--> Dossier: Wohin treibt Deutschland? Ein Blick in die Zukunft
Es war einmal ein Land, das hatte die stärkste Armee weit und breit, die besten Schulen und Universitäten, eine
kleine, hocheffiziente Verwaltung, wenige und einfache Gesetze. Es hatte eine Börse, an der die Aktien immer
dann stiegen, wenn die Arbeitslosigkeit zurückging, und fielen, wenn sie zunahm. Dies bei einer Arbeitslosenquote
zwischen 2 und 3%. Es hatte einen Kapitalmarkt, auf den man unbesorgt auf Sicht von 30 Jahren in Anleihen
investieren konnte und dabei keine Kaufkraftminderung riskierte, denn das Geld blieb auch in der nächsten
Generation stabil.
In diesem Land stiegen die Exporte, wuchs die Wirtschaft, die Löhne und Einkommen nahmen stetig zu, der
Mittelstand florierte, ein gelernter Maurer konnte mit drei Wochenlöhnen die gesamte Jahresmiete seiner Wohnung
zahlen. In diesem Land wurden Gesetze, auch Steuergesetze, für Generationen gemacht. Und der Staatsanteil
am Sozialprodukt - das ist das Erstaunliche - erreichte gerade einmal 14%.
Was ich Ihnen eben erzählt habe, ist kein Märchen. Dieses Land gab es wirklich. Es war das deutsche Kaiserreich
vor 1914. Die statistischen Angaben beziehen sich auf das Jahr 1912. Es war die freieste Gesellschaft, in der die
Deutschen je lebten. Frei, weil das Kaiserreich souverän war, weil Rechtssicherheit herrschte, weil der Staat das
Eigentum respektierte.
Einige wenige Dinge sind seitdem gleich geblieben, das meiste aber hat sich radikal geändert.
Gleich geblieben ist die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft und ihre weltweite Spitzenstellung in den
Schlüsselindustrien Chemie und Werkzeugmaschinenbau. Und gleich geblieben ist auch die Struktur des deutschen
Außenhandels. Schon damals gingen 75% der deutschen Exporte nach Europa, wobei der osteuropäische Anteil
größer war als heute. Aber dieser wird in den kommenden Jahren seinen früheren Stand wieder erreichen. Es
stimmt wirklich: schon damals herrschte reger Handel in Europa, und zwar bei freiem Kapitalverkehr. Nur brauchte
man dafür keine EU, keine Bürokratie in Brüssel und erste recht keine deutschen Milliardenzahlungen in eine
europäische Gemeinschaftskasse.
Heute haben wir statt des Goldstandards eine europäische Zwangswährung, von der niemand sagen kann, wie
lange sie hält und was sie in Zukunft wert sein wird. Heute haben wir einen Staatsanteil von rund 50%, und das
Geld reicht den Herrschenden trotzdem nicht. Heute haben wir eine offizielle Staatsschuld von 1,2 Billionen Euro
bei einem jährlichen Volkseinkommen von 1,5 Billionen Euro (Stand 2001) - eine Staatsschuld, die um ein
Vielfaches höher ist, wenn der Staat ordentlich bilanzieren und die ungedeckten künftigen Sozialleistungen in
seine Bilanz einstellen würde.
Ein anderes Kuriosum besteht darin, daß sich dieser finanziell klamme Staat seit vielen Jahren Subventionen an
das Ausland, vor allem an die EU, leistet, die weit über 30 Milliarden Mark per annum liegen, die faktisch aus dem
Außenhandelsüberschuß Deutschlands aufgebracht werden und die dafür sorgen, daß das deutsche
Auslandsvermögen seit 10 Jahren zurückgeht.
Warum habe ich Ihnen die Geschichte aus der Kaiserzeit, die kein Märchen ist, erzählt?
Zum einen, weil wir unsere heutige Situation nicht als selbstverständlich und alternativlos ansehen dürfen.
Zum anderen, weil wir begreifen müssen, daß die Geschichte immer wieder große Brüche produziert, daß es
gefährlich ist, von der Gegenwart auf die Zukunft zu schließen. Wer hätte schon 1912 geahnt, daß die geordnete
und scheinbar festgefügte Welt des kaiserlichen Deutschland zwei Jahre später in einem grausamen, sinnlosen
Krieg untergehen würde.
