-->Hi Pudelbirne,
>Wer braucht Nationalgefuehl?
Da würden mir mehrere einfallen: diejenigen, die eine staatliche Einheit auf die Beine stellen wollen, oder Kriege (für Angriff- oder Verteidigung) führen wollen, vielleicht müssen, oder unter einem gemeinschaftsbildenden Begriff anderen Lasten auferlegen/auf sich nehmen wollen (Sparprogramme etwa, sehr aktuell).
>Ist das eigentlich was Natuerliches? Ich meine hat man das schon vor seiner Pubertaet? Wo kann ich das kaufen?
Weiß ich nicht. Da für mich der Mensch in erster Linie ein kulturelles Wesen ist - Vorrang der kulturellen Evolution vor der biologischen - stellt sich diese Frage für mich nicht. Sind Sprache und Mathematik etwas Natuerliches?
>Ich kann es nicht verstehen, warum in diesem Forum einige immer wieder auf Nationen rumreiten? Warum?
Weil andere laufend auf meiner Nation herumreiten. So lange ich, das ist das eigentlich Gemeine, in Wahrheit wegen der Nationalität meiner Vorfahren, zu endlosen Zahlungen, Demütigungen, und poltischem Entmündigt-Sein verurteilt bin, ist das Thema für mich aktuell.
Ich formuliere Deinen Satz mal um, dann müßte es sofort klar werden. Stell Dir mal vor, jemand würde einem Schwarzen oder einem US-Indianer sagen,"ich verstehe nicht, warum andere laufend auf der Hautfarbe herumreiten". Oder sage einem zwangsgeräumten, gepfändeten, mitten im sozialen Sturzflug stehenden Menschen,"ich verstehe nicht, warum für andere immer Geld eine so große Rolle spielt".
> Die Erfindung der Nation ist so alt nicht und wahrscheinlich eine der
Französische Revolution. Der erste nationale Krieg war ein Verteidigungskrieg, Dantons Revolutionsarmee gegen eine vom Herzog von Braunschweig angeführte Invasionsarmee. Die berühmete Kanonade von Valmy.
>Wurzeln alles heutigen Uebels... Warum Nationen so stark verteidigen?
Wenn das Übel nur eine Wurzel hätte...
Zur Verteidigung des Nationalstaats kenne ich eine glänzende Bemerkung des früheren französichen Innenministers und Euro-Skeptikers, des ehemaligen Sozialisten Jean-Pierre Chevenement: "Der Nationalstaat ist der institutionelle Rahmen für die demokratische Auseinandersetzung." (Zu lesen in der ZEIT, ein Doppelinterview Chevenement, J. Fischer)
>Ich liebe es zu lesen... deutsche Literatur, franzoesische und englische desgleichen beschaeftige mich gerade in meiner spaerlichen Freizeit mit chinesischen Standardwerken...
Ohne Nation keine deutsche, französische, englische etc. Kunst und Literatur. Ohne nationale, regionale und sonstige Unterschiede gibt es nurmehr Einheitsbrei; irgendwann kommt dann der Coca-Cola-Roman. Was anderes als Big-Mac-Kino scheint´s ja eh nicht mehr zu geben.
In der Vielfalt liegt die Bereicherung, der wahre Pfiff. Dieser Groschen muß mal fallen.
Die Diskussion, die wir hier führen, hat es schon mal gegeben, mit ganz ähnlichen Vorzeichen. Weil Du Dich eben als kulturell interessiert geoutet hast, möchte ich ein Beispiel aus dieser Sphäre nehmen, es stammt aus den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts. Damals gab es eine stark ideologisch, wenn Du so willst, national gefärbte Auseinandersetzung zwischen der italienischen und deutschen Oper, welcher Art des Musikdramas der Vorzug zukomme, demjenigen Richard Wagner oder dem Guiseppe Verdis.
Der fanatische Verdi-Hasser Hans von Bülow (Dirigent der Uraufführung von Tristan und Isolde und Meistersingern) hatte bei einer Aufführung von Verdis Requiem das er zuvor in einer Zeitungskritik furchtbar verrissen hat, eine Art von Damaskus-Erlebnis.
