-->„Das wirkt befremdlich“
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) lehnt Gebührenerhöhung für ARD und ZDF ab - Sechs Thesen zum Rundfunk
Die Medienwirtschaft steckt in der Krise. Der Traum der New Economy ist zerplatzt und die Werbeeinnahmen sind im Zuge der schlechten Konjunkturlage dramatisch zurückgegangen. Besonders hart hat es die Presse getroffen, aber auch die privaten Rundfunkveranstalter klagen. Die Insolvenz des Kirch-Konzerns hat die Branche zusätzlich kräftig durchgeschüttelt. All dies setzt die kommerziellen Anbieter und ihre Zulieferer unter Druck. Sie begehren auf, und die öffentlich-rechtlichen Vertreter wehren sich dagegen. Beide Parteien agieren nach einem schönen Satz von Stanislaw Jerzy Lec: „Gib acht, dass Du nicht unter das Glücksrad des anderen gerätst.“
Das Bundesverfassungsgericht hat für die Ausgestaltung des dualen Rundfunksystems den Meinungspluralismus vor Augen, wenn es die Rolle der einzelnen Sektoren umschreibt. Und den Richtern war dabei immer klar, dass der kommerzielle Rundfunk aufgrund seiner Abhängigkeit von der Werbefinanzierung nicht die gleichen Aufgaben erfüllen kann wie der öffentlich-rechtliche, der für die Gesamtheit der Bevölkerung Programme bieten soll; damit steht den Sendern ein verfassungsrechtlich abgesicherter Anspruch auf funktionsgerechte Finanzierung zu. Werbefinanzierter Rundfunk muss sich dem gegenüber klar am Kunden orientieren, wenn er Werbeeinnahmen erzielen will. Die Richter haben auch wiederholt klargestellt, dass der öffentliche Rundfunk nicht auf publizistische Mindestversorgung beschränkt werden könne - sie favorisieren das Modell eines gleichberechtigten publizistischen Wettbewerbs. Der öffentliche Rundfunk soll gerade nicht marginalisiert oder gar ausgeschaltet werden. Andererseits dürfen Sport und Unterhaltung weder durch Programm- noch durch Finanzaufwand Information und Kultur be- oder gar verdrängen. Die Finanzausstattung darf nicht über Gebühr belastet werden. Das gilt auch für den Auf- und Ausbau bestehender und neuer Programmflächen. ARD und ZDF verfügen mit Phoenix, 3Sat, Kinderkanal und Arte über eine große Senderfamilie. Die Tatsache, dass die ARD mit ihren Dritten Programmen einen quantitativen Vorteil gegenüber dem ZDF besitzt, kann nicht zur Forderung nach einem ZDF2 führen.
These 1: Wir brauchen wieder mehr Wettbewerb zwischen dem öffentlich-rechtlichen und dem kommerziellen Fernsehen. Die rundfunkrechtlichen Vorgaben weisen im europäischen Vergleich mittlerweile eine überaus geringe Regulierungs- und Vollzugsdichte auf. Deshalb macht es keinen Sinn, sich ständig über die Regelungswut im Rundfunksektor zu beklagen. Aber: Wir müssen auch bewährte Strukturen immer wieder überprüfen und womöglich neu justieren. Angesichts der derzeitigen Lage auf den Medienmärkten gilt: Wir brauchen mehr Wettbewerb im dualen Rundfunksystem und eine klarere Abgrenzung der beiden tragenden Säulen.Solange der öffentlich-rechtliche Rundfunk gebühren- und werbefinanziert ist, stehen seine Verantwortlichen - auch die Politik - in besonderer Verpflichtung gegenüber dem privaten Rundfunk, der Einbrüche seiner Werbeeinnahmen eben nicht aus dem Gebührentopf ausgleichen kann.
These 2: Wir sollten uns auf ein Moratorium der Gebührenerhöhung verständigen. In Zeiten knapper Kassen nimmt die Konkurrenz beider Säulen mehr und mehr wirtschaftliche Züge an. Mittelbar betrifft jede Gebührenerhöhung zu Gunsten der öffentlich-rechtlichen Sender die gesamte Medienlandschaft. Mit jeder Erhöhung wird ein größerer Anteil des Budgets, das den Bürgern für die Mediennutzung zur Verfügung steht, in das öffentliche System transferiert.
