-->Auf die Sache mit dem Kalender bin ich gar nicht gekommen, weil mir gleich die Diskussion um die wahre Identität Shakespeares in den Sinn kam:
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Shakespeare oder Shaxbere?
Aus dem Schulunterricht ist man gewohnt, einen gewissen Provinzkaufmann aus Stratford gleichen oder ähnlichen Namens für den Autor des Shakespeare-Werkes anzusehen. Die Orthographie spricht allerdings dafür, dass seine Zeitgenossen den Namen „Shakespeare“ für ein sprechendes Pseudonym gehalten haben: Auf 19 von 49 Ausgaben vor 1623 erscheint der Name in der Schreibung Shake-Speare. Der Speer-Schwinger ist die Göttin Athene, die für das Theater und den Krieg zuständig war. Der besagte Kaufmann andererseits wurde von ihm selbst beziehungsweise den Schreibern vor Gericht und im Pfarrhaus Shaxpere, Shakspere, Shaxbere, Shagspere, Shakspeyr, Shakspe oder ähnlich geschrieben, nie aber „Shakespeare“. Die einheitliche Phonetik deutet dabei auf ein kurzes /a/ in der ersten Silbe hin und darauf, dass der Name nicht als ein sprechender verstanden wurde.
Nun, dies ist noch kein wesentlicher Einwand gegen den Kaufmann, besonders wenn man den orthographischen Freiheitsgeist des viktorianischen Zeitalters in Betracht zieht, der ja durch dieses Beispiel bereits demonstriert ist. Die alte Lehre stützt sich auch neben der Namensgleichheit hauptsächlich auf das Denkmal zu Stratford und einige Hinweise in der posthumen Ausgabe von 1623. Die Zweideutigkeit dieser Spuren beleuchtet Walter Klier ausführlich im letzten Teil seines Buches. Doch dies ist nicht der Grund, warum er die klassische Theorie für unhaltbar hält. Wie eine lange und respektable Liste an Zweiflern vor ihm, unter ihnen Mark Twain, Charles Chaplin, Henry James, Sigmund Freud, Fürst Bismarck, Orson Welles und der amerikanische Dichter Ralph Waldo Emerson scheiterte er an der Unmöglichkeit „to marry his fact to his verse“ (Emerson).
Shakespeares Werk verrät eine umfassende Bildung, Kenntnis toter und lebender Sprachen, Musik und bildender Kunst, fremder Länder (insbesondere Frankreichs und Italiens), der Seefahrt, Botanik, Medizin, Juristerei und ihrer Fachbegriffe und diverser Sportarten (die, wie das Kegeln und die Falkenjagd, den Adligen vorbehalten waren). Der Dichter hat den Wortschatz der englischen Sprache wesentlich erweitert, etwa 3.200 Wörter erscheinen bei Shakespeare zum ersten Mal. Dem Kaufmann aus Stratford aber vermag die Phantasie der Biographen nur mühsam eine rudimentäre Volksschulbildung zu verschaffen. Sein Vater war Analphabet. Erstaunlicher noch: Auch seine Kinder waren Analphabeten. Überhaupt hat der Mann aus Stratford nichts Überdurchschnittliches an sich.
Shakespeares kompromisslos aristokratische Weltsicht ist nur schwer mit einem bürgerlichen Autor in Einklang zu bringen. Shakespeares Anteilnahme gilt immer dem Hochadel. Das „einfache“ Volk dient dem Erzeugen von Heiterkeit, es hat sprechende Namen, Mistress Quickly und Justice Shallow. Bei einem typischen bürgerlichen Autor der Epoche, Ben Johnson, gilt das Gegenteil: die Bürger sind genau beobachtet, natürliche Charaktere, die Adeligen hingegen Karikaturen. Sie heißen Sir Amorous La -Foole, Sir Epicure Mammon, Sir Diaphanous Silkworm.
So folgt Walter Klier lieber dem englischen Schullehrer Thomas Looney, der es Anfang des 20. Jahrhunderts unternahm, unter der englischen Hocharistokratie nach der viktorianischen Pallas Athene zu suchen. Er stieß auf Edmund de Vere, 17ter Graf von Oxford: „Trotz seines gewalttätigen und störrischen Wesens, seines exzentrischen Geschmacks, was Kleidung anlangte, und der ruchlosen Verschwendung seines Vermögens bewies Oxford einen untrüglichen Geschmack für Musik und schrieb Verse von großer lyrischer Schönheit. [...] Puttenham und Meres hielten ihn für den besten Komödienschreiber seiner Zeit; doch obwohl er ein Mäzen des Theaters war, haben keine Beispiele für seine dramatische Produktion überlebt.“ Wie es den Anschein hatte, stellte dieser begabte Dichter seine literarische Tätigkeit ausgerechnet um 1585 ein, als William Shakespeare allem Vermuten nach zu dichten begonnen haben muss. Shakespeares literarische Produktion endet mit de Veres Tod, während Shakspere aus Stratford noch einige erklärungsbedürftige Jahre weiterlebte. Weitere Nachforschung ergab, dass alles, was über den Earl in Erfahrung zu bringen war, bis in nebensächliche Details, auf die eine oder andere Weise seinen Widerhall in Shakespeares Texten findet.
1920 erschien Looneys „Shakespeare“ Identified as Edward de Vere, the Seventeenth Earl of Oxford. Andere haben seither zur Untermauerung der Theorie beigetragen. Walter Kliers Buch ist eine umfassende Darstellung der Theorie dieser „Oxfordians“.
Entspringt die Oxford-Hypothese dem „antibürgerlichen Snobismus des Intellektuellen“, wie die „Stratfordians“ behaupten - oder ist, nach Henry James, „der göttliche William der größte und erfolgreichste Betrug [...], der je an einer geduldigen Welt begangen wurde“? Jedenfalls macht es mehr Spaß, das Shakespeare-Werk als Hinterlassenschaft eines überzeugten - und überaus arroganten - Aristokraten zu lesen, als darin das Werk eines bürgerlichen „geborenen Höflings“ zu sehen, d.h. eines geborenen Heuchlers.
<ul> ~ Wer war Shakespeare wirklich?</ul>
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