-->IT-ARBEITSMARKT IN DEN USA
<font size=5>Der groĂe Aderlass</font>
Von Marc Pitzke, New York
<font color="#FF0000">Die fortschreitende Globalisierung lehrt mittlerweile eine Gruppe von ArbeitskrĂ€ften das FĂŒrchten, die bisher als unangreifbar galt</font>. Die weltgröĂten Hightech-Konzerne - unter ihnen Microsoft und IBM - <font color="#FF0000">wollen groĂe Teile ihrer IT-ArbeitsplĂ€tze in Billiglohn-LĂ€nder verlagern</font>.
New York - Eric Poore hatte eine goldene Zukunft bei Microsoft. Der Computer-Ingenieur heuerte 1997 als Kundenberater bei dem Weltkonzern an. Kurz darauf wurde er zum Troubleshooting-Spezialisten fĂŒr E-Mail-Probleme befördert. <font color="#FF0000">Seine Karrierechancen, so lieĂ man ihn fröhlich wissen, seien unbegrenzt</font>.
Dann begann das Elend. Zuerst wurde Poores neuer Posten"ausgelagert", sprich: in LÀnder verlegt, in denen die Lohnkosten niedriger sind. <font color="#FF0000">Er landete wieder auf seinem Einstiegsjob</font>. Und jetzt steht seine gesamte Anstellung in Frage: <font color="#FF0000">Microsoft plant intern, im Lauf des Bilanzjahres 2004 mindestens 800 weitere ArbeitsplÀtze aus seiner Dependance im texanischen Las Colinas, wo Poore arbeitet, nach Indien und Kanada umzuschichten</font>.
Poores Schicksal ist ein Beispiel <font color="#FF0000">fĂŒr den neuen Trend in der amerikanischen IT-Branche</font>: Die lĂ€dierten Konzerne verlagern nicht mehr nur Produktions-Jobs ins Ausland, <font color="#FF0000">vor allem nach Fernost, SĂŒdamerika und Osteuropa</font>. <font color="#FF0000">Zunehmend sind hoch bezahlte"White-Collar"-Posten in Management, Verwaltung, Buchhaltung, Technik in Gefahr</font>. Outsourcing oder Offshore nennt sich das:"Ein fundamentaler Wandel der US-Wirtschaft", klagt Marcus Courtney, PrĂ€sident der Washington Alliance of Technology Workers (WATW), eines regionalen IT-Interessenverbands.
Kundenberatung aus Hyderabad
Anders als frĂŒhere Outsourcing-Wellen, <font color="#FF0000">die meist ungeschulte Arbeitnehmer betrafen, sind diesmal also die mit mehrfachen Uni-AbschlĂŒssen dekorierten IT-Wunderkinder der neunziger Jahre die Opfer</font>. <font color="#FF0000">Ganze Technik-, Buchhaltungs-, Ingenieur-, Computer- und Finanzabteilungen machen dicht</font>. Nach SchĂ€tzung der Consulting-Firma Forrester Research <font color="#FF0000">werden US-Arbeitgeber in den nĂ€chsten 15 Jahren mindestens 3,3 Millionen"White-Collar"-Jobs sowie GehĂ€lter im Wert von 136 Milliarden Dollar in Billiglohn-LĂ€nder verlagern, darunter China, Indien, Russland, Mexiko und die Philippinen. Also nicht nur in der IT-Sparte: 348.000 ArbeitsplĂ€tze in der Verwaltung, 288.000 im Management und 184.000 in der Architektur wĂŒrden ebenfalls auf gleiche Weise verloren gehen</font>.
Die Microsoft-Chefs in Las Colinas raten ihren Angestellten seit Monaten schon, sich anderswo Arbeit zu suchen. <font color="#FF0000">"Die Manager machen es uns sehr deutlich", sagt Poore."Zum Ende des Jahres 2004 werden alle unsere Jobs verschwunden sein."</font>
Es wĂ€re die gröĂte Massenentlassung in der Geschichte von Microsoft. Ăber 1300 Menschen sind in der Customer-Central-Abteilung in Las Colinas beschĂ€ftigt: telefonisch-virtuelle Kundenberater und erste Ansprechpartner fĂŒr technische Fragen, die die Verbraucher mit den Produkten haben. Ăhnliches Outsourcing plant Microsoft nach Angaben der WATW in seinen IT-Telefonzentralen in Charlotte (North Carolina) und Issaquah (Washington).
