-->Aus: Die Globalisierungsfalle - Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand
von: Hans-Peter Martin, Harald Schumann
Verlag: Rohwolt, erschienen Oktober 1996
Fortsetzung des Postings"Die 20:80-Gesellschaft"
http://www.f17.parsimony.net/forum30434/messages/191108.htm
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<font size=5>Kapitel 4 - Das Gesetz der Wölfe</font>
Die grenzenlose Jobkrise und die neue Transnationale
[Seite 137 - 192]
"Schafft die Zölle ab und unterstützt den Freihandel, dann werden unsere Arbeiter in jedem Bereich der Wirtschaft wie in Europa auf das Niveau von Leibeigenen und Paupern heruntergebracht."
Abraham Lincoln, 16. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika (1860-1865)
In Dearborn im US-Staat Michigan arbeiten im Schein zahlreicher Computer-Bildschirme die wertvollsten Ingenieure des Ford-Konzerns, des zweitgrößten Autobauers der Welt. Mühelos demonstrieren sie die <font color="#FF0000">Symbiose von Mensch und Maschine.</font> Ein Karosserie-Designer fährt mit seinem verkabelten Stift über das elektromagnetische Zeichenfeld auf seinem Tisch. Ein schneller Druck hier, eine Linie dort, und auf seinem Monitor werden die Umrisee eines Fahrzeugs erkennbar, das vielleicht bald als das neueste Ford-Modell in Ausstellungsräumen in aller Welt die Blicke der Käufer auf sich ziehen wird. Plötzlich ertönt aus einem unscheinbaren Lautsprecher neben dem Monitor die hohle Stimme:"Das gefällt mir ganz gut", kommentiert der Anonymus das Gezeichnete,"aber wie wäre es, wenn wir es so machen?" Und wie von Geisterhand gesteuert verändert sich die Fahrzeugskizze auf dem Schwirm, wird oben ein wenig runder und seitlich noch schnittiger.
Das mitzeichnende Phantom sitzt in Köln, der Europa-Zentrale von Ford. Mal gleichzeitig, mal nacheinander im Schichtbetrieb arbeiten die Entwickler in Deutschland mit ihren Kollegen in Dearborn an denselben Projekten. Sie führen europäische, amerikanische und auch japanische Ideen und Vorstellungen zusammen. Silicon Graphics Computer stehen überall, fünf über die Kontinente verstreute Entwicklungslabors bilden ein einziges, globales Studio für die Autokonstruktion, in dem jeder virtuelle Crash-Test, jede aerodynamische Berechnung für jedes Modell nur noch in einer gemeinsamen Testserie durchgeführt werden muß.
Das Design per Video- und Rechnerschaltung über alle Ozeane und Zeitgrenzen hinweg ist Teil der bislang radikalsten Reorganisation des Ford-Konzerns. Seit Anfang 1995 enwickelt nicht mehr jede regionale Tochtergesellschaft ihre eigenen Modelle, wird nicht mehr das fertige Konstrukt der einen Division von der nächsten überarbeitet und in der dritten angepaßt. Statt dessen verordnete Ford-Chef Alex Trottman die Verschmelzung der alten Regionalkonzerne zu zwei großen Einheiten, die den Markt in Europa und den USA sowie Asien und Lateinamerika bedienen werden. Was vor kurzem noch als schwerfällig und umständlich erschien - die Anwendung mdernster Informationstechnik stößt die Tür auf für die global integrierte Unternehmensmaschine. Entwicklung, Einkauf, Vertrieb - Ford optimiert online im Weltmaßstab und <font color="#FF0000">vermeidet jede Doppelarbeit bis in die abgelegenste Provinzfiliale</font>. Das Ergebnis sind"global cars", mit denen Ford <font color="#FF0000">einmal mehr </font>den weltweiten Standard dafür setzt, wie die Herstellung von Automobilen auf größtmögliche Effizienz getrimmt werden kann. Die Umstellung spart Kosten in Milliardenhöhe und voraussichtlich <font color="#FF0000">mehrere tausend hochqualifizierte, gutbezahlte Jobs von Managern, Ingenieuren und Verkäufern</font>. Für das zuletzt weltweit vermarktete Modell, den Mondeo, benötigten die Ford-Konstrukteure noch zwei Monate und 20 internationale Arbeitskonferenzen, ehe das Projekt abschlußbereit war. Für das neueste Modell Taurus waren gerade mal 15 Arbeitstage und drei Kontrollsitzungen nötig, bis der Vorstand grünes Licht für den Produktionsstart gab, ein Effizienzsprung von über hundert Prozent. [1]
Die"Revolution bei Ford", so das Wirtschaftsblatt The Economist, folgt nicht etwa dem Druck einer finanziellen Krise. Über sechs Milliarden Dollar Gewinn fuhr der Konzern im Jahr 1994 ein. <font color="#FF0000">Trottman und seine Führungsmannschaft verwirklichen lediglich, was ihnen die Anwendung modernster Technologie im globalen Netz ermöglicht - und alle anderen werden folgen, nicht nur im Automobilbau</font>.
