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Die vorprogrammierte Klemme
(5) Jüdischer Glaube und Heiliges Land
Die Religion der Juden ist das Judentum, auch Judaismus genannt. Das heute weltweit praktizierte Judentum ist das rabbinische Judentum, das sich stark auf die Kommentare und Schriften der Rabbis gründet, von denen einige weit vor die Zeit Jesu zurückgehen... der Talmud, die Gamatria, der Sohar, die Kabbala usw. Diese Sammlung von Schriften kommentiert und interpretiert den „Tenach“, d.h. die jüdische Bibel, die für Christen das Alte Testament ist. Der Tenach, zusammen mit einem Großteil der rabbinischen Schriften, wird von religiösen Juden als heilig betrachtet.
Im Land Israel gibt es keine Trennung von Synagoge (Kirche) und Staat. Die orthodoxe Form des rabbinischen Judentums wurde zur offiziellen Staatsreligion der Juden, die bis vor kurzem die Bewegungen der Konservativen, der Reformer und des Rekonstruktionismus völlig ausschloss. In Israel gibt es kein Zivilrecht. Alle Vorgänge, die den Familienstatus einer Person betreffen, wie Heirat und Scheidung, müssen über die Religionsbehörden abgewickelt werden. Deswegen wird das Innenministerium immer von einer der religiösen Parteien geleitet.
Das Wesen des Judentums zu definieren und in der Frage „Wer ist ein Jude?“ zu bestimmen sind zwei Kontroversen, die heute die israelische Gesellschaft spalten. Jüdisch sein wird von der Rasse, der Religion und der Nationalität bestimmt. Jeder Ansatz, beim Versuch zu definieren wer ein Jude ist, diese drei Elemente von einander zu trennen, wurde stets sowohl vom säkularen als auch vom religiösen Establishment in Israel strikt abgelehnt. In Israel ist die rabbinisch orthodoxe Definition dessen wer Jude ist Gesetz: eine Person wird als jüdisch betrachtet, wenn ihre Mutter jüdisch ist oder wenn sie sich zum Judentum bekehrt hat.
Etwa zwei Drittel der jüdischen Israelis sind säkulare Juden, d.h. sie sind nicht religiös. Für ihre Lebensführung im Alltag haben die Lehren des jüdischen Glaubens keine Bedeutung. Für den einzelnen Israeli bleibt sein Jüdischsein eine höchst persönliche Angelegenheit; es ist mehr eine Frage der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe als zu einem Glauben. „Eretz Yisrael“, d.h. „das Land Israel“ ist für die säkularen Juden zufällig das Land, in dem sie leben. Außer der historischen Tatsache, dass die Juden vor langer Zeit dort gelebt haben, hat das Land für sie keine besondere weitere Bedeutung.
Im Weltbild des zeitgenössischen Judentums, sei es orthodox, konservativ, reformerisch oder rekonstruktionistisch, hat das Land Israel einen zentralen Platz. Besonders für religiöse Juden bleibt Israel nicht nur die Wiege des jüdischen Volkes, es verkörpert auch „seine letztendliche Bestimmung“. Wegen der allgegenwärtigen Bedrohung durch den Antisemitismus fühlen sich jüdische Menschen, die in der Diaspora leben, im Gegensatz zu israelischen Juden, in ihren wie auch immer gearteten Lebensumständen häufig nicht völlig dort zu Hause wo sie leben. Außerhalb Israels wird das Praktizieren des jüdischen Glaubens zur Bestätigung der eigenen Identität immer wichtiger und das Land Israel wird zur Zufluchtsmöglichkeit, die in einer feindseligen Welt das äußerst nötige Gefühl der Sicherheit verleiht. Die Tatsache, dass Israel nach zweitausend Jahren Zerstreuung wie ein Phönix aus der Asche des Holocausts aufstand, bleibt für viele Juden eine ständige Quelle des Staunens und der Freude.
Im heutigen Israel ist die Religion die eigentliche treibende Kraft hinter dem Zionismus. Der säkulare Zionismus brachte den Staat in Existenz und versucht nun seine Anteile zu halten. Der säkulare Zionismus ist nicht daran interessiert weiteres Gebiet zu erwerben; er will nur den Zustand des bestehenden Staates Israel festigen und verbessern. Der religiöse Zionismus jedoch möchte die jüdische Herrschaft über das traditionell biblische Land Israel errichten, das heute das Westjordanland genannt wird und die Heimat von etwa eineinhalb Millionen Arabern ist.
