-->Die Mär vom Abbau der Unternehmensschulden - Warum die Deflation nur überwintert, um später um so munterer wieder aufzukeimen
(12.09.2003)
Eines der Argumente, die nicht nur die Haussiers an der Wall Street, sondern auch jene gerne anführen, die in abnehmendem Schuldendruck eine Normalisierung der monetären Verhältnisse rund um den amerikanischen Dollar sehen, sind die „Reparaturarbeiten“ der US-Unternehmen an ihren Bilanzen. Reparaturen stehen für Schuldenabbau.
Dieses Argument klingt angesichts der Pein, die das schwache Wirtschaftswachstum und der Verlust an „pricing power“ den Unternehmen in der jüngeren Vergangenheit zugefügt haben, logisch, bestechend und für die Zukunft verheißungsvoll.
Doch dieses Argument ist ein Mythos. James Montier, einer der Londoner Strategen von Dresdner Kleinwort Wasserstein legt dies jetzt in einer ausführlichen Analyse dar. Er weist nach, dass die Netto-Verschuldung jener im Standard & Poor’s 500 Index (S&P 500) enthaltenen US-Unternehmen, die nicht dem Finanzsektor zuzurechnen sind, im zweiten Quartal 2003 gegenüber dem ersten um fast 3 Prozent gestiegen ist.
Mehr noch: Die Nettoverschuldung der Unternehmen habe am Ende des zweiten Quartals um nicht weniger als 23 Prozent über dem Niveau gelegen, das während des Höhepunkts der spekulativen Blase zu verzeichnen gewesen sei, erklärt Montier.
Für bemerkenswert hält er, dass sich die höhere Verschuldung über alle Sektoren des S&P 500 erstreckt. Auf nur 50 Unternehmen konzentrierten sich 90 Prozent der höheren Verschuldung, allen voran General Electric.
James Montier wirft unter anderem die Frage auf, warum eine so große Zahl bedeutender US-Unternehmen ihre Verschuldung gesteigert hat. Für ihn lautet die einleuchtendste Erklärung, dass die Verantwortlichen eine zyklische Erholung der Wirtschaft in den USA ganz schlicht mit einer strukturellen verwechselt haben könnten. Die führenden Manager seien notorisch massiv überoptimistisch. Sie erhöhten die Verschuldung im Zuge eines Aufschwungs, nur um dann beim nächsten Abschwung um so heftiger mit den Konsequenzen der höheren Schulden kämpfen zu müssen.
Die Montiers Studie kommt uns gerade zur rechten Zeit, um wieder einmal an Folgendes zu erinnern: Die Schulden des Privatsektors vor allem in den USA sind der bedeutendste Einzelfaktor für das Fortbestehen der Deflationsgefahren.
Das gegenwärtige Gerede über das Ende der Deflationsgefahren und über die Zunahme der langfristigen Inflationsrisiken ist nur Augenwischerei. Die Verschuldung des Privatsektors, also der Unternehmen und der privaten Haushalte, muss drastisch abgebaut werden, bevor Hoffnung auf einen wirklich soliden Wiederaufschwung der Weltwirtschaft aufkommen kann.
Was derzeit für Optimismus sorgt, ist eine kleine, zeitlich begrenzte Konjunkturerholung, wie sie in Japan während der vergangenen 13 Jahre immer wieder einmal auftrat. Diese Erholung unterbricht den Prozess des forcierten Schuldenabbaus nur.
Der nächste Abschwung wird noch schmerzhafter. Ob es der letzte Teil des Abstiegs ins Tal der Tränen sein wird, weiß niemand zu sagen. Der Boden dieses Tals entzieht sich nämlich noch dem Blick. Aber es spricht einiges dafür, dass ihn große Teile der Karawane wegen der erlittenen Auszehrungen gar nicht mehr erreichen.
Ein gewichtiges Indiz dafür ist, dass den Moribunden niemand mehr helfen kann, weil die Medizin ausgegangen ist oder nicht mehr wirkt. Ersteres steht für die exzessive Staatsverschuldung, die keine Steigerung mehr zulässt, Letzteres für die am Ende angelangten herkömmlichen Optionen der Geldpolitik.
Arnd Hildebrandt
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