Offiziell dementiert Microsoft zwar, Entlassungen zu planen."Wir ersetzen keine US-Jobs, wir entlassen keine Leute", sagt Konzernsprecherin Stacy Drake. <font color="#FF0000">Eine interne Microsoft-PrĂ€sentation aber drĂ€ngte kĂŒrzlich alle lokalen Abteilungsleiter, fĂŒr eine"kurzfristige Projektliste" alsbald alle möglichen Posten"fĂŒr die Auslandsverlagerung auszuwĂ€hlen"</font>.
China im Blick
Viele dieser Posten wandern ins <font color="#FF0000">indische Hyderabad</font>, wo Microsoft seit 1999 ein Entwicklungszentrum unterhÀlt. Auf der Company-Website werden zurzeit Dutzende hochkarÀtige Jobs in Hyderabad annonciert.
Derweil reiste Microsoft-VizeprĂ€sidentin Lori Moore im April nach Las Colinas, um den Angestellten dort ihre missliche Lage persönlich zu verdeutlichen. Ihre Message, so erinnert sich Poore:"Es gebe keine ExpansionsplĂ€ne oder Weiterentwicklung fĂŒr uns. Microsoft setze all seine BemĂŒhungen auf Indien."
<font color="#FF0000">Damit steht Microsoft nicht alleine. General Electric will allein in diesem Jahr 20.000 Stellen, meist im Forschungs- und Entwicklungsbereich, nach Indien und China abschieben. Intel, das in Russland bereits 400 Software-Ingenieure und 200 Marketing- und Verkaufsmanager beschĂ€ftigt, lagert rund 3000 weitere ArbeitsplĂ€tze in Chip-Design und Technik-UnterstĂŒtzung nach Indien aus</font>. Auch Oracle hat Indien im Blick (4000 Jobs in Software-Design und Tech-Support), Philips dagegen China (700 im Bereich der Verbraucherelektronik). Ăhnliche PlĂ€ne gibt es bei IBM, Hewlett-Packard, Dell und Motorola.
<font color="#FF0000">"Unsere Konkurrenz tut es, und wir mĂŒssen es tun"</font> [Eigener Kommentar: Das ist DAS Problem; man kann sich dem Druck kaum entziehen. Selbst wenn man wollte], bekrĂ€ftigte IBM-Direktor Tom Lynch im MĂ€rz in einer vertraulichen Konferenzschaltung mit IBM-Managern in aller Welt, aus der die"New York Times" gestern pikante AuszĂŒge veröffentlichte.
80 Prozent Kosteneinsparung
<font color="#FF0000">"Das Internet hat diese Welt um vieles kleiner gemacht"</font> [Eigener Kommentar: Das ist sozusagen der Fluch der Technik den ich in der letzten Zeit versucht habe zu beschreiben und deutlich zu machen. Internet und all die modernen Kommunikations- und Fortbewegungsmittel haben auch Nachteile], sagt Paul Eurek, CEO von Xpanxion, einer Firma, die sich darauf spezialisiert hat, fĂŒr GroĂkunden wie Coca Cola Offshore-Dependancen zu schaffen. <font color="#FF0000">"Die Globalisierung des Arbeitsmarktes aufzuhalten ist zwecklos"</font>, sekundiert John Challenger, Chef der IT-Firma Challenger, Gray & Christmas in Illinois."Sie ist eine Naturgewalt."
Also trafen sich Ende Juni rund 125 US-Firmenchefs zu einer Tagung im New Yorker Hotel Waldorf-Astoria, um ihre Outsourcing-Strategien zu beraten. In einer PrĂ€sentation lieĂen sie sich erlĂ€utern, <font color="#FF0000">dass sie rund 80 Prozent Kosten sparen könnten, indem sie Computer-Programmierer und Buchhalter nach Indien, China oder Malaysia abschöben</font>.
Kosten sind immer das erste Argument. Ein Programmierer in Indien verlangt nach Berechnungen der Consulting-Firma Cap Gemini Ernst & Young <font color="#FF0000">im Schnitt 20 Dollar Stundenlohn, sein US-Gegenpart mit 65 Dollar mehr als dreimal so viel</font>.