Gegenwärtig beschließen die Parlamente in schwerster finanzpolitischer Lage tiefe Einschnitte und belasten damit die privaten Haushalte. Davon sind zweifellos auch die frei verfügbaren Mittel für familiäre Mediennutzung betroffen. Jede Erhöhung der Rundfunkgebühr verschärft die Konkurrenzsituation zumindest für Zeitungen, Zeitschriften, Internet-Zugangskosten und Pay-TV.
In einer Zeit, in der verantwortlich gestaltete Politik den Menschen schmerzhafte Einschnitte zumuten muss, wirkt die Forderung des öffentlich- rechtlichen Rundfunks nach einer Gebührenerhöhung um rund zehn Prozent - vornehm ausgedrückt - befremdlich. So, wie wir den Sozialstaat nur erhalten können, wenn wir ihn umbauen und dabei auf lieb gewordene Leistungen verzichten, weil sie die Solidargemeinschaft nicht mehr tragen kann, so muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren, nämlich die „elektronische“ Grundversorgung.
Es waren gewiss nicht ARD und ZDF, die im Tandem mit Sportverbänden den Marktpreis für Sportübertragungsrechte in die Höhe getrieben haben - bis zum teuer erkauften Exklusivrecht für Pay-TV. Und es mag auch im Interesse der Privaten liegen, hier den öffentlich-rechtlichen Sendern Restriktionen aufzuerlegen, weil dies die eigene Konkurrenzsituation stärkt. Aber umgekehrt darf jedenfalls nach meinem Verständnis auch nicht auf der Grundlage gewährleisteter und wachsender Gebühren als Polster im Rücken gepokert werden, auch nicht um den Fußball. ARD und ZDF haben nicht den Auftrag, die Finanzprobleme der Bundesliga und ihrer Rechtehändler zu lösen - vor allem dann nicht, wenn die Vermarkter die Vergabe der WM-Rechte 2006 vom Kauf der Bundesligarechte abhängig machen wollen.
Es darf auch keinen „Gebührenanpassungs-Automatismus“ geben. Wollen wir die Chancengleichheit gewährleisten, müssen wir über den Zeitpunkt für Gebührenerhöhungen reden dürfen. Mir erscheint es nicht sinnvoll, die Rundfunkgebühren zu einem Zeitpunkt zu erhöhen, an dem die Privaten sich in der schwersten wirtschaftlichen Krise seit ihrer Gründung befinden. Bei hohem Klärungsbedarf und unter Berücksichtigung der parlamentarischen Entscheidungsprozesse ist eine Gebührenerhöhung zum 1. Januar 2005 nicht durchsetzbar. Die KEF, die Gebührenkommission der Länder, wird in den kommenden Monaten ihren Bericht zur jetzt eingereichten Gebührenanmeldung von ARD und ZDF vorlegen; der nächste Zwischenbericht der KEF kommt im Frühjahr 2006. Die Zeit bis dahin sollten wir nutzen, um eine Strukturdebatte zu führen. Somit wäre eine Gebührenerhöhung zum 1. Januar 2007 durchsetzbar. Ich werde meinen Amtskollegen auf der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am 26. Juni einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten.
These 3: Die im Rundfunkstaatsvertrag vorgesehene Selbstverpflichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks muss in einer Strukturdebatte präzisiert werden. ARD und ZDF sind aufgefordert, in enger Abstimmung mit ihren Aufsichtsgremien und der KEF den Landesgesetzgebern einen gemeinsamen Vorschlag zur Definition ihres Funktionsauftrags zu unterbreiten. Daraus leiten sich klar umrissene Vorschläge zum Programmauftrag ab, aus dem heraus sich Fragen nach Personalbestand, Herstellungs- und Rechtekosten schlüssig beantworten lassen. Die Lösung heißt für uns: Selbstregulierung mit Hilfe öffentlicher Strukturdebatte. Natürlich muss es ARD und ZDF gestattet sein, an der Medienentwicklung teilzuhaben. Aber: New Media ist nicht Rundfunk. Der Aufbau von Internet-Redaktionen in den öffentlich-rechtlichen Sendern steht unter dem Vorbehalt „programmbegleitender“ Aktivitäten. Auch für das anarchisch vielfältige Internet gilt nur der Grundversorgungsauftrag von ARD und ZDF. Gebührengelder dürfen nicht zum Aufbau von E-Commerce-Unternehmen oder Online-Warenhäusern mit elektronischer Videothek eingesetzt werden dürfen.