Ich werde Ihnen jetzt sieben Prognosen für die Zeit bis 2010 vortragen und mich dabei nicht auf Deutschland
beschränken, denn unser Land ist eingebettet in die Europäische Union, in die Weltwirtschaft und Weltpolitik.
Prognose 1: Die große Rezession in den USA kommt erst noch.
Immer noch gilt der Satz, daß die Wirtschaft unser Schicksal ist. Da die deutschen und europäischen
Wirtschaftszyklen mehr oder weniger synchron mit den amerikanischen verlaufen, müssen wir unsere
Prognosereihe mit einem Blick auf die größte Volkswirtschaft der Welt beginnen.
Selbstverständlich sind die großen amerikanischen Wirtschaftszyklen nichts anderes als Kreditzyklen. Solange die
Kredite ausgeweitet wurden, wuchs die Wirtschaft. Sobald ihr Wachstum stagniert, sobald die Kredite zu
schrumpfen beginnen, kommt es zu einer Rezession oder Depression.
Die Rede ist hier von den langen Zyklen. Nach 20 Jahren des Aufschwungs hat der amerikanische Wirtschafts-
und Kreditzyklus sein Endstadium erreicht. Es wurde übrigens Mitte der 90er Jahre noch einmal künstlich
verlängert, indem der Notenbankchef Greenspan massiv Liquidität, also frisches Geld, in das System pumpte.
Jetzt ist der gesamte Schuldenberg der USA mit 30 000 Milliarden Dollar so hoch wie das Bruttoinlandsprodukt
(BIP) dreier Jahre. Das ist mehr als zu Beginn der Großen Depression 1929.
Ein Drittel dieses Schuldenberges entfällt auf die privaten Haushalte. Die Achillesferse dabei sind die
Hypothekenschulden, mit denen vor allem auch der Konsum finanziert wird. In den USA ist es nicht unüblich, daß
ein Haus mit 100 bis 120% seines Marktwertes beliehen wird. 70% der Amerikaner haben einen Hypothekenkredit,
60% davon eine 90%ige Beleihung. Wenn die Immobilienpreise nicht mehr steigen (das kündigt sich bereits an)
und anschließend sogar fallen, dann bricht das Kartenhaus zusammen. Die Konjunktur verliert ihre letzte Stütze.
Normalerweise folgen die Hauspreise in Amerika dem Aktienmarkt mit einer Verzögerung von zwei Jahren.
Fazit: Wir müssen in den USA in absehbarer Zeit, spätestens ab 2004, mit einer schweren Rezession oder
Depression rechnen, die dann auch auf Deutschland und Europa ausstrahlt.
Prognose 2: Die Börsenbaisse dauert zehn Jahre oder länger
Prognose 1 beinhaltet bereits, daß die Baisse am amerikanischen Aktienmarkt zwar durchaus einmal unterbrochen
werden kann, aber noch lange nicht abgeschlossen ist. Der Zusammenhang ist zwingend: Bis 1995 stiegen die
US-Schulden und der Aktienmarkt mehr oder weniger im Gleichklang, und das nominale BIP folgte nach. Das ist
der normale Ablauf.
Ab 1995 öffnete sich die Schere ganz weit. Die Aktienkurse liefen den Schulden und dem Wirtschaftswachstum
davon. Erst seit 2000 beginnt die Schere sich zu schließen. Aber: Um eine halbwegs normale Bewertung zu
erreichen, müßten sich die amerikanischen Aktienindizes noch einmal halbieren. Das passiert normalerweise nicht
in einem Zug. 1929 verlor der Dow Jones 37%, von 1930 bis 1932 81,8%.
Ein ähnlicher Absturz würde ohne jeden Zweifel auch die reale Wirtschaft mit in die Tiefe ziehen. Es ist völlig
normal, daß die Malaise zuerst an den Finanzmärkten sicht-bar wird und von dort aus die reale Wirtschaft
ansteckt. Deswegen ist es nebenbei bemerkt grundfalsch, auf Volkswirte zu hören, wenn man Aktien kauft.
