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Landwirtschaft
Mindestens seit 1970 begann die innere Krise des Sowjetsystems. Der RĂŒckgang der ArbeitsproduktivitĂ€t ist ein objektiver Gradmesser fĂŒr die erlahmende wirtschaftliche und gesellschaftliche Dynamik und Lebenskraft der Sowjetunion. Das Sowjetsystem hatte seine Wachstumsgrenze erreicht und war seit 1970 Jahre am Absterben.
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[/b]7. Erstickungstod des Sowjetsystems
7.1. Extensives und intensives Wachstum
Es ist immer wieder zu lesen, dass der anfĂ€ngliche ökonomische Erfolg der Sowjetunion allein oder vor allem auf extensives Wachstum, also auf Ausdehnung des gesamtgesellschaftlichen Arbeitstages durch einfache Addition von Arbeitern und Maschinerie zurĂŒckzufĂŒhren sei. Das schlieĂliche Scheitern der Sowjetwirtschaft hĂ€tte dann in dem Unvermögen gelegen, auf intensives Wirtschaftswachstum, also auf Steigerung der ArbeitsproduktivitĂ€t umzuschwenken. Doch diese Meinung widerspricht den Tatsachen.
Steigerung der ProduktivitĂ€t heiĂt vor allem gesunkene Arbeitszeit, die ein bestimmtes Produkt erfordert. âDer Wert der Ware ist bestimmt durch die Gesamtarbeitszeit, vergangene und lebendige, die in sie eingeht. Die Steigerung der ProduktivitĂ€t der Arbeit besteht eben darin, dass der Anteil der lebendigen Arbeit vermindert, der der vergangenen Arbeit vermehrt wird, aber so, dass die Gesamtsumme der in der Ware steckenden Arbeit abnimmt; dass also die lebendige Arbeit um mehr abnimmt, als die vergangene zunimmt....
Diese Verminderung des in die Ware eingehenden Gesamtarbeitsquantums scheint hiernach das wesentliche Kennzeichen gesteigerter Produktivkraft der Arbeit zu sein, gleichgĂŒltig unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen produziert wird. In einer Gesellschaft, worin die Produzenten ihre Produktion nach einem voraus entworfenen Plan regeln, ja selbst in der einfachen Warenproduktion wĂŒrde die ProduktivitĂ€t der Arbeit auch unbedingt nach diesem MaĂstab gemessen.â
Der erreichte Grad der ArbeitsproduktivitĂ€t ist auch das wichtigste materielle Kennzeichen fĂŒr den erreichten Entwicklungsgrad, die Reife einer Gesellschaft. Die jeweilige FĂ€higkeit einer Produktionsweise zur Steigerung der ProduktivitĂ€t ist ihr wichtigstes Erfolgskriterium.
âDer wirkliche Reichtum der Gesellschaft und die Möglichkeit bestĂ€ndiger Erweiterung ihres Reproduktionsprozesses hĂ€ngt... nicht ab von der LĂ€nge der Mehrarbeit, sondern von ihrer ProduktivitĂ€t und von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht.â
Die in einer Produktionsweise erreichte ProduktivitĂ€t des Arbeitstages bestimmt die âFruchtbarkeitâ der vorhandenen Arbeitszeit. RĂŒckgang der ArbeitsproduktivitĂ€t heiĂt daher Schrumpfen der Reichtumsquelle, RĂŒckgang der ArbeitsproduktivitĂ€t heiĂt wirtschaftlicher wie gesellschaftlicher RĂŒckschritt.
WÀre die Sowjetwirtschaft nie in der Lage gewesen, produktiver, also zeitsparenderm zu produzieren, sondern hÀtte nur immer mehr Menschen in ihre Industrien eingesaugt und dadurch die Produktion gesteigert, hÀtte es tatsÀchlich nie wirtschaftlichen Fortschritt in der UdSSR gegeben. Das Experiment Sowjetunion wÀre von Anfang ein Misserfolg gewesen.
In den Anfangsjahren der sowjetischen Industrialisierung war jedoch die ArbeitsproduktivitÀt deutlich schneller gewachsen als die Zahl der Arbeiter. Im Zeitraum von 1926-1929 wurde das Industriewachstum im Staatssektor um 70 % gesteigert, gleichzeitig nahm die Arbeiterzahl nur um 23 % zu. Also stieg in dieser Zeit die sowjetische ArbeitsproduktivitÀt mit 47 % deutlich schneller als das extensive Wachstum (plus 23 %) durch Vermehrung der Arbeiter.
