--> Aber Euklid!
Erwartest Du wirklich, daß der Staat immer das zurückgibt was er einsäckelt?
Natürlich ist das nicht so. Wir leben in einem sozialen Umverteilungsstaat. Aber das schon seit ein paar Jahrzehnten.
Das einzige was jetzt noch passiert ist doch, daß die Umverteilung größer wird weil immer mehr Leute durch Arbeitslosigkeit & Co. durch den Sieb fallen und irgendwie unterstützt werden müssen um nicht bis ganz unten durchzufallen.
Klar, auch ich finde es nicht gut, daß man soviele Abzüge hat. Aber schaue dir an wieviele Beispiele in der Geschichte es gibt wo die Revolutionen losgegangen sind. Die Politiker wissen ganz genau, daß erst vor rund siebzig Jahren schon einmal eine Radikalisierung in der Bevölkerung aufgrund von Armut & Arbeitslosigkeit stattfand. Sie werden einen Teufel tun und die Sozialhilfe extrem zusammenstreichen. Zumindest können Sie momentan nicht hergehen und - wie so einfach oft behauptet wird - denjenigen die arbeiten mehr Netto lassen und denjenigen die nicht arbeiten einfach so die Hälfte wegnehmen weil unterstellt wird, daß diese Leute"faul" oder"nicht bemüht" sind. In den 60er-Jahren bei Vollbeschäftigung kannst Du sowas machen. Denn da war jeder der wohl keine Arbeit gefunden hat tatsächlich faul oder ein Gammler. Aber heute geht das SO einfach nicht mehr.
Einfach die Sozialhilfe oder die Arbeitslosenhilfe kürzen und die Zumutbarkeitskriterien weiter verschärfen führt im Endeffekt zu Unruhe, Agressionen und am Ende vielleicht wieder zu einer Radikalisierung und steigener Kriminalität. Da bin ich mir 100% sicher. Man muß das ganze doch nur mal auf sich selbst beziehen. Man stelle sich vor man wird arbeitslos und hat eigentlich immer fleißig gearbeitet und dann soll man einfach im Regen stehen und irgendeinen x-beliebigen Job machen um wenigstens noch Wasser und Brot zu bekommen während andere 80% vom Bruttolohn wieder netto haben.
Zu was wird das führen? Zu einer sich weiter ausdehnenden Schere zwischen Leuten die eben mehr Glück haben und somit Arbeit und Leuten die weniger Glück haben und keine oder sehr sehr schlechte Arbeit.
Eine Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien kann durchaus Sinn machen. Auch eine Kürzung der Sozialhilfe. Aber sowas finde ich nur für richtig wenn man Faulheit und Gammlerei bekämpfen will. Doch unter den Arbeitslosen sind eben immer häufiger auch gebildete und fleißige Leute anzutreffen und eben nicht mehr nur Gammler und Faule. Das war vielleicht vor zwanzig Jahren mal so. Wenn jemand der faul ist und gammelt weniger Sozialhilfe bekommt dann wird der sich vielleicht auch ärgern. Aber den Sprengstoff stellen diejenigen Leute der Gesellschaft dar, die eigentlich bemüht und fleißig sind und die man dann mit immer größerem Druck (Zumutbarkeitskriterien, Kürzung der Arbeitslosenhilfe usw.) in immer schlechtere Jobs drücken will. Diese Menschen - und genau diese - werden sich radikalisieren und sich zur Wehr setzen.
Und auf Radikalisierung, Bürgerkrieg oder Selbstzerstörung des Staates oder Kriminalitätsraten wie in den USA kann ich verzichten! Man muß sich doch einfach nur mal das US-System anschauen. Auf der einen Seiten die Wolkenkratzer von Manhattans Bankenviertel und grad' ein paar Kilometer weiter ein ausgedehntes Gebiet, daß den Favelas in Brasilien schon ein wenig ähnelt (Harlem). Kann das unser Ziel sein? Vor allem sollte man bedenken, daß das US-amerikanische System für die gesamte Gesellschaft nicht besser ist wie unseres. Ja wenn man reich geboren ist und studieren kann dann mag man es in Amerika ja viel besser haben aber von unten rauszukommen ist schwieriger als z.B. in Deutschland.