Aufs Jahr bezogen sehen diese Zahlen noch eindrucksvoller aus. So betrÀgt das <font color="#FF0000">durchschnittliche Jahresgehalt eines IT-Ingenieurs in den USA 70.000 Dollar, in China dagegen 15.120 Dollar, in Russland 14.420 Dollar und in Indien 13.580 Dollar</font>.
Tief greifende Folgen fĂŒr die WettbewerbsfĂ€higkeit
Eins der bizarrsten Beispiele fĂŒr IT-Outsourcing findet sich im US-Bundesstaat New Jersey. Da hatte die Regierung eine private Firma mit der Betreuung von EmpfĂ€ngern von Sozialhilfe und Essensmarken beauftragt. Es stellte sich jedoch heraus, dass die FachkrĂ€fte nicht in der Landeshauptstadt Trenton saĂen, sondern - im indischen Bombay. Um dies zu vertuschen, meldeten sich einige am Telefon sogar zur Tarnung mit falschen"amerikanischen" Namen.
"Offshore-IT", warnt der Soziologe Ron Hira von der New Yorker Columbia University, könne"tief greifende Folgen fĂŒr die Amerikaner und die Zukunft der WettbewerbsfĂ€higkeit der USA" haben."Sind diese Job einmal aus dem Lande, kommen sie nie mehr zurĂŒck", sekundiert Phil Friedman, CEO der Software-Firma Computer Generated Solutions.
<font color="#FF0000">So werde dieser Trend die derzeitige Rekord-Arbeitslosigkeit in den USA nur weiter anfachen</font>."Das Problem der Arbeitslosigkeit ist fĂŒr Elektronik-, Computer- und Software-Ingenieure schon jetzt schlimmer als fĂŒr die meisten anderen", sagt Hira. In der Tat liegt die Sparten-Quote hier derzeit mit 6,5 bis 7,5 Prozent ĂŒber dem nationalen Durchschnitt.
Billigster aller Arbeitnehmer
<font color="#FF0000">Die US-Dachgewerkschaft AFL-CIO erwartet durch IT-Outsourcing"noch weit dramatischere Arbeitsplatzverluste und Gehaltserosion" als bisher</font>. <font color="#FF0000">Betroffen sei vor allem die Mittelklasse. Schon jetzt sind StundensĂ€tze fĂŒr Computer-Berater nach Erhebungen der Independent Computer Consultants Association um 10 bis 40 Prozent zurĂŒckgegangen</font> [Eigener Kommentar: Das ist ja schon richtig extrem!].
<font color="#FF0000">Inzwischen formiert sich eine aktive Protestbewegung der Betroffenen</font>. Dutzende Arbeitnehmer demonstrierten im Juni vor dem Waldorf-Astoria. Einer von ihnen war der arbeitslose IT-Ingenieur John Bauman, PrÀsident der Organization for the Rights of American Workers."Ich finde keinen Job", sagt er. <font color="#FF0000">"Es gibt keine IT-Stellen mehr - sie gehen alle an auslÀndische Arbeitnehmer." </font>
Dem Kalifornier Christopher Kenton, dessen Marketing-Firma Cymbic selbst vom Outsourcing profitiert, bleibt die"traurige Ironie" der Geschichte nicht verborgen."Viele der Job, die jetzt ins Ausland gehen, sind dieselben Jobs, die das Outsourcing-System erst ermöglicht haben", sagt er.
<font color="#FF0000">Und das sei erst der Anfang: Eines Tages, orakelt Kenton, wĂŒrden die IT-Konzerne noch weitaus mehr Stellen kĂŒrzen können, indem sie die Arbeit ganz vom Menschen auf den billigsten aller Arbeitnehmer verschöben -"den Computer". [Eigener Kommentar: So könnte es sein. Schon jetzt verlieren wir zig tausend ArbeitsplĂ€tze Monat fĂŒr Monat nur durch Rationalisierung und technischen Fortschritt wo auf der anderen Seite weniger ArbeitsplĂ€tze durch den Fortschritt entstehen.</font>
[b] Quelle: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,258269,00.html, Spiegel-Online, 23.07.2003
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