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irgendwie ein peinlicher und ziemlich unnoetiger Artikel.
Klar ist, dass viele Bedenken von genannten Gruppen ueberzogen und im Nachhinein nicht haltbar waren, respektive von der militaerischen/politischen Ueberlegenheit der Amerikaner weggepruegelt wurden. Aber deswegen gleich jede andere Meinung als mangelnde Voraussicht und verwegene Selbstueberschaetzung zu diffamieren ist a) daneben und b) ziemlich parteipolitisch gefaerbt.
Hinzukommt, dass dem Autor wohl entgangen ist, dass sich Deutschland im Gegensatz zu den Franzosen keineswegs auf dem Abstellgleis befindet. Frankreich steckt die Pruegel ein, die natuerliche Reaktion ist 'Flucht nach vorne'. Schlagzeile heute"India-Times": Frankreich fordert Indien auf ein Gegengewicht zu den USA auzubauen. Das erscheint mir dann schon eher verwegen.
Gruss Juergen
>27.04.2003 | Welt am Sonntag | von Herbert Kremp
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>Auf dem Abstellgleis >
>Das Scheitern der deutschen Außenpolitik ist eine Folge mangelnder Voraussicht und verwegener Selbstüberschätzung. Der Vierer-Gipfel nächsten Dienstag in Brüssel gleicht einem Irrweg Schröders und Fischers ins politische Niemandsland
>Die europäische Achse hat sich vom schnellen Ende des Irak-Kriegs nicht erholt - der Bundeskanzler nicht, die Friedensbewegung nicht, die Kirchen nicht, denen die neue Religionsfreiheit der Schiiten wohl gefallen müsste - sie alle nicht, die zum Schutz und Trutze brüderlich gegen die amerikanische Politik zusammenstanden. Wie konnte es kommen, dass Bagdad einfach implodierte und die"Ströme von Blut" nicht flossen?
>Derweil fließt die Geschichte unaufhaltsam weiter - vorbei an Deutschland, an Frankreich, an Russland, die, sanft gesagt, randständig, wie abgestellt wirken. Vorbei auch am Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der wegen Waffeninspektionen und Sanktionen gegenüber einem orientalischen Land im Streit liegt, auf das er keinen Einfluss hat, dessen Diktator steckbrieflich gesucht wird und das jetzt nichts anderes braucht als rasche Hilfe, sprudelnde Ã-l-Bonanzas, zivile und polizeiliche Ordnung.
>Was hat die deutsche Außenpolitik im Sinn, was die französische? Etwas Großes bewegt ihren sprunghaften, nach Geltung suchenden Geist, ein Projekt, das die Berliner Republik wieder in die Rheingaue, in den lotharingisch-karolingischen Kernbereich zurückbringen soll: die Gründung einer Europa-Armee, einer Verteidigungs-Union zum höheren Zweck der Unabhängigkeit vom amerikanischen Hegemon. Tatort Brüssel, Tatzeit Dienstag, der 29. April 2003, Tatzeugen"Großmächte" wie Belgien und Luxemburg - Kerneuropa allein zu Haus.
>Ein Gipfel, ein Sondergipfel, von den Staatsmännern Chirac und Verhofstadt initiiert, von Schröder zuerst lebhaft begrüßt, dann bedachtvoll auf"Konsultation" begrenzt. Dieser Gipfel, in Wahrheit ein Irrweg ins politische Niemandsland, sei nicht"unsere Initiative" gewesen, heißt es heute in Berlin, um der Beteiligung die anti-atlantische Spitze zu nehmen. Nein, der europäische Pfeiler der Atlantischen Allianz solle gestärkt, die NATO"zukunftssicherer" gemacht werden, tönt es aus dem Munde des SPD-Verteidigungsexperten Reinhold Robbe. Wenn das aber so ist, was hat es dann mit der ominösen Armee auf sich?
>Den Plan hatten Paris und Berlin schon im vergangenen Herbst dem EU-Reformkonvent zugeleitet. Seitdem war offensichtlich, dass der NATO eine Konkurrenz erwachsen sollte und der auf früheren Gipfeln beschlossenen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (Ziel 60 000 Mann bis Ende 2030) ein integratives Double. Die"Avantgarde-Armee" soll ein eigenes Oberkommando, Beschaffungswesen, eine Rüstungsagentur und"Strategie" erhalten, all das also, was die Atlantische Allianz schon hat, was nun aber noch einmal gebacken werden soll, damit Europa"eigene militärische Kraft" (Schröder im Bundestag) entfalte - unabhängig von den USA, aber immer an der Seite der UN.
>Was Chirac für die französische"Vision der Welt von morgen" hält, Kommissions-Präsident Prodi für die Geburt eines"Riesen", Briten, Spanier, Polen und der übergroße Teil der 25 EU-Staaten von Athen indes für eine Spaltung der NATO und der EU, soll nächsten Dienstag aus der Brüsseler Taufe gehoben werden. Die Opposition gegen den alliierten Irak-Krieg, der Unwille der Unwilligen verlieh dem Vorhaben Dringlichkeit. Mit dem schnellen Kriegsende jedoch stellten sich Bedenken ein, angefacht auch von der Sorge, bei der Verteilung lukrativer Irak-Geschäfte leer auszugehen. Die Magnetnadel der europäischen Außenpolitik zittert wieder in Richtung Atlantik. Macht es post festum noch Sinn, die USA herauszufordern?
