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10800 Euro und keinen Cent mehr
Tausende Arbeitslose müssen ihre Lebensversicherungen verkaufen, um Hilfe vom Staat zu bekommen
Von Wolfgang Gehrmann
Der „Erfolg“ ist da, aber niemand verkündet ihn: Seit Beginn dieses Jahres steigt die Zahl der Langzeitarbeitslosen, deren Anträge auf Arbeitslosenhilfe abgelehnt werden. Und zwar drastisch. Grund: das „Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ - auch Hartz-Gesetz genannt - zwingt Arbeitslose stärker als bisher, erst einmal ihr eigenes Vermögen anzugreifen, ehe sie Arbeitslosenhilfe bekommen. Überdies werden die Einkommen von Lebenspartnern in höherem Maße berücksichtigt, bevor es Stütze gibt. Von Januar bis April betrug die Zahl der Männer, deren Anträge auf Arbeitslosenhilfe wegen Anrechnung von Vermögen abgelehnt wurde, 12677 - im Vorjahr waren es nur 4263. Bei den Frauen stieg die Ziffer sogar von 2073 auf 10193. Ähnlich sieht es bei der Anrechnung von Einkommen aus (siehe Tabelle).
Die Zahlen schlummern in den Computern der Statistikabteilung bei der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit. Dass Anstaltschef Florian Gerster sie bislang auf keiner Pressekonferenz stolz verkündet hat, könnte daran liegen, dass der Erfolg der Sparpolitik in der Arbeitslosenversicherung unschöne Nebenwirkungen zeitigt. Tausende Arbeitslose nämlich bringt die verschärfte Vermögensanrechnung um ihre Altersvorsorge.
Zum Beispiel Anne Eberle. Als die 54 Jahre alte Dortmunderin im Januar Arbeitslosenhilfe beantragte, bekam sie einen herben Schrieb vom Amt: „Ihrem Antrag kann nicht entsprochen werden. Sie verfügen über ein Vermögen in Höhe von 20025,26 Euro, das verwertbar und dessen Verwertung zumutbar ist. Unter Berücksichtigung eines Freibetrags in Höhe von 10800,00 Euro verbleiben 9225,26 Euro.“ Erst wenn dieses Geld aufgezehrt sei, könne sie Arbeitslosenhilfe beantragen.
Die rund 20000 Euro Vermögen sind der Rückkaufwert von Anne Eberles Lebensversicherung. Als ihre Ehe 1995 geschieden wurde, brachte der Versorgungssausgleich ihr nur einen spärlichen gesetzlichen Rentenanspruch. Sie schloss eine Lebensversicherung ab - und folgte damit dem Rat der Bundesregierung, die private Altersvorsorge propagierte. Nun soll sie ihre Lebensversicherung verkaufen, ehe sie wieder Arbeitslosenhilfe bekommt.
Anne Eberle ist kein Einzelfall. Weil die Arbeitslosenhilfe jährlich neu beantragt werden muss, laufen seit der Jahreswende in den Arbeitsämtern Tausende neuer Ablehnungsfälle auf. In den Rechtsschutzstellen des Deutschen Gewerkschaftsbundes stapeln sich die ausgefüllten Formblätter mit Widersprüchen. Insgesamt rechnen Experten damit, dass von den 1,7 Millionen Empfängern von Arbeitslosenhilfe 460000 im nächsten Jahr keine Leistungen mehr bekommen werden, weil sie zu viel Vermögen haben oder weil ihre Partner zu viel verdienen. „So lässt sich allein durch Leistungskürzungen ein gutes Stück der Wegstrecke zum hoch gesteckten Ziel der Hartz-Kommission zurücklegen - nämlich der Reduzierung der statistisch ausgewiesenen Arbeitslosigkeit um zwei Millionen bis Ende 2005“, sagt Johannes Steffen von der Bremer Arbeitnehmerkammmer. „Und zwar ohne dass es dazu der Schaffung neuer Arbeitsplätze bedarf.“
Hunderte abgewiesener Antragsteller klagen allerdings dagegen. In Berlin hat ein 47 Jahre alter Arbeitsloser vor dem Sozialgericht schon gegen das Arbeitsamt gewonnen. Der Mann hatte lange selbstständig gearbeitet und deshalb nur einen Rentenanspruch von 166 Euro aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Um die Versorgungslücke im Alter zu schließen, hatte er eine Lebensversicherung abgeschlossen, deren Rückkaufswert bei 53000 Euro lag, als er Arbeitslosenhilfe beantragte. Das Arbeitsamt wollte ihn zwingen, die Lebensversicherung aufzuzehren, soweit sie den geltenden Freibetrag überschritt. Das Gericht aber erklärte die Alterssicherung für unantastbar. Das Arbeitsamt hat Berufung eingelegt.
Dreh- und Angelpunkt des Streits ist der Freibetrag der Vermögensanrechnung. Er war zum Jahreswechsel von 520 Euro pro Lebensjahr auf 200 Euro herabgesetzt worden. Maximal wäre also jetzt beim Renteneintritt mit 65 Jahren ein Vermögensbetrag von 13000 Euro von der Anrechnung auf die Arbeitslosenhilfe freigestellt.
Bei diesem Betrag soll es auch bleiben, wenn im Zuge der Agenda 2010 Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II zusammengelegt werden. So verkündet es jedenfalls wacker Andrea Weinert, die Sprecherin von Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang Clement: „Es kann doch nicht falsch sein, dass jemand, der Leistungen aus der Solidarversicherung beansprucht, erst einmal auf sein Vermögen zurückgreifen muss.“
Nur: Der real existierende Langzeitarbeitslose scheint nicht auf einem großen Geldberg zu sitzen, sondern allenfalls etwas fürs Alter auf die hohe Kante gelegt zu haben. Aus den Fraktionen der Regierungsparteien sind deshalb auch schon andere Töne zu hören. Klaus Brandner, sozialpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion: „Wir müssen im Gesetzgebungsverfahren noch einmal an das Schonvermögen heran und es vergrößern.“
<ul> ~ http://www.zeit.de/2003/24/A-Hilfe</ul>
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