-->musst in Suchmaschine wühlen, vieleicht findest neSeite mit historischen Charts
hier Artikel aus dem jahr 2000 (auch über besagte Aktie):
Schöne neue Ã-konomie
Ein Kommentar
Für die Welt beginnt ein neues Zeitalter: das Internetzeitalter. Die ganze Welt wird ein globales Dorf und Informationen zu unserer wichtigsten Ware. Die neuen Aktien werden uns alle reich machen, denn für sie, die Aktien der neuen Ã-konomie gelten die alten Regeln und Gesetze nicht mehr, darunter auch die Schwerkraft. Neue Bewertungskriterien müssen her, weil die alten „versagen", und so werden diese Unternehmen nicht mehr nach Umsatz und Gewinn, sondern z.B. in Anklickraten gemessen. Sollten wir uns nicht länger mit irgendwelchen ökonomischen Lästigkeiten wie der Gewinnerzielung herumärgern, die sowieso bald Geschichte sind? Pessimisten unken, die Blase würde bald platzen, aber diesmal wird alles ganz anders, lautet die Überzeugung der Mehrheit der Spekulanten, eine Auffassung, die mir aus früheren Spekulationsexzessen bekannt vorkommt und die meistens ziemlich teuer war.
Da stehen sie nun, die Internetportale und Suchmaschinen, die Auktionshäuser und shopping malls, information broker und virtuelle Marktplätze, alle sind sie auf der Jagd nach dem schnellen Cybercash, heiß auf e-business. An der Börse werden ihre Aktien nicht selten mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen (KGV) von 500 gehandelt (sofern sie überhaupt Gewinn erzielen). Sie haben richtig gelesen! Fünfhundert, eine fünf mit zwei Nullen. Den wenigsten Käufern scheint bewußt zu sein, daß bei einem KGV von 500, sollte der Gewinn konstant bleiben, es 500 Jahre dauert, bis das Unternehmen den Preis, den sie dafür bezahlen (also den Börsenkurs), erwirtschaftet hat. Wer also zu der Zeit, in der Gutenberg die ersten Versuche mit seiner genialen Erfindung machte, eine Aktie mit dem KGV 500 kaufte, hat bis heute seinen Einsatz wieder raus. Apropos Gutenberg. Neulich mußte ich lesen, Microsoft-Gründer Bill Gates verkünde Gutenbergs Ende, die völlige Ablösung des Druckens durch elektronische Medien, schon in wenigen Jahren gebe es kein bedrucktes Papier mehr. Sicher, Microsoft ist ein sehr gut geführtes und profitables Unternehmen - auf seine Art - doch eine solche Äußerung kann nur als Größenwahn aufgefaßt werden.
Zurück zum KGV: eigentlich bin ich ja ein geduldiger Mensch, doch wenn der Zeitpunkt, zu dem ich meinen Einsatz wieder herausbekomme auf Jahreszahlen fällt, die selbst für Star Trek noch zu weit in der Zukunft liegen, schwindet die Geduld sehr schnell. Viele Zocker im Bereich Internetaktien halten diese dagegen nur wenige Tage, alles andere betrachten sie als langfristig.
Man kann einwenden, daß sich dieses KGV wieder normalisiert, weil die Gewinne der Unternehmen wachsen. Doch wie weit geht das Wachstum? Wenn das Marktsegment attraktiv ist, wird die Konkurrenz nicht weit sein, denn die Markteintrittsbarrieren sind niedrig. Eine Wachstumsrate, die über 50% liegt, längerfristig, also mehr als drei bis vier Jahre, zu halten, ist außerordentlich schwierig. Beim unserem 500er-KGV, das erneut herhalten muß, müßte sich der Gewinn verzehnfachen (!), um das KGV auf 50 zu drücken, was unter normalen Umständen immer noch alles andere als billig ist. (Natürlich gibt es noch eine zweite Möglichkeit. Wie bei jedem Quotienten kann sich auch beim Kurs-Gewinn-Verhältnis nicht nur der Nenner, sondern auch der Zähler ändern, aber daran wollen wir lieber nicht denken.)