Umgekehrt ist es richtig: die Volkswirte sollten sich den Aktienmarkt anschauen, bevor sie Wirtschaftsanalysen
erstellen.
Für den Aktienmarkt gilt dasselbe wie für die Wirtschaft: Amerika steckt Europa an. Damit droht auch der
deutschen Börse - nach einer jederzeit möglichen Erholung von einigen Quartalen - eine lange Durststrecke, auch
wenn einzelne Aktien schon jetzt nicht mehr teuer oder sogar preiswert sind. Eine Aktienhausse wie in den
neunziger Jahren wird es in diesem Jahrzehnt nicht wieder geben. Die Höhe der Dividenden wird zu einem
entscheidenden Kriteri-um für die Aktienanlage. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war es selbstverständlich,
daß Aktien höher rentierten als Anleihen. Sie sind schließlich auch riskanter.
Prognose 3: Nach den Aktienmärkten trifft es die Devisenmärkte
Die drei Währungen, auf die es ankommt (Dollar, Euro und Yen) blieben bisher verschont, sind aber allesamt
extrem krisenanfällig, und zwar aus verschiedenen Gründen.
Für den Yen-Crash sprechen die atemberaubende Staatsverschuldung und das damit verbundene
Inflationspotential, das sich bisher im Markt für japanische Regierungsanleihen nicht im geringsten wiederspiegelt.
Eine offene Frage ist, ob ein Kollaps der Japanese Government Bonds die Währung mit nach unten zieht, oder ob
umgekehrt zuerst der Yen abstürzt. Daß der Tag der Abrechnung so lange auf sich warten läßt, hängt natürlich
damit zusam-men, daß Japan der größte Gläubiger der Welt ist. Ich muß auch zugeben, daß das japanische
System für westliche Beobachter schwer durchschaubar ist. Japan ist im Grunde eine gelenkte Wirtschaft, keine
Marktwirtschaft.
Der Dollar-Crash ist eher leichter zu prognostizieren. Die USA haben ein jährliches Leistungsbilanzdefizit von rund
500 Milliarden Dollar. Das ist, bezogen auf das BIP, erheblich mehr als Anfang 1985 und weitaus mehr als Anfang
der siebziger Jahre - also zu Zeiten, als schon einmal eine rasante Talfahrt des Dollars ausgelöst wurde.
Dieses Leistungsbilanzdefizit bedeutet, daß die USA mehr verbrauchen als sie produzieren, daß sie mehr
investieren können als sie sparen, daß sie Tag für Tag weit über eine Milliarde Dollar importieren müssen - mit
einem Wort, daß sie sich vom Rest der Welt finanzieren lassen.
Weil der Dollar Weltreservewährung Nummer 1 ist, kann das lange gut gehen - bis der Punkt erreicht ist, an dem
das Ungleichgewicht nicht mehr tragbar ist, an dem der Rest der Welt nicht mehr mitspielt, an dem die USA selbst
an einer Abwertung ihrer Schulden interessiert sind.
Wir müssen klar sehen, daß die Dollar-Hegemonie untrennbar mit der politischen und militärischen Weltherrschaft
der USA verbunden ist. Seit der spanischen Vorherrschaft im 16. Jahrhundert, ja sogar seit den Zeiten des
römischen Imperiums, wird der Abstieg einer Weltmacht immer begleitet von Währungsverfall, von Inflation und
steigenden Zinsen. England, der Vorläufer der USA, war der letzte derartige Fall. Auch die USA werden letzten
Endes diesem Schicksal nicht entgehen.
Nun zum Euro. In punkto Staatsverschuldung schneidet die Euro-Zone ungleich besser ab als Japan, in punkto
Zahlungsbilanz besser als die USA. Nur handelt es sich bei der Euro-Zone weder um eine homogene
Volkswirtschaft noch um einen optimalen Währungsraum. In Griechenland hat die Inflation schon wieder 3,6%
erreicht, in Portugal ist die Produktivität nur halb so hoch wie in Deutschland, die Skandinavier haben ihre
Staatshaushalte im Griff, die Deutschen und Franzosen nicht im geringsten.
