Saddam muß weg."
Am Thema vorbei oder vorsätzliche Totschlagargumente, die einen in der Aufhellung der Hintergründe nicht weiter bringen. Wissenschaftlich arbeiten und nicht einfach Prügel austauschen. Das war mein Anliegen.
Und wenn Du auf mich geachtet hast, dann sollte Dir schon aufgefallen sein, dass ich viel über die politische Seite geschrieben habe und mit mir nur ab und an die Pferde durchgegangen sind, wenn ich gerade wieder frische Fotos von Leichen zu sehen bekommen habe. Je tiefer man in das Thema eintaucht, desto erschütternder stellt man fest, was das für eine miese Welt ist in der wir leben. Und Du kannst mir glauben: wenn ich all das nicht wüßte, dann ginge es mir viel besser. Manchmal beneide ich die unpolitischen Leute auf der Straße, dass sie so gar keine Ahnung haben. Manchmal vermisse ich andere Themen oder den Umstand, dass ich"durch Selbstverordnung" gar keine Freizeit mehr habe.
Und desto schlimmer finde ich es, wenn ich Texte von Exilirakern präsentiert bekomme, in denen steht, wie sehr sie sich freuen und dass es Musik in ihren Augen und Ohren ist, wenn Bomben über Bomben auf Bagdad fallen. Das ist grotesk!
In der Deutung der Zusammenhänge lasse ich gerne mit mir reden. Auch ich bin noch nicht hinter die ganze Summe der Kriegsgründe gekommen. An vielen Stellen schwanke ich selber.
Es geht nicht um planmäßige Tötung von Zivilisten. Das kommt vielleicht erst noch, wenn die Truppen das Land nicht anders"befrieden" können. Es geht mir um einen Krieg der zumindest nach meinem ethischen Verständnis und nach den ursrprünglich vom amerikanischen Establishment vorgetragenen Intertionen gar nicht nötig war.... und bei dem man von vornherein wußte, dass Zivilisten würden sterben müssen... und deshalb stelle ich Fragen und versuche vielleicht an der einen oder anderen Stelle Leute, die das Thema kalt läßt, wachzurütteln.
Mich belastet es auch, dass es einige extrem schlimme Soldaten gibt, die in Rambomanier auf Menschen losgehen. Das muß man kritisieren. Das tun sogar Marines in Amerika, die von den Ereignissen an den Kontrollpunkten Kenntnis genommen haben.
Du schreibst: Niemand konnte ernsthaft erwarten, dass eine Invasion ohne zivile Opfer abginge.
Das ist genau mein Punkt. War der Krieg, war das Sterben von Menschen wirklich nötig? Noch immer sind keine Massenvernichtungswaffen gefunden worden.
Mein Eindruck ist eher, dass die USA in diesem Krieg wesentlich behutsamer vorgehen, als beispielsweise unsere neuen russischen Friedensfreunde es in Tschetschenien je taten.
Siehst Du? Und solche Vergleiche finde ich unangebracht. Da muß man Tschetschenien und die Grausamkeiten dort gesondert behandeln. Als eigenes Thema. Aber Du kannst die zivilen Opfer im Irak nicht einfach"aufrechnen" gegen das Unrecht in einem anderen Krieg, den ich übrigens als Unabhängigkeitskrieg und ebenfalls quasi-postkolonial werte und auch recht häufig kritisiere.
Von Saddams Kriegen ganz zu schweigen, unter ihm dürfte selbst in"Friedenszeiten" die Zahl der zivilen Opfer beachtlich gewesen sein.
Unbestritten. Aber dieses Argument lasse ich jedem durchgehen, nur der amerikanischen Regierung nicht, die seit Ayatollah Khomeini all das wollte, wie es kam. Und das Hineinmanövrieren des Irak in die Invasion Kuwaits mit dem billigen kuwaitischen Ã-l deutlich unterhalb der OPEC-Absprachen ab März 1990, mittels der Schuldenfalle und der Falschaussage der amerikanischen Botschafterin; all das gilt in Expertenkreisen längst als Fakt.