Die Herstellung eines sowjetischen GroĂpanzers T-34 erforderte zum Beispiel im Jahr 1941 8.000 Manntage, aber nur 3.700 Manntage im Jahr 1943.
Nach westlichen Angaben stieg die ArbeitsproduktivitĂ€t in der UdSSR bis in die 70er Jahre schneller als in den USA und erreichte damals 50 % der amerikanischen ProduktivitĂ€t. Danach konnte der Abstand in der ProduktivitĂ€t nicht weiter verringert werden, sondern blieb ungefĂ€hr gleich groĂ.
In Arbeitszeit ausgedrĂŒckt heiĂt das, dass die Arbeiter in der Sowjetunion zur Herstellung des gleichen Produkts rund doppelt so lange arbeiten mussten wie die Arbeiter in den USA.
Neuere Berechnungen zeigen, dass erst seit 1970 die ArbeitsproduktivitÀt sank. 1970 begann der ökonomische Erstickungstod der Sowjetunion, der durch extensives Wachstum nur hinausgezögert wurde.
Tabelle 6: Extensive Wachstumsraten
Zeitraum>UdSSR>USA
1966 - 1970>+ 4,1>+ 1,5
1971 - 1975>+ 4,2>+ 0,7
1976 - 1980>+ 3,6>+ 1,4
1982>+ 3,1>- 1,2
Tabelle 7: Intensive Wachstumsraten
Zeitraum>UdSSR>USA
1966 - 1970>+ 1,1>+1,4
1971 - 1975>- 0,5>+0,3
1976 - 1980>- 0,8>+0,4
1982>- 1,1>-1,5
Mindestens seit 1970 ging in der Sowjetunion die wirtschaftliche ProduktivitĂ€t zurĂŒck. Mindestens seit 1970 begann die innere Krise des Sowjetsystems. Der negative ProduktivitĂ€tsfortschritt ist ein objektiver Gradmesser fĂŒr die erlahmende wirtschaftliche und gesellschaftliche Dynamik und Lebenskraft der Sowjetunion. Das Sowjetsystem hatte seine Wachstumsgrenze erreicht und war seit 1970 Jahre am Absterben.
Im Einzelnen lassen sich fĂŒr diese nachlassende ProduktivitĂ€t viele Einzelfaktoren finden. Fest steht, dass dabei Mangel an menschlichen Ressourcen wie z.B. Mangel an qualifizierten Kopfarbeitern keine Rolle gespielt hat, wie die Tabelle 8) zeigt.
Tabelle 8: Wissenschaftler und Ingenieure
(pro 10.000 BeschÀftigte)
Zeit>UdSSR>USA
1950>14,7>26,2
1960>27,5>55,8
1970>66,0>61,5
Mit relativ wenigen Wissenschaftlern und Ingenieuren hatte die junge Sowjetwirtschaft in ihrer FrĂŒhzeit mehr technische Verbesserungen und ProduktivitĂ€tssteigerungen erreicht als mit einer relativ hohen Zahl in ihren spĂ€ten Jahren. Nicht die Anzahl der Wissenschaftler und Ingenieure war fĂŒr die wirtschaftliche Dynamik entscheidend. Die sowjetischen WerktĂ€tigen verfĂŒgten insgesamt ĂŒber den nötigen Sachverstand fĂŒr eine Verwissenschaftlichung und Modernisierung der Produktion, aber die PlanbĂŒrokraten konnten und wollten der Initiative der sowjetischen WerktĂ€tigen keinen Raum geben, weil das ihr wirtschaftliches und politisches Machtmonopol untergrub.
Die PlanbĂŒrokraten tĂ€tigten Investitionen fast nur noch in Neuanlagen von ganzen Fabriken, die mit ihren bĂŒrokratischen Methoden leichter zu kontrollieren waren als die Modernisierung schon vorhandener Fabriken. Das war zu Beginn anders. Im Jahr 1928/29 gingen nur 30 % der industriellen Investitionen in NeugrĂŒndungen von Fabriken.
Die sowjetischen Betriebe durften kaum eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen unterhalten. Innovationen waren allein Sache der Zentrale, die jede einzelne Verbesserung der Produktionstechnik oder eines Produkts erst akzeptieren und in den Plan aufnehmen musste. Nicht die kombinierte Intelligenz von Millionen sowjetischen WerktÀtigen zÀhlte, sondern nur die Intelligenz von einigen zehntausenden verbeamteten Wissenschaftler und Ingenieure in den zentralen Forschungslabors.