Weil hier zusammengefügt wurde, was nicht zusammenpaßt, werden die inneren Widersprüche dieser künstlichen
Euro-Konstruktion aufbrechen - noch in diesem Jahrzehnt. Die Spreads der Staatsschulden werden sich
ausweiten, d.h. die Finanzmärkte werden je nach Bonität unterschiedliche Zinsen verlangen. Dann werden
einzelne Euro-Länder Schwierigkeiten mit der Bedienung ihrer Schulden bekommen. Gut denkbar ist auch, daß das
eine oder andere Land aus dem Euro wieder ausscheidet. Damit ist freilich erst in der zweiten Hälfte des
Jahrzehnts zu rechnen. Daß der Beitritt der osteuropäischen Länder zur Währungsunion den Euro nicht gerade
stärken wird, bedarf keiner Erläuterung.
Über die Abfolge dieser drei programmierten Währungskrisen kann man streiten. Vielleicht kommt erst der Yen an
die Reihe, dann der Dollar und zuletzt der Euro. Zeitweise kann das auch, wie in den dreißiger Jahren, die Form
eines Abwertungswettlaufs annehmen.
Prognose 4: Der Stern Amerikas wird sinken.
Auch das römische Imperium hatte zum Zeitpunkt seiner größten militärischen Ausdehnung unter Kaiser Trajan
den Zenit bereits überschritten. Noch ist Deutschland eine"unglückliche Kolonie", um einen amerikanischen
Soziologen zu zitieren. Noch ist Europa ein"amerikanisches Protektorat", wie Brzezinski sich ausdrückte. Aber die
Verselbständigung Deutschlands und Europas zeichnet sich bereits ab. Die Interessengegensätze werden
deutlicher. Schließlich werden sich die Europäer fragen, warum mehr als ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende
immer noch amerikanische Truppen auf ihrem Boden stehen. Auch Sinn und Zweck der Nato, die sich von einem
Verteidigungsbündnis zu einem rein amerikanischen Herrschaftsinstrument entwickelt hat, wird hinterfragt
werden.
Seit dem 11. September 2001 haben die USA einen Weg eingeschlagen, der abwärts führt - das jedenfalls ist die
Lehre der Geschichte. Es handelt sich um einen Fall von"Imperial Overreach", von imperialer Überdehnung. Sie
verzetteln sich. Sie sind politisch und militärisch an zu vielen Krisenpunkten engagiert. Sie vergessen, daß jedes
Machtmonopol Widerstand provoziert - umso mehr, je länger es andauert.
Damit steigt die Kriegsgefahr weltweit. Kriege brechen aus, wenn eine Weltmacht ihre Position zu verteidigen
müssen glaubt (wie England gegenüber Deutschland 1914). Sie brechen aber auch aus in Zeiten von Börsenbaisse
und Depression (wie in den dreißiger Jahren).
Tatsächlich läßt sich seit 1894 ein ungefährer 30jähriger Zyklus nachweisen, der bisher immer mit einer schweren
Rezession und kriegerischen Verwicklungen zu Ende gegangen ist.
Der aktuelle Zyklus begann 1980. Sein kriegs- und krisenanfälliges letztes Drittel hat 2001 begonnen und kann
durchaus bis 2010 dauern.
Prognose 5: Der Sozialstaat in Deutschland wird insolvent.
Damit steht das System Bundesrepublik in diesem Jahrzehnt vor seiner größten Bewährungsprobe seit 1949.
Aufgebaut ist der Umverteilungsstaat auf einer parasitären Bürokratie, auf wirtschaftlicher Unvernunft, auf
Täuschung und Selbsttäuschung. Lassen Sie mich das kurz schildern:
* Zunächst ein Blick auf die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. 2001 hatte die öffentliche Hand in Deutschland
Gesamteinnahmen von 951,5 Milliarden Euro und Ausgaben von 1009 Milliarden. Die größten Posten unter den
Einnahmen waren Steuern mit 488,3 Milliarden und Sozialbeiträge mit 383,6 Milliarden. Letztere sind im Prinzip
nichts anderes als verkappte Steuern.
