Lieber dottore,
anbei einmal der gante Weg durch die einzelnen Punkte. Die alte Mail werde ich auch beantworten, doch bitte gib mir Geduld bis morgen:
>>Jede Wirtschaftserklärung muss zwangsläufig den bisherigen Erkenntnisstand reflektieren und an ihm anknüpfen. Niemand hat in dieser Hinsicht sicherlich die Reflexion so weit getrieben wie du. Ich möchte mich daher auf meinen Anknüpfpunkt beschränken.
>Diese Ansicht teile ich überhaupt nicht. Niemand ist gezwungen, an bisherige Erkenntnisstände anzuknüpfen, wo kämen wir denn da hin?"Bisherige Erkenntnisstände" waren auch"Die Sonne dreht sich um die Erde","Die Erde ist eine Scheibe","Adam lebte vor 5600 Jahren","Der Mensch hat nichts mit dem Affen gemeinsam","Das Weltall enthält ein Phlogiston","Einen Blutkreislauf gibt es nicht","Atome sind die kleinsten Teilchen der Materie","Schutzzölle dienen dem heimischen Gewerbe","Wenn alle Güter in Land A billiger sind als in Land B, gibt's nur Handel von A nach B" (ich sage dazu nur Ricardo!),"Die Menschen sind noch nicht reif zur Freiheit" (ich sage dazu nur Humboldt!) usw.
>Aufgabe der Wissenschaft ist nun Mal, die Wissenschaft selbst zu hinterfragen, so wie sie sich darstellt. Wer dies nicht tut, verhält sich unwissenschaftlich.
Widerspruch! Du übertreibst. Kopernikus hat einen anderen Mittelpunkt des Universums gefunden, jedoch den Rest nicht in Frage gestellt, sondern weiter mit der Graviation argumentiert und Sterne als Sterne bezeichnet. Das Gleiche macht Keynes.
>>Keynes hat die klassische Nationalökonomie angegriffen, weil er das von ihr gezeichnete Wirtschaftsbild für unzutreffend hielt. Hier ging es insbesondere um die abstruse Sichtweise, dass Investitionen stets aus Ersparnissen finanziert werden müssen und dass Ersparnisse letztlich Resultat der intertemporalen Konsumwünsche sind. Denn in diesem System findet das Geld keine Rolle. Investitionen finanzieren sich aus zum Konsum aufgeschobenen Gütern und der Zinssatz, der diesen Prozess steuert, ist ein Güterzins.
>Wozu eine Keynes-Debatte? Wir sollten hier kein dogmengeschichtliches Oberseminar abhalten.
Kein Oberseminar, sondern ein Beispiel für eine wissenschaftliche Revolution.
>>Keynes hat versucht, diesem Bild den Entwurf einer"monetären Steuerung der Produktion" entgegenzusetzen. Das bedeutet konkret eine Hierarchie der Märkte: Die Vermögensmärkte bestimmen über das Schicksal der Gütermärkte. Die Entscheidungen der Vermögensbesitzer determinieren Knappheitspreise, die letztlich die Wirtschaft"steuern". Der entscheidende Preis hierbei ist der Zins, der sich durch die Entscheidung, Vermögen zu sichern (=Geldhaltung) versus Vermögen zu vergrößern (=Geldaufgabe=Kauf von Asset=Investitionen) ergibt.
>Geht schon los. Der Zins ist kein Preis. Wofür soll der Zins denn ein Preis sein? Bitte eine konkrete Antwort!
Richtig, hier geht es schon los. Der Zins ist der Preis für die temporäre Überlassung von Geld. Von den Geschäftsbanken an die Zentralbank zu zahlen. Und von Banken und Privaten untereinander ebenso.
>>Jedes ökonomische System muss entweder durch die Kategorie"Knappheit" oder durch die Kategorie"Knapphaltung" determiniert werden.
>Der"kalte Stern der Knappheit" leuchtet immer und überall. Er determiniert kein ökonomisches"System", sondern das Leben selbst. Und die Aussage, dass Güter umso teurer werden, je knapper sie werden (bei ceteris paribus, also gleicher Nachfrage) ist eine Binsenwahrheit und erst Recht kein"System".
Nein, das ist gerade nicht so. Schau doch einmal in die Schaufenster. Wo ist denn hier etwas knapp??? Im Gegenteil: Die Waren werden einem förmlich hinterhergeschmissen. Und warum? Weil der Verkäufer eines will, ja unbedingt braucht. Na was? Geld natürlich, um seine Kredite zurückzuzahlen.
>>Das neoklassische System ist definiert durch die Knappheit der Güter ("Wir leben auf dem kalten Stern der Knappheit"),
>Aaah, da scheint er ja, der Stern, dacht' ich's mir doch.
Ja, aber nur im neoklassischen System, im keynesianischen nicht. Das ist der große Unterschied!