Jede akzeptierte Innovation erforderte aber viele weitere Ănderungen in den PlĂ€nen der Zuliefer- und Abnehmerbetrieben wie bei der Preisfestsetzung. Innovationen erleichterten vielleicht die Arbeit der WerktĂ€tigen oder verbesserten ein Produkt - fĂŒr die BĂŒrokraten vermehrten Innovationen die Arbeit und fielen ihnen zur Last. Die Existenz der PlanbĂŒrokratie selber wurde zum Hindernis fĂŒr Innovationen und ProduktivitĂ€tsfortschritt. Die Existenz der PlanbĂŒrokratie selber wurde zur Ursache fĂŒr wirtschaftliche Stagnation und wirtschaftlichen RĂŒckschritt.
Jede Innovation in bestehende Sowjetbetrieben gefĂ€hrdete die ErfĂŒllung des laufenden Planes, der eine volle Auslastung der KapazitĂ€ten voraussetzte, denn Produktionsumstellungen, d.h. Verbesserungen in der Produktionsweise wie Verbesserungen beim Produkt, machen zunĂ€chst Produktionsunterbrechungen unvermeidlich. Die PrĂ€mienvergabe war aber an die ErfĂŒllung der JahresplĂ€ne gebunden.
AuĂerdem richteten sich Gehalt und PrĂ€mien von leitenden Managern in den Unternehmen nach der Lohnsumme, also der Anzahl der Arbeiter. Direktoren, die die Produktion effektivierten und dadurch Arbeit einsparten, kĂŒrzten sich das Gehalt.
Gorbatschow veranschlagte im Jahr 1986 den Anteil der sowjetischen Fabrikanlagen, deren ProduktivitÀt fortgeschrittenes Weltniveau erreicht hatte, auf nur 13 - 15 Prozent der Industrie.
7.2. Bringt Einsatz von Computern die Rettung?
Es gab im Westen Stimmen, die meinten, dass die Computertechnik der sowjetischen PlanungsbĂŒrokratie eine neue Daseinsberechtigung und Legitimation verleihen könne, weil sie mit Computern endlich all das leisten könne, woran sie bisher gescheitert war.
So meinte Michael Kaser: âEchte Ănderungen der Koeffizienten erfordern so viele Wiederholungen, dass sie die PlanbĂŒros normalerweise nicht bewĂ€ltigen können, solange nicht mehr Computer in der UdSSR allgemein verfĂŒgbar sind.â
Computer verschoben jedoch nur den Grenzwert, bei dem die PlanbĂŒrokraten in der Datenflut erstickten. Computer beseitigen diese Grenze nicht. TatsĂ€chlich sind Computer vielmehr eine technische Basis fĂŒr die Demokratisierung aller Entscheidungen, weil jeder Computer dezentral die Zentralisierung aller Daten ermöglicht. Mit dem Computer hat grundsĂ€tzlich jeder Zugang zu allen gesellschaftlichen Daten - wenn diese nicht kĂŒnstlich unter Verschluss gehalten werden.
Kapitalismus und Sowjetsystem bedĂŒrfen und bedurften wie jede Klassengesellschaft vor ihnen fĂŒr die Zentralisierung und Auswertung der fĂŒr Wirtschaft und Gesellschaft wichtigen Informationen noch einer Personalisierung in Gestalt einer zentralen BĂŒrokratie- und Politikerklasse.
Mindestens seit es allgemein zugĂ€ngliche Computer gibt, ist jedoch jede BĂŒrokratie und jede herrschende Klasse ĂŒberflĂŒssig geworden: Ă-konomen und Manager könnten alle ihre Erkenntnisse z. B. ins Internet stellen und jeder Einzelne von uns hĂ€tte Zugang zu allen Daten, die fĂŒr den Gang der Gesellschaft von Bedeutung sind. PCs sind eine sachliche Grundlage fĂŒr die Abschaffung jeder herrschenden Klasse, seien es die Staatsbeamten und Berufspolitiker im Kapitalismus oder die PlanbĂŒrokraten im Sowjetsystem. Eine weitere Grundlage dafĂŒr ist ein stĂ€ndig steigendes Bildungsniveau der Gesamtbevölkerung. In den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften besteht kein Unterschied mehr zwischen dem Bildungsstand der Herrschenden und dem der Beherrschten. Der Informationsvorsprung unserer Politiker- und Managerklasse wird kĂŒnstlich durch Monopolisierung von Informationen - durch Geheimhaltung - aufrechterhalten.
wird fortgesetzt, Wal Buchenberg, 17.4.03.
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