-->Schleswig-Holstein fordert höhere Mehrwertsteuer zur Lohnkostensenkung
SPD-Finanzminister Stegner warnt aber vor falscher Schrittfolge: Vorrang hat die Reform der Sozialsysteme / Beihilfe für Beamte hinterfragt
mas. BERLIN, 14. April. Das Land Schleswig-Holstein plädiert für eine Mehrwertsteuererhöhung, um die Lohnnebenkosten senken zu können. Finanzminister Ralf Stegner warnt jedoch davor, vorzeitig den Reformdruck zu verringern."Wenn wir die Sozialsysteme reformieren wollen, dann dürfen wir die Debatte nicht tot machen, indem wir als erstes die Notausgangstür Steuererhöhung öffnen", sagte der SPD-Politiker im Gespräch mit dieser Zeitung. Damit reagierte auf Aussagen seiner Ministerpräsidentin. Heide Simonis hatte am Wochenende davon gesprochen, die Beiträge durch eine Mehrwertsteuererhöhung um ein bis zwei Prozent zu senken."Im Prinzip ist das der richtige Weg", sagte Stegner."Wenn man sich das europäische Umfeld ansieht, dann steht Deutschland mit seinem Mehrwertsteuersatz nicht weit oben." Aber die Reihenfolge müsse stimmen."Wenn wir die Sozialversicherungen reformieren und die Arbeitskosten senken, dann kann ich auch über eine Umfinanzierung reden", sagte er:"Aber vorher die Mehrwertsteuer zu erhöhen, das ist nicht mein Thema."
Auf mittelfristige Sicht führt nach Einschätzung des promovierten Philologen kein Weg an einer Umfinanzierung vorbei."Das Problem ist unsere hohe Abgabenlast, nicht die Steuerbelastung", konstatierte er."Ein Teil der Abgabenbelastung muß auf eine breitere Basis gestellt werden." Es sei bei manchen Leistungen nicht einzusehen, daß sie über Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern finanziert würden. Ziel müsse sein, einen Kreislauf in Gang zu setzen, bei dem mehr Arbeitsplätze ein höheres Aufkommen aus Steuern und Sozialabgaben nach sich zögen. Dazu müßten die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Stegner denkt zugleich an eine Ausweitung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung auf die Beamten."Ob unser Beihilfesystem auf Dauer richtig ist, muß man hinterfragen." Längerfristig werde es sich nicht durchhalten lassen."Angesichts unserer demographischen Entwicklung stehen unsere Sozialsysteme auf tönernen Füßen, wenn wir die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verbreitern." Stegner sieht weiteren Reformbedarf im Beamtenrecht. So fragt er, wie lange man noch die Pension der Beamten nach ihrem letzten Gehalt bemessen könne. Schließlich erhalte die Masse der Arbeitnehmer ihre Rente nach dem Durchschnittseinkommen ihres gesamten Arbeitslebens. Dies werde man nicht von heute auf morgen ändern, aber man müsse sich rechtzeitig Gedanken machen, ob solche Regelungen noch angemessen seien.
Soziale Akzeptanz lautet Stegners Leitmotiv. Dazu soll auch die Steuerpolitik beitragen. Dabei blickt er vor allem auf die Erbschaftsteuer. Er wolle zwar keine singuläre Steuer-Erhöhungsdebatte führen, aber die ungleiche Behandlung verschiedener Vermögensarten erzwinge eine Reform. Der Bundesfinanzhof hat dem Bundesverfassungsgericht die Erbschaftsteuer zur Prüfung vorgelegt, weil er der Auffassung ist, daß die geringere Belastung von Betriebsvermögen und Immobilien im Vergleich zu Kapitalvermögen grundgesetzwidrig ist. Der seit März amtierende Finanzminister hält eine Angleichung nach unten nicht für geboten:"Daß wir uns in Richtung einer Belastungssenkung für Kapitalvermögen bewegen werden, glaube ich nicht." Anhebungen gehörten zur sozialen Symmetrie. Zugleich bekundete er: Zielrichtung werde nicht sein, Betriebsvermögen höher zu belasten.
Stegner sieht angesichts der dramatischen Lage der öffentlichen Haushalte keinen Spielraum für zusätzliche Entlastungen von Bürgern und Unternehmen. Die Gebietskörperschaften bräuchten die Einnahmen, um die ihnen übertragenen Aufgaben weiterhin erfüllen zu können. Der Steuerkompromiß von Bund und Ländern könne nur ein erster Schritt sein. So zeigte sich Stegner davon überzeugt, daß die Wachstumseinschätzung Ende April nach unten korrigiert wird. Dies wirkt sich auf die zu erwartenden Steuereinnahmen aus. Er deutete an, daß er mit einer Halbierung der Wachstumsprognose für dieses Jahr auf etwa 0,5 Prozent rechnet. Im Herbst werde er sehen, ob er einen weiteren Nachtragshaushalt brauche.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.04.2003, Nr. 89 / Seite 14
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