>Es gab ja Gründe gegen den irakischen Waffengang. Aber was hat es von heute aus gesehen der deutschen Politik gebracht, den Widerspruch bis zum Geschichtsbruch zu treiben? Und zwar so vehement, dass der stets nach Weltgeltung dürstende Chirac sich ermutigt fühlen konnte, den Fall zur"europäischen" Konfrontation mit Washington auszuweiten. War er denn nicht schon auf dem Sprung, mit den Amerikanern zusammen ins Feld zu ziehen, seiner Irak-Interessen wegen? Ist das radikale Umschwenken Außenminister de Villepin zuzuschreiben, wie man in Paris vermutet, dem Präsidenten-Flüsterer, der Chirac schon 1997 den fatalen Rat gegeben hatte, Neuwahlen vom Zaun zu brechen, die für die Gaullisten zum Desaster wurden?
>Aber allein hätte Chirac den"Waldgang" nicht gewagt. Die wahren Antreiber der seitenverkehrten Achsen-Politik waren die Deutschen. Zudem bot der Abfall des Berliner US-Musterknaben endlich Gelegenheit, dem unerfahrenen Nachbarn die Rolle des Juniorpartners zuzuteilen, was de Gaulle nie gelungen war und was Mitterrand mit Maastricht und der Liquidierung der Deutschen Bundesbank nur sektoral erreichte. Instinktsicher hatten alle deutschen Kanzler vor Schröder die Ausschließlichkeits-Ehe mit Frankreich gemieden und in der amerikanischen Weltmacht die europäische Balance gesucht. Nur so gelang die Wiedervereinigung Deutschlands. Schröder, dem das Erbe der deutschen Einheit aus der Opposition zufiel, hat das subtile Machtspiel nie begriffen.
>So muss sich Deutschland jetzt, nach dem Sündenfall, dem Zugriff Frankreichs und dem Trittbrett-Partner Russland wieder entziehen, welch bittere Verlegenheiten dies auch bereiten mag. Schröder rudert zurück, wie der kommende Dienstag in Brüssel zeigen wird. Schon beim Petersburger Gipfel am 11. April hatte er Distanz gesucht. Jede Achsen-Seligkeit war aus seinem Gesicht gewichen, als er der Weltmacht-Schelte Chiracs und Putins ("Neokolonialismus") entgegenhielt, über Einzelheiten des Irak-Wiederaufbaus unter dem UN-Dach müsse man nun doch mit den Amerikanern reden; der Sieg sei in einen Gewinn für das irakische Volk zu verwandeln und eine"Achse", nein, eine Achse gebe es nicht.
>Schröder brachte eine andere Färbung ins Petersburger Spiel. Die Nachricht von der Implosion des Regimes in Bagdad war frisch, überraschend und irgendwie alarmierend. Mit einer neuen Allianz gegen den US-Unilateralismus aufzutrumpfen, schien auf einmal nicht mehr en vogue. Die einzigartige Legitimität der UN schwebte nur noch in der zarten Sprache Marcel Prousts durch den gastlichen Raum. Der Kanzler bemerkte an sich selbst, aber auch bei den Achsen-Genossen, wie lauerndes Interesse an den Irak-Pfründen die alte Kriegs-Empörung überlagerte, freilich immer noch begleitet von einer Prise Ressentiment.
>Der Kanzler war nicht erfreut über die von Putin arrangierte Anwesenheit Chiracs, der zu UN und Völkerrecht eine hochdramatische Liebe zu bekunden pflegt. Nun muss Schröder aber erleben, wie die Politik Charaktere verwandelt. Am 15. April führte der Freund an der Seine mit Bush ein Telefonat, in dem er den"gemeinsamen antiterroristischen Kampf" in Erinnerung rief und, man staune, für den Einsatz der NATO im Irak plädierte. Und vor wenigen Tagen empfahl Paris im Sicherheitsrat die Suspendierung der Irak-Sanktionen, nachdem de Villepin im Bunde mit Moskau und Berlin gerade noch jede Lockerung von der"Vollendung" der Waffeninspektionen abhängig gemacht hatte.
>Selten zerbrach eine Achse so schnell. Man kann sich mit Recht fragen, ob die Aufhebung der UN-Sanktionen nicht eine humanitäre Pflicht gegenüber den Irakern ist - sie galten ja nicht ihnen, sondern dem Massenmörder Saddam. Und wenn jemand Giftwaffen finden kann, über deren Verbleib sich Rätsel auftun, dann sind es die Amerikaner mit ihrer Nachhaltigkeit. Gibt es daran Zweifel?
>Nein - UN-Kanonikus Schröder hatte mit Franzosen und Russen ja auch nur deshalb auf Inspektionsregime und Sanktionen bestanden, weil alle drei den USA die Möglichkeit verbauen wollten, allein oder mit"Willigen" den profitablen Aufbau des Irak zu beginnen. Nun aber lässt Chirac Schröder und Putin allein, und Schröder seinerseits die beiden anderen.
>Das Scheitern der deutschen Außenpolitik ein Drama zu nennen wäre eine literarische Übertreibung. Es ist eine blamable Posse in der Folge mangelnder Voraussicht und verwegener Selbstüberschätzung. Das deutsche Publikum wird Schröder die Fahrt aufs Abstellgleis vielleicht vergessen. Der Rest der Welt und die Geschichte tun es bestimmt nicht.
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