-->Die Geißel des"neoliberalen Irrglaubens"
Oskar Lafontaine fordert in Wien eine Regulierung des Kapitalverkehrs -"Unternehmerpolitik" gefährdet soziale Balance -"Pentagon eigentliches Wirtschaftsministerium Amerikas"
Oskar Lafontaine gilt seit seinem Rücktritt als Finanzminister und SPD-Vorsitzender 1999 als Kritiker der SPD-Politik, insbesondere von Bundeskanzler Schröder
Grund für seinen damaligen Rückzug:"Die SPD-Politik ist der Grund für mein Verlassen der Politik. Ich vertrete grundsätzlich keine Politik, die ich für grundfalsch halte." Als Beispiel nennt er die"Kriegszusage" von Schröder und Außenminister Joschka Fischer an den damaligen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton im Jugoslawienkrieg"ohne internationale Rechtsgrundlage"
Wien -"Der europäische Stabilitätspakt gehört auf den Müllhaufen der Geschichte", urteilte der ehemalige deutsch Finanzminister und Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine am Montagabend in Wien. In einem Vortrag rechnete er mit der Gestaltung der Wirtschaftspolitik nach neoliberalen Maßstäben ab: Im Neoliberalismus herrsche der"Irrglaube", dass"die Volkswirtschaft blühen könne, wenn es dem Volk nicht gut gehe".
Lafontaine forderte eine Regulierung des Kapitalverkehrs sowie eine"Veränderung der Notenbankenverfassungen"."Ich bin der Meinung, dass es richtig ist, in Zeiten des konjunkturellen Niederganges eine expansive Geldpolitik zu machen", erklärte der 60-jährige.
Befreien vom Stabilitätspakt
Den EU-Stabilitätspakt, der für die Neuverschuldung der Mitgliedsstaaten eine jährliche Höchstquote von 3 Prozent festschreibt, bezeichnete er als"Hindernis" für eine solche Politik."Wenn wir in der EU eigene Entscheidungen treffen wollen, um die Wirtschaft in Gang zu bringen, müssen wir uns vom Stabilitätspakt befreien." Diese Ansicht werde sich durchsetzen, zeigte er sich überzeugt.
Es sei"Unsinn", dass die Notenbanken einzig die Preisstabilität zur Aufgabe hätten, wie es der Neoliberalismus lehre, so Lafontaine weiter; sie seien auch für Wachstum und Beschäftigung zuständig. Im Bezug auf die Europäische Union sprach sich der Ex-SPD-Vorsitzende für eine einheitliche Wirtschafts- und Finanzpolitik aus - die bereits bestehende einheitliche Geldpolitik würde dies verlangen.
95 Prozent Spekulationen
Die neoliberale Weltwirtschaftsordnung, bei dem"95 Prozent des Kapitalverkehrs" nicht auf den Warenverkehr zurück gingen, sondern aus"Spekulationen" bestünden, hält Lafontaine für"instabil":"Dies ist ein System, das immer wieder entgleist, wo man nicht weiß, ob es nicht einmal ganz entgleist. Dieses weltweite Spielkasino muss Regeln unterworfen sein."
Eine Regulierung des Kapitalverkehrs und der Wechselkurse hält der SPD-Politiker für möglich. Was die USA betrifft, ortet Lafontaine allerdings große Widerstände. Durch das System der privaten Wahlkampffinanzierung seien Finanzinstitutionen und ferner die Waffen- und Ã-lindustrie mit der Politik verflochten.
System der USA gefährdet
Laut dem langjährigen Ministerpräsidenten des Saarlandes habe schon Ex-US-Präsident Bill Clinton im Wahlkampf versprechen müssen, nichts am neoliberalen Kurs zu ändern, um sich die Unterstützung der Wall Street zu sichern. Lafontaine sieht das demokratische System der USA dadurch gefährdet:"Wenn das so weiter geht, können wir nicht mehr von Demokratie, sondern müssen von Plutokratie sprechen", da Veränderungen blockiert werden könnten, weil sie einer Minderheit nicht passten.
Als"merkwürdig" in der neoliberalen Lohnpolitik kritisierte er die Tatsache, dass die Löhne aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit gedrückt würden, die Manager-Gehälter aus denselben Gründen stiegen, um deren Abwanderung zu verhindern. Ebenso verurteilte er die Haltung, dass man sich"keine sozialen Leistungen erlauben könne", um wettbewerbsfähig zu bleiben.
"Fast kriminell"
Privatisierungen von Einrichtungen zur Grundversorgung der Bevölkerung erteilte Lafontaine eine Absage - etwa im Bereich Altersvorsorge. Hier würde der Neoliberalismus"fast kriminell"."Die Gewinne werden privatisiert, die Verluste aber sozialisiert", führte er aus.
Nach einer Ideologie, die"den Markt höher setzt als Regeln, die sich die Gesellschaft selbst gibt" und die auf das"Wachstum und den Wohlstand einer Minderheit aufbaut" erwartet sich Lafontaine nun eine"Pendelbewegung in die andere Richtung".
Soziale Balance gefährdet
Die Reform-Agenda 2010 der deutschen Regierung von Bundeskanzler Gerhard Schröder ist nach Meinung von Oskar Lafontaine"keine originäre Schöpfung der SPD", sondern beruht auf"uralten Forderungen der Unternehmer"."Wenn nur noch Unternehmerpolitik gemacht wird, dann ist die soziale Balance gefährdet", warnte der deutsche Ex-Finanzminister und ehemalige SPD-Chef Lafontaine in einem Gespräch mit der"Zeit im Bild 3" von der Nacht von Montag auf Dienstag. Die neoliberale Politik bringe keine Reduktion der Arbeitslosigkeit, sondern bewirke eher"das Gegenteil".
Die Vereinigten Staaten hätten die Schleusen für neoliberale Reformen etwa bei den Steuersenkungen geöffnet:"Man kann sagen, das Pentagon ist das eigentliche Wirtschaftsministerium Amerikas." Die Gründe für die guten Wachstumszahlen in den USA sieht er jedoch nicht als Vorbild für Deutschland:"Wir wollen ja das Militäretat nicht aufblähen." Vielmehr solle in Bildung, Forschung und Infrastruktur investiert werden. Im Gegenteil zum"Wohlstand für alle", dem Ziel Ludwig Erhards, des Vaters der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland, bringe der Neoliberalismus aber nur"steigende Armut für alle".
"Keine Karriere mehr"
Zur Frage nach einer möglichen Rückkehr auf die politische Bühne sagte der deutsche Ex-Finanzminister der ZiB 3, er sei nicht an einem persönlichen Comeback interessiert:"Ich bin für ein Comeback meiner Politik". Er sei außerdem vor kurzem 60 geworden und"da plant man keine Karriere mehr". (APA)
Gruss
Otto
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