-->19.05.2003 / 10:29 Uhr
<font size=5>Deflation...
..oder die stille Sehnsucht nach Inflation</font>
Plötzlich ist sie in aller Munde â die Furcht vor dem Verfall der Preise. Doch warum das Unbehagen?
von Hans v. der Hagen
Die Wirtschaft fĂŒrchtet ein ebenso neues wie altes Phantom. Eines freilich, das vielleicht gar nicht mehr so lange im Verborgenen bleibt: <font color="#FF0000">die Deflation</font>.
Und die Angst vor diesem Phantom breitet sich aus. Sorgte es noch vor wenigen Monaten bei Volkswirten <font color="#FF0000">fĂŒr kaum mehr als wohlige Schauer, scheint es mittlerweile zumindest die FinanzmĂ€rkte bereits im Griff zu haben: Die Aktienpreise liegen danieder und die Kurse erstklassiger Staatsanleihen wuchern empor</font>.
So sĂ€he jedenfalls ein typisches Deflationsszenario aus. Es wĂŒrde die Erwartung widerspiegeln, dass sich die Ertragssituation der Unternehmen zunĂ€chst kaum verbesserte, andererseits die GlĂ€ubiger guter Schuldner in Deflationszeiten zu den Gewinnern zĂ€hlten. Denn das Geld wird dann mehr wert.
Zu dem Stimmungswechsel haben vor allem die jĂŒngsten Signale der wichtigen Notenbanken beidseits des Atlantiks beigetragen. <font color="#FF0000">Der Internationale WĂ€hrungsfonds warnt gar vor einer âbetrĂ€chtlichenâ Deflationsgefahr in Deutschland â sofern das Wachstum so schwach bleibe wie befĂŒrchtet</font>. <font color="#FF0000">Hinzu kommt, dass die US-Inflationsrate fĂŒr GebrauchsgĂŒter zuletzt auf den tiefsten Stand seit 1966 rutschte</font>.
Die Erwartung...
Nun mag sich mancher fragen, warum denn PreisrĂŒckgĂ€nge so schlimm seien. Wenn stört es schon, gĂŒnstiger einzukaufen. WĂ€re eine Deflation nicht gar der Befreiungsschlag vom berĂŒchtigten Zwang zum Wachstum?
Die Antwort lautet: Nein.
Den wichtigsten Grund dafĂŒr mag der ein oder andere bereits an sich selbst beobachtet haben, etwa beim Computerkauf. Die Aussicht, dass bereits in wenigen Monaten fĂŒr das gleiche Geld ein erheblich leistungsfĂ€higerer PC erhĂ€ltlich ist, lĂ€sst viele den Kauf eines neuen Rechners hinauszögern.
Hier lieĂe sich einwenden, dass der Preisverfall in der Computerindustrie zunĂ€chst ja nicht â deflationstypisch â Folge schwacher Nachfrage ist, sondern starker ProduktivitĂ€tszuwĂ€chse.
Doch entspricht das Verhalten der Verbraucher durchaus dem in einer echten Deflation: <font color="#FF0000">Der Konsum wird aufgeschoben. SchlieĂlich ist selbst das energischste Kaufenwollen noch kein Kauf</font>.
Nun ist der Preisverfall in einer Produktkategorie allenfalls fĂŒr die betroffene Branche problematisch, fĂŒr die Gesamtwirtschaft ist er es nicht. Im Gegenteil, die Verbraucher haben mehr Geld fĂŒr andere Produkte zur VerfĂŒgung.
Anders ist es aber, wenn die Konsumenten in vielen Wirtschaftszweigen rĂŒcklĂ€ufige Preise erwarten: Dann schrĂ€nken sie ihre Ausgaben auf breiter Front ein, der Verbrauch erlahmt und mit ihm die Konjunktur: Unternehmen bleiben auf ihren Produkten sitzen und können den sinkenden Preisen auf der Kostenseite kaum mehr Paroli bieten: Vor allem die Ausgaben fĂŒr das Personal lassen sich meist allenfalls ĂŒber Entlassungen, nicht aber ĂŒber Lohnsenkungen drĂŒcken. In Zeiten von Inflation ist das einfacher â reale Einkommensverluste können meist durch nominelle Lohnerhöhung kaschiert werden.
Nach und nach wird die gesamte Wirtschaft von dem Problem erfasst: Denn die Banken â als GlĂ€ubiger theoretisch von der deflationsbedingten Geldaufwertung profitierend â erhalten angesichts der angespannten LiquiditĂ€tslage der Unternehmen <font color="#FF0000">hĂ€ufiger ihre Kredite nicht oder nur schleppend zurĂŒck</font>.
...bestimmt das Verhalten
<font color="#FF0000">Mehr noch: Mit Blick auf die wachsende Zahl von Firmenpleiten verliert sich die Bereitschaft, ĂŒberhaupt noch Kredite zu vergeben</font>.
Zugleich sinkt aber auch auf Unternehmensseite trotz niedrigerer Zinsen das Interesse an Fremdfinanzierungen: Aufgrund des rĂŒcklĂ€ufigen Preisniveaus werden keine zusĂ€tzlichen KapazitĂ€ten benötigt. Und die sparsameren Verbraucher, an die ohnehin nur ein Bruchteil der Zinssenkungen weitergegeben wird, fragen ebenfalls weniger Kredite nach.
Dieses PhÀnomen ist denn auch schon seit einiger Zeit <font color="#FF0000">realiter zu beobachten</font>: <font color="#FF0000">Trotz einer Welle von Zinssenkungen nimmt in den USA zumindest bei den Firmen die Nachfrage nach Krediten ab</font>.
Und genau davor fĂŒrchten sich die Notenbanken: <font color="#FF0000">Ihr wichtigstes Steuerinstrument, der Zins, verliert seine Wirkung. Die FinanzmĂ€rkte werden mit Geld ĂŒberflutet, aber es kommt in der Realwirtschaft nicht an</font>.
Was tun? Die Mittel zur BekĂ€mpfung einer Deflation sind ebenso bescheiden wie umstritten, zumal es fĂŒr die Zentralbanken schwieriger wird, geldpolitisch vorsorglich zu handeln.
Manche Experten glauben, dass â wenn die Zinsen nur tief genug seien â sich das Problem ĂŒber den Marktmechanismus von alleine lösen werde.
Andere empfehlen, die Wirtschaft auf ein lĂ€ngerfristig tiefes Zinsniveau vorzubereiten und auf diese Weise fĂŒr mehr Planungssicherheit zu sorgen (so tat es unlĂ€ngst die US-Notenbank), vermehrt Geld zu drucken, am Devisenmarkt zu intervenieren oder â staatlicherseits â die Steuern zu senken. Die Dosierbarkeit dieser Mitteln ist zwar problematisch, doch zumindest lĂ€sst sich mit ihnen Inflationserwartung schĂŒren.
Ein wichtiger Aspekt. <font color="#FF0000">Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass Deflation besonders dann verheerend sein kann, wenn sich die Erwartung sinkender Preise erst einmal in den Köpfen der Verbraucher zementiert</font>. Darum hat Deflation, anders als Inflation, auch ungemein viel mit Rethorik zu tun: Man mag zwar davor warnen â möchte aber nicht, dass es geglaubt wird.
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/artikel/608/11597/
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