Wer sich nicht vorstellen kann, daß die Kurse auch einmal in die falsche Richtung laufen können, dem sei ein Blick in die Vergangenheit empfohlen, z.B. auf einen Chart von Xerox in den 60er Jahren oder auf Radioaktien. Diese waren in den 20er Jahren der große Renner an der Wall Street, angeführt vom Marktführer RCA (Radio Corporation of America). Doch vom Höchststand 1929 bis 1988, als RCA von General Electric aufgekauft wurde, brachte die RCA-Aktie ihren Besitzern in diesem Zeitraum eine jährliche Rendite von knapp 1%. Obwohl die Radiotechnologie genial und revolutionär war, und obwohl sie sich durchsetzte, brachte sie den Aktionären wenig ein. Ein noch schönerer Vergleich zum Internet ist für mich die Entwicklung im Bereich Eisenbahn. Mitte des 19. Jahrhunderts hatten Eisenbahnaktien ihre Blütezeit, es tummelten sich Dut-zende börsennotierte Linien mit jeweils ein paar Meilen Streckennetz sowohl in Europa als auch den USA. Neue Bewertungskennzahlen muß-ten her, da das bisherige Kriterium Dividendenrendite nicht griff. (Das KGV war damals noch unbekannt.) Und so bewertete man diese Aktien an der Länge der neuverlegten Gleise (verblüffend die Ähnlichkeit mit der Zahl der User) und an der beförderten Fracht pro Streckenlänge (ein Schelm, wer dabei an Anklickraten oder page impressions denkt). Verglichen mit der Dominanz, welche die Eisenbahn in den folgenden 100 Jahren im Verkehrswesen innehatte, sprang für die Aktionäre vergleichsweise wenig heraus. Die nötige Konzentration, die in jeder neuen Branche irgendwann einsetzen muß, zeigt das Beispiel Automobilaktien sehr einleuchtend auf. Gab es 1929 an der Wall Street über 200 verschiedene Autohersteller, so sind davon bis heute gerade einmal drei übrig geblieben, darunter (und das kann Internetanleger wieder hoffnungsvoll stimmen) der damalige Marktführer.
Trotzdem sieht manche Party am Neuen Markt und der Nasdaq aus, als spielten die Anleger die Reise nach Jerusalem: Wer keinen Käufer mehr findet, wenn die Musik ausgeht, hat verloren. Wenn sämtliche Bewertungsmaßstäbe durch steigende Kurse ausgereizt sind, erscheinen weiter steigende Notierungen wie eine Suche nach den größeren Idioten. Ich will hier nicht pauschal alle Internet-, Hightech- und ähnliche Aktien schlechtreden. Zweifellos gibt es auch sehr gute Firmen in dem Bereich, die man nur aufspüren muß. Aber wenn es noch Zeitgenossen gibt, die im Dschungel der täglich einprasselnden Informationen noch Zeit zum Nachdenken finden, dann sollte es sie skeptisch machen, wenn sich in ein und derselben Branche mindestens 18 selbsternannte Marktführer tummeln. Angeheizt wird die Stimmung durch ein reißerisches Börsenfernsehen und den Auftritt selbsternannter Gurus. Es besteht Nachfrage nach solcher „Berichterstattung", oder schafft sich hier das Angebot seine Nachfrage selbst? In vergangenen Jahrhunderten wurden Zockeraktien auf Jahrmärkten angepriesen und unters Volk gebracht, heute gibt es n-tv.
Ich möchte die fantastischen technologischen Möglichkeiten des neuen Zeitalters nicht vermissen und zweifellos werden auch einige Aktien davon profitieren, aber man darf nicht vergessen, welchen Ausleseprozeß dieser Markt noch durchzustehen hat. Vor dem Hintergrund dieses Konzentrationsprozesses bleibt zu befürchten, daß einige der heute hochgelobten Starunternehmen ihre Zukunft bereits hinter sich haben. Nichtsdestotrotz wünsche ich allen Spekulanten mit heißen Aktien viel Glück. Sie werden es brauchen.
<ul> ~ http://www.akb-mainz.de/report-2000-oekonomie.htm</ul>
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