--><font size="5">"Mit Rollstuhl? Ausgeschlossen!"</font>
In der Wirtschaftskrise finden Schwerbehinderte kaum einen Job
von Sebastian Jost
Köln - Das Telefonat lief perfekt. Die beiden Frauen plauderten und flachsten."Sie müssen noch mal vorbeikommen, nur eine Formsache", sagte die freundliche Personalchefin des Callcenters."Die Stelle bei uns haben Sie praktisch schon." Wally Kohlen freute sich und fragte:"Ich komm doch bei Ihnen mit dem Rollstuhl rein, oder?" Keine Antwort. Dann ein Stottern:"Rollstuhl? Nein, ausgeschlossen. Wir haben eine Stufe am Eingang." Dann legte die Dame auf.
"Das war eine faule Ausrede", meint Kohlen. Die 43-Jährige aus Hückelhoven im Rheinland hat schon viele Ausreden gehört: Seit fast sechs Jahren sucht die Querschnittsgelähmte einen Arbeitsplatz. Wie 172 000 andere Schwerbehinderte. Die Arbeitslosenquote unter ihnen betrug dieses Frühjahr 16,6 Prozent - 5,5 Prozentpunkte mehr als auf dem gesamten Arbeitsmarkt.
Bis letzten Herbst war die Jobbilanz für Schwerbehinderte eine der besten Nachrichten aus den Arbeitsämtern: Innerhalb von drei Jahren war die Zahl der gehandicapten Arbeitslosen von 190 000 auf 144 000 gesunken - obwohl insgesamt immer mehr Menschen einen Job suchten. Dafür pumpten die Arbeitsämter nach eigenen Angaben von 1999 bis 2002 rund 547 Mio. Euro in die Vermittlung und in Lohnzuschüsse für Arbeitgeber, die Behinderte einstellten.
Doch der Aufschwung ist vorbei: Im April dieses Jahres waren 27 000 Behinderte mehr arbeitslos als im Oktober 2002."Das liegt an der Konjunktur", sagt Günter Weinzierl von der Bundesanstalt für Arbeit. Zudem können viele Arbeitsämter den Unternehmen heute weniger Geld bieten als zuvor. Denn die Arbeitsvermittler haben in den letzten Jahren so viel Mittel in Behinderten-Stellen investiert - Mittel, die zum Teil jahrelang fließen -, dass nun vielerorts das Geld für neue Zuschüsse fehlt.
Das Sozialministerium will das Steuer wieder herumreißen: Es sucht derzeit nach neuen Konzepten, zusammen mit Arbeitgebern, Gewerkschaften und Behindertenverbänden. Die sind sich jedoch nicht einig: Die Wirtschaft setzt auf mehr Freiheiten für die Unternehmen - die Gewerkschaften auf mehr Pflichten.
Strikter Kündigungsschutz etwa ist für Gewerkschafter eine Lösung, für die Arbeitgeber dagegen Teil des Problems. Wenn ein Betrieb einen Behinderten entlassen will, muss zuvor das örtliche Integrationsamt zustimmen. Das schrecke Unternehmer davon ab, überhaupt Behinderte einzustellen, sagt Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft:"Wenn Sie einen Behinderten einstellen, werden Sie ihn nicht mehr los." Die Zahlen der Integrationsämter widersprechen dieser Einschätzung: Die Behörden winken nach eigenen Angaben über 80 Prozent der Kündigungen durch. Viel zu viel, meint Werner Feldes, Leiter des Ressorts Behindertenpolitik bei der IG Metall. Bei den derzeitigen Entlassungswellen drohten Behinderte zuerst über Bord zu gehen - nur mit noch stärkerem Kündigungsschutz könnten sie bleiben. Aber nach dem Willen des Arbeitsministeriums müssen die Integrationsämter weiter alle Kündigungen genehmigen.
Sozialverbände wie zum Beispiel der Deutsche Behinderten-Rat fordern zudem eine höhere"Ausgleichsabgabe". Diese Abgabe müssen alle Betriebe zahlen, in denen nicht mindestens fünf Prozent der Beschäftigten gehandicapt sind. Für jede fehlende Pflichtstelle müssen Firmen zurzeit monatlich zwischen 105 und 260 Euro berappen - je deutlicher man unter der Quote liegt, desto teurer wird es. Mit dem Geld bezahlen die Integrationsämter anderen Betrieben beispielsweise Aufzüge für Rollstuhlfahrer oder behindertengerechte Büromöbel.
Das Sozialministerium denkt derweil über eine zweite Pflichtquote nach - diesmal für Lehrlinge mit Handicap."Das ist der völlig falsche Weg", sagt Alexandra Hörder von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände."Man findet gar nicht genug schwerbehinderte Jugendliche, um so eine Quote zu erfüllen." Selbst die IG Metall und der Sozialverband VdK winken ab: Das Problem sei nicht die Ausbildung, sondern die Arbeitslosigkeit danach.
Das weiß auch Wally Kohlen. Der Rollstuhlfahrerin ist es egal, was die Ministerien beschließen: Sie glaubt nicht mehr daran, die Vorurteile gegenüber Behinderten durchbrechen zu können."Ich habe keine Kraft mehr, einen Arbeitsplatz zu suchen."
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