Auch die Art und Weise der Kriegsführung durch das irakische Regime soll zivile Opfer ja förmlich produzieren, um das Blatt trotz materieller Unterlegenheit via moralischer Überlegenheit in den Medien doch noch zu wenden.
Das ist Art der Kriegsführung, weil den Irakis gar keine ander Möglichkeit bleibt. Sollen sie sich wie Soldaten im 18. Jh. in Reih und Glied aufstellen, um dann nachts von Flugzeugen mit Infrarot-Lenkwaffen abgeräumt zu werden?
Bush hat diesen Krieg begonnen. Er muß die Opfer verantworten.
Es wird ja hier stellenweise so getan, als ob die Amis ein zwar etwas eigenbrötlerisches, jedoch friedliebendes kleines Völkchen hinterrücks überfallen hätten, um es seines geliebten Anführers und seines Reichtums zu berauben.
Das ist ja auch so. Willst du der Zivilbevölkerung das absprechen? Und wird jetzt nicht von den Amerikanern über das Ã-l verfügt werden, wie sie schon seit 1991 die Fördermenge und die Ausfuhren durch die Sanktionen kontrollieren? Es geht auch nicht bloß um Ã-l. Aber ich will jetzt nicht die ganze Kiste wieder aufmachen. Dann würde das eh keiner mehr lesen. Die Irakis waren in den vergangenen zwölf Jahren für den Weltfrieden nun wirklich keine Gefahr.
Da Du es erwähnt hast, bin ich schließlich gar nicht so unfroh darüber, dass schon einmal eine US-Administration meine Heimat Bayern"heimgesucht" hat, auch einige Kinder von damals (meine Eltern) waren über diese Invasion nicht traurig, obwohl sie als"Flichtling" wenig mehr, als ihr Leben retten konnten.
>Ich habe meinen Meinungsbildungsprozeß hinsichtlich der Invasion noch lange nicht abgeschlossen, aber ich will überzeugt und nicht totgeredet werden. Und je mehr rethorische Taschenspielertricks ich durchschaue, um so größer wird meine Ablehnung der dahinter stehenden Haltung. Außerdem habe ich mich noch nie in einer Frage auf der Seite wohlgefühlt, auf der sich die Mehrheit oder gar Frau Engelen-Kefir befindet - aber das mag eine Berufskrankheit sein. Wenn ich Schüler mit Plakaten"Stoppt die Illuminati" sehe und man mir am Stammtisch die wahren Hintergründe des Krieges erklären will, dann ist der Verschwörungskäse für mich eigentlich auch gegessen. Wie gesagt, Berufskrankheit. Ansonsten will ich mich bemühen, zu dem Thema nicht mehr zu posten.
Das mag ja sein, aber im zerbombten Dresden oder im zerbombten Ruhrgebiet hat man das sicher anders gesehen. Und ich denke, Deutschland hat den Krieg verloren. Nicht mehr. Die gebrachte Demokratie oder die Befreiung vom Faschismus riecht für mich sehr nach Taschenspielertrick. Das Hitler-Attentat von Staufenberg und anderen (das von innen kam) spricht da Bände. Man kann keine Demokratie herbeibomben, wenn die Bevölkerung sie nicht will. Deutschland war meines Erachtens damals bereits auf dem Pfad, den Totalitarismus abzustreifen. Es hätte nur mehr Zeit bedurft. Und im Irak wäre das sicher auch möglich gewesen.
P.S.: Im grünen Salon war heute mal wieder Dauergast Scholl-Latour und vieles, was er sagt, ist für mich in seiner Nüchternheit stimmig und einleuchtend. Interessant auch seine Ausführungen zur UNO-Hysterie der Deutschen. Wird morgen wiederholt und ist m.E. empfehlenswert.
danke für den Tipp
Dennoch verwahre ich mich gegen Taschenspielertricks. Ich bin nur ernsthaft entrüstet, wenn ich tote Menschen sehe, und ich versuche noch immer, hinter die wahren Gründe der Invasion zu kommen.
winkääää
stocksorcerer
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