-->Anmerkungen zu einer Zeitgeistdebatte über die angeblich notwendige Modernisierung des Völkerrechts
von Jürgen Rose, München*
Artikel 4: Zeit-Fragen Nr. 18 vom 19. 5. 2003
Rechtfertigt das Ausmass der Bedrohung, die von dem irakischen Diktator ausgeht, den Einsatz des Krieges, der Tausenden von unschuldigen Kindern, Frauen und Männern den sicheren Tod bringen wird, fragte Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung vom 18. März dieses Jahres. Seine Antwort war ein klares Nein. Die Realität des Krieges hat seine Prognose auf grausamste Weise bestätigt, denn in der Tat sind mittlerweile mehr als tausend zivile Opfer auf irakischer Seite zu beklagen. Die Zahl der getöteten und verwundeten irakischen Soldaten kann nur geschätzt werden und geht in die Zehntausende. Gering sind die Verluste auf seiten der Angreifer, nämlich wenig mehr als hundert Gefallene.
Aber auch was die fehlende politische, völkerrechtliche und moralische Legitimation angeht, liegt der Kanzler völlig richtig. So hat die Parlamentarische Versammlung des Europarats in ihrer Resolution 1326 vom 3. April 2003 konstatiert, dass der Krieg gegen den Irak einen klaren Völkerrechtsbruch darstellt. Darüber hinaus sieht dieses Gremium durch die neue Doktrin des Präventivkriegs all die Errungenschaften auf dem Gebiet der Friedenssicherung, kollektiven Sicherheit und internationalen Stabilität gefährdet, die in den letzten fünfzig Jahren erzielt worden sind. Und nicht zuletzt wird mit dem Angriffskrieg gegen den Irak ein höchst gefährlicher Präzedenzfall geschaffen, den in Zukunft weitere Staaten für sich in Anspruch nehmen könnten. Aber nicht nur Politiker, auch die seriösen und ernstzunehmenden Völkerrechtler qualifizieren den amerikanisch-britischen Präventivkrieg als eindeutigen Völkerrechtsbruch. Rechtsphilosophen wie der Hamburger Professor Reinhard Merkel sprechen gar von einem «völkerrechtlichen Verbrechen».
Interessanterweise konzediert indessen auch die überwiegende Mehrheit der Kriegsbefürworter, dass der Präventivkrieg gegen den Irak nicht mit der aktuellen Völkerrechtsordnung zu vereinbaren ist. Vehement wird jedoch bestritten, dass darin überhaupt ein Problem liegt. Der springende Punkt bei der Argumentation der Präventivkriegsverfechter liegt nämlich in deren Forderung, das Völkerrecht tunlichst an die neuen Realitäten anzupassen. Das Pochen auf die kategorische Einhaltung der bestehenden Völkerrechtsordnung wird von ihnen als altes, traditionalistisches Denken denunziert. Begründet wird diese vorgeblich reformerische Position im Kern damit, dass «die neue Gewalt des 21. Jahrhunderts sich mit dem klassischen Völkerrecht nicht mehr fassen» liesse - so etwa Josef Joffe, einer der Mitherausgeber der Wochenzeitung Die Zeit und einer der hervorstechendsten Vertreter dieser Spezies. Das Neue an dieser Gewalt soll darin bestehen, dass sie von «Staaten mit unkonventionellen Waffen, Nicht-Staaten mit konventionellen Waffen, Bürger- und Privatkriegen» ausgeht. Angesichts des Auftauchens derartiger neuer Tatbestände müsse sich eben auch das Recht ändern. Kay Nehm, der Generalbundesanwalt, scheint das ähnlich zu sehen. Denn er begründet seine Ablehnung, Ermittlungen gegen die Bundesregierung wegen des Verdachts auf Vorbereitung eines Angriffskrieges aufzunehmen, unter anderem damit, dass sich das Völkerrecht im Fluss befände. Ausserdem, so der Generalbundesanwalt, würde unter Völkerrechtlern angesichts «moderner Massenvernichtungswaffen über die Zulässigkeit präventiver Verteidigung» diskutiert. Andere Vertreter dieser Position wiederum argumentieren, dass der Begriff der »unmittelbaren Gefahr«, der ausschlaggebend für die Rechtfertigung militärischer Gewaltanwendung gegen einen Aggressor sei, neu definiert werden müsse. Vor allem dann, wenn Staaten sich heimlich oder verdeckt Massenvernichtungswaffen zuzulegen versuchen, sei jederzeit mit dem Einsatz derselben zu rechnen. Daher sei es rechtens, ein Verbot des Besitzes derartiger Waffen notfalls mittels präventiver militärischer Interventionen durchzusetzen und nicht erst einen Angriff damit abwarten zu müssen.
