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>Hi Bob,
Hi Dottore,
Danke für diesen höchst kenntnisreichen Text! Aber erklär mir mal, warum ich nach der Lektüre Deiner Ausführungen immer so erschöpft bin. [img][/img]
Der Text würde eine ausführliche Antwort verlangen, jedoch fehlen mir einfach die archäologischen Kenntnisse.
Ich kann aber die Grundstruktur Deines Argumentes benennen. Und da weißt Du offenbar auch nicht weiter: Der Zwingherr in Deinem Modell kommt immer von außen (Nachbardorf).
Mich interessierte aber primär die Frage, wie kann eine Gesellschaft aus sich heraus eine Figur erzeugen und sie mit den nötigen Kräften ausstatten, einen Raubzug zu machen. Irgendwie muß dieser erste Herrscher ja entstanden sein.
Die ursprüngliche Ausstattung dieses Herrschers mit Käften und Waffen ist eine Investition auf freiwilliger Basis zumindest eines Teiles der Bevölkerung! Freiwillig deshalb, weil daraufhin ja erst das entstanden ist, was hier als Herrschaft bezeichnet wird. Der Begriff der Herrschaft kommt gewissermaßen erst in diesem Augenblick zur Welt, kann also für die Zeit davor streng genommen gar nicht gedacht werden.
Woraus sonst könnte diese ursprüngliche Herrschermacht geboren werden, wenn nicht aus Überschüssen, die logischerweise schon vor dem Anfang der Herrschaft da gewesen sein müssen?
Das ist ein denkerisch-logisches Problem, kein archäologisches!
Trotzdem finde Ich Deine Ideen faszinierend, wenn auch etwas trostlos und unmenschlich, schließlich sind die Leute, die den Staat heute machen, ja irgendwie auch Nachbarn.
Weiter unten schreibst Du"freiheitliche" Auffassung. Ich kann mir keinen schlimmeren Zwang vorstellen als den, sich am Markt behaupten zu müssen. Und keine größere Freiheit als die, dasselbe in einem geordneten Staatswesen zu tun.
Noch etwas: Dein Modell kann - unbestritten - als wesensmäßiger Kern einer Wirtschaftstheorie herhalten. Jedoch müßte man dann fragen, wieso die Menschheit doch erst recht spät darauf gekommen ist, daß Geld auch etwas wert ist, ohne daß dafür irgendwo ein Klumpen Gold oder ähnliches rumliegt. Sicher, es hat immer wieder Ausflüge zum stoffwertlosen Geld gegeben. Aber die Vostellung der Menschen, daß das Geld durch irgendeinen Stoff besichert sein muß, die hat ja z.B. noch 1923 bei der Währungsreform eine ganz herausragende Bedeutung gehabt. Wenn es wirklich stimmt, daß der wesensmäßige Kern des Wirtschaftens Deine Machttheorie ist, wieso hängt dann die Menschheit im 20ten Jahrhundert immer noch Ideen an, die eigentlich nach Jahrtausenden der Übung längst obsolet sein müßten? das kann nur dadurch erklärt werden, daß zu der Komponente Macht noch die Komponente Marktgängigkeit hinzutreten muß, damit das Geld funktioniert. Der Umstand daß man z.T. heute noch an der Idee metallbesicherter Währung hängt hat den grund darin, daß man eben diese Marktgängigkeit irgendwie sichergestellt wissen möchte, weil man dem bloßen Papier instinktiv mißtraut.
Grüße!
bob
>davon, dass erst ein Überschuss vorhanden gewesen sein muss (der zu"Tauschzwecken" zur Verfügung stand) bin ich selbst auch lange Zeit ausgegangen. Es ist das Modell, das bis heute die Ã-konomie beherrscht: Die Leute arbeiten und von dem Überschuss bedient sich dann der Staat.
>Tatsächlich ist es ganz anders gewesen, wie Reinhard Bernbeck in seiner großen Arbeit"Die Auflösung der häuslichen Produktionsweise" (1994, ISBN 3-496-02525-5) nachgewiesen hat. Danach startet die Wirtschaft, wie auch nicht anders vorstellbar, mit der häuslichen Produktionsweise, wobei diese den einzigen Zweck hat, für Reproduktion der Teilnehmer zu sorgen. Dies hat Bernbeck anhand von Dörfern in verschiedenen Gegenden untersucht (Türkei, Mexiko, Sri Lanka, Negev), wobei er sich auf andere Forschungen stützt und selbst ausführlich über Mesopotamien referiert.
