-->Eltern zum Nichtstun verurteilt
Ein Elternpaar wollte für den dreijährigen Sohn einen Kita-Platz durchsetzen, um wieder arbeiten gehen zu können. Doch die Klage in Hamburg scheiterte. Die Begründung des Richters: Die Eltern könnten ja weiterhin vom Arbeitslosengeld leben. Das erstaunliche Urteil und das Chaos bei der Kinderbetreuung sorgen für Empörung.
Hamburg - Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg hat in letzter Instanz die Klage eines Elternpaares auf Ganztagsbetreuung ihres Kindes abgewiesen. Für Silke und Hagen Liebberger ist das ein herber Rückschlag. Nach längerer Arbeitslosigkeit waren sie dabei, sich selbstständig zu machen, und benötigten tagsüber eine achtstündige Betreuung für ihren knapp dreijährigen Sohn Mathis.
Per Bundesgesetz ist die Hansestadt allerdings nur verpflichtet, in Kindertagesstätten (Kita) den Rechtsanspruch auf einen Vier-Stunden-Platz für Kinder im Alter zwischen drei und sechs Jahren einzulösen. Deshalb hat sich die Behörde bei ihrer Ablehnung laut OVG-Urteil formal korrekt verhalten.
Erst der nachfolgende Teil der Urteilsbegründung sorgte für Empörung."Eltern könnten ohne weiteres wie bisher vom Arbeitslosengeld des Vaters sowie vom Erziehungs- und Kindergeld und gegebenenfalls vom Wohngeld leben", heißt es im Urteil wörtlich. Und weiter: Der Betreuungsbedarf entstehe nur, weil die Mutter eine Berufstätigkeit ausüben wolle. Darauf sei die Familie, der auch Überbrückungsgeld zur Verfügung stehe, aber nicht angewiesen.
Scharfe Kritik kam umgehend vom Bund der Steuerzahler, dessen Geschäftsführerin Gertrud Erdmann das Urteil nicht gerade als Aufmunterung für Arbeitslose versteht, auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren.
Das OVG-Urteil ist der vorläufige Höhepunkt im Kita-Streit der Hansestadt. Bildungssenator Rudolf Lange (FDP) war mit seinem"Kita-Card-System" erst im Sommer in Hamburg an den Start gegangen. Das Jugendamt sollte den Eltern einen Gutschein über den Betreuungsbedarf für ihre Kinder ausstellen - die so genannte Kita-Card. Diesen Gutschein können die Eltern dann beim Kindergarten ihrer Wahl abgeben; sie sind nicht mehr an Einrichtungen innerhalb der Grenzen ihres Bezirkes gebunden.
3000 Eltern sind bislang leer ausgegangen
Für die Kita selbst ist der Gutschein faktisch ein Scheck, den sie beim Bezirk einreichen und im Gegenzug ihr Geld erhalten - und zwar für genau so viele Stunden, wie sie auch Betreuungsarbeit geleistet haben. Bisher wurde den kommunalen Kitas das Budget allein nach der Anzahl der vorgehaltenen Plätze zugeteilt, unabhängig von der Auslastung und den geleisteten Betreuungsstunden.
Bis heute sind aber mehr als 3000 Kinder von berufstätigen Eltern leer ausgegangen: Sie haben noch keinen Gutschein erhalten, der eine sechs- oder achtstündige Betreuung garantiert. Noch im Juni hatte Bildungssenator Lange erklärt, alle Anträge würden"voraussichtlich positiv" beschieden. Doch davon kann heute - mit Blick auf die prekäre Finanzlage seines Ressorts - keine Rede mehr sein.
Nach einem Bericht der"taz" soll der von Lange ab Oktober verhängte Gutscheinstop bis Silvester verlängert werden. Denn die Behörde hat kein Geld, um die in den Bezirken zur Verschickung bereitliegenden Kita-Gutscheine für dringenden sozialen Bedarf, für Sprachförderung und benötigte Anschlussbewilligungen freizugeben. Nachdem die Bürgerschaft erst in der letzten Woche einen Nachtragshaushalt in Höhe von 19 Millionen Euro für den Kita-Bereich bewilligt hatte, klaffte in Langes Bildungsressort nun eine erneute Lücke von vermutlich 18 Millionen Euro.
Finanzlöcher im Wochentakt
Fast ergebnislos endete am Montag eine Krisensitzung der Mitte-Rechts-Koalition, an der neben Oberbürgermeister Ole von Beust (CDU) sämtliche Senatoren und Fraktionschefs teilgenommen hatten. Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) hatte zuvor gegenüber dem"Hamburger Abendblatt" erklärt, dass angesichts der aktuellen Steuerausfälle bei anderen Senatoren"etwas geholt werden muss", wenn der Bildungssenator mehr Geld benötige. Langes Senatskollegen erschienen auf der Sitzung vom Montag jedoch mit zugenähten Hosentaschen, Geschenke hatten sie keine zu verteilen.
Rudolf Lange, dem einzigen FDP-Senator der Koalition, traut im Hamburger Rathaus offenbar niemand mehr zu, den Kita-Karren allein aus dem Dreck ziehen. Ein Lenkungsausschuss aus Schulbehörde, Finanzsenator, Sozialsenatorin und dem Chef der Senatskanzlei soll nun versuchen, die Kostenexplosion in den Griff zu bekommen. Der durch die Querelen um seine Schulpolitik ohnehin angeschlagene Senator bleibt zwar vorerst im Amt, sein Rückhalt im Senat aber schwindet.
Die auch gestern noch geäußerte Hoffnung des Senators, die 3000 bisher noch leer ausgegangenen Eltern würden"so bald wie möglich" mit Kita-Plätzen versorgt, hilft dem Ehepaar Liebberger auch nicht weiter. Nach ihrer Niederlage vor dem OVG prüfen sie jetzt einen Gang vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe. Mit der bestehenden Rechtslage, die ihnen nahe legt, von Sozialleistungen zu leben, statt den Lebensunterhalt der Familie selbst zu verdienen, wollen sie sich nicht zufrieden geben.
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