-->Kriminalität
Leitfaden für Betrüger
Aus dem Depot einer Deutsche-Bank-Kundin verschwinden Aktien im Wert von 24 Millionen Euro. Der interne Revisionsbericht deckt gravierende Sicherheitsmängel auf.
Die Kölnerin Marie Luise B. kennt keine Geldsorgen, allein schon ihr Immobilienbesitz macht sie zu einer steinreichen Frau. Als sie im vergangenen Herbst aus dem Urlaub zurückkehrte, schenkte sie deshalb einem Brief der European Transaction Bank (ETB), einer Tochter der Deutschen Bank, zunächst keine sonderliche Beachtung.
Die Frau wurde erst hellhörig, als sie der Filialleiter der Deutschen Bank in Köln-Süd, Stefan K., anrief:"Sie haben in Ihrer Post eine Mitteilung über Aktienverkäufe", sagte er und bat nachdrücklich:"Werfen Sie den Brief einfach weg."
Was der Banker verschwieg: Kurz zuvor hatten Unbekannte das Depot der Frau um Aktien im Wert von 24 Millionen Euro erleichtert - ein Banküberfall der besonderen Art: ohne Pistolen und Fluchtauto, stattdessen mit Computer und Faxgerät. Nur ein Zufall verhinderte, dass die Täter die Aktien zu Geld machen konnten.
Der spektakuläre Coup wird derzeit vor der 9. Großen Strafkammer des Landgerichts Köln verhandelt. Auf der Anklagebank sitzen sechs Männer aus der schillernden Branche der Finanzvermittler, darunter einige mit Verbindungen zu Briefkastenfirmen auf den Cayman Islands. Doch vor allem steht die Deutsche Bank am Pranger: Durch das Verfahren sind bemerkenswerte Sicherheitsmängel im Wertpapiergeschäft der Bank ans Licht gekommen.
Die Täter müssen genauestens informiert gewesen sein über die Bestände im Depot von Marie Luise B. Ihnen war auch bekannt, dass die ETB-Mitarbeiter gewohnt sind, Aufträge der Bank als simple Faxmitteilungen zu erhalten.
So stutzte niemand, als am 12. September die Order kam, 18 Titel aus dem Kölner Depot auf ein Konto der Direkt Anlage Bank in München zu übertragen: ein Paket von Blue Chips im Wert von 24 Millionen Euro. Der Auftrag, so die Anklage, enthielt die korrekten Depotwerte, er war unterschrieben, mit einem Stempel autorisiert und wurde von der ETB ohne Rückfrage ausgeführt. Offenbar handelte es sich bei dem Papier um eine Fälschung.
Das fiel erst fünf Tage später auf. Eine Sekretärin in der Filiale Köln-Süd öffnete die Post des Leiters Stefan K., weil dieser in Urlaub war. In einem Umschlag fand sie eine Mitteilung der ETB, die automatisch nach Abschluss einer Transaktion verschickt wird. Demnach hatte die beste Kundin der Filiale Aktien im großen Stil übertragen. Die Sekretärin wunderte sich, dass darüber im Kollegenkreis kein Wort gefallen war.
Sie schlug Alarm - gerade noch rechtzeitig: Die Wertpapiere konnten bei der Münchner Bank sichergestellt werden. Die mutmaßlichen Täter waren sich offenbar uneins darüber, ob sie die Aktien sofort verkaufen sollten, das Zögern wurde ihnen zum Verhängnis.
Die Männer wurden verhaftet, noch bevor sie das Depot abräumen konnten. Was hingegen die Ermittlungen innerhalb der Deutschen Bank angeht, ist die Staatsanwaltschaft keinen Schritt weiter: Bis heute ist die gefälschte Fax-Order nicht auffindbar. Besonders merkwürdig: Just an jenem 12. September hatte sich ein Unbekannter am Faxgerät der ETB zu schaffen gemacht und den Speicher gelöscht. Woher der falsche Auftrag kam, kann deshalb nicht mehr rekonstruiert werden.
Die Revisionsabteilung der Deutschen Bank hat für Personalvorstand Tessen von Heydebreck einen streng vertraulichen Bericht über den mysteriösen Vorgang verfasst. Darin werden eine ganze Reihe von Schlampereien aufgelistet, die bei der Abwicklung von Wertpapiergeschäften geschehen sind.
So wurden Telefax-Aufträge von der ETB ohne Schutzvorkehrungen und ohne Gegencheck akzeptiert. Teilweise verfügten Faxgeräte über keine Möglichkeit, Verbindungsdaten zu speichern; es wurde ebenfalls nur unzureichend kontrolliert, wer Zugriff auf Computerdateien genommen hat. Zudem wurden die Abdrücke von Stempeln, mit denen Aufträge autorisiert werden, nicht überprüft. Und die Auftragsbelege wurden nur kurz abgelegt und dann vernichtet oder zurückgeschickt.
Die Deutsche Bank hätte gewarnt sein müssen: Bereits im August hatten die mutmaßlichen Täter nach Erkenntnis der Staatsanwaltschaft versucht, ein anderes Depot um 600 000 Aktien zu erleichtern und auf ein Dresdner-Bank-Depot zu transferieren. Das Geschäft kam offenbar nur deshalb nicht zu Stande, weil die Dresdner Bank sich bei den Kollegen der Deutschen Bank telefonisch rückversichern wollte.
Die Deutsche Bank will mit Hinweis auf das laufende Verfahren keine Stellung nehmen. Das Gericht müht sich seit Wochen, den Fall aufzuklären. Sicher ist nur: Die sechs Angeklagten haben den Coup nicht allein durchgezogen. Insider in der Bank müssen geholfen haben. Doch bislang wurden Mitarbeiter des Geldhauses noch nicht angeklagt.
Die Staatsanwälte halten sich bedeckt. Erst nachdem der Vorsitzende Richter der 9. Großen Strafkammer, Ulrich Höppner, kürzlich sogar mit einer Durchsuchung der Staatsanwaltschaft drohte, rückten die Ermittler den Revisionsbericht der Bank heraus. Begründung für das Zögern: Das brisante Papier könne ein"Leitfaden für gleichartige Betrugsversuche" sein - schließlich seien die Drahtzieher möglicherweise noch in der Bank.
MICHAEL FRÃ-HLINGSDORF
<ul> ~ http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,256914,00.html</ul>
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