These 4: Die Werberegelungen müssen entrümpelt werden. Eine zentrale Forderung des kommerziellen Rundfunks konnte bisher nicht umgesetzt werden: Der Abbau von Werbebeschränkungen. Zu Recht wird immer wieder vorgetragen, dass es hier eine Überregulierung gibt. Bei der anstehenden Novellierung der EU-Fernsehrichtlinie wird es aus meiner Sicht darum gehen, die Regelungsdichte zurückzufahren. Die Zuschauer sind durchaus fähig und willig, mit der Fernbedienung zu signalisieren, wie und wo sie Werbung akzeptieren. Ich bin gegen ein Werbeverbot im öffentlichen Rundfunk. Dies hätte weitreichende Folgen, die das System erst recht aus dem Lot brächten. ARD und ZDF verlören einen wesentlichen Anreiz, ihr Produkt auf die Zuschauer auszurichten. Zudem erhöht die Mischfinanzierung die Unabhängigkeit von der Politik. Und last but not least hat sich auch die werbetreibende Wirtschaft vehement für Werbemöglichkeiten im öffentlichen Rundfunk ausgesprochen.
Anders sieht es für das Sponsoring aus. Kreative Expansionsstrategien der öffentlich-rechtlichen Anstalten durch exzessives Sponsoring nach 20 Uhr bedrohen den Interessenausgleich zwischen den Säulen. Mir fällt es zum Beispiel schwer, einen publizistischen Sinn darin zu erkennen, dass die Wettervorhersage nun an vielen Programmplätzen eine eigene von den Nachrichten getrennte Sendung ist. Den wirtschaftlichen Sinn erkenne ich durchaus. Die Anstalten gefährden durch schleichende Ausweitung des Sponsoring eine ihrer tragenden Säulen: die der öffentlichen Akzeptanz der Rundfunkgebühren.
These 5: Wir müssen für mehr Wettbewerb im Produzentenmarkt sorgen. Der Kultur- und der damit verbundene Produktionsauftrag der öffentlich-rechtlichen Säule wird oft unterbewertet. In den vergangenen Jahren haben unabhängige Produzenten einen großen Pool an Kreativität aufgebaut, den sie vermarkten wollen und müssen. Produktionsaufträge werden - so der Verband der Produzenten - vermehrt an eigene, privatwirtschaftlich organisierte Töchter wie Bavaria und Studio Hamburg vergeben. Auch an diesem Punkt bin ich überzeugt: Selbstverpflichtungen können hilfreich sein. ARD und ZDF sollten konkretisieren, in welchem Umfang sie Töchter und unabhängige Produzenten beauftragen.
These 6: Wir sollten eine „große Koalition“ gegen die Politisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingehen. Politik muss für angemessene Rahmenbedingungen im Rundfunksystem sorgen. Sie ist allerdings weder für Inhalte noch für das Personal zuständig. Ich teile deshalb die Auffassung meines Amtsvorgängers Wolfgang Clement, dass sich Politikerinnen und Politiker aus den Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zurückziehen und diese Aufgabe Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens übertragen sollten. Aber das gelingt nur, wenn das Prinzip die Re-ziprozität praktisch zur Geltung gebracht wird - also eine Partei nicht durch Verzicht Raum gibt, während andere politische Parteien auf den Plätzen sitzen bleiben und sogar in den freien Raum hinein stürmen. Insofern rede ich hier von einer Zielvorstellung. Aktuell stellt sich die Lage anders dar.
Die Entlastung der Gremien von allzu viel staatlicher und parteipolitischer Interessenverquickung kann nur in einer „großen Koalition“ medienpolitischer Vernunft gelingen. Wir werden die von uns angestoßene Debatte um den ZDF-Staatsvertrag weiter vorantreiben. Der Rückzug meines Vorgängers Wolfgang Clement, und meiner Kollegin, Heide Simonis, aus den ZDF- Gremien war ein Signal. Klar ist aber: weitere einseitige Vorleistungen wird ist es nicht geben.
Das deutsche Fernsehsystem hat international einen ausgezeichneten Ruf. Wir haben in qualitativer und quantitativer Hinsicht mehr zu bieten als jedes andere europäische Land. Das liegt nicht zuletzt darin begründet, dass es gelungen ist, eine tragfähige Statik zwischen öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Anbietern zu garantieren. Aber: Dieses System funktioniert nur, wenn es sich dynamisch entwickeln kann - und immer wieder auf den Prüfstand kommt.
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