Religiöse jüdische Zionisten vertreten biblische (alttestamentliche) Anschauungen. Für sie beginnt die Geschichte ihres Volkes mit der Berufung Abrahams: „Und der Herr sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.“ (1. Mose 12:1 nach Luther, revidierter Text 1984). „Ab diesem Zeitpunkt war die nationale und geistliche Geschichte des jüdischen Volkes untrennbar mit dem Land der Verheißung verbunden. Über Generationen hat das jüdische Volk geglaubt, dass seine Existenz im Land ein Resultat der Treue Gottes gegenüber dem Bund war, den er mit Abraham geschlossen hatte, und wenn es aus dem Land zerstreut wurde, hatte es die Zuversicht, dass dieselbe Treue es eines Tages wieder zurück führen würde.“ (Miller in Mishkan)
Darüber hinaus hat immer Israels Gehorsam oder Ungehorsam gegenüber den Gesetzen Gottes entschieden, ob das jüdische Volk das Land besaß oder ob es daraus vertrieben wurde. Das moralische Verhalten des Volkes, sein Gehorsam, seine Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit ist wichtiger als das Festhalten am Land. „Das Land ist kein Selbstzweck“ (Miller in Mishkan), sondern ein Mittel Gott zu verherrlichen, Israel und der Welt Heil zu bringen - damit Israel „ein Licht für die Völker sei“ (aus Jesaja 42,6).
Wenn Israel Gefahr läuft sein Land zu verlieren, ist dies ein klares Zeichen dafür, dass Gott sein Volk auffordert umzukehren. Wenn Israel in Rebellion, Ungehorsam und Sünde verharrt, ist der Verlust des Landes eine sehr reale Bedrohung.
Diese beschriebenen Anschauungen motivieren religiös-jüdische Zionisten. Die Mehrheit der jüdischen Siedler, die sich im Westjordanland und in Gaza niedergelassen haben, glauben an ein israelisches Commonwealth, das in dem Land errichtet wird, das den hebräischen Patriarchen versprochen wurde. Sie sind der Überzeugung, das politische und religiöse jüdische Recht müsse überall in Kraft gesetzt werden. Dies sei der Beginn der lange erwarteten Erlösung und werde das Kommen des Messias beschleunigen.
Eine bestimmte Gruppe dieser religiösen Nationalisten wird „die Getreuen vom Tempelberg“ genannt. Diese Gruppe arbeitet auf den Aufbau eines neuen jüdischen Tempels hin, der auf dem historischen Platz des salomonischen und des herodianischen Tempels aufgebaut werden soll. Für sie sind die moslemischen Heiligtümer, die jetzt dort stehen, eine Schändung die verschwinden muss, selbst wenn dies Krieg mit dem gesamten Islam bedeutet. Diese Leute sind der Meinung, das gesamte Gebiet des biblischen Israel müsse unter jüdische Herrschaft gebracht werden. Mit den Palästinensern dürfe hinsichtlich Jerusalem oder hinsichtlich der Siedlungen in keiner Weise ein Kompromiss eingegangen werden, weil Gott ausdrücklich geboten habe, mit einem Feind niemals einen Kompromiss in Bezug auf das Land zu schließen. Diese Leute nehmen für sich in Anspruch, wirklich an den Gott der Tenach (des Alten Testamentes) zu glauben, und sie sind bereit, den Preis für ihre Überzeugungen zu bezahlen. Übrigens werden jüdische Gruppen wie diese häufig moralisch und finanziell von bestimmten evangelikalen Christen unterstützt, die Anhänger einer ähnlichen Eschatologie sind.
Unter den religiösen jüdischen Zionisten findet man viele moralisch aufrichtige Personen. Man kann auch eine beträchtliche Anzahl derer finden, für die der Zweck die Mittel heiligt. Diese Leute sind zu allem bereit, was ihr Anliegen fördert. Gutes moralisches Verhalten wird nicht dadurch garantiert, dass man in der Vergangenheit unter Antisemitismus gelitten hat (Holocaust, etc.) und dass man jüdischer Israeli ist. Gewalt von Siedlern gegenüber Arabern ist weit verbreitet. Jede Entschuldigung scheint recht zu sein, um Land zu enteignen, das sich in arabischer Hand befindet. Die Halachah, d.h. das jüdische religiöse Recht, das von der Auslegung rabbinischer Literatur abgeleitet ist, wird dazu benutzt, jüdische Aggression zu unterstützen. Die Enteignung von Land, Gewalttaten gegen und sogar Mord an Arabern wird nicht von allen Rabbis verurteilt, weil jüdisches Leben und Eigentum als wertvoller erachtet wird als nichtjüdisches (arabisches) Leben. Jüdische Nationalisten, die für diese Art des Terrorismus, der sich gegen Palästinenser richtet, verhaftet werden, bekommen meist eine leichte Haftstrafe und werden auf Bewährung entlassen, nachdem sie einen kleinen Bruchteil ihrer Strafe verbüßt haben.
Zusammenfassung: Das Judentum gibt dem Land Israel einen zentralen Platz in seiner Weltanschauung und betrachtet die Errichtung des hebräischen Staates als einen wunderbaren Akt göttlicher Versorgung. Israel wird als ein Ort der Zuflucht vor Verfolgung betrachtet und als ein Treffpunkt aller Juden, woher sie auch kommen mögen. Säkulare Israelis sehen häufig nichts Besonderes in dem Land an sich, aber religiös-zionistische Juden deuten das Heimkommen ihres Volkes und die Besiedelung des Landes als ein Zeichen der lange herbei gesehnten Erlösung. Eschatologisch betrachtet sind es diese Art Ereignisse, die gemäß dem religiösen Zionismus, das Kommen des Messias einläuten könnten.
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