-->Eine Taube macht noch keinen Aufschwung
Was uns Tierexperimente über das Angebot auf dem Arbeitsmarkt verraten
Die Steuern sind zu hoch - das ist wohl Konsens unter Ã-konomen. Nach einer kräftigen Steuersenkung, so die Idee, werden die Menschen mehr arbeiten, weil ihnen der Staat mehr in der Tasche läßt. Und mit mehr Arbeit und Anstrengung dürfte auch das sieche Wirtschaftswachstum wieder anziehen. Die Idee klingt einleuchtend: Niedrigere Steuern bringen höhere Löhne, und höhere Löhne bedeuten ein Mehr an Arbeitsangebot.
Doch wie so oft finden Ã-konomen ein Haar in der Suppe: Natürlich geben höhere Löhne einen Anreiz, mehr zu arbeiten, doch gleichzeitig bedeuten höhere Löhne ein höheres Einkommen - und würde man bei einem höheren Einkommen nicht doch etwas weniger arbeiten? Schließlich kann man jetzt mit weniger Arbeit einen gleich hohen Lohn erarbeiten und muß seine Konsumwünsche nicht zurückschrauben. Beide Argumente sind richtig, und Ã-konomen haben diesen beiden gegenläufigen Effekten einen Namen gegeben: Als Substitutionseffekt wird der Effekt bezeichnet, daß Menschen mit steigendem Lohn mehr arbeiten und Freizeit gegen Arbeitszeit eintauschen. Der Grund ist einleuchtend: Mit steigenden Löhnen steigen die Kosten der Freizeit in Form entgangener Löhne, und man ist eher bereit, auf die teurer gewordene Freizeit zu verzichten. Der zweite Effekt nennt sich Einkommenseffekt: Mit steigendem Einkommen können sich die Menschen mit weniger Arbeit ihre Konsumwünsche erfüllen; zudem sinkt mit steigendem Einkommen der Nutzen jedes zusätzlich verdienten Euro. Mit Blick auf den Einkommenseffekt kann man erwarten, daß bei steigenden Löhnen das Arbeitsangebot sinkt.
So richtig beide Argumente sind, so schwer lassen sie sich in der Praxis trennen, da sie sich überlagern. Ist der Substitutionseffekt größer als der Einkommenseffekt, dann werden die Menschen bei steigendem Einkommen mehr arbeiten; siegt der Einkommenseffekt, dann sinkt mit steigenden Löhnen das Arbeitsangebot. Um etwas über die Stärke beider Effekte zu erfahren, haben Wissenschaftler auf für Ã-konomen eher ungewöhnliche Studienobjekte zurückgegriffen: Sie haben das Erwerbsverhalten von Ratten und Tauben untersucht.
Des Design des Experiments war simpel: Die Tiere mußten eine bestimmte Arbeit - einen Schalter betätigen, ein Laufrad bedienen - ausführen, um etwas zu fressen zu bekommen. Und das Verhältnis zwischen der Anzahl der Sekunden, die sie diese Arbeit ausführen mußten und der Menge des Futters stellte den Reallohn dar. Indem man den Reallohn variierte, gleichzeitig aber den Tieren ein"arbeitsfreies" Einkommen zur Verfügung stellte, konnte man den Substitutionseffekt isolieren und die Reaktion der Tiere auf Lohnveränderungen untersuchen, bei denen die damit verbundene Veränderung des Einkommens durch das arbeitsfreie Einkommen kompensiert wurde.
Die Ergebnisse der Studien sind eindeutig: Beide Effekte haben die prognostizierte Wirkungsrichtung, und beide Effekte werden mit steigendem Einkommen geringer. Da aber der Substitutionseffekt stärker sinkt als der Einkommenseffekt, gilt ab einer bestimmten Einkommenshöhe, daß mit steigenden Löhnen das Arbeitsangebot sinkt - Freizeit ersetzt Arbeit.
Natürlich sind diese Studien mit Vorsicht zu genießen, niemand will die Verhaltensbeobachtungen von Tierexperimenten auf Menschen übertragen. Zudem können Menschen ihre Arbeitszeit - und damit ihr Arbeitsangebot - nicht so frei variieren, wie die Tiere in den Experimenten. Wer mit seiner Arbeitsbelastung am Limit ist, wird sein Arbeitsangebot nicht steigern, egal wie weit die Steuern sinken und die Löhne steigen. Und oft scheitert der Wunsch nach mehr oder weniger Arbeit an den Inflexibilitäten des Arbeitsalltages. Zumindest haben Beobachtungen bei New Yorker Taxifahrern, die ihre Arbeitszeit frei einteilen können, gezeigt, daß diese mehr arbeiten, wenn sie mehr verdienen können, und weniger fahren, wenn Saure-Gurken-Zeit ist. Vielleicht sind Tiere freizeitorientierter als Menschen, obwohl die Experimente gezeigt haben: Sie arbeiten auch, wenn sie ihr Futter kostenlos gestellt bekommen. Auch die Taube lebt nicht vom Brot allein.
R. Battalio; L. Green; J. Kagel: Income-Leisure tradeoffs of animal workers, American Economic Review, Vol. 71, pp. 621-632.
Henry Farber: Is tomorrow another day? The Labor supply of New Yorker Cab Drivers. NBER Working Paper 9706, 2003.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 05.10.2003, Nr. 40 / Seite 38
|