Meine Haltung ist dann auch die, daß ich gravierende Einschnitte bei Arbeitslosenversicherung & Co. ablehne. Ich bin sehr wohl dafür, daß man Faulen und Gammlern mit einer starken Erhöhung des Drucks auf die Sprünge hilft. Aber es erwischt immer häufiger die Falschen. Nämlich Leute die aufgrund einer Insolvenz oder wegen Pechs arbeitslos werden.
Wir müssen von dem Denken loskommen, daß jeder der arbeitslos ist immer nur selbst daran Schuld ist. Es liegt schon lange nicht mehr bei den Arbeitslosen. 1960 wo es keine Arbeiter gab und wir uns Gastarbeiter geholt haben war praktisch keiner arbeitslos. Da bekamen selbst die allerschlechtesten Schüler wohl noch eine Lehrstelle. Heute besteht genau hier jedoch ein gravierender Unterschied. Heute gibt es so 400.000 offene Stellen und offiziell (und das ist so und so geschönt) 4,5 Millionen Arbeitslose. Davon zu sprechen, daß alle Arbeitslosen dann zu faul seien oder nicht genug bemüht ist wie das Spiel"Reise nach Jerusalem" aus dem Kindergarten. Wir haben 5 Stühle (das sind die Arbeitsplätze) und 20 Leute die um den Stuhlkreis herumlaufen. Wenn einer pfeift muß jeder versuchen sich auf einen Stuhl zu setzen. Egal wie sehr sich die Arbeitslosen auch bemühen werden und gegenseitig konkurrieren würden. Es werden immer 15 keinen Stuhl/Arbeitsplatz finden. Vielleicht würde sich die Zahl der Stühle/Arbeitsplätze um ein paar kleine unbequeme, brüchige Stühle erhöhen wenn jeder für die Hälfte des Lohnes arbeitet. Aber das kann's ja wohl wirklich nicht sein. Mit den brüchigen Stühlen meine ich übrigens Billigjobs.
In Wirklichkeit liegt die Arbeitslosigkeit in Deutschland m.E. bei mindestens acht Millionen bis zehn Millionen. Die Situation ist viel gravierender als in der Statistik mit etwa 4,5 Millionen Arbeitslosen dargestellt.
Man bedenke:
- wieviele Jugendliche derzeit in F- und G-Lehrgängen stecken und aus der Statistik rausfallen
- wieviele Leute nur Teilzeit arbeiten oder in Minijobs stecken aber in Wirklichkeit eigentlich lieber Vollzeit arbeiten würden und von daher nicht als arbeitslos gelten
- wieviele fleißige Menschen aus Hoffnungslosigkeit jedes Jahr hier auswandern weil sie keine Arbeit mehr finden
- wieviele Menschen in Frührente gehen weil man ja angeblich ab 45/50 teilweise schon zum alten Eisen gehören soll
- wieviele Menschen in unfreiwillige Selbständigkeit (z.B. ICH-AG oder komische Geschäftsideen) gedrängt werden oder diesen Schritt auch aus Hoffnungslosigkeit wagen (es sollen in den letzten fünf Jahren allein 600.000 gewesen sein).
- wieviele Jugendliche und Arbeitslose in Trainingsmaßnahmen, berufsvorbereitenden Jahren, für den Betrieb kostenlosen und für den Arbeits- oder Lehrstellensuchenden sinnlosen Praktika (da vom Arbeitsamt bezahlt) stecken.