>Die maximale Größe eines Dorfes liegt bei 0,8 bis 1 ha:"Aus vielen Untersuchungen ist bekannt, dass die Intensität von Interaktion mit steigender Entfernung exponentiell abnimmt" (mit Hinweis auf Morris/Pitt, Taylor). Die erste Form der Interaktion ist das Heiraten ("Brauttausch", daher auch die Erklärung von"Geld" als"Brautgeld" bei vielen Völkerkundlern, die allerdings nicht mitteilen, über welche Distanz das Brautgeld gezahlt wurde, also Interaktion, demnach"Tausch" statt fand). Um die einzelnen Dörfer werden Entfernungsringe gelegt. Dabei ist davon auszugehen, dass der Ring um ein Dorf etwa 1,5 km beträgt, da sonst der Weg zu den Feldern, der zu Fuß zurück gelegt werden muss, zu groß würde. Ab dieser Entfernung ist es sinnvoll, ein weiteres Dorf zu gründen, das mit entsprechendem Ring arbeitet, um dem ersten nicht ins Gehege zu kommen.
>Schon bei 2 Distanzeinheiten (Dorf 1 - 2 - 3) liegt die Kontaktwahrscheinlichkeit kaum über null und bei 3 Einheiten ist sie null. Der Beweis wurde stratigraphisch erbracht: Keramiken von Dorf 1 (jedes Dorf hat für es typische Keramiken) finden sich in Dörfern der Distanzeinheit 3 nicht mehr und umgekehrt. Es findet also keine Interaktion statt (= kein Tausch, weder von Menschen noch Sachen).
>Diese auf Selbsterhalt basierende Produktionsweise wird aus verschiedenen Gründen und in verschiedenen Abfolgen durchbrochen:
>1. Wenn in einem Dorf durch Bevölkerungsentwicklung (z.B. wg. Überschuss an"jungen Kräften", die nicht mehr aus der Dorffläche ernährt werden können) ein"Druck" entsteht, wird das Dorf versuchen, ein zweites zur tributären Produktionsweise zu zwingen, d.h. das zweite Dorf muss mehr produzieren als es selbst zum Erhalt benötigt.
>"Merkmal der tributären Produktionsweise ist also, dass die Produktionseinheit(en) größer sind als die Konsumtionseinheiten." Denn:"Übersteigt die notwendige Anbaufläche eines Ortes die maximal vorhandene Ackerfläche, so ist eine solche Siedlung auf Surplus aus der Umgebung angewiesen." Und auch:"Neben der Steigerung der Produktivität kann die Erhebung von Tribut in den umliegenden Dörfern diesen Zweck erfüllen. Die erste Möglichkeit ist in begrenztem Rahmen gegeben, während die zweite innerhalb der tributären Produktionsweise in großem Ausmaß gesteigert werden kann." (59).
>Klartext: Da wird also überhaupt nichts"gehandelt", sondern es wird zusätzliche Produktion erzwungen. Dass dabei Zwangsmittel eine Rolle spielen, versteht sich von selbst (Krieger, Waffen). Solche"zentralen Orte" sind zuhauf nachgewiesen, die sich ihrerseits gegen Versuche, die Tributforderer mit Gewalt abzuschütteln verteidigen, was u.a. die Entstehung von"Stadtmauern" in diesen Systemen erklärt.
>2. Diese Enwicklung der tributären Systeme läuft in eine Menge von"internen" Problemen der Verteilung der Tribute, da diese Tribute innerhalb der Tribute abfordernden Gemeinschaft nicht nicht vollständig und schon gar nicht gleichmäßig redistributiert werden. Waren die Dörfer ursprünglich"klassenlose Gesellschaften", bilden sich jetzt Zwei-Klassen-Gesellschaften heraus:"The king (also der Chef der Tributeintreiber) distrubuted (what hat been collected) among the chiefs and the company of soldiers throughout the land... No share of this property, however, was given to the people" (Malo 1903, 1888 f., zit. bei Bernbeck). Selbstverständlich tauschte der Big Chief, das was an ihn zur Vertelung übergeben wurde mit nichts anderem als fortgesetzter Machtausübung.
