-->Die Privatanleger sind wie entfesselt
Wallstreet
von Martin Halusa
Während sich der Aufsichtsrat der New York Stock Exchange (Nyse) auf die schwierige Suche nach einem geeigneten Nachfolger für den geschassten Börsenchef Richard Grasso macht, begeben sich die amerikanischen Investoren wieder auf die Jagd nach Schnäppchen. Lange ist es her, dass die Anleger mit einem derartigen Mut an die Börse geeilt sind. Hasardeuren gleich nehmen sie viel Geld in die Hand - sei es eigenes oder fremdes - um an Wall Street ihr Glück zu finden. Und manchmal erscheint es, als habe es die im März des Jahres 2000 geplatzte Bubble nie gegeben, als hätten die Investoren aus den Schäden nicht gelernt, und als sei Amerika wieder ein Land voller Spekulanten.
Die Amerikaner haben eben eine viel optimistischere Lebenseinstellung als bei uns. Das ist wohl ein Geheimnis ihres Erfolges
Gruss
Otto
Nur noch wenige Tage dauert es - so hat es zumindest derzeit den Anschein -, dann wird der Dow Jones Index wieder die magische Marke von 10.000 Punkten übersprungen haben. Selbst an Tagen, an denen die New Yorker Börse wegen des Abgangs von Grasso führungslos ist, hüpft der Dow um hundert Punkte in die Höhe. Der Optimismus zieht sich quer durch alle Börsenbarometer: Der High-Tech-Index Nasdaq Composite hat in den vergangenen zwölf Monaten um 50 Prozent zugelegt.
Wie entfesselt stürzen sich private Investoren auf die Titel kleiner, weitgehend unbekannter Firmen, die keine Dividende zahlen, keinen Gewinn erzielen und zudem hoch verschuldet sind. Viele Anleger verschulden sich bis über beide Ohren, leihen sich bei ihrer Bank Geld, um ja am Goldrausch des Jahres 2003 beteiligt zu sein.
Die Investoren riskieren viel: Seit Jahresbeginn haben sie 174 Mrd. Dollar ausgeliehen, um sich mit dem Geld Aktien zu kaufen. Dieser Wert liegt 25 Prozent höher als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Ã-konomen warnen: So etwas kann ins Auge gehen, wie die geplatzte Börsenblase vor gut drei Jahren eigentlich hätte lehren müssen. Nach den Regeln der Federal Reserve kann ein Anleger für die Hälfte des Aktienwertes Geld bei seinem Broker leihen, um noch mehr Aktien zu kaufen. Der Broker wiederum berechnet dafür Zinsen zwischen vier und sieben Prozent.
Das Geschäft läuft gut, so lange die Kurse steigen. Sacken Aktien hingegen erst einmal ab, kommen die so genannten"Margins calls" - die Broker verlangen ihren Einsatz zurück. Wenn die Kurse weiter fallen, müssen die Anleger dann draufzahlen. Beim Online-Broker Etrade haben sich Kunden in diesem Jahr bereits zu 1,23 Mrd. Dollar verschuldet; bei Ameritrade stehen sie allein für den Zeitraum von Mai bis Juni mit 1,9 Mrd. Dollar in der Kreide.
Noch scheint den Privatanlegern die Entwicklung mancher Kurse Recht zu geben: Der Titel der Suchmaschine Ask Jeeves hat sich beispielsweise seit Januar dieses Jahres um 570 Prozent verteuert, die Aktie des in den roten Zahlen steckende Unternehmens XM Satellite Radio um 300 Prozent. Klar, das sind keine 2670 Prozent wie damals bei Qualcomm. Aber immerhin: Mehr als 120 Unternehmen, deren Marktwert unter 500 Mio. Dollar liegt, haben ihren Kurs in diesem Jahr schon verdoppelt; 40 Prozent von ihnen erwarten im laufenden Geschäftsjahr keinen Gewinn.
Nach drei Jahren Abstinenz haben die Zocker unter den Anlegern wieder Geschmack am Risiko gefunden. Die Verlockung ist einfach zu groß: Die Investoren wollen nun das Geld wieder einspielen, das sie im Rausch der High-Tech-Euphorie verloren haben. Mit Spannung erwartet Wall Street nun die Berichtssaison für das dritte Quartal. Sollten sich die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllen, könnte aber so mancher Traum vom schnellen Geld bald wieder zerplatzen.
Auch in der abgelaufenen Woche waren die drei Indices wieder deutlich im Plus: Der Dow Jones erhöhte sich um 1,8 Prozent und steht nun bei 9644 Punkten. Der Standard & Poor's 500 legte um 1,7 Prozent zu und hat nun einen Stand von 1036 Zählern erreicht. Der Nasdaq Composite kletterte im Wochenverlauf sogar um 2,7 Prozent. Endstand: 1905 Punkte.
Artikel erschienen am 22. Sep 2003
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