-->Pflichtangebot auch bei anschließendem Zwangsausschluß
Ausnahmen sind nur in extremen Einzelfällen denkbar / Von Thorsten Behnke und Oliver Klepsch
FRANKFURT, 6. Mai. Von manchen Rechtsberatern wird die Ansicht vertreten, daß ein beabsichtigter Zwangsausschluß von Aktionären ein Pflichtangebot an die Minderheitsaktionäre entbehrlich werden ließe (F.A.Z. vom 12. März). Eine gefestigte Aufsichtspraxis dazu hat sich jedoch noch nicht herausbilden können. Angesichts der bisherigen Vorgehensweise der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) kann aber von bestimmten Erfahrungen ausgegangen werden.
Erwirbt demnach jemand Aktien in Höhe von mindestens 95 Prozent des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft, kann die Hauptversammlung auf seinen Antrag hin den Ausschluß der übrigen Aktionäre (Squeeze-out) beschließen. Handelt es sich darüber hinaus um eine börsennotierte Gesellschaft, muß er wegen Überschreitens der Schwelle von 30 Prozent der Stimmrechte ein Erwerbsangebot nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz an die Minderheitsaktionäre abgeben (Pflichtangebot).
Beide Verfahren, die durch das gleiche Artikelgesetz eingeführt wurden, sind grundsätzlich unabhängig voneinander durchzuführen. Nicht nur liegt ihnen jeweils ein sehr unterschiedlicher Regelungszweck zugrunde, sondern auch eine unterschiedliche Ausgestaltung des Aktionärsschutzes. Zweck des Pflichtangebots ist es, den Aktionären zu ermöglichen, daß sie gegen eine angemessene Abfindung aus der Gesellschaft ausscheiden können. Wie der Begriff des Angebots deutlich macht, muß der Aktionär die Gesellschaft nicht verlassen. Vielmehr soll er nach den in der Angebotsunterlage enthaltenen Informationen, zu denen nicht nur die Gegenleistung, sondern auch die Absichten des Bieters in bezug auf die Zielgesellschaft gehören, eine eigene Entscheidung treffen. Es ist der Aktionär, der von einem Pflichtangebot profitiert. Demgegenüber wirkt ein Squeeze-out zum alleinigen Vorteil des Hauptaktionärs, der die mit den Minderheitsaktionären verbundenen Kosten für Hauptversammlungen und Börsennotierung einsparen kann. Rechtstechnisch geschieht der Squeeze-out durch Übertragung der Aktien an den Hauptaktionär kraft Gesetzes. Dieser Eigentumseingriff wird durch das Erfordernis einer angemessenen Abfindung ausgeglichen.
Gegenüber dem Squeeze-out bietet ein Pflichtangebotsverfahren dem Aktionär erhebliche Vorteile. So wird die in der Angebotsunterlage enthaltene Gegenleistung von der BaFin anhand der gesetzlichen Vorgaben innerhalb einer Frist von nur zehn bis fünfzehn Tagen überprüft. Dabei sind vor allem der Drei-Monats-Durchschnittskurs der Aktie und der Preis maßgebend, die der Bieter bezahlt hat. Beim Squeeze-out findet dagegen eine Überprüfung des Preises erst nach dessen Vollzug in einem Gerichtsverfahren statt, sofern ein Aktionär dieses einleitet. Zudem erhält der Aktionär im Pflichtangebotsverfahren seine Gegenleistung wenige Wochen nach Kontrollerlangung. Wann dagegen ein Squeeze-out-Verfahren eingeleitet wird, bleibt dem Belieben des Bieters überlassen.
Will ein Hauptaktionär ein Pflichtangebot vermeiden, so kann er einen Antrag auf Befreiung davon bei der BaFin stellen. Neben der Erfüllung formeller Kriterien hängen die Erfolgsaussichten eines Antrags davon ab, ob nach dem Ermessen der Bundesanstalt die Interessen des Hauptaktionärs an der Befreiung die Interessen der anderen Aktionäre überwiegen. Eine allgemeine Regel für eine Befreiung des Hauptaktionärs kann wegen des Ermessens im Einzelfall und des Ausnahmecharakters der Befreiung nicht aufgestellt werden.
Dabei kann die Zielsetzung, einen Squeeze-out herbeizuführen, allein keine Befreiung rechtfertigen. Dies zeigt ein Vergleich mit dem speziellen Anwendungsfall des Befreiungsgrundes"Zielsetzung der Kontroll- erlangung", der Sanierung durch den Hauptaktionär. Mit einer Sanierung ist ein Squeeze-out nicht vergleichbar. Auch eine Selbstverpflichtung des Bieters, bei einem Squeeze-out mindestens einen dem Pflichtangebot entsprechenden Preis zu zahlen, kann nicht in die Abwägung einbezogen werden. Eine solche Verpflichtung müßte durch eine Auflage oder Bedingung in der Entscheidung der BaFin mit der Befreiung verbunden werden. Dagegen spricht jedoch, daß die Behörde in ein nicht ihrer Zuständigkeit obliegendes Verfahren eingreifen würde. Außerdem liegt es nicht im Interesse des Aktionärs, eine Abfindung erst später zu erhalten.
Nur in extremen Ausnahmefällen können die Kosten des Pflichtangebotes bei Hinzutreten weiterer Umstände für eine Befreiung des Bieters sprechen. Findet in der Aktie kein liquider Handel mehr statt, ist die den Aktionären im Rahmen eines Pflichtangebots anzubietende Leistung ausnahmsweise durch eine Unternehmensbewertung zu ermitteln. Diese kann von der BaFin nicht erschöpfend geprüft werden. Kommt dann eine extrem geringe Anzahl von Aktionären hinzu, die außerdem auch schon vor dem Kontrollwechsel in einer Squeeze-out-gefährdeten Position waren, kann im Einzelfall die Abwägung der Interessen auch dazu führen, daß der Hauptaktionär von der Verpflichtung ein Pflichtangebot zu unterbreiten befreit wird. Das war bisher nur einmal der Fall.
Dr. Thorsten Behnke und Oliver Klepsch sind Referenten in den Übernahmereferaten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Der Artikel gibt die persönliche Meinung der Verfasser wieder.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.05.2003, Nr. 105 / Seite 19
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