>3. Dieses System wird dann vollends zur Abgabenwirtschaft, wenn sich Völker (Kriegerscharen) von außerhalb darüber hermachen (Eroberer). Dies tun sie, sobald sie über überlegene Metallwaffensysteme verfügen, was die großen Wanderungsbewegungen ("Barbareneinfall") erklärt, die wir mit Beginn der Bronze-Zeit bestaunen können, ausgehend von Bereichen im Inneren Asiens (aufgrund neuester archaeometallurgischer Forschungen der TU Freiberg, Lehrstuhl Prof. Pernicka, u.a. eindeutig nachgewiesen). Die"Kriegervölker" verfügen über das große waffentechnische Geheimnis, nämlich die Fabrikation von Bronze und setzen sich über die eben beschriebenen Strukturen. Sie fordern ausschließlich Tribute ab und setzen sich mitten in die bereits als Tributzentren entwickelten Dörfer, wbei sie zur Ausübung ihrer Zwingherrschaft ud zum Schutz ihrer Chiefs und der obersten Kriegerkaste die bekannten Stadtburgen ("Paläste") errichten lassen. Das bekannte"Oberstadt/Unterstadt"-Phänomen also, das wir aus zahlreichen Ausgrabungen kennen, von Troja bis zu den Akropoleis in Griechenland, das Kapitol in Rom usw. usw., zuletzt die frei gelegte Siedlung am Van-See (Ost-Türkei).
>4. Die Gebiete, die sie kontrollieren erweitern sich immens ("Großreiche") und ihr Redistributionssystem wird mit Hilfe der Bildung von Großvorräten (Silos, versiegelte Großkeramik, die Getreide über viele Jahre ohne Schwund oder Verfall lagern lässt). Die Abforderung von Tributen geht nunmehr über jene Güter hinaus, die zur Subsistenz benötigt werden es wird auch das abgefordert, was die Macht selbst erhält - Waffenmetall, dies allerdings nach Kupfer und Zinn getrennt (siehe Hethiter, wie gepostet), um das Waffenmonopol nicht zu gefährden und um so eventuellen Gefahren eines"bewaffneten" Aufstands zu begegnen.
>5. Da die Waffenmetalle Kupfer, Zinn, später Eisen (und andere Güter, die zur Darstellung der ausgeübten Herrschaft dienen, wie Schmucksteine, Schmuckmetall o.ä.) nicht so in der unmittelbaren Nachbarschaft vorhanden bzw. produzierbar sind wie Subsistenzmittel (Getreide), müssen diese aus immer größerer Entfernung beschafft werden. Es entsteht der"Fernhandel" (rätselhafterweise vor dem lokalen Handel) der nicht Alltagsgüter beschafft, sondern just diese Macht- bzw. Machtdarstellungs- oder -dokumentationsmittel).
>Der mit Hilfe von bewaffnetem Zwang eingeforderte Tribut startet also die Überschussproduktion ("Mehrwert") in naher Distanz und die Beschaffung machspezifischer Güter aus erweiterter Distanz ("Fernhandel"). Die Produktivität der Macht, d.h. also die Erzwingung der Beschaffung und Ablieferung von Gütern zum indirekten oder direkten Machterhalt mit Hilfe von mit relativ geringem Aufwand (Metall plus Schmiede) erstellbaren und monopolisierbaren Machtmitteln startet das, was wir"Wirtschaften" nennen und erhält es bis heute. Ohne mit Staatswaffen erzwungenes Abgabenmonopol entfällt nicht nur das Abgabengut ("Geld"), sondern auch der Abgabentermin und damit der"Zins".
>Geld und Zins sind Machtderivate. Entfällt die Macht, entfallen diese und wir kehren wieder zur ursprünglichen Subsistenzwirtschaft zurück. Was natürlich nicht geschehen wird, weshalb das alte immer gleiche Elend nicht enden dürfte.
>Gruß!
>Noch dazu:
>>Dottore,
>>In Deinen Ãœberlegungen stimmt doch etwas nicht.
>>Wenn die Leute Subsistenzwirtschaft betreiben, dann lohnt es sich für unseren Zwingherren gar nicht, sich irgendwo niederzulassen oder gar eine Burg zu bauen.
>Du unterschätzt die Produktivitätsreserven, die sowohl im Land selbst (nur die Hälfte der Felder wurde zunächst bestellt) als auch die in der das Land bearbeitenden Bevölkerung stecken. Ansonsten siehe oben.
>>Nur wenn die Leute von sich aus schon zum Tausch produzieren, werden ja überhaupt erst die nötigen Mittel frei, um die Burg zu bauen und die Waffen zu schmieden.