>>die dementsprechend effizient alloziiert werden müssen. Märkte sind daher hier immer geräumt und Vollbeschäftigung garantiert.
>Märkte sind nie geräumt. Da - siehe meine noch und noch vorgestellte These - die durch die Produktion geschaffene Nachfrage allein nie ausreichen k a n n, die Märkte zu räumen.
>>Sollte dies jedoch einmal nicht der Fall sein, dann können aus dieser Sicht nur unperfekte Märkte der Grund sein.
>Die nicht geräumten Märkte gibt's immer, egal ob bei Monopol oder atomistischer Konkurrenz.
>Diesen kardinalen Denkfehler hat bereits Keynes also n i c h t entdeckt.
dottore, bitte. Das ist ein theoretisches Konzept, welches jedoch nicht die Wirklichkeit ist.
>>Eine Theorie der Geldwirtschaft entwirft hingegen ein völlig anderes Wirtschaftsbild. Hier ist es die künstliche Knapphaltung des Geldes, die bewirkt, dass die Güter überschüssig sind. Die Vermögensbesitzer bewirtschaften die Ressourcen, indem sie (zusammen mit der Zentralbank) Geld so knapp halten, dass sich Güterpreise bilden können, die ihnen einerseits den Schutz ihres Vermögens garantieren, andererseits jedoch auch aus der Ressourcenbewirtschaftung einen Überschuss erzielen lassen.
>Darin steckt wieder das völlig falsche Bild, dass Geld eine Sache sei. Nur über Sachen aber leuchtet unser Sternlein. Über Geld, das immer aus Schulden nur entstehen kann, leuchtet gar nichts. Das beweist schon die Tatsache, dass sich Schulden selbst beliebig vermehren lassen (siehe deren exponentiellen Verlauf).
Nein, nein, nein, nein. Hier stimme ich dir zu. Geld ist keine Sache, kein Gut, kein Anspruch auf irgendwas, sondern..........? - Ein Nichts!
>Was heißt wohl"Schutz des Vermögens" konkret? Je mehr Geld (z.B. Inflation durch Rediskont von staatlichen Kurzläufern), desto"teurer" wird doch das Vermögen.
>Und was heißt"Überschuss" aus der Ressourcenbewirtschaftung? Wie entsteht wohl so ein"Überschuss"? Ist Überschuss etwas realwirtschaftliches (mehr Ã-l, wenn ich weniger davon verbrauche) oder ist ein Geldphänomen (Gewinn)?
Das ist eine gute Frage. Meine Antwort ist etwas unsicher. Gewinn muss es sein, physisch anfassbar nicht. Auf der anderen Seite: Wenn der Unternehmer sich verkalkuliert, dann ist es eben kein Gewinn, weil keiner übrigbleibt.
>>So, das ist der Kampf, der aus meiner Sicht ausgefochten wird.
>Der Kampf ist Don Quichote, klassisch. Du musst nicht glauben, weil Keynes drauf steht, sei auch was Gescheites drin.
Ein Glück, dass du jetzt nicht"Mein Kampf" genannt hast.
>>Jetzt komme ich zu meinen Schwierigkeiten mit Heinsohn und Steiger sowie mit deinem System. Heinsohn und Steiger wollen die Ã-konomik dadurch revolutionieren, indem - ganz vereinfacht - das Eigentum (und damit die Eigentumsdeckung des Geldes) in den Mittelpunkt der Analyse gerückt wird und die Eigentumsprämie sogar zum zentralen Preis stilisiert wird. Doch wenn die Knappheit ihres Systems durch die Begrenzung, Eigentum als Sicherheit für Verschuldungen einzusetzen, verstanden wird, dann ist das keine Revolution, kein Beitrag hin zum Verständnis einer Geldwirtschaft, sondern H/S bleiben vielmehr der Ressourcenallokation verhaftet. Hier werden zwar keine physichen Güter gehandelt, sondern Eigentumsrechte, doch das ändert grundsätzlich nichts. Aus diesem Grunde sage ich immer: H/S leben in der Tauschwelt der Neoklassik. Nicht in einer realen Tauschwelt, denn die hat es nie gegeben. Doch sie bleiben gedanklich der neoklassischen Orthodoxie verhaftet. Und das ist schlimmer als ein überzeugter Neoklassiker zu sein. Also nix mit Revolution.
>Die Revolution besteht darin, dass eine völlig neue Theorie des Wirtschaftens geboten wird. Sie setzt beim Eigentum an, einem Phänomen, zu dem sich weder die Klassik, noch die Neoklassik, noch die Keynesianer äußern. Sie mögen zwar alle Eigentum voraussetzen, erklären aber nicht, was der Übergang vom Nichteigentum zum Eigentum (= Entstehen der Privateigentümergesellschaft) ökonomisch bedeutet. Daher haben sie auch nie enträtselt, warum der Sozialismus so unterirdische Ergebnisse geliefert hat. Ganz einfach, weil dort belastbares Privateigentum fehlt. Und damit der daraus sich ergebende klassische Schuldendruck.
