KOMMENTAR in Tagesanzeiger
Der perfekte Sturm
Von Philipp Löpfe
Langsam wird es ungemütlich: An der Wallstreet verliert der Dow Jones innert Minuten über 400 Punkte. Eine an sich harmlose Bemerkung des Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg, lässt den Euro absacken. Ist die Weltwirtschaft auf Kurs in den perfekten Sturm?
Der plötzliche Klimawechsel an den Finanzmärkten ist in erster Linie psychologischer Natur. Die realen Volkswirtschaften sind gar nicht so schlecht in Form. In den USA ist die Konsumlust nach wie vor ungebrochen, das Bruttosozialprodukt nimmt zu, und dank gestiegenen Exporten hat sich selbst das notorische Handelsbilanzdefizit der Amerikaner verkleinert.
Die Euro-Schwäche lenkt von der Tatsache ab, dass auch die Volkswirtschaften auf dem Alten Kontinent kräftig wachsen. Rund drei Prozent dürften es dieses Jahr durchschnittlich werden, ein Wert, der seit zehn Jahren nicht mehr erreicht worden ist. Zudem ist die Angst vor der Teuerung nach wie vor unbegründet. Zieht man den Ã-lpreisschock ab, dann beträgt die Kerninflation 1,4 Prozent. Die Europäische Zentralbank hat deshalb gestern zu Recht auf eine Zinserhöhung verzichtet.
Der perfekte Sturm braut sich in den Köpfen der Teilnehmer an den Finanzmärkten zusammen. Das halb volle Glas ist plötzlich halb leer. Jede Nachricht wird zuerst auf ihren negativen Gehalt geprüft, jedes Risiko tunlichst vermieden. Jetzt rächt sich ein Irrglaube des Techno-Booms der letzten Jahre. Der Konjunkturzyklus sei tot, dank neuer Technologien und Globalisierung wachse die Wirtschaft fortan inflationsfrei und nachhaltig, versprachen uns die New-Economy-Propheten.
Das war Wunschdenken. Das einzige Reale aber, was uns die New Economy beschert hat, sind steigende Produktivität und damit steigender Wohlstand. Die Finanzmärkte reagieren derzeit übertrieben auf das Wiederauftauchen eines alten Bekannten, des Konjunkturzyklus. Dieser ist zwar nicht tot, aber glücklicherweise zu meistern.
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