<font color="#FF0000">Branche für Branche, Beruf für Beruf wälzt eine Revolution die Arbeitswelt um. Kaum jemand bleibt verschont. Vergeblich suchen Politiker und Ã-konomen noch nach Ersatz für die verlorenen Blaumann-Jobs, die im Vulkan-Schiffbau, in den Flugzeugwerften der Dasa oder an den Fließbändern bei Volkswagen verschwinden</font>. Da hat die Anst um den Arbeitsplatz längst auch in den Angestelltenbüros Einzug gehalten und erfaßt die ehedem sichersten Sektoren der Wirtschaft. Aus Jobs fürs Leben werden Gelegenheitsarbeiten, und wer gestern noch einen Zukunftsberuf hatte, dessen Fähigkeiten können sich über Nacht in wertloses Wissen verwandeln.
<font color="#FF0000">So brechen für die knapp eine Million Angestellten des Banken- und Versicherungsgewerbes dunkle Zeiten an.</font> Seitdem die Unternehmen der Finanzwirtschaft im Weltmaßstab gegeneinander antreten, verheißt ihnen der grenzenlose Wettbewerb ein Schicksal, wie es in der gleichen Härte vordem nur den Beschäftigen der Textilbranche widerfuhr. <font color="#FF0000">Mit Geldautomaten und Kontoauszugs-Druckern ging es erst los</font>. Nun drängen amerikanische und japanische Banken, Versicherungen und Investmentfonds auf den europäischen und vor allem auf den deutschen Markt für Sparer und Kreditnehmer. American Express zum Beispiel bietet seit 1995 Girokonten an, die ohne Kündigungsfrist höhere Zinsen bieten als das Sparbuch. Rund um die Uhr kann der Kunde telefonisch oder per PC Aufträge aller Art erteilen, Erspartes binnen Minunten in höher verzinste Anlagen umschichten und sich sogar Bargeld nach Hause senden lassen. Auch Fidelity Investments, die weltweit größte Fondsgesellschaft mit Hauptsitz in Boston im US-Bundesstaat Massachusetts, verkauft von ihrer Niederlassung in Luxemburg aus in dfer ganzen Europäischen Union Wertpapiere per Telefon. Diese Marktstrategie stellt die traditionellen Strukturen des Bankgeschäfts auf den Kopf. <font color="#FF0000">Dichte Filialnetze, die bislang wegen ihrer Nähe zum Kunden ein Vorteil waren, werden nun zum teuren Luxus und Wettbewerbsnachteil</font>. Mit selbständigen Tochtergesellschaften wie der Bank 24 oder Advance Bank, hinter denen die Deutsche Bank und die Vereinsbank stehen, stellen derzeit alle großen deutschen Geldhäuser auf das Telegeschäft um. <font color="#FF0000">Der Anlaufphase wird in den kommenden Jahren eine radikale Ausdünnung der Filialen folgen.</font> [Eigene Anmerkung: Und diese rollt in der Tat seit einer Weile wie wir heute wissen!]
<font color="#FF0000">Bankkaufleute mit Abitur, Lehre, aufwendiger betrieblicher Weiterbildung und entsprechend hohen Gehältern werden dann nur noch in kleiner Zahl gebraucht</font>. <font color="#FF0000">Vom traditionellen Berufsbild des freundlichen, gutbezahlten Bankangestellten von nebenan bleibt nicht viel übrig. Bei VB-Dialog etwa, dem Direktbank-Ableger der Bayerischen Vereinsbank, gilt nicht mehr der Tarifvertrag der Gewerkschaft. Statt der üblichen 23 bis 30 Mark erhalten die Mitarbeiter nur 16 Mark die Stunde, wenig mehr als im Reinigungsgewerbe üblich ist. Das Urlaubsgeld spart die Münchner Großbank bei den neuen Mitarbeitern ebenso wie das Weihnachtsgeld</font>. Zudem müssen sie ohne Zuschlag rund um die Uhr einsatzbereit sein, selbst am Wochenende. Sogar für die hochspezialisierten Experten, die eine betuchte Klientel und Firmenkunden betreuen, wird es eng, ebenso für die Millionenjongleure auf dem elektronisch organisierten Weltfinanzmarkt. Schon fünf der großen deutschen Finanzhäuser kauften sich bei Investmentbanken in London ein und konzentrieren dort ihr Großkundengeschäft. Bei Kleinwort Benson (Dresdner) oder Morgan Grenfell (Deutsche) haben deutsche Jobbewerber, selbst wenn sie aus dem eigenen Haus kommen, nur geringe Chancen. Ihre Arbeitgeber setzen lieber auf angelsächsische Kräfte.
