Cash flow, stille Reserven, Ergebnis der gewöhnlichen GeschĂ€ftstĂ€tigkeit - so manchem Laien brummt der SchĂ€del, wenn er sich an Wirtschaftsmeldungen versucht. Auch Fachleute mĂŒssen aufpassen, dass ihnen nicht ein X fĂŒr ein U vorgemacht wird. Denn in den Jahresbilanzen können die Unternehmen tricksen, schönen, verstecken, fast ganz nach Belieben und fast immer legal.
âTrau keiner Statistik, die du nicht selbst gefĂ€lscht hast.â Der Spruch ist so bekannt wie banal. Beim Thema Bilanzen trifft er ins Schwarze. Das deutsche Handelsgesetzbuch (HGB) stellt es in manchen Punkten in das Ermessen des Unternehmers, was er bilanziert und in welcher Höhe er es tut. Beliebte Posten sind Abschreibungen und RĂŒckstellungen.
REICH ODER ARM, ALLES IST MACHBAR
Die Firmen können sich je nach Bedarf reich oder arm rechnen - reich rechnen, wenn sie wirtschaftliche Schwierigkeiten verbergen wollen, arm rechnen, um das Finanzamt und die AktionĂ€re im Zaum zu halten. âDenn nicht um Offenheit und die Interessen der AktionĂ€re geht es (...), sondern um Kungeln, GeheimniskrĂ€merei und die eigene Machterweiterungâ, so die These des Wirtschaftsjournalisten Tasso Enzweiler in seinem Buch âDie Bilanzjongleureâ. Seine Fazit ist ernĂŒchternd: Am Ende ist der AktionĂ€r immer der Dumme.
SpektakulĂ€res Beispiel: Der Bremer Vulkan Verbund ging 1996 Pleite, obwohl der Konzern zuvor einen Gewinn nach Steuern von 57 Millionen Mark ausgewiesen hatte. Enzweiler geht davon aus, dass der Konzern so lange an der Gewinn- und Verlustrechnung herummanipulierte, bis aus Verlusten Gewinne wurden. Dazu wurden Einnahmen durchgĂ€ngig mit Gewinn gleichgesetzt und RĂŒckstellungen aufgelöst. Die AktionĂ€re verloren viel Geld. Beim aufmerksamen Lesen der Bilanz hĂ€tten die Alarmglocken schrillen mĂŒssen.
âEs gibt keine besseren Zahlen.â
â FRANZ-JOSEF LEVEN
Volkswirt beim DAI Oder: AOL soll 1995 und 1996 Werbekosten in dreistelliger Millionenhöhe falsch verbucht haben. Mit korrekt verbuchten Kosten hÀtte der Online-Dienst in sechs von acht Quartalen rote statt schwarze Zahlen geschrieben.
Der entgegengesetzte Fall. Volkswagen steht wirtschaftlich so gut da, dass das Geld âverstecktâ wird. Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren die Bewertungsmethoden geĂ€ndert, stille Reserven aufgebaut, Abschreibungen hoch angesetzt. So gelang es VW laut Enzweiler innerhalb von vier GeschĂ€ftsjahren, insgesamt mehr Gewinn zu drĂŒcken (die Summe liegt bei sechs Milliarden Mark) als offiziell auszuweisen (4,64 Milliarden Mark).
DIE SACHE MIT DEM VERTRAUEN
Andere Wirtschaftsexperten sehen die Lage nicht gar so ernst wie Enzweiler: âEs gibt keine besseren Zahlenâ, meint Franz-Josef Leven, Volkswirt beim Deutschen Aktieninstitut (DAI). âEs ist alles ein Vertrauensspielâ, sagt Sven Brouwers, Analyst beim Bankhaus Lampe in DĂŒsseldorf. Er empfiehlt, die Unternehmen lange zu beobachten und sich nicht auf das Urteil von Börsengurus zu verlassen.
âDer normale AktionĂ€r hatâs schwerâ, gesteht Reinhart Schmidt, Professor fĂŒr Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre an der UniversitĂ€t Halle, ein. Aber mit dem Internet und den zahlreichen Wirtschaftspublikationen stehen dem Privatanleger zunehmend Informationsquellen zur VerfĂŒgung. Der Wissensabstand zum Experten wird geringer. Nun ist die Bilanz eines Unternehmens ohnehin nur ein Kriterium fĂŒr oder gegen einen Aktienkauf, aber so ganz ohne Zahlen aus der Vergangenheit sollte keine Entscheidung fĂŒr die Zukunft getroffen werden. Ein gesundes Misstrauen sollte den Anleger nie verlassen.
âWahrheit ist etwas Relativesâ, meint DAI-Volkswirt Leven. Wer Zahlen analysiere, mĂŒsse wissen, auf welcher Grundlage sie beruhen, wie sie berechnet werden. Dies sei bei Bilanzen nicht anders als bei der Arbeitslosenstatistik oder dem Bruttosozialprodukt. Information ist alles. Oder mit anderen Worten: Man muss sich reinknien.
HGB IM AUSLAND OHNE STANDING
Das HGB hat im Ausland einen schlechten Ruf, weil es den Unternehmen groĂen Spielraum lĂ€sst. Kapitalströme sind aber international. Ende vergangenen Jahres kamen immerhin 16 Prozent des in Deutschland angelegten Aktienkapitals aus dem Ausland. Um weltweit Investoren zu gewinnen, gehen immer mehr Firmen dazu ĂŒber, nach internationalen Standards zu bilanzieren - selbst wenn ihre Aktien nicht an auslĂ€ndischen Börsen gehandelt werden. FĂŒr die Unternehmen des Neuen Marktes ist es sogar Pflicht.
IAS UND US-GAAP IM KOMMEN
Diese Regeln, seien es die âGenerally Accepted Accounting Principlesâ (US-GAAP) oder die International Accounting Standards (IAS), verbieten das heimliche Aufbauen und Auflösen stiller Reserven. Sie erwarten, dass das Unternehmen einen tatsĂ€chlichen Eindruck von seiner Lage darstellt. Das HGB stellt dagegen den GlĂ€ubigerschutz in den Vordergrund, lĂ€sst drohende Verluste durch RĂŒckstellungen ausweisen, mögliche Gewinne aber nicht berĂŒcksichtigen. Doch auch bei US-GAAP heiĂt es aufgepasst. So ist es nach dieser Bilanzart möglich, die zur Bezahlung von Mitarbeitern zunehmend beliebten Aktienoptionen nicht als Aufwendung auszuweisen. Die Folge: Die Personalkosten erscheinen niedriger als sie es sind.
Angesichts der ErmessensspielrĂ€ume innerhalb des HGB und der unterschiedlichen Regeln der jeweiligen Bilanzierungsarten unterscheiden sich auch die Zahlen fĂŒr ein und denselben Sachverhalt. Es droht die Gefahr, Ăpfel mit Birnen zu vergleichen. Die Deutsche Vereinigung fĂŒr Finanzanalyse und Asset Management (DVFA), ein Zusammenschluss von Finanzexperten, versucht, Klarheit in den Zahlensalat zu bringen. Sie bereinigt den Gewinn eines Unternehmens um auĂerordentliche EinflĂŒsse, um vergleichbare Zahlen zu bekommen. Das von ihr ermittelte âDVFA-Ergebnisâ ist ein Begriff in der Finanzwelt.
In einer Frage sind sich alle Experten einig: Kriminelle Manipulation ist die Ausnahme. Denn wenn dies entdeckt wird, ist der Ruf der Firma ruiniert. Und das kann sich niemand leisten.
2. November 2000
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