Ja, hinsichtlich der Geschichte von Wirtschaft und Wirtschaftstheorie sind H/S brilliant. Aber sie haben keine alternative Theorie zur Erklärung der Wirtschaft, sondern bleiben immer der Orthodoxie verhaftet.
>Die Ã-konomnen faseln immer von"freien Märkten", die im Sozialismus eben gefehlt haben und deren Einführung alles gut macht. Das ist komplett falsch. Wie frei die Märkte sind, ist Nebensache. Hauptsache ist das freie und ergo belastbare Privateigentum. Und die wirtschaftliche Dynamik, die sich automatisch ergibt, sobald Eigentum belastet wurde.
Völlig richtig. Wobei sich die Dynamik alleine aufgrund der Vorfinanzierung und des damit verbundenen Schuldendrucks und der Angst um das wirtschaftliche Überleben ergibt.
>>Und wo wird nun die Knappheit in dottores System begründet? Ich sehe zunächst einmal nur Überschüssiges. Nämlich Schulden. Urschulden und sonstige Schulden. Schulden gibt es also wie Sand am Meer. Doch wo liegt nun die Knappheit? Im Geld oder in den Güter beziehungsweise Produktionsmöglichkeiten?
>Die Schuld hat überhaupt nichts mit"Knappheit" zu tun. Als Urschuld ist sie da, sobald es Menschen gibt, die ohne Abarbeitung derselben physisch untergehen. Und die Kontraktschulden auch nicht. Stammesgesellschaften kennen bis heute keine Kontraktschulden. Abgabenwirtschaften wie die persischen Satrapien auch nicht. Wie heißt es so schön bei Herodot:"Die Perser machen keine Schulden. Denn sie sagen, wer Schulden macht, der lügt."
Aber dottore opponiert damit nicht nur inhaltlich gegen die Orthodoxie, sondern auch gegen den Rahmen der Othodoxie.
>Ansonsten lassen sich Schulden (= Guthaben) wie wir wissen immer weiter hochbuchen. Das ist auch schon alles. Schulden sind absolut nichts Geheimnisvolles. Die Knappheit bleibt ein Phänomen der Güterwelt.
Ja, aber damit bleibst du letztlich Neoklassiker. Das ist der Preis.
>Es wird halt nur kritisch, wenn die"Guthaben" eines Tages kein"Gut" finden, das sie"haben" können. Und darauf freuen wir uns ja alle. Denn dann machts PENG. Und die Guthaben werden ausgebucht, entweder durch Bankrott dessen, der sie schuldig ist oder via Hyperinflation.
Darauf freuen wir uns wirklich alle.
>Was kommt wissen wir halt noch nicht. Vermutlich zuerst ein Bankrott-Geknattere, dann: Schleusen auf - die berühmte"Monetarisierung" der Schulden, Klartext: Die Hyperinflation.
>>Genau an diesem Punkte muss sich dottore also entscheiden, ja sich in die Dogmengeschichte integrieren lassen. Das ist mein Punkt. Ich finde die Idee mit der Urschuld und die daraus folgende Sichtweise wirtschaftlicher Dynamik sensationell, ja das ist fast sogar das"missing link" der Ã-konomie. dottore hat also den Motor des Wirtschaftens gefunden!
>Danke! Und dass ich mich da nicht in die"Dogmengeschichte" integrieren lasse, kann ich verschmerzen. Ging Kopernikus genau so (wobei es mir völlig fern liegt, mit diesem Vergleich hier rumzustrunzen).
>>Doch warum nun den Motor nicht in ein funktionierendes Autogestell einfügen? Warum jetzt das ganze Auto neu erfinden?
>Was in der Ã-konomie funktioniert, sind viele Teile, das ist doch klar. Wie z.B. die Theorie der komparativen Kostenvorteile, um noch Mal Ricardo auf die Bühne zu bitten. Oder die Monopoltheorie von Monsieur Cournot. Oder das Gebilde der doppelten Buchführung, um auch den Mikro-Leuten Recht zu geben, auch wenn sie Frater Luca Paccioli zum ersten Mal in Druck gebeben hat - vor mehr als 500 Jahren.
Vorsicht: Denn 1) Weder die Monopoltheorie noch die Theorie der komparativen Kostenvorteile waren Revolutionen. 2) Beide ließen sich ganz bequem in die normale Theorie integrieren beziehungsweise an sie andocken.
>>Mit den besten Grüßen
>>BN
>Mit schönsten Grüßen (und zwar nicht zu knapp)
>d.
Auch hier bei mir keine Knappheit. Grüße sind doch kein ökonomisches Kalkül. Deshalb viele Grüße
BN
P.S.: Schaust du bitte noch einmal in deine Mail?!
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