-->SPIEGEL ONLINE - 30. April 2003, 17:34
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Blairs Weltpolitik
Tritte für den Schoßhund
Von Markus Becker
Die USA haben den Krieg im Irak gewonnen, die"alten Europäer" zeigten sich widerborstig. Nur einer sitzt zwischen allen Stühlen: Tony Blair. Mit vollem Einsatz versucht der britische Premier, die internationalen Beziehungen zu kitten. Die verprellten Europäer aber spielen nicht mit.
London/Moskau - Vor laufenden Kameras entgleisten dem britischen Regierungschef die Gesichtszüge. Zwei Stunden lang hatte er am Dienstagabend mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Moskau verhandelt. Dass die Diskussion für Blair nicht einfach verlief, schien festzustehen, doch die wahre Bestrafung sollte erst in der anschließenden Pressekonferenz folgen.
"Wo ist Saddam?", fragte Putin rhetorisch."Wo ist sein Arsenal - wenn es denn wirklich eines gab?" Mit beißendem Spott fuhr er fort:"Vielleicht sitzt er irgendwo in einem geheimen Bunker, um seine Waffen im letzten Augenblick noch hochzujagen und Hunderte von Menschenleben zu gefährden." Nebenbei erklärte Putin, dass er strikt gegen die von den USA und Großbritannien geforderte Aufhebung der Uno-Sanktionen sei, bevor nicht die Frage der Existenz von Massenvernichtungswaffen geklärt sei.
Nackte Angst in London
Auf der Insel sorgten Putins öffentliche Ohrfeigen für mehr als nur eine hochgezogene Augenbraue. Die Tageszeitung"The Independent" berichtete unter Berufung auf Regierungsmitarbeiter, Putins Attacke habe Blair vollkommen unvorbereitet getroffen.
Nach Informationen des"Guardian" soll in Whitehall gar die nackte Angst vor den weltpolitischen Folgen des Irak-Kriegs umgehen. Denn während Putin seinen britischen Kollegen vor aller Augen abwatschte, berieten Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg in Brüssel über die ersten Schritte zu einer europäischen Verteidigungspolitik und einigten sich auf die Einrichtung eines gemeinsamen militärischen Planungs- und Führungsstabes schon im kommenden Jahr. Blair sagte am Mittwoch, er sei froh, nicht an dem Treffen teilgenommen zu haben.
Dass die Länder in der Tat willens und vor allem finanziell in der Lage sind, eine schlagkräftige Europa-Armee aufzubauen, hält Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Uni Hamburg für mehr als fraglich."Was die Zahl der Soldaten betrifft, ist Europa stark", sagt der Forscher im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE."Im Hinblick auf militärische Fähigkeiten aber ist Europa schwach." Bis die Europäer allein die Ausrüstung für international relevante Armee besäßen, sei das jetzige Jahrzehnt wohl abgelaufen.
"Vieles von dem, was in Brüssel gesagt wurde, ist reine Show", meint Ehrhart. Allerdings sei eine Avantgarde, die in der Frage der europäischen Verteidigungspolitik vorangeht, der einzige Weg, überhaupt zum Ziel zu kommen."Bei der Einführung des Euro und beim Schengen-Abkommen war das ähnlich", erklärt Ehrhart.
Blair will unipolare Welt
Die teils radikal unilateralistische Außenpolitik Washingtons aber, glaubt der Forscher, könnte auch in Europa Dinge ins Rollen bringen, die lange Zeit festbetoniert schienen. Blair ahnte wohl das Unheil: Schon während der Pressekonferenz mit Putin malte er die finstere Vision einer zweigeteilten Welt an die Wand, in der sich die USA und Großbritannien auf der einen und Alt-Europa auf der anderen Seite als Rivalen gegenüberstehen. Eine"strategische Partnerschaft" sei die einzige Alternative zu einer Welt, die"in verschiedene Machtpole zerfällt, die in Rivalität zueinander stehen". Ein solches Szenario sei"eine wirkliche Gefahr".
Wie sich Blair die künftige Weltordnung vorstellt, hatte er freilich tags zuvor im Interview mit der"Financial Times" beschrieben: Das einzige Machtzentrum dieser Welt liege in den USA - und Europa tue gut daran, Washington nicht zu reizen, sagte Blair. Schon frühzeitig wurde Blair im eigenen Land als"Bushs Pudel" verspottet. Nun hat er seine Vasallentreue zu den USA zum Modell für ganz Europa erhoben - in Berlin, vor allem aber in Moskau und Paris dürfte ein solches Szenario wenige Freunde haben.
Unterdessen fragen sich auf der Insel und auf dem Festland manche, was den britischen Premier reitet, der vor Jahren angetreten war, in Europa eine Führungsposition zu übernehmen - und davon jetzt weiter entfernt ist denn je."Wer die Konfrontation sucht, kann keine Führungsrolle spielen", sagt Ehrhart."Vermutlich hat Blair innenpolitische Gründe, da er seine Reformversprechen zu großen Teilen nicht erfüllt hat und sich nun als Weltpolitiker profilieren will."
Die offene Dividende des Krieges
Selbst konservative britische Kommentatoren fragen sich, wo für das Vereinigte Königreich der Vorteil der Vasallentreue zu den USA liegt: Bisher habe der Krieg lediglich tote Soldaten und hohe Kosten mit sich gebracht. Ob es je eine Kriegsdividende gebe und wie hoch sie ausfallen werde, sei dagegen alles andere als klar.
"Wenn es um die eigenen Interessen geht, fahren die USA auf der nationalistischen Schiene", sagt Ehrhart."Blair könnte durchaus Gefahr laufen, seinen Einfluss auf Bush zu überschätzen." Anlass zu dieser Befürchtung hat die Regierung in London zur Genüge. Schon nach den ersten US-Bombardements im Irak hieß es, Blair sei erst eine halbe Stunde zuvor informiert worden. Auch während des Feldzugs gab es keinen Zweifel daran, wer im Felde das Sagen hat und wer der Juniorpartner ist.
Zum entscheidenden Test, ob Blair für seine Treue zu Bush belohnt wird, dürfte die künftige Rolle der Uno im Irak werden. Vermutlich auf Druck von Blair versprach Bush eine"vitale Rolle" der Uno. Wenig später aber ließen US-Regierungsmitglieder keinen Zweifel daran, dass sie den Vereinten Nationen allenfalls eine untergeordnete Helferrolle zubilligen wollen, am liebsten aber ganz aus dem Irak verbannen würden.
Folgerichtig versucht der Briten-Premier seit Kriegsende, die Risse in den internationalen Beziehungen zu kitten - was der historischen Rolle Großbritanniens durchaus entsprechen würde, die zwar seit Churchill an der Allianz mit den USA keinen Zweifel aufkommen ließ, stets aber in einer Mittlerfunktion zwischen Kontinental-Europa und Amerika bestand.
Ob Blair zur angestammten Rolle zurückkehren kann, als wäre nichts gewesen, erscheint jedoch spätestens seit der denkwürdigen Putin-Pressekonferenz fraglich."Blair hat mit seinem Interview deutlich gemacht, dass er die Idee einer unipolaren Welt vertritt", sagt Hans-Georg Ehrhart."Diese Ansicht wird von einigen Europäern nicht geteilt."
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....außer von einigen Staates des Neuen Europa und den bundesdeutschen Schwarzen und Gelben. [img][/img]
winkääää
stocksorcerer
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