>Gerade die Tauschtheorie beweist, dass es Produktivitätsreserven gegeben haben muss. Sie wurden jedoch nicht zur Erstellung von privaten Tauschgütern verwendet, sondern zur Erstellung von an den Zwingherrn abzuführenden Abgabengütern. Hätte sich der Zwingherrr mit der Abforderung der Tauschgüter beschieden, wäre deren Produktion einfach eingestellt worden - und dann? Es kann jeder zur Abgabe der Tauschgüter gezwungen werden, aber nicht zu deren Herstellung als Tauschgüter. Oft genug wurde der Handel in der Geschichte nach Einführung prohibitiver Zölle eingestellt und mit dem Handel selbstverständlich auch die Produktion. Außerdem wurden gerade Subsistenzgüter nicht getauscht (keinerlei frühe historische Evidenz, Fehlen von innerstdtischen"Märkten"). Die stellte jede Wirtschaftseinheit selber her oder sie forderte sie ab, so dass Subsitsenzgüter zusätzlich erstellt, abgegeben und redistributiert wurden.
>>Schließlich muß auch unser Zwingherr selbst erstmal von den Zwängen des Alltags befreit sein, sonst hätte er ja gar keine Gelegenheit zu räubern, würde vielmehr binnen kurzem Hungers sterben.
>Gerade der Alltag zwang ihn dazu, andere zur tributären Produktion zu zwingen, siehe oben. Die Eroberer bedienten sich jeweils unterwegs, bis sie in den Produktionszentren angekommen waren, die sie dann zur Surplus-Produktion zwingen konnten.
>>Du siehst also: Das Wirtschaften wird zwar durch den Staat entscheidend befördert, es existiert aber auch schon ohne und vor allem vor ihm - das geht gar nicht anders, weil zumindest diejenigen die den Staat machen, zeitweise von der Arbeit freigestellt sein müssen um Kräfte zu sammeln und Waffen zu bauen.
>Zur Entstehung der tributären Produktionsweise, siehe oben. Die kritische Grenze für den Übergang lag bei 5 ha Siedlungsfläche und 800 Einwohnern, wobei für die Ernährung einer Person zwiwchen 0,3 und 0,5 ha bebaute Fläche angenommen wird. Das auf Waffenzwang basierende Tributsystem rentiert sich sehr schnell. 5 Leute unterjochen 100. 5 davon müssen äußerstenfalls beseitigt werden, es sei denn die 100 verzichten auf 5 % ihres Inputs. Danach müssen 100 für 105 arbeiten oder 95 für 100. Die Waffenproduktion war kein Problem. Ein Schmied kann am Tag unschwer 3 bis 5 Stück Gewaltwaffen produzieren. Der Schmied war die zentrale Figur. Deshalb wurde er gefangen gehalten und sein Wissen war geheim.
>>Der Staat ist letztlich nur eine besondere Form des Tausches Ware gegen Ware -ein Derivat des Marktes nichts sonst.
>Der Staat tauscht nichts. Er zwingt zur Abgabe von Gütern, später"Geld". Beides muss zusätzlich produziert werden. Auch die Herstellung von"Geld" war geheim und beim Herrscher monopolisiert (gilt bekanntlich bis heute). Selbst die älteste Abbildung der Münzherstellung (Sächsische Flugschriften 1530, siehe Textedition von Prof. Stadermann dazu, hier schon mal ausführlich diskutiert) ist gefälscht, siehe"Geldgeschichtliche Nachrichten", Nov. 1998, S. 309, auch Caspar 1974:"Indiz dafür, wie wenig Außenstehende über die wirklichen Vorgänge in Münzstätten informiert waren"). Die älteste Gold/Silber-Raffinerie war der geheime Staatsbetrieb des Kroisos (ausführlich Ramage/Craddock, King Croesus' Gold, BM 2000, u.a. 78 zum Rätsel um sein Verschwinden).
>Markt und Tausch sind Derivate des Tributsystems (Staat) - sonst nichts.
>Die Vorstellung einer a priori privaten Wirtschaft mit weit spannendem Handel & Wandel, zu dem sich (wann überhaupt?) segensreich ein"Ordnungsfaktor" und"Tauscherleichterungshelfer", genannt Staat gesellte (obendrein per allgemeinem Konsensus, siehe"Gesellschaftsvertrag") ist leider komplett falsch.
>Wie gesagt: Ich hatte dieser"freiheitlichen" Vorstellung auch jahrzehntelang angehangen und habe mich nur schweren Herzens davon verabschiedet. Aber die in den letzten Jahren hereinbrandende Evidenz aus vielen nicht-ökonomischen Wissensbereichen war überwältigend. Die Redlichkeit gebietet es zuzugeben: Ich habe mich geirrt!
>Aber selbstverständlich kann es jeder andere mit seinem Weltbild halten wie er möchte.
>Nochmals Gruß!
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