-->Elend unter Palmen
Mallorca: Tickende Zeitbombe
Viele Deutsche träumen immer noch von einem ruhigen Leben unter Palmen, ohne Leistungsdruck und mit Sonne das ganze Jahr.
Irmgard und Helmut Vogel, 83 und 85Jahre alt, hatten sich ihren Lebensabend im Süden etwas anders vorgestellt, als sie vor 30 Jahren Haus und Fabrik in Wuppertal verkauften, um auf Mallorca ihren Ruhestand zu genießen. Statt auf der Terrasse ihrer Finca zu sitzen und im lauen Sommerwind mit einem Glas Rioja die Abendsonne zu betrachten, leben die beiden im Pflegeheim Llar in CalvÃa, rund 15 Kilometer westlich der Inselhauptstadt Palma.
Das bettlägerige Ehepaar ist aber nicht nur dauerhaft pflegebedürftig - es hat nicht einmal genug Geld, um die monatlichen Heim- und Pflegekosten von zusammen 3000 Euro aus eigener Tasche zahlen zu können. Nur 1400 Euro haben die beiden zur Verfügung: 1000 Euro stammen aus den Rentenansprüchen in Deutschland, der Rest aus einer Leibrente für die verkaufte Wohnung auf Mallorca. Angehörige, die sie unterstützen könnten, haben die beiden nicht mehr - der einzige Sohn ist verstorben. Aus der deutschen Pflegeversicherung besteht nach dem Umzug ins Ausland lediglich Anspruch auf den häuslichen Pflegesatz - und den bekommen die Eheleute Vogel nicht, weil sie im Heim leben.
Eine Rückkehr nach Deutschland wäre zwar möglich, „aber das überstehen die beiden nicht, dafür sind sie zu zerbrechlich“, sagt Gerhard Pfitsch. Der 70 Jahre alte Rentner betreut die beiden und hilft ihnen bei Behördengängen: Durch seine Intervention bekommen sie jetzt wenigstens Sozialhilfe von der Gemeinde CalvÃa, mit der die restlichen Heimkosten bezahlt werden können.
Kein Einzelfall
Das traurige Schicksal der Vogels ist kein Einzelfall: Rund 25 000 der 61 000 offiziell in Spanien lebenden und schätzungsweise 500 000 nicht gemeldeten deutschen Residenten haben nicht genug Geld zum Leben, schätzen Kirchen und Sozialvereine - und die Zahl steigt. Zudem sind die Rentner im Ausland schlechter gestellt.
Wer in Spanien gemeldet ist und deutsche Rente bezieht, verliert die sonst anrechenbaren Ersatzzeiten für Studium oder Wehrdienst. Auch Zusatzrenten, wie sie etwa den vertriebenen Sudetendeutschen zustehen, gehen beim Umzug ins Ausland verloren. „Da wird es für viele ganz schön knapp“, sagt Walter Zöller, Sozialreferent der Deutschen Botschaft in Madrid. Zöller war in den vergangenen Wochen häufig mit solchen Problemen deutscher Rentner konfrontiert.
„Da tickt eine Zeitbombe“, glaubt Günther Röttgen, Präsident der Assistencia Mallorca, einem der zahlreichen Sozialvereine für Not leidende Deutsche in Spanien. Röttgen, 61, war bis zu seiner Pensionierung Vertriebsleiter bei Osram in München. Der Grund für seine pessimistische Einschätzung: Jahr für Jahr kommen immer noch tausende von Deutschen - wegen des angenehmen Klimas oder um Stress und Leistungsdruck in der alten Heimat zu entfliehen.
Keinen Cent vom spanischen Staat
Auch haben viele der schon seit 20 Jahren in Spanien lebenden Deutschen weder dort noch in Deutschland lange genug in die Altersversicherung eingezahlt, um einen Rentenanspruch zu begründen. Ein Großteil hat sich jahrzehntelang mit Saisonarbeiten über Wasser gehalten oder aus Steuergründen nie offiziell angemeldet.
Diese Menschen können im Alter keinen Cent vom spanischen Staat erwarten - die generöse Entscheidung der Gemeinde CalvÃa, die Vogels zu unterstützen ist da eine seltene Ausnahme. „Solcher Leichtsinn wird zu einem echten Problem“, sagt Röttgen, „wenn das so weitergeht, brauchen wir bald einen privaten Sozialarbeiter.“ Sein Verein weiß von 200 Deutschen auf Mallorca, die in akuter Not leben.
Weitere 5000, so schätzt er, stecken in finanziellen Schwierigkeiten, weil sie - meist bei Immobilienkäufen - über den Tisch gezogen wurden, als Unternehmer gescheitert sind oder weil plötzlich der Partner stirbt und der Hinterbliebene mit nur noch einem Gehalt oder einer Rente auskommen muss. Assistencia Mallorca sammelt für solche Fälle Geld bei deutschen Unternehmen und Institutionen. Doch weil viele Bedürftige durch eigenes Verschulden in Not geraten sind, „ist das ein mühsames Geschäft“, sagt Röttgen.