US-Finanzprofis in Wahsington und New York höhnen über das ihrer Meinung nach veraltete, ineffiziente und vor allem viel zu <font color="#FF0000">gewinnarme</font> Bankensystem in Europa.
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Die Konsequenzen werden hart."Die Banken sind die Stahlindustrie der neunziger Jahre", prophezeit Ulricht Cartellieri, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank. [2] Das ist keine Übertreibung, ermittelten Marktforscher der Unternehmensberatungsgesellschaft Coopers & Lybrand. In einer Studie über die Pläne der 50 führenden Banken der Welt sagen sie voraus, <font color="#FF0000">daß im Geldgewerbe in den nächsten zehn Jahren die Hälfte aller Mitarbeiter ihren Job verlieren wird. Hochgerechnet auf die deutsche Finanzbranche bedeutet das den Verlust von einer halben Million gutbezahlter Arbeitsplätze</font>.
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[b]Ziehen wir eine kurze Bilanz aus dem Text. Das Buch wurde Ende 1996 geschrieben. Demnach müßte Ende 2006 die Hälfte aller Bankmitarbeiter entlassen worden sein.
Das glaube ich zwar nicht aber man muß beachten, daß hier ein Sondereffekt herrschte. Nämlich der Boom an den Börsen in den darauffolgenden Jahren. 1997, 1998, 1999 und auch 2000 wollten - wie uns hier im Forum bekannt ist - immer mehr Menschen an"schnellem Reichtum" teilhaben. Depots wurden neu aufgemacht, man suchte Beratung usw.
Doch auch das ist nun vorbei. Und betrachtet man die Entlassungen mancher Großbanken dann wird einem schon mulmig. Hier in der Rhein-Neckar und Rhein-Main-Gegend herrschen gerade durch die BWLer-Uni Mannheim (hohes Angebot) und durch die vielen tausende Entlassungen vor allem in der nur rund 70 bis 80 km entfernten Bankenstadt Frankurt (noch mehr Angebot) katastrophale Verhältnisse. Man findet selbst mit einem Studiumsabschluss der Note 2 nur sehr sehr schwer einen Arbeitsplatz.
Die Verdünnung des Filialnetzes wurde Realität. Die Vereinsbank und Hypobank fusionierten zur HypoVereinsbank und schlugen Filiale für Filiale kahl. Die Sparkasse im 3 km entfernten Hockenheim machte vor kurzem ebenfalls eine Filiale dicht. Auch in Mannheim wurde vor kurzem eine Filiale der Sparkasse dicht gemacht.
Aber es ist nicht verwunderlich. Denn für eine Standardabhebung am Geldautomaten benötigt keiner mehr einen Bankangestellten der das Geld hinlegt und mühsam einen Auszahlungsbeleg unterschrieben haben will und das ganze noch manuell in den Compute eingeben muß.
Nein ganz im Gegenteil: Bei meiner Bank kostet die Barabhebung mittlerweile sogar Gebühr. Abheben am Geldautomaten kostet nichts. Die wissen schon warum. Den Menschen muß ein Anreiz gegeben werden das Geld am Automat - und nur noch in Ausnahmesituationen am Schalter - abzuheben. So spart die Bank viel Personal.
Doch alles das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Auch im Aktiengeschäft wurde durch Direktbroker heftigst rationalisiert. Dies fiel nur deswegen nicht auf weil dies zu einer Zeit statt fand in der die Branche an sich einen Boom hatte. Wurde früher häufig umhertelefoniert und ein unterschriebens Fax zugesendet das der Bankmitarbeiter auch noch lesen mußte und die Daten eingeben mußte so logt man sich heute bei comdirect ein und ordert halt das was man haben will. Man gibt noch seine TAN ein und das war's auch schon. Einer schriftliche Bestätigung der Auftragsausführung eines Bankangestellten bedarf es nicht mehr da man ja Orderbucheinsicht für seine Aufträge hat.
Nunmehr sind wir soweit, daß immer mehr Menschen von zuhause aus ihre Überweisungen am PC eingeben. Auch das führt bei den Banken zu geringerem Aufwand und letztendlich zu Personaleinsparungen.
Prognose: Der Filialabbau und Abbau von Arbeitsplätzen wird auch in Zukunft anhalten! Ein weiteres Beispiel wie technischer Fortschritt Arbeitsplätze vernichtet.
Entstanden sind ein paar neue sehr hoch qualifizierte Arbeitsplätze im IT-Bereich. Schließlich muß der Programmcode geschrieben werden damit Onlinebanking & Online-Brokerage funktionieren. Weggefallen sind wieder vor allem normale Jobs. Aber keine manuellen und körperlichen Arbeiten sondern gar Angestelltenjobs. Es wird deutlich, daß technischer Fortschritt auch Dienstleistungsjobs vernichtet.
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[1] The Economist, 7.1.1995
[2] Zitiert in: Die Zeit, 24.11.1995
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