Er schrieb daraufhin einen sentimentalitätsgetränkten sich in Überspanntheiten ergehenden Brief (Deutsch sein, heißt die Nachbarschaft zur Hysterie pflegen) an Verdi, in dem er anregt, eine, die deutsch-italienischen Gegensätze zusammenfassende und überwindende Kunst zu schaffen, eine Art gigantischer Verschmelzung sei anzustreben, daraus müsse etwas Noch-Nie-Dagewesenes entstehen, was der europäischen (sic!) Kunst neue Bahnen eröffnen könne.
Verdi hat die Dinge anders gesehen, und wie ich finde, unendich klüger. Wieder zitiere ich aus dem Gedächtnis. Er hat Bülow geantwortet, die
Deutschen sollten bitte Deutsche bleiben, die Itaiener Italiener und die Franzosen Franzosen.
Es habe seiner, Verdis Auffassung zufolge, zwei große Musiktraditionen gegeben, von denen jede auf ihre Art überragend sei, die italienische und die deutsche. Warum das überwinden wollen?
Wenn jeder, d.h. jede Nation das seine, das ihre mache, werden wir alle am Ende reicher sein. Das paßt zu Verdis Lebenseinstellung, in der das Seine tun,"Fare il suo", zu den obersten Maximen gehörte.
>Ich liebe Musik... deutschen und japanischen Pop, franzoesischen Chanson, etc...
Kannst Du nur lieben, so lange es die Unterschiede gibt.
>Doch fuer Kultur brauche ich keine Nation und schon gar kein Nationalgefuehl...
Du vielleicht nicht, aber je reicher die Kulturlandschaft, desto ausgeprägter die zugrundeliegenden Unterschiede.
Um viele gute Weine hervorzubringen, braucht es viele gute Böden!
>Ich fuehle mich schon im deutschen Kulturkreis zu Hause (aber wenn ich in FFM weile wird mir krank und auch Stuttgart ist traurig...) ;-), aber den brauch ich auch nicht zum Leben, den Kulturkreis,... ein anderer ist auch schoen...und wenn einer untergehen sollte, warum weinen? Es gibt so viel Gutes unter der Sonne...
Wenn Deine Nation untergeht, gehen damit die Strukturen, die es Dir erst erlauben, ein staatsbürgerliches Subjekt zu sein, auch mit unter.
>Gerade in diesem Forum, wo alle eh immer vom Auswandern reden, verwundern mich diese nationalen Gefuehle. (obwohl die Debatte um die Algerienreisenden passt schon... nach dem Motto, immer brav zu Hause bleiben und bloss nichts von der Welt mitbekommen... und die eigenen Vorurteile schueren...oops sorry)
Ohne Nation kein Ausland! Merkst Du, wo der Pfiff der Sache liegt?
>Oder liegt es daran, dass man vereint in einer Nation dann die Suedfruechte der fremden Nationen Arbeit besser geniessen kann? Nation als Machtinstrument, also auch Gefuehl dareinstecken, dann funktioniert sie besser, die Leute machen alle richtig mit und dann kann man auch profitieren... Diejenigen die immer am lautesten plaerren im Namen des Vaterlandes, waren mir schon immer suspekt, denen unterstelle ich instinktiv schon unlautere Motive...
Mißbrauch gibt es überall. Du hast vergessen, was im Namen, nein, eher verdeckt, des Internationalismus schon für Verbrechen begangen wurden. Die unlauteren Motive gelten dann aber auch für Frankreich.
>Aber mal im Ernst: Bin ich krank, fehlt mir was, nur weil mir Deutschland sch...egal ist??? Oder kann das jemand anders auch nachvollziehen? Dann gebt bitte Bescheid an die
Nein. D-Land kann Dir ohne weiteres schnurzepiepegal sein. Es ist nur so, wenn D-Land untergeht, gehen wir auch mit unter. Was kümmert`s mich, wenn die Titanic absäuft. So lang die Boardkapelle spielt... Es soll Passagiere gegeben haben denen ist nicht einmal dann ein Licht aufgegangen als"Nearer to thee my god" angestimmt wurde.
Tempranillo
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