-->SPIEGEL ONLINE - 16. Mai 2003, 16:29
Reichstag-Restaurants
Thierses Mahnschreiben gegen den Löffel-Klau
Von Matthias Gebauer
Politiker sind auch nur Menschen. Manche nehmen eben hier und da mal was mit, wenn sie es gerade brauchen können. Im Reichstag scheint diese Manier Überhand genommen zu haben. Nun fahnden die Restaurantbetreiber des Parlaments nach Bundestags-Besteck und -Geschirr im Wert von 175.000 Euro.
Berlin - Feit Reisberger ist ein erfahrener Gastgeber. Seit Jahren arbeitet der 39-Jährige in der Gastronomie oder in Hotels. Reisberger weiß, dass im Gastgewerbe immer wieder Dinge auf mysteriöse Weise verschwinden."In den Hotels sind es die Handtücher, in Flugzeugen die geprägten Messer und in Restaurants die bedruckten Servietten oder die Aschenbecher", sagt er,"jeder von uns kennt diesen Kavaliers-Diebstahl, hat sich daran gewöhnt und den Verlust mit einkalkuliert".
Seit einigen Jahren nun hat Reisberger einen recht exklusiven Job. Seit der Eröffnung managt er für das Münchner Unternehmen Käfer die beiden Restaurants im Deutschen Bundestag. Dort können die 660 Parlamentarier entweder im Erdgeschoss oder auf der Dachterrasse in gepflegter Atmosphäre speisen und sich von ihrem anstrengenden Tag erholen. Für Normalbürger ist nur die Dachterrasse an manchen Tagen der Woche geöffnet - die Politiker sind also meist unter sich.
Gastronom Reisberger aber musste lernen, dass die Mandatsträger auch keine feineren Menschen sind - ganz im Gegenteil. Als er kürzlich die Zahlen über den Verlust an Besteck und Geschirr in seinen beiden Restaurants kontrollierte, traute er seinen Augen kaum."Die Schwund-Zahlen sind rund 10 Prozent höher als in jedem anderen Betrieb", stellt er fest. Mittlerweile ist von dem zur Eröffnung angeschafften Inventar, Kostenpunkt rund 350.000 Euro, fast die Hälfte abhanden gekommen."Wenn wir noch ein bisschen abwarten, haben wir gar kein Besteck mehr", so Reisberger.
Rundschreiben als letzte Chance
Der erstaunliche Schwund seiner Einrichtung veranlasste den Käfer-Gastronomen nun zu einem erstaunlichen Schritt. Erbost wandte er sich an die zuständige Bundestagsverwaltung von Bundestagspräsident Wofgang Thierse. Per Hausmitteilung gab die seinen Ärger weiter und schrieb alle 660 Parlamentarier und ihre Mitarbeiter an. Bewusst in Anführungszeichen schreiben die Hausherren des Parlaments, dass der Bestand an Geschirr und Besteck stark"abgenommen" habe. Komme das Inventar nicht zurück, müsse die Verwaltung neues Geschirr kaufen, was den"Sachhaushalt des Bundestages" belaste.
Gastronom Reisberger hofft nun, dass ein Großteil des Geschirrs zurückkommt."Viele Abgeordnete haben sicherlich nur manche Teile in ihre Büros mitgenommen oder sie in ihre Teeküchen gestellt", sagt er,"schließlich will ich niemanden etwas Böses unterstellen." Allein die langen Wege zwischen Bundestag und den Büros der Abgeordneten und Mitarbeiter würden diese These unterstützen. In dem Rundschreiben weist die Bundestagsverwaltung auch darauf hin, dass eine"Lagerung" des Geschirrs und Bestecks nicht gestattet sei.
Dass er alle Teile zurückerhält, glaubt Reisberger nicht:"Wir hatten zu Beginn Teller mit dem Reichstag-Emblem", sagt er,"sie waren einfach zu schön als Souvenir, als dass sie wieder zurückkommen würden". Schon kurz nach der Eröffnung sei ein großer Teil dieser Teller verschwunden. Den Souvenirjägern mit Parteibuch macht das aktuelle Rundschreiben immerhin ein Angebot zur Rückkehr in die Legalität: Das besondere Bundestags-Geschirr, heißt es dort, könne auch"käuflich erworben" werden.
<ul> ~ http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,248930,00.html </ul>
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