-->Forschen im Teufelskreis
Harald Neuber 03.11.2003
Ein US-Virologe hat die Letalität des Mäusepockenvirus erhöht, zur Begründung führte er die gestiegene Terrorgefahr an - Experten fordern stärkere Kontrollen
Die Gefahr eines vermeintlich wachsenden internationalen Terrorismus hat sich inzwischen zur Standardbegründung für Grenzüberschreitungen jedweder Art entwickelt. Auch der Virologe Mark Buller von der jesuitischen Saint-Louis-Universität im US-Bundesstaat Montana erklärte nach seiner jüngsten Entwicklung:"Hätte ich es nicht getan, wäre die gleiche Arbeit in anderen Laboren erledigt worden."
Bullers letzte Entwicklung hatte am Wochenende zu Aufregung in der Forschergemeinde geführt: Durch ein zusätzliches Gen in dem Virus der Mäusepocken hatte Buller die Letalität des Erregers massiv erhöht. Während die Krankheit normalerweise zwar schwere, jedoch keine lebensbedrohlichen Symptome hervorruft, starben nun sämtliche Tiere.
Der US-Wissenschaftler baute mit seinem Experiment auf eine zufällige Beobachtung der australischen Kollegen Ron Jackson von der wissenschaftlichen Organisation CSIRO und Ian Ramshaw von der Australien National University auf. Die beiden Männer hatten vor fast drei Jahren zufällig eine erschreckende Entdeckung gemacht ( Tödliche Biowaffe).
Ursprüngliches Ziel ihres damaligen Versuches war es, bei den weiblichen Versuchstieren Abwehrreaktionen gegen die eigenen Eizellen hervorzurufen, damit sie abgestoßen werden. Das sollte die Vermehrung der Population einschränken. <font color=#FF0000>Ein Schelm, wer böses dabei denkt</font>
Jackson und Ramshaw benutzten das Mäusepockenvirus als Vehikel, um ein Gen zu transportieren, das für die Produktion von Interleukin-4 verantwortlich ist, einem Cytokin, das T-Helferzellen zur Stimulanz des Immunsystems motiviert. Doch der Effekt fiel entscheiden anders aus: Der veränderte Virus führte dazu, dass der Angriff der T-Helferzellen auf die infizierten Zellen völlig unterdrückt wurde. Das Immunsystem der Tiere erkannte die Erreger nicht mehr, die sich dadurch ungehindert verbreiten konnten. Binnen neun Tagen waren alle Tiere tot.
<font color=#FF0000>Vermutlich für die Herren Forscher dennoch ein geglückter, wenn auch nicht beabsichtigeter Effekt.</font>
Auch Bullers Experiment basierte auf einem Genimplantat. Das Interleukin-4 produzierende Gen setzte der Virologe in einem marginalen Teil des artspezifischen Pockengenoms ein."In Australien wurde das Gen in das Zentrum des Genoms eingefügt", erklärte der Wissenschaftler unlängst auf der Konferenz Smallpox Biosecurity: Preventing the Unthinkable. Weil er das zusätzliche Gen in einem Außenbereich eingefügt habe, sei die Verbreitung des Mäusepockenvirus massiv beschleunigt worden.
Hatten schon die Erkenntnisse der australischen Forscher im Januar 2001 zu erschrockenen Reaktionen geführt, wird die Debatte um notwendige Grenzen der Forschung durch das Buller-Experiment nun neu angeheizt. Der Protagonist sieht bei sich indes kein Verschulden. "Der veränderte Erreger", so rechtfertigte sich Buller nach dem Mäuseexperiment,"ist für den Menschen nicht gefährlich." Außerdem hätte er die Forschungsergebnisse nie vorgestellt,"wenn wir nicht zugleich zwei sichere Therapiemethoden entwickelt hätten und bald über eine dritte verfügten".
Gebrauchsanleitung für Terroristen
Der Virologe musste erkennen, dass das Virenmittel Cidofovir bei den veränderten Erregern nutzlos ist, in Kombination mit dem Impfstoff und bei"extrem hoher Dosierung" aber einigen der Versuchstiere das Leben rettete. Eben darin sieht Mark Buller die Legitimierung für seine Forschung."Wir erkunden die Wirkung veränderter Erreger, um zugleich Gegenmittel zu entwickeln", sagt der Wissenschaftler - und dreht damit die Welt auf den Kopf. Bevor"nichtfreundliche" Akteure die USA mit veränderten Viren angreifen, entwickelt man schon einmal das Gegenmittel. Das Problem dabei: Mit dieser Defensivforschung liefern die Forscher ihren imaginären Gegnern erst die Werkzeuge.
Tatsächlich werden die Ergebnisse stolz in der Fachpresse publiziert, was von mehreren Seiten als Gebrauchsanleitung für Terroristen verurteilt wurde. Die Motive hinter dieser Kritik sind unterschiedlich: Während Sicherheitsexperten in den USA für die Forschung hinter (den eigenen!) verschlossenen Türen plädieren, sprechen sich internationale Fachleute für eine freiwillige Selbstkontrolle der Wissenschaftspresse aus, um das gefährliche Wissen nicht unnötig zu streuen.
Zentrales Anliegen der Forscher aber ist die unmittelbare Kontrolle der Forschung."Es wäre notwendig gewesen, die Risiken dieser Arbeit im Vorfeld beurteilen zu lassen", sagt Elisa D. Harries, eine Rüstungsberaterin des ehemaligen US-Präsidenten William Clinton. In diesem Fall sei eben das sicher nicht geschehen.
Schwer wiegt daher Bullers Geständnis, auch mit dem Erreger von Kuhpocken experimentiert zu haben."Damit hat er eine Grenze überschritten", meint Jan van Aken von der US-deutsch Wissenschaftlervereinigung Sunshine-Project. Sicherlich müsse es defensive Forschung geben,"für dieses zweite Experiment gibt es aber keine nachvollziehbare Erklärung mehr. Entgegen dem Erreger bei Mäusen ist der Kuhpockenvirus auf den humanen Organismus übertragbar - und somit eine potenzielle Massenvernichtungswaffe".
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winkäää
stocksorcerer
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