* Der mit Abstand größte Posten auf der Ausgabenseite sind die Sozialleistungen mit 548,1 Milliarden. Wir sehen
sogleich, daß die Sozialleistungen sowohl die Sozialbeiträge als auch alle Steuern, die in einem Jahr in
Deutschland eingenommen werden, bei weitem übersteigen. Ein grotesker, unhaltbarer Zustand.
* Die Bereiche in Deutschland, die privatwirtschaftlich organisiert sind, funktionieren in der Regel trotz
permanenter staatlicher Behinderung. Die Bereiche, die planwirtschaftlich organisiert sind, funktionieren nicht. Das
gilt für Rentenversicherung und Gesundheitswesen. Was sich hier entwickelt hat, ist ein Monstrum. 1957 noch
machten die Sozialbeiträge 23,8% vom Bruttolohn aus, heute sind es 41%. Parallel zu diesem parasitären
Wachstum wucherte der Steuerstaat. Schätzungsweise 70% der weltweiten Steuerliteratur ist auf deutsch!
Trotz der Einführung von Computern ist die Personalstärke dieser Bürokratie um ein Vielfaches gewachsen. Die
Bundesanstalt für Arbeit hat 86 000 Beschäftigte - davon sind nur 10% in der Arbeitsvermittlung aktiv. Auf 300
000 Mediziner in Deutschland kommen 145 000 Angestellte der Krankenkassen. 40% der Aufwendungen für
staatliches Wohngeld gehen für die Verwaltung verloren. Diese riesige Bürokratie hat längst auch die Parlamente
unter ihre Kontrolle gebracht. Im Bundestag sind die Gewerkschaftsfunktionäre, Bürokraten und Berufspolitiker
unter sich. Die Wahlen sind zu Ritualen verkommen, die der Perpetuierung des bürokratischen Herrschaftssystems
dienen.
* Die Wähler werden getäuscht und lassen sich täuschen. Nicht einmal die einfachsten Zahlen stimmen. Z.B. wird
uns erzählt, daß das Rentenniveau bis 2030 von 70% des letzten Nettogehaltes auf 67% absinken werde. Das
klingt harmlos, es bezieht sich freilich auf die rein theoretische Eckrente. In Wirklichkeit bekommen die
Haupteinkommensbezieher (von denen mit kleinem Einkommen gar nicht zu reden) schon heute im Durchschnitt
nur noch 59% ihres letzten Nettoentgeltes. Die Methoden, mit denen gearbeitet wird, heißen Intransparenz und
Angst. Der Umver-teilungsstaat wird bewußt undurchsichtig gehalten, Kostenrechnungen sind schon wegen der
ständigen Quersubventionierungen kaum möglich. Die Politiker nähren die Illusion, daß das System mehr
ausspuckt, als vorher hineingesteckt wurde.
* Weil die Leute Angst haben, glauben sie, sie bräuchten die Politiker. Dabei sind diese fast nur noch mit der
Scheinlösung oder Verschleppung selbst geschaffener Probleme beschäftigt - und ziehen eben daraus den
Nachweis ihrer Existenzberechtigung. Das beste Konjunkturprogramm wäre ein Sabbat-Jahr für sämtliche Politiker.
Wann wird das System auf Grund laufen? Langfristig muß es scheitern, weil aus demographischen Gründen die
Steuer- und Beitragszahler im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung immer weniger werden. Die verheerenden Folgen
des Geburtendefizits sind seit langem bekannt, wurden aber in unverantwortlicher Weise ignoriert. Bis 2010 wird
die Bevölkerung (ohne Zuwanderung) um 2,5 Millionen abnehmen, danach beschleunigt sich der demographische
Zusammenbruch rasant. Bis 2040 wird die Bevölkerung um 18 Millionen geschrumpft sein. Das ist mehr, als heute
in den neuen Bundesländern leben.
Viel schlimmer und tödlich für den Umverteilungsstaat ist die Alterung. Bis 2040 geht der erwerbsfähige Teil der
Bevölkerung um 16 Millionen zurück. Daß diese Lücke auch nur zu einem nennenswerten Teil durch Einwanderer
geschlossen werden kann, ist eine glatte Lüge.