Schlechte Integration
José Rodriguez versucht, den Not Leidenden direkt zu helfen. Der Pensionär und frühere Ingenieur lebt auf Mallorca und ist mit einer Deutschen verheiratet. Tag für Tag begleitet er allein Stehende und Pflegebedürftige zum Arzt, besucht Kranke oder geht mit ihnen zu den Behörden. Nicht selten spielt er dabei auch den Sprach- und Kultur-Übersetzer: „Viele Deutsche haben sich so wenig integriert, dass sie auch nach Jahrzehnten auf der Insel immer noch kein Spanisch sprechen.“
Das Problem ist nicht auf Mallorca beschränkt. Rainer Straubel, Herausgeber mehrerer deutschsprachiger Zeitungen in dem Costa-Blanca-Ã-rtchen Calpe, wo circa 3000 Deutschen gemeldet sind, sieht auch in dem Egoismus unter den Deutschen eine der Ursachen: „Bei den Briten oder Belgiern, die hier ebenfalls stark vertreten sind, gibt es noch Nachbarschaftshilfe.“ Für die Deutschen bleiben in letzter Instanz häufig nur die Konsulate: „Und wir können diesen Menschen nur helfen, indem wird den Rückflug nach Deutschland bezahlen - mehr verbietet uns der Gesetzgeber“, so die offizielle Stellungnahme des deutschen Konsulats in Las Palmas auf Gran Canaria, wo immer mehr Hilfeanfragen eingehen.
Am drängendsten ist das Problem auf Mallorca - rund 50 000 Deutsche leben auf der Insel, viele hatten große Illusionen und stürzten dann in mindestens ebenso große Enttäuschungen. „Bei manchen hat die Sonne offenbar den Verstand ausgeschaltet“, glaubt Andreas Ahnert, evangelischer Pfarrer auf Mallorca. Auch er leistet aktive Unterstützung, wenn eines seiner Schäfchen in finanzielle Not geraten ist. Zumal Geldsorgen häufig einen Rattenschwanz anderer Probleme nach sich ziehen: Flucht in den Alkohol, Ehescheidungen, Depressionen, „manche rutschen sogar in die Kriminalität ab“, sagt Ahnert. „Das Gefängnis der Insel ist voll von Deutschen“, bestätigt sein katholischer Amtsbruder Robert Kramer.
Leben von Hotelabfällen
Am Ballermann der Playa de Palma, wo sich im Sommer schon tagsüber junge Deutsche mit Bier, Sangria aus dem Zehn-Liter-Eimer und lauter Musik volldröhnen, gibt es inzwischen eine richtige deutsche Obdachlosenszene. Zu dieser traurigen Gruppe gehört Fred von der Linde. Der 43 Jahre alte Dachdeckermeister aus Niedersachsen kehrte Deutschland vor sechs Jahren den Rücken. Er verkaufte sein Unternehmen und flog mit einem One-way-Ticket nach Mallorca. Die ersten vier Wochen lebte er noch auf großem Fuß, wohnte im Hotel. Als das Geld langsam knapp wurde, beschloss er, einige Wochen auf der Insel herumzureisen und am Strand zu übernachten. Schon in der ersten Nacht wurde er ausgeraubt. Von Verzweiflung dennoch keine Spur: „Besser hier auf der Straße als in Deutschland, auf Mallorca ist es wenigstens warm.“ Fred ist bescheiden geworden: Er ernährt sich von dem, was in den Hotels übrig geblieben ist, das Geld fürs Bier bettelt er sich zusammen.
Bei den Einheimischen sind Zuwanderer wie Fred nicht sonderlich beliebt. „Sie versauen das Image eines starken und fleißigen Volkes“, schimpft der kanarische Pfarrer José Luis Gonzalez Garcia. Natürlich seien nicht alle Deutschen in Spanien faul und nutzlos, aber ihre Zahl nehme zu. „Sie glauben, man verdiene unter der Sonne einfacher Geld als in der Heimat, dabei muss man hier bestimmt ein Drittel mehr arbeiten und bekommt dann noch weniger Lohn“, glaubt Matthias Kühn, größter deutscher Bauträger auf Mallorca: „Wer in einem Urlaubsgebiet leben will, muss noch viel disziplinierter sein als in Deutschland.“
Arbeiten bis zum Umfallen
Ute Schellin, die seit drei Jahren in Calpe bei Alicante wohnt, gehört zu den disziplinierten Deutschen. Aber auch die 45 Jahre alte Berlinerin kann irgendwann zum Problemfall werden. Die allein Stehende hat nur wenige Jahre in die deutsche Sozialversicherung eingezahlt. Seit 1987 lebt sie in Spanien, die meiste Zeit hat sie auf Menorca gejobbt. Von der spanischen Sozialversicherung hat sie wenig zu erwarten - meist war sie nicht einmal offiziell gemeldet. Wo sie wohnen kann, falls sie einmal pflegebedürftig werden sollte, weiß sie nicht.
Denn in Spanien gibt es kaum Altenheime - normalerweise erbringt die Familie hier viele Sozialleistungen, für die in Deutschland der Staat in Anspruch genommen wird. Und die Plätze in den wenigen bestehenden Altenheimen sind sehr teuer. Allein auf Mallorca fehlen rund 2500 Plätze, in Calpe sieht es nicht besser aus, auch wenn einige Altersresidenzen gebaut werden.
Schellin: „Ans Altwerden denkt man halt nicht, wenn man Deutschland als junger Mensch verlässt.“ Die Berufsoptimistin verdrängt bisher den Gedanken an eine mickrige Rente und das, was danach kommt: „Ich werde halt arbeiten, bis ich umfalle.“
Eine Story aus der WirtschaftsWoche 25/03
STEFANIE MÜLLER/ MADRID
12.6.2003
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