-->Hi,
ich erlaube mir, einen neuen Thread zu eröffnen, um einen speziellen Aspekt der Gewalttheorie zu würdigen: "Die ambulante Herrschaftsausübung" (Hans Conrad Peyer in Könige, Stadt und Kapital, NZZ, 1982, 98 ff.; Peyer war Zürcher Stadtarchivar und Ordinarius für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Schweizer Geschichte; die Zitate von ihm).
Es ist allgemein bekannt, dass die Herrscher des MA ständig auf Reisen waren (Albernheiten wie Karl den Großen, der Tag und Nacht im Sattel gesessen haben müsste, um sein überliefertes Itinerar zu bewältigen, lasse ich mal weg). Noch im Sachsenspiegel ist die Rede von vier Pfalzen, die laufend besucht wurden.
Eine Vorstellung vom Sachsenspiegel
Der Herrscher reiste natürlich nicht zum Vergnügen, sondern zunächst, um seinen Herrschaftsbereich erneut"abzustecken" und bestätigen zu lassen, danach um die"Gastung" einzufordern, welche zunächst"Königsgastung" war, also das Inkasso der servitia regis, womit er seine Machtstellung finanzierte (was das Vorfinanzierungsproblem der Macht erledigte), dann eine allgemeine Gastung, welche "vor allem die Kirchen und Städte stark belastete" (101).
Wie schon der Finanzhistoriker Brussel Mitte des 18. Jh. nachzuweisen versuchte, war das Reisen auf die Gewinnung von Einkünften angelegt, wobei das direkte Inkasso schließlich nur noch einen Bruchteil des Gesamtinkassos ausmachte (3000 von 300.000 Pfund) - aber: das Ausüben von Macht und ergo Inkasso war da (13. Jh.) bereits von Geldabgaben abgelöst bzw. von den"Besuchten" abgekauft worden, die ja nie bezahlt hätten, wären sie nicht vom König dazu gezwungen gewesen, der jederzeit mit Truppen auf der Bühne erscheinen konnte.
[Also das klassische Phänomen der Allgegenwärtigkeit der Staatsmacht, das wir ja bis heute kennen, wo keiner weiß, ob nicht plötzlich die Steuerfahndung auf der Matte steht.]
Die Reiserei war nicht nur in Deutschland und Frankreich ausgeprägt, sondern allenthalben, weshalb das Phänomen"Hauptstadt" - im Gegensatz etwa zu den Erscheinungen in Griechenland und weiter östlich - so"spät" erst daherkommt.
Beispiele:
1. Flandern."Auch nach dem ersten Umritt waren die Herzöge ununterbrochen unterwegs... kaum je länger als 14 Tage, meist aber nur etwa 3 Tage an einem Ort."
2. Spanien. (Ferdinand III.)"durchzog große Teile des Landes, ließ sich in den wichtigsten Städten huldigen..." (zur Huld als Pendant zur Schuld, d.h. es deren"Lösung" zahlreiche Fundstellen, u.a. (Dt. Rechtswörterbuch):
Hulde (V 3)
übertragen Lösegeld, Schatzung.
sy legten sy [gefangene Bürger] in den ratturn, neunczehen tausend gulden mustens zu hulden
1465 Beheim,Wiener 270
Hulde (V 3)
sich Hulde machen [Verzeihung gewinnen].
sechzehen schilling ist ein baar gulden, damit bezahl deine schulden, steh auf, bitt ab und mach dir hulden
1663 CAustr. III 188 []
Die Gastung im 11. Jh. auf der Iberischen Halbinsel"meist schon in eine Geldleistung umgewandelt... Die in Geld umgewandelte Gastung wurde so zu einer eigentlichen unveränderlichen Steuer, deren Wert durch die dauernde Geldentwertung des Spätmittelalters fortwährend verringert wurde." (104).
3. England:"Zahlreiche Orte..., an denen Hoftage, witenagemots, stattfanden... Schon zur Zeit Alfreds des Großen begann man, das feorm [= firma des Königs, interessant wo unser Wort"Firma" herkommt!] in Geld umzurechnen. Es wurde allmälich zu einer Geldabgabe." (105 f.)
4. Irland. "Die Stämme Irlands erscheinen nun als eine eigenartige Verbindung von herrschenden, viehbesitzenden Nomadengeschlechtern, Söldnern und Räuberclans und unterworfenen Ackerbauern und Viehbetreuern. Es wird vermutet, dieser Zustand sei schon in früherer Zeit durch die Unterwerfung älterer sesshafter Bewohner der Insel durch spätere erobernde Eindringlinge entstanden. So erscheint hier Herrscherreise und Gastung als das Ergebnis einer Überschichtung von Ackerbauern durch nomadisierende Krieger." (107)
5. Schottland."Jedenfalls war auch dort der König im 12. Jh. ständig auf der Reise von Gebiet zu Gebiet und von Burg zu Burg und lebte von... Naturalabgaben." (108).
6. Schweden. Dort wurden sogar Geiseln gestellt, damit dem König im jeweiligen Gebiet, wo er kassierte,"nichts passierte".
7. Norwegen. Das Gefolge wurde schließlich auf 400 bis 600 Mann beschränkt [was damals nicht etwa aus Kammerdienern und Zofen bestand, sondern aus Truppen - warum wohl Truppen?]
Sehr interessant die Parallelen dazu außerhalb Europas:
8. Äthiopien:"Ein Reisethron, Reiseältäre, Kirchen-, Schatz-- und Gerichtszelte wurden mitgeführt" (111). Die Reise ist noch auf Aktien der äthiopischen Eisenbahn zu bestaunen (Abb. leider nicht gefunden).
9. Uganda."Wenn der König mit seinem Hofstaat... erschien, musste ihm der Distrikt die Tribute dorthin liefern und alle Rinder des Gebietes in einem oft tagelangen Zug vorführen." (112)
10. Nordafrika. Die Berglerbeys von Tunis und Algier und der Sultan von Marokko pflegten... mit ihrem Hofstaat und Truppen jedes Jahr eine gleichmäßige Rundreise durch ihre Reiche zu unternehmen, um ihre Autorität zu sichern und Tribute einzutreiben." (112)
11. Südsee. (Ponape, Mikronesien)"Der König verlegte seine Hofhaltung von einem Landesteil in den anderen, damit... auch die Belastung der Bevölkerung abwechselte." (113)
Und so fort...
Summa (114):
"Die Erghebung eines Stammes, eines Teilgebiets oder auch nur einer Familie zum gemeinsamen Herrscher über eine Vielfalt von Stämmen und Gebieten... hat doch vieles mit solchen Überschichtungen gemeinsam."
Die Entstehung von Herrschaft als mit bewaffnetem Zwang operierende Inkasso-Macht, die sich vice versa durch das Inkasso finanzierte, allerdings bei"Geldabgaben" dann in Probleme geriet (Machtverlust, Ausnahmegenehmigungen, Erteilung von"Privilegien", danach logischerweise"Vorgriffe" auf Tribute, alias Staatsschulden, usw.), stellt sich immer klarer dar.
Gruß!
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