Zugegeben, die demographische Katastrophe wird den Umverteilungsstaat in diesem Jahrzehnt noch nicht mit
voller Wucht treffen. Das akute, mittelfristige Problem liegt im miserablen Wirtschaftswachstum und den damit
verbundenen Steuerausfällen.
Wenn meine Prognose stimmt, daß die Konjunktur das ganze Jahrzehnt über im Trend schwach bleibt, dann droht
dem Sozialstaat schon in diesem Jahrhundert die Insolvenz.
Was passiert dann? Massive Steuererhöhungen werden zwar versucht, greifen aber nicht mehr, weil sie unter
dem Strich zu einer Minderung, nicht etwa zu einer Verbesserung, der Steuereinnahmen führen würden. Ein
Zusammenhang, den die bekannte Laffer-Kurve bestens erklärt.
Andere Möglichkeit: Ein radikaler Umbau des Umverteilungssystems. Dazu müßten vorher dessen Machtstrukturen
gebrochen werden, vor allem das Gewerkschaftskartell. Daß eine amtierende Gewerkschaftsregierung die
Gewerkschaften entmachtet, ist wohl ein bißchen viel verlangt.
Bleibt als vorläufiger Ausweg eine Kombination von Sozialkürzungen, Neuverschuldung und Inflation. Die Schulden
steigen dann nominal, aber nicht unbedingt real, weil sie gleichzeitig entwertet werden. Geopfert wird dabei der
Geldwert. Das ist im Prinzip machbar, seitdem mit dem Euro die Konkurrenz der Währungen in Europa abgeschafft
wurde.
Prognose 6: Die Ära der 68er Geht zu Ende
Damit kommen wir zum erfreulicheren Teil meiner Prognosen. Die Regierung, die seit 1998 an der Macht ist,
rekrutiert sich ideologisch und personell weitgehend aus der Bewegung der 68er. Erst kam die Kulturrevolution,
dann die Eroberung der Ämter. Die 68er sind kollektivistisch, anti-liberal, anti-Marktwirtschaft, anti-Familie,
anti-christlich, multikulti, partiell anti-national, in jedem Fall aber pro-Staatsknete. Auch diese Generation altert,
sie verliert in den kommenden Jahren die geistige Hegemonie, die sie Ende der neunziger mit dem sogenannten
"Kampf gegen Rechts" noch einmal zementierten konnte. Sie wird selbstverständlich abtreten müssen. Vielleicht
schon 2006, spätestens 2010. Dann schwingt das Pendel zurück zu konservativen, nationalen und liberalen
Positionen.
Wenn das Geburtendefizit erst einmal als Problem Nummer 1 erkannt ist, wird der Wert der Familie wieder
entdeckt. Außerdem gilt: Je älter die Bevölkerung, desto größer der Stellenwert der Inneren Sicherheit. Je
diffuser und anonymer die EU, desto attraktiver die Nation. Und je weiter wir uns vom 20. Jahrhundert entfernen,
desto wirkungsloser wird das Erpressungspotential der deutschen Vergangenheit.
Es gibt wohl kaum eine bessere Symbolfigur für die Ineffizienz des Linkskartells, als den Berliner Bürgermeister
Wowereit - eine narzißtische Null, die mit der Leitung einer konkursreifen Stadt beauftragt wurde. Solche Figuren
sind Auslaufmodelle.
Prognose 7: In Deutschland entsteht ein anderes Parteiensystem.
Die Überlegung ist einfach und einleuchtend: Wenn sich Volksmeinung und Parteiensystem nicht mehr decken,
dann ändert sich in einer Demokratie nicht das Volk, sondern das Parteiensystem.
Nach einer Allensbach-Umfrage von Anfang 2002 ordnen sich 30% der Deutschen im politischen Spektrum als
rechts ein, 31% als links, 36% als Mitte. (Interessant am Rande, daß die Sozialdemokratie im Reichstag von 1912
mit 34,8% nur wenig schwächer war als heute.) Dem Meinungsspektrum entspricht die heutige Parteienlandschaft
nicht im geringsten. Der rechte Flügel fehlt. Daß er fehlt, hat nicht zuletzt mit der kulturzerstörenden Hegemonie
der 68er zu tun. Sobald diese schwindet, kommt Bewegung in die politische Landschaft.