- wieviele Leute in ABM-Maßnahmen stecken und in geförderten Arbeitsplätzen
- wieviele Leute gar nicht mehr beim Arbeitsamt gemeldet sind und auf's Sozialamt gehen. Ich kenne z.B. mindestens zwanzig Studenten die vor nem Monat mit mir ihr Diplom gemacht haben und jetzt beim Sozialamt sind oder wieder Student sind. Ganz einfach deswegen nicht beim Arbeitsamt gemeldet weil es eh nur Sozialhilfe geben würde und man dann in sinnlose Lehrgänge gesteckt wird weil eh keine Arbeit da ist. Die Arbeit ist einfach nicht da. Auf einzelne Trainee-Plätze kommen über tausend Bewerber. Selbst auf"normale" Sachbearbeiterstellen selten weniger als 200 bis 300. Die Leute sind zwar als Sozialhilfeempfänger registriert haben aber eine gute Ausbildung und sind arbeitswillig und fleißig. Also sind auch sie eher zu den Arbeitslosen zu zählen auch wenn sie nicht in der Statistik erscheinen. Viele sind auch als Studenten gemeldet weil der Status gewisse Vorteile hat. In Wirklichkeit sind sie keine Studenten sondern eigentlich auch einfach nur fleißige, arbeitswillige Arbeitslose die daheim sind und dauerhaft Bewerbungen schreiben und noch hoffen irgendwo Arbeit zu finden.
- wieviele Leute in Umbildung, Umschulung und sonstwo drinstecken
- wieviele Leute sich als Dauer-Praktikant über Wasser halten
- wieviele Leute sich nur durch Nebenjobs und Beihilfen durch Verwandte/Freunde/Verlobte & Co. über Wasser halten
- wieviele Leute sich einfach vom Arbeitsamt abgemeldet haben weil sie sich nicht länger mit Zumutbarkeitskriterien nötigen lassen wollen und die Arbeitslosenhilfe bzw. das Arbeitslosengeld eh kaum mehr ist als die Sozialhilfe (betrifft v.a. junge Menschen die nach der Ausbildung nicht übernommen wurden und arbeitslos sind aber arbeiten wollen. Leider sind 60% der Ausbildungsvergütung halt in den meisten Fällen doch weniger als Sozialhilfe. Ist schon ärgerlich!).
Zu all diesen Leuten kann man dann die offiziellen Arbeitslosen dazuaddieren. Dann langsam nähern wir uns der Realität! Und die liegt schon bei acht bis zehn Millionen Leuten die gerne Vollzeit arbeiten würden aber keine Stelle finden und dadurch andere Wege gehen müssen.
Die Verhältnisse sind schon katastrophal die momentan nach drei Jahren Stagnation herrschen. Ich sehe immer mehr negative Einzelschicksale auch in meiner Umgebung. Leute die ich kenne, die fleißig und bemüht sind finden keine Arbeit. Wenn ich dann manchmal die Sprüche höre, daß sie sich doch mehr oder noch mehr anstrengen müßten dann geht mir der Hut hoch. Leider meint halt ein Herr Clement trotzdem, daß Problem lösen zu können indem er die Zumutbarkeitskriterien verschärft. Wo sind die Arbeitsplätze Herr Clement? Das fragen sich die Arbeitslosen und auch die 30.000 Jugendlichen die nicht mal nen Lehrgang oder ein Praktikum bekommen haben oder solch' ne Lehrstelle die eigentlich keine ist.
<font color="#FF0000">Es muß endlich was passieren in diesem Land. Aber nicht indem man auf die Schwachen die bemüht sind und fleißig sind noch draufhaut!</font>. Das ist der falsche Weg und der führt zur Kriminalität und zur Wut. Diejenigen die wirklich faul und arbeitsunwillig sind das sind doch anteilsmäßig immer weniger! Die meisten wollen doch arbeiten aber bekommen nix. Ich seh's doch bei meinem Bruder. Seit Wochen hole ich bald alle Zeitungen aus der ganzen Gegend und es ist NICHTS(!) frei. Nicht mal was ähnliches, schlechterbezahltes. Null! Keiner seiner Kollegen die alle gekündigt wurden hat bisher einen Arbeitsplatz. Keiner!
Viele Grüße,
Sascha
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