-->SPIEGEL ONLINE - 18. September 2003, 12:07
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Die Befreiung von Jessica Lynch
"That's great." George W. Bush zur Aktion der US-Streitkräfte zur Befreiung von Private Jessica Lynch, 2. April 2003.
Es war eine dramaturgisch gelungene Inszenierung - und Jessica Lynch wird mit ihrer Story genug Geld für lange Zeit verdienen. Die 19 Jahre alte amerikanische Soldatin geriet frühzeitig in die Hände irakischer Soldaten. Aus Armeekreisen hieß es später, Jessica Lynch habe sich mutig verteidigt und geschossen, bis ihr die Munition ausging. Es hieß auch, dass sie von feindlichen Kugeln getroffen worden sei. Zwei ihrer Kollegen starben - fünf gerieten in Gefangenschaft. Und dann sei Lynch auch noch in einem Krankenhaus in Nassirija misshandelt worden.
Doch nach einer Woche wurde sie am 2. April - trotz heftiger Gegenwehr der irakischen Bewacher - von einer US-Elitetruppe befreit. Und wie es der"Zufall" wollte, wurde die Befreiungsaktion wurde auch noch mit Nachtsichtgerät und Videokamera aufgenommen. Glücklicherweise führte auch noch ein Kameramann aus Hollywood Regie, der schon als Assistent von Ridley Scott bei den Dreharbeiten zu dem Kriegsfilm"Black Hawk Down" tätig war.
Innerhalb von Minuten brachte das Spezialkommando Jessica Lynch in einen Helikopter und flog sie in ein Militärkrankenhaus. Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg war ein amerikanischer Kriegsgefangener aus den Händen des Feindes befreit worden. Jessica Lynch wurde zur ersten Heldin des Krieges. Lynch wurde das Covergirl des"People"-Magazins. Soweit die Inszenierung.
Als erste Zweifel kamen, schrieb Donald Rumsfelds Sprecherin Victoria Clarke einen Brief an die"Los Angeles Times":"Die offiziellen Sprecher in Katar und Washington haben die Ereignisse akkurat wiedergegeben. Dem zu widersprechen ist eine schwer wiegende Beleidigung der tapferen Männer und Frauen, die an der Aktion beteiligt waren."
Tatsächlich war Lynchs Einheit vor ihrer Gefangenschaft einfach nur falsch abgebogen. Lynchs Fahrzeug wurde in einen Verkehrsunfall verwickelt, bei dem sie sich ein Bein brach und stark blutete. Glücklicherweise konnten ihr Angehörige des behandelnden Arztes Blut spenden - sonst hätte diese große Heldengeschichte womöglich nicht jenes Happy End, das die amerikanische Kriegspropaganda so dringend benötigte.
Allerdings hatte das Krankenhauspersonal schon vor ihrer Befreiung versucht, Kontakt zu amerikanischen Soldaten aufzunehmen. Doch die Amerikaner schossen auf den Krankenwagen, in der sich die geschwächte Patientin befand. [img][/img] Und als die US-Elitetruppe später das Krankenhaus stürmte, war kein Bewaffneter mehr in der Nähe.
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