Denkbar ist, daß die prinzipiell opportunistische CDU dem neuen Zeitgeist folgt, daß sie wieder einen
konservativen und nationalliberalen Flügel herausbildet und damit auch das rechte Spektrum abdeckt. Das wäre
die hessische Lösung, der nächste Bundeskanzler hieße Roland Koch. Mit Angela Merkel ist das nicht zu machen.
Sie ist ein Produkt der Ära Kohl und repräsentiert die"letzte Schwundstufe des Konservatismus".
Einen ersten mutigen Vorstoß zur geistigen Wende in der CDU machte der Bundestagsabgeordnete Axel Fischer in
einem Interview mit der Zeitschrift Der Selbständige. Er verlangte die Entideologisierung und Enttabuisierung der
politischen Debatte und die Überwindung der politischen Korrektheit."Die Alternativen heißen: Freiheit oder
Sozialismus, Pioniergeist oder Vollkaskomentalität, Eigenverantwortung oder Staatsveranwortung, Marktwirtschaft
oder Bürokratie."
Nicht völlig auszuschließen ist auch eine Entwicklung à la Ã-sterreich, d.h. die Metamorphose der FDP zu einer
nationalliberalen Volkspartei. Dazu gab es 2002 erste Ansätze. Aber auch dies ist ein Generationenproblem.
Zumindest ist die FDP eine Option, auf die man achten sollte.
Vorstellbar ist auch die italienische Lösung, nämlich das Entstehen einer neuen bürgerlichen Partei, die sich
national und liberal präsentiert. Eine kollektivistische Bewegung, die sich national und sozialistisch zugleich gibt,
wird in Deutschland keine Chancen haben. Alle populistischen und rechten Parteien, die in den letzten Jahren in
Europa Erfolg hatten, sind marktwirtschaftlich und freiheitlich orientiert.
Meine Grundüberlegung ist, daß das herrschende Parteienkartell in der Wirtschaftspolitik, in der Steuerpolitik, in
der Bevölkerungspolitik, in der Ausländerpolitik (um nur die wichtigsten Felder zu nennen) versagt hat, daß es
reformunfähig ist und daß dieses Versagen in den kommenden Jahren offenkundig werden wird. Dann wird die
Ã-ffentlichkeit nach einem Kabinett der Fachleute rufen. In der Politik ist es wie in der Wirtschaft: man kann die
Realität nur eine Zeitlang ignorieren, man kann die Bilanzen nur eine Zeitlang fälschen, man kann nicht permanent
von der Substanz leben.
Soweit der Versuch eines Blicks in die Zukunft. Dabei ist das worst-case-Szenario, d.h. das Szenario des
schlimmsten Falls, noch nicht berücksichtigt. Es orientiert sich an den dreißiger Jahren. Es setzt voraus, daß das
Sozialprodukt nicht für ein paar Quartale, sondern für einige Jahre zurückgeht. Dann würde die Steuerbasis
schlicht und einfach wegbrechen, die Sozialleistungen müßten brutal gekürzt werden, die politische Szene würde
sich radikalisieren, die Kriminalität würde explodieren, innere Unruhen (auch von Seiten des Millionenheeres
arbeitsloser Ausländer) würden ausbrechen, die Bundeswehr müßte eingesetzt werden, die EU könnte samt Euro
auseinanderbrechen. Ein solches Szenario mag unwahrscheinlich sein, wir müssen es aber vorsichtshalber in
unsere Zukunftsplanung einbeziehen.
Wie auch immer, vor uns liegen Jahre der Entscheidung. Gefragt ist wieder einmal die Regenerationsfähigkeit des
deutschen Volkes.
(Der Text basiert auf einem Vortrag des Deutschland-Brief-Herausgebers vor dem Club Staat und Wirtschaft.)
Dr. Bruno Bandulet
Autor:
Dr. Bruno Bandulet (Herausgeber des Goldbriefes: G & M)
Kontakt:
www.Bandulet.de, info@deutschlandbrief.net
Quelle:
"Deutschland Brief", Ausgabe Dezember 2002
Stand:
12/2002,
auf den GoldSeiten.de seit: 02/2003
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