Richtig an der Argumentation der Präventivkriegsbefürworter ist, dass in der Tat die verhältnismässig klar und übersichtlich nach dem Freund-Feind-Schema strukturierte Welt des Ost-West-Konfliktes nicht mehr existiert. Die Achsen des Konfliktes haben sich gedreht. Nunmehr steht die Auseinandersetzung zwischen Nord und Süd oder besser zwischen den reichen, hochentwickelten und den armen, unterentwickelten Gesellschaften auf diesem Planeten im Zentrum der internationalen Politik. Richtig ist darüber hinaus, dass die damit verbundenen Risiken diffuser, auch schwerer einzuschätzen sind und - wie die Terroranschläge vom 11. September drastisch illustrieren - bisher Unvorstellbares durchaus Realität werden kann.
Die Vorkämpfer für das neue Völkerrecht, das auch die unilaterale präventive militärische Gewaltanwendung autorisiert, bleiben den entscheidenden Beweis indessen schuldig: nämlich, dass ihr Weg, erstens, überhaupt wirksam ist. Und dass er, zweitens, im Vergleich zu anderen Optionen die Schäden und Opfer minimiert. Beides ist höchst fragwürdig. Was den Kampf gegen den internationalen Terrorismus angeht, ist zu konstatieren, dass die meisten Hauptverantwortlichen von Terroraktionen nicht durch grossangelegte kriegerische Militäroperationen, sondern durch geduldige und ausdauernde Geheimdienst- und Polizeiarbeit aufgespürt und ausgeschaltet wurden. Das gilt insbesondere auch für die Terroristen von Usama bin Ladins al-Kaida. Was den Kampf gegen die Proliferation von Massenvernichtungswaffen betrifft, so demonstriert gerade der aktuelle Fall Irak, dass durch die akribischen Inspektionen der UN-Inspekteure mehr todbringende Arsenale an ABC-Waffen aufgespürt und vernichtet werden konnten als durch die beiden mörderischen Kriege mit ihren verheerenden Kollateralschäden.
Neben den ganz praktischen Erwägungen spricht aber auch eine prinzipielle Überlegung gegen die Vorstellung, dass es einen völkerrechtskonform zu führenden Präventivkrieg überhaupt geben könne. Der Ausgangspunkt der Betrachtung besteht darin, dass die von jeglicher Rechtsordnung definierten Handlungsnormen universalisierbar sein müssen. Das in jeder Rechtsordnung verankerte prinzipielle Gewaltverbot stellt eine solche universelle Handlungsnorm dar. Denn eine Rechtsordnung, die die Anwendung von Gewalt - beispielsweise Rauben, Plündern, Morden - ins Belieben der Handelnden stellen würde, würde sich selbst ad absurdum führen. Dies gilt sowohl auf innerstaatlicher Ebene, wo das Gewaltmonopol bei den verfassungsmässigen Institutionen verankert ist, als auch im internationalen System, wo ausschliesslich der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zur Gewaltausübung legitimiert ist. Ein individuelles Recht zum Präventivkrieg, wie jetzt gefordert, hiesse aber, dass letztlich jeder Staat in beliebiger Weise seine subjektive Bedrohungsperzeption und Risikoanalyse zum Anlass kriegerischer Gewaltanwendung gegen jeden beliebigen anderen Staat nehmen könnte. Zugleich unterhöhlt eine solche Norm, die den präventiven Angriffskrieg erlaubt, das Gewaltverbot und untergräbt damit die Möglichkeit einer völkerrechtlichen Rechtsordnung schlechthin. Die Folge wäre eine Welt des Krieges jeder gegen jeden im Sinne des englischen Philosophen Thomas Hobbes, das heisst, ein Zustand, in dem nur noch das Faustrecht des Stärksten gälte. Denjenigen, die nun, dem Zeitgeist huldigend, vorschnell und unbedacht einer angeblich dringend notwendigen Modernisierung des Völkerrechts das Wort reden, sei daher eine Maxime des grossen Philosophen Immanuel Kant ins Stammbuch geschrieben, die da lautet: «Das Recht muss nie der Politik, wohl aber die Politik jederzeit dem Recht angepasst werden.»
* Dipl.-Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag seine persönlichen Auffassungen
Das sollte vielleicht Bruder Schäuble mal lesen. Oder Pflüger, der immer auf 180 zu